In der Unterwelt:
Die Gemächer der Quelle waren Cole noch immer so vertraut wie damals, als er noch diese Stellung in der Unterwelt gehabt hatte.
Er wusste ganz genau, wem diese Räume jetzt gehörten.
„Sie haben niemals einem anderen gehört, Balthasar,“ ertönte Reynos Stimme.
„Ich habe nicht erwartet, dass du in fester Gestalt auftauchst, Reyno.“
Ein leises Lachen, dann trat Reyno aus dem Schatten. Er sah genau so aus, wie Cole ihn immer gekannt hatte: Seine Augen waren nicht kälter als sonst, der Schritt nicht anmutiger, die Aura nicht tödlicher.
„Was hast du gedacht? Dass ich mit Hörnern und Hufen auftauche? Ich denke nicht.“
„Das personifizierte Böse hat tausend Gesichter und kann an tausend Orten gleichzeitig sein. So lautet jedenfalls eine der vielen Legenden, die über das Böse entstanden sind. Weswegen also zeigst du dich mir nur in dieser Gestalt?“ Coles Stimme war kalt genug, um Wasser zu Eis gefrieren zu lassen.
„Woher willst du wissen, dass ich mich dir nur in dieser einen Gestalt des Mentors gezeigt habe? Und habe ich es dich denn nie gelehrt, Balthasar? Ich bin überall und nirgendwo, jeder und niemand, dies hat sogar Phoebe verstanden.“
Dies hatte Cole befürchtet. Er hatte auf keinen Fall das Gespräch auf Phoebe lenken wollen, obwohl er hätte wissen können, dass Reyno seine Gedanken las. Nun konnte er aber genauso gut die gefürchtete Frage stellen: „Ist sie tot?“ Es war nicht mehr als ein Flüstern, aber die Stimme hallte an den kalten Wänden wider.
„Sie hat sich heftig gewehrt, aber schliesslich hat sie mich um Gnade angefleht. Sie wollte sterben.“
Cole verwandelte sich in sekundenschnelle in Balthasar und wollte Reyno packen, als er, ohne einen Schlag gespürt zu haben, mehrere Meter nach hinten geschleudert wurde.
„Niemals im Zorn angreifen,“ flüsterte der Mentor und seine Augen bohrten sich in Balthasars.
„Du hast sie getötet,“ erwiderte der Halbdämon kraftlos.
„Habe ich das behauptet? Nein, Balthasar. Ich sagte dir, sie hätte mich angefleht ihrem Leben ein Ende zu setzen, was nicht bedeutet, dass ich es tatsächlich getan habe. Sie soll noch etwas leiden. Es braucht nur noch einen kleinen Tropfen, um das Fass zum Überlaufen zu bringen.“
Mit diesen Worten verschwand das personifizierte Böse.
„Was meinst du damit?“ schrie Balthasar und sackte in die Knie. Er weinte. Die Verzweiflung und Angst um Phoebe brannte in seinem Herzen. Er konnte nicht mehr. Er bemerkte gar nicht, wie er sich wieder zurückverwandelte.
Einige Minuten sass er so da, bis er sich endlich aufraffte. Es war genug. Er wollte nicht weiterhin Reynos Spielball sein. Egal, was es kostete, er würde es schaffen. Er wird Phoebes Leben retten.
Er schloss die Augen, um Phoebes Seele wahrzunehmen. Aber vergebens........Und wahrscheinlich zum ersten mal, seit hundert Jahren, wünschte er sich, dass er seine eigenen mentalen Kräfte mehr trainiert hätte.
Zur gleichen Zeit:
Aus Phoebe schien jede Kraft gewichen zu sein. Sie hatte nicht mehr die Kraft zu denken, zu fühlen oder gar aufzustehen.
Reyno sah sie gefühllos an und ein dunkles Lächeln überzog sein Gesicht.
„Was willst du denn noch von mir?“ Dieses leise Flüstern war fast unhörbar von Phoebes Lippen gewichen.
„Es ist zwar ewig her, dass ich so etwas gesagt habe, aber ich verstehe nicht ganz?“
„Du hast mich zu Boden gezwungen, Reyno. Ja, das Böse hat mich besiegt. Ich kann nicht mehr,“ sie schluchzte, „Warum bringst du es nicht einfach zu Ende?“
„Keine Angst, dies geschieht noch früh genug. Es gibt noch etwas, das du sehen sollst und ich glaube, dass ein Teil davon dich alles andere als quälen wird........“
Auf das stumme Flehen in den Augen der jungen Hexe wurde mit einem eiskalten Blick geantwortet...............
Diesmal blieb Phoebe an ihrem Ort, doch Reyno schien zu verschwimmen.........
Musik erklang in ihren Ohren. Sanfte Musik und die ehemals jüngste Halliwell schloss die Augen.
Als sie ihre Augen wieder öffnete, war sie von Licht umgeben und sie fühlte eine wunderbare Wärme, welche durch ihren Körper floss.
Dann erkannte sie noch etwas: Es schien formlos und doch war es da. Phoebe konnte fühlen, wie eine Welle von Liebe sie umgab.
„Mein Baby,“ hauchte sie, von Gefühlen überwältigt.
Plötzlich befand sich um sie nur noch Dunkelheit, pure Schwärze. Einen Moment glaubte sie noch ihr Baby spüren zu können, doch sie täuschte sich. Stattdessen sah sie erneut Coles Bild vor ihrem Auge: Sein arrogantes, triumphierendes Lächeln.....
Reyno stand erneut vor ihr.
„Du hast nie deines Kindes Gesicht gesehen, nicht wahr? Wäre er nicht die Quelle gewesen, so wäre das nie passiert.“
Durch Coles Kopf schossen plötzlich Reynos Worte, seine Lösung:
„Wir sind eins.“
Es bedeutete wesentlich, dass er somit auch Reynos Fähigkeiten anwenden könnte. Phoebe hatte ihm davon abgeraten, aber er wusste, sie würde das Gleiche für ihn tun.
Er setzte sich im Schneidersitz auf den Boden, schloss die Augen und konzentrierte sich. All seine Gedanken waren auf die grosse Liebe seines Lebens fixiert.