Teil 2 der Charmed-Weihnachtsgeschichte
Sie fuhr aus dem Bett auf! Keuchend rang sie nach Luft und versuchte ruhig zu atmen, während sie auf ihre Arme hinabstarrte, die nun nicht mehr in Ketten, sondern wieder frei beweglich waren. „Nur ein Alptraum“, dachte sie und versuchte ihn abzuschütteln, als sie erneut zusammenfuhr, weil die neben ihrem Haus gelegene Kirchturmuhr Mitternacht läutete. Rowan beschloss aufzustehen und ein Glas Wasser zu trinken, als sie plötzlich einen Schatten im Zimmer wahrnahm und vor Schreck zusammenzuckte.
Zusammengekauert sah Rowan, dass die Gestalt aus dem Dunkeln hervor- und an ihr Bett trat. Verängstigt stieß sie einen kurzen Schrei aus. „Rowan, ganz ruhig. Mein Name ist Prue, ich bin eine Schwester von Paige“, sagte die Gestalt nun mit solch einer sanften Stimme, dass man damit ein verschüchtertes Kind hätte beruhigen können. „Was willst du hier? Woher kennst du meinen Namen?“ Rowan begann leicht zu zittern, als sie sah, dass Prues Gestalt leicht durchsichtig war. Als wäre sie ein Gespenst!
„Ich bin hier um dir zu helfen. Ich bin der Geist der vergangen Weihnacht. Komm mit mir und ich zeige dir frühere Zeiten.“ Mit schwebenden Bewegungen glitt Prue zur Tür und machte Rowan einen Wink mit der Hand, dass sie sich beeilen sollte. Rowan wusste selbst nicht warum, aber Prues Stimme war vertrauenswürdig und ohne dass Rowan es selbst begriff, verstand sie doch, dass ihre Besucherin die Wahrheit sprach. Schnell schlüpfte sie in ein paar Kleidungsstücke, zog sich Schuhe und Mantel an und folgte Prue.
Die Weihnachtsnacht war kalt und klar, wenige Menschen waren unterwegs und Rowan musste sich beeilen um Prues Schritten folgen zu können. Gerne würde sie wissen, wohin ihr Weg sie führte, aber Prue hatte ihr zu verstehen gegeben, dass sie schweigend gehen sollten. Ihr Weg führte sie zu einem Kinderheim, das Rowan wiedererkannte. Als Teenager hatte sie hier mit ihrem langjährigen Freund gearbeitet, mit Kindern gespielt und sich um sie gekümmert. Doch als er sie nach fünf Jahren verlassen hatte, konnte sie nicht mehr hier arbeiten, da alles in diesem Heim an ihn erinnerte. Damals hatte sie begonnen, sich von der Welt zurückzuziehen und im Laufe der Zeit merkte sie, dass auch niemand sie zu vermissen schien. Also hatte sie ein einsames Leben geführt.
„Was wollen wir hier?“ flüsterte sie endlich. Prue blickte sie traurig an, während sie antwortete: „Sieh durchs Fenster, dann wirst du es merken.“
Rowan gehorchte und ihr Blick fiel durch das Fenster im ersten Stock. Erst erkannte sie nichts. Dann sah sie jedoch voller Überraschung sich selbst in einem hell erleuchteten Raum sitzen, umringt von Kindern, die lärmend herumtobten und miteinander spielten. Rowan selbst hatte einen großen Sack voller Geschenke dabei, aus dem sie für jedes Kind mit einem Lächeln ein Geschenk zauberte. Es war das Weihnachtsfest vor 6 Jahren gewesen. Rowan erinnerte sich genau an damals. So glücklich war sie selten zuvor gewesen und würde es wahrscheinlich auch nie wieder sein.
„Siehst du dich? Du schenktest jedem Kind etwas besonderes, du schenktest ihnen Freude und deine Freundschaft. Du warst es, die sie zum Lachen brachte und die sie bewunderten. Und was ist jetzt aus dir geworden? Du hast dich gewandelt, dich von ihnen und der Welt abgewandt. Sieh durchs Fenster und sie dich an. Und dann denk daran, wie du jetzt bist.“ Prue sprach nicht weiter, sondern sah Rowan nur auf eine unheimliche Weise weiterhin traurig an. Sie standen noch eine geraume Weile an dem Fenster und Rowan begann über sich und ihr Leben nachzudenken. Der Gedanke, wie glücklich sie damals gewesen war, stimmte sie traurig und plötzlich hatte sie einen bitteren Kloß im Hals. Schließlich meinte Prue in leisem Flüstern: „Es ist Zeit, gehen wir.“
Sie gingen schweigend nebeneinander her und als sie wieder in Rowans Haus waren, begann Prues Gestalt zu flackern. „Es wird Zeit, ich muss gehen. Aber denk immer daran, was du gesehen hast. Vergiss niemals, wer du warst.“
Mit diesen Worten verschwand Prue im Dunkeln und Rowan konnte später nicht mehr sagen, ob sie gegangen war oder sich einfach in Luft aufgelöst hatte. Sie blickte auf die Uhr, welche 10 Minuten vor eins anzeigte und erschöpft ging sie ins Schlafzimmer um das Erlebnis zu verdauen und vielleicht doch noch Ruhe in dieser Nacht zu finden.
Prue kehrte inzwischen zu ihren Schwestern zurück, die gespannt gewartet hatten. „Ich habe meine Aufgabe erfüllt, nun bist du an der Reihe, Piper.“ Diese nickte, umarmte ihre Schwestern noch kurz, und machte sie dann auf den Weg.