Arcadia
1.000er-Club
Die Künstlerin
Vorsicht ist geboten, denn auf den ersten Blick kann man sich leicht vertun. Mit ihren gerade mal 152 cm vom hübschen Blond-Scheitel bis zur Stiletto-Sohle, ihrem sehr jungen Aussehen und ihrem zurückhaltenden, leisen Auftreten geht sie gut noch als Schülerin durch. Im unterschätzt werden liegt aber genau die Stärke von Annett. Sie beobachtet aus dem Hintergrund heraus, zieht ihre Schlüsse, heischt nicht um Aufmerksamkeit. Aber wenn es ihr richtig erscheint, tritt sie selbstbewusst in den Vordergrund, ist unübersehbar präsent und im Focus der Aufmerksamkeit.
Ihre Grösse sieht Annett ganz gelassen – Kylie Minogue und Madonna sind auch klein und haben sich trotzdem Gehör verschafft.
Annett Louisan ist im April 1979 in der Altmark zur Welt gekommen. Die geliebten Großeltern zogen Annett auf, während die Mama als Krankenschwester arbeitete. Ihren Vater hat sie nicht kennen gelernt. Trotzdem – es hat ihr an nichts gefehlt. Sie erinnert sich an eine fröhliche Kindheit als lautes und wildes Mädchen im Plattenbau.
Nach der Wende entschloss sich ihre Mama, in der Nähe von Hamburg ein neues Leben zu beginnen und ihr Glück zu suchen. Ob es die neue Umgebung war oder die Pubertät – es folgte jedenfalls eine introvertierte Phase, in der Annett sich intensiv mit der Malerei und dann auch mit Musik beschäftigte.
Es zeichnete sich früh ab, dass sie keine konventionelle Berufsperspektive wählen würde. Sie würde sich nie einem fremdbestimmten, geregelten Tagesablauf unterwerfen wollen, sie wollte sich die Freiheit bewahren, immer dann das tun zu können, was ihr selbst in diesem Moment wichtig war. Sie suchte nach Ausdrucksmöglichkeiten für ihre Gefühle und Wahrnehmungen und wandte sich erstmal der Malerei zu. Ein Studium an der Kunsthochschule in Hamburg folgte. Sie malte Akt, figürlich und dann wieder ungebremst bunt und radikal.
Seit einiger Zeit allerdings hat sie den Pinsel gegen das Mikrophon eingetauscht. Sie finanziert ihr Studium mit Gelegenheitsjobs als Studiosängerin und singt „alles zwischen Klassik und Trance“. Sie trifft viele Musiker, lernt Gitarre spielen, probiert sich aus. Sie übernimmt sich dabei nicht, sie kopiert niemanden, springt nicht auf einen Trend. Sie will keinem was beweisen. Sie vertraut auf sich selbst. Und sie lässt sich Zeit – bis es dann allerdings doch ganz schnell geht.
Annett hatte das Glück, auf die richtigen Leute zu treffen. Erst auf Musikerkollegen, die ihr halfen, ein erstes Demo einzuspielen. Und dann konnte sie sich schon das Porto für weitere Aussendungen an die Plattenfirmen sparen. Ihr Versuchsballon ging seinen Weg durch die Szene mit Punktlandung bei Peer Music. Dort erkannte man das Potential dieser eigenwilligen Künstlerpersönlichkeit, konzipierte zusammen das Album, knüpfte die Fäden und der Rest ist... der Anfang einer ganz großen Geschichte.
_____________________________
Das Album: Boheme
Es ist zunächst einmal die Stimme, die gefangen nimmt. Annett Louisan hat eine ganz zarte, kleine Elfenstimme, so dicht am Ohr, dass man ihren Atem über das Gesicht streifen spürt.
Genauso überraschend wie diese Stimme ist die Tatsache, dass hier gar nicht erst der Versuch unternommen wurde, sie mittels Studiotechnik aufzuboosten, herunterzupitchen oder sonstwie zu polieren. Die entspannten Arrangements und die französisch inspirierte Boulevardjazz-Instrumentierung hatten sich dieser Stimme anzupassen und elegant zurückzunehmen. So kann sie leichtfüßig und unangestrengt mit den Inhalten der Songs exakt auf Herz, Bauch und Sinne zielen, wo sie sich augenblicklich festsetzen und so schnell nicht wieder loslassen werden.
Denn die Texte dieser schönen, federleichten Popsongs sind bislang ungehört und unerhört! Natürlich geht es um die Männer, was sonst. Diesmal aber sind sie es, denen mit Charme und Witz auf der Nase herumgetanzt wird – und wetten, dass sie es mit sich machen lassen? Unter uns Pastorentöchtern: das war immer so. Aber erstmals singt hier eine Frau, was ein Mann denkt, wenn er ein Mädchen anbaggert oder andererseits, wenn sie ihn nervt, weil sie nichts begreift oder gar klammert. In einigen Songs stellt Annett die Sachen einfach auf den Kopf und amüsiert sich diebisch, wie sich das ganze Liebes-Rollenspiel andersrum anhört. Aber keine Angst, wir haben es hier nicht mit einer Emanze zu tun, sondern mit einer niedlichen Amazone, die das ganze Liebes-Rollenspiel durchschaut hat. Und die am Ende doch ihr Herz verliert.
Die Texte wurden mit einer Ausnahme nicht von Annett ausformuliert, aber sind erlebt und authentisch nachfühlbar. Und was sie nicht selbst in ihren jungen Jahren erfahren hat, ist aus Jahrhunderten überliefertes Frauenwissen. Es sind ihre Vorlagen und ihre Geschichten, aus denen die Texte in enger, langer Zusammenarbeit mit Frank Ramond so pointiert und präzise entstanden sind. Von einem Mann also. Die Textur dieser Songs ist lässig und heutig und doch köstlich und unbeschwert zu genießen. Und manchmal sind sie auch etwas bittersüß, wenn sie z.B. ein Lied für ihren ihr unbekannten Vater singt.
___________________________
Songtext: Das Spiel
1 · das spiel
daß du nicht mehr bist was du einmal warst
seit du dich für mich ausgezogen hast
daß du alles schmeißt wegen einer Nacht
und alles verlierst war so nicht gedacht
du willst mich für dich und du willst mich ganz
doch auf dem Niveau macht’s mir keinen Spaß
das füllt mich nicht aus ich fühl mich zu haus
nur zwischen den Stühlen
ich will doch nur spielen
ich tu doch nichts
daß du wegen mir irgendwen verläßt
daß du manchmal weinst weil es dich verletzt
daß es immer mal jemand andren gibt
der sich hier und da in mein leben schiebt
daß du dich verliebst weil du ’s mit mir tust
daß es dich so trifft hab ich nicht gewußt
es war nie geplant daß du dich jetzt fühlst
wie einer von vielen
ich will doch nur spielen
ich tu doch nichts
daß du nicht mehr schläfst weil es dich erregt
wenn ich mich beweg’ wie ich mich beweg’
daß du fast verbrennst unter meiner Hand
wenn ich dich berühr hab ich nicht geahnt
ich steh nur so rum tu so dies und das
fahr mir durch das Haar und schon willst du was
laß mal lieber sein hab zuviel Respekt
vor deinen Gefühlen
ich will doch nur spielen
ich tu doch nichts