AW: [Schillerstraße] - Die Geschichte der sieben kleinen Scherzkekse
Sie hatten damals im Englischunterricht ein Gedicht gelesen, und eben dieses Gedicht war ihr jetzt wieder eingefallen. Ten little Indians. Zehn kleine Indianer, die Freunde waren, doch zum Schluss war einer alleine. Das war sie. Sie war der letzte Indianer, der noch übrig war. Die letzte Strophe des Gedichts kam ihr in den Kopf: „One little Indian boy left all alone; He went and hanged himself … and then there were none“ And then there were none. Am Ende war keiner von ihnen übrig geblieben. Alle waren tot. Würde es auch so werden? Würde auch sie am Ende sterben? Wenn es so sein sollte, dann aber auf gar keinen Fall so, wie es in dem Gedicht geschehen ist. Sie würde ihm nicht den Gefallen tun und sich selber das Leben nehmen, auf gar keinen Fall. Aber wäre es überhaupt ein Gefallen? Vielleicht wäre er ja enttäuscht, wenn er sie nicht würde leiden lassen können, so wie die anderen. Dennoch, sie würde es nicht tun. Vorsichtig hob sie ihren Rock etwas an, und stellte fest, dass das Blut wenigstens auf dem rechten Oberschenkel getrocknet war, während aus dem linken noch ein dünnes Rinnsal an Blut lief. Sie würde daran nicht sterben. Immerhin. Und er würde seine Strafe bekommen, egal was mit ihr geschah, dafür hatte sie gesorgt. Wenn Cordula bloß da wäre. Bereits jetzt vermisste sie ihre beste Freundin, dabei war sie erst seit wenigen Stunden tot. Schon wieder liefen ihr Tränen über das Gesicht, und um sich vom Weinen abzulenken, versuchte sie sich den Rest des Gedichts wieder in den Kopf zu rufen, doch alles was ihr einfiel war diese letzte Strophe mit der letzten Zeile: And then there were none.
Es musste bereits früh am nächsten Morgen sein, denn die Sonne schien hell ins Zimmer. War es die Sonne? Warum konnte sie überhaupt die fest zugezogenen Vorhänge durchdringen? Erschrocken riss Annette die Augen auf und sah sich um. Michael lag in dem anderen Bett und schlief, doch wo war Cordula? Furchtbare Kopfschmerzen brachten Annette dazu die Augen wieder zu schließen. Sie fasste sich müde an den Kopf und rieb sich die schmerzenden Schläfen, doch wirklich helfen tat das nicht. Dann öffnete sie die Augen wieder und versuchte sich auf ihre Umgebung zu konzentrieren. Sie hatte das seltsame Gefühl unter irgendeinem Drogeneinfluss zu stehen. Der Raum verschwamm vor ihren Augen und sie musste sie erneut schließen. Cordula. „Konzentrier dich,“ sagte sie zu sich selbst. Es ging um Cordula. Irgendetwas stimmte nicht. Sie zwang sich dazu die Augen wieder aufzureißen und sich auf das kleine Zimmer zu konzentrieren. Wo war Cordula? Ein Blick zur Tür verriet ihr, dass diese zwar noch geschlossen war, aber irgendetwas stimmte nicht mit den Möbeln, die Michael gestern davor geschoben hat. Es wirkte als hätte jemand die Tür aufgedrückt, denn die Möbel lagen in einem ziemlichen Durcheinander im Zimmer verstreut herum. Aber das hätten sie ja gehört. Hätte irgendjemand versucht die Tür aufzubrechen, wären sie alle drei aufgesprungen, und von dem Lärm geweckt worden. Die Erklärung war also, dass Cordula aufgestanden war und das Zimmer verlassen hatte. Aber warum? Das war doch viel zu gefährlich. Und sie hatten abgemacht, dass sie zusammen bleiben würden. Warum also war Cordula einfach so gegangen? Oder war es doch möglich, dass jemand, von ihnen unbemerkt, das Zimmer betreten hatte? Schnell stand Annette auf und trat an das Zimmer. Der Vorhang war ein Stückchen zur Seite gezogen, sodass ein helles Licht hinein schien. Aber es war kein Sonnenlicht, es war irgendein künstliches Licht. Ein kurzer, vorsichtiger Blick nach draußen, verriet ihr, dass überall hell brennende Lampions aufgebaut waren. Was ging hier vor sich? Ein Schaudern durchfuhr Annette und sie musste sich schütteln, um das Gefühl loszuwerden. Sie musste Michael wecken. Eine plötzliche Angst hatte sie beschlichen und sie wollte auf gar keinen Fall alleine nach draußen gehen, um nach Cordula zu sehen. Vermutlich würde sie einfach nur im Wohnzimmer auf dem Sofa sitzen, weil sie nicht schlafen konnte, aber wer konnte das schon mit Sicherheit sagen? Mit Michael an ihrer Seite fühlte sie sich einfach sicherer und so trat Annette an das Bett, in dem er immer noch schlafend lag und weckte ihn sanft auf.
Er hatte einen schönen Traum gehabt, und es ärgerte ihn, dass er aus diesem Traum heraus in die Wirklichkeit zurückgerissen wurde, doch als Michael in Annettes blaue Augen, die ihn ängstlich ansahen, blickte, war aller Ärger sofort vergessen. „Was ist los?“ fragte er und wusste instinktiv, dass irgendetwas passiert war. Schnell richtete er sich auf, doch die plötzliche Bewegung tat weh. Ein kurzer, stechender Schmerz durchfuhr seinen Kopf und er musste sich an den Kopf fassen. „Hast du auch solche Kopfschmerzen?“ fragte Annette und Michael sah sie erstaunt an. „Ja,“ er nickte, „du etwa auch?“ „Ja,“ sagte sie knapp, dann schwieg sie. Michael stutzte. Wo war Cordula? Als er die Frage gestellt hatte und sah, wie Annette nur hilflos mit den Schultern zuckte, flüsterte er entsetzt: „Bitte nicht.“ Doch er wusste, dass es so war, wie er befürchtet hatte: Es war etwas passiert und jetzt würden er und Annette herausfinden müssen, was es war. Er wünschte, er könnte es ihr ersparen, doch er wusste, dass er es nicht konnte. Schnell sah er sich in dem Zimmer um, sah die Tür, die noch geschlossen war, aber entdeckte auch die umgeschmissenen Möbel. Erst dann fiel ihm auf, dass es im Zimmer erstaunlich hell war und Annette erzählte ihm von den Lampions, die draußen angebracht worden waren. Michael runzelte die Stirn und warf einen Blick zum Fenster. Dann sah er es: Ein dünner Schlauch, den gestern, in der Dunkelheit, die nur ein bisschen von dem schwachen Kerzenlicht erleuchtet worden war, niemand bemerkt hatte. Flink kletterte aus dem Bett und lief zu dem Fenster, um sich den Schlauch näher anzusehen. Als er vorsichtig daran riechen wollte, verlor er fast wieder das Bewusstsein, so intensiv war das Gas noch im Schlauch vorhanden. Schlagartig wurde ihm alles klar. Man hatte mit einem Gas dafür gesorgt, dass sie das Bewusstsein verloren um dann hereinkommen und Cordula unbemerkt holen zu können. Vorsichtig zog Michael die Gardine komplett zur Seite und warf einen Blick nach draußen. Erst jetzt sah er, dass das Fenster eingebrochen worden war. Deshalb waren er und Annette also wieder aufgewacht. Jemand hatte dafür gesorgt, dass sie wieder frischen Sauerstoff würden einatmen können. Jemand wollte, dass sie aufwachten und das musste einen Grund haben. Kritisch sah Michael sich um, doch er konnte trotz der Lampions draußen kaum was erkennen. Auf jeden Fall sah er nichts Ungewöhnliches. Kein dunkler Schatten, der sich durch den Wald stahl, keine an Bäumen hängenden Leichen oder Ähnliches. Auch keine Cordula. Ob das ein gutes oder ein schlechtes Zeichen war, wusste er noch nicht. Er zog den Vorhang wieder zu und wandte sich Annette zu. Sie saß auf dem Bett und hatte das Gesicht in die Hände gelegt. Als Michael sah, dass sie weinte, trat er schnell auf sie zu und setzte sich neben sie. Vorsichtig legte er ihr einen Arm um die Schultern, und sie flüsterte leise: „Sie ist tot, oder? Cordula ist tot.“ Dann fing sie unkontrolliert an zu schluchzen. Michael drückte sie fester an sich. Er wusste nicht, was er tun sollte. Annette war kein kleines Kind mehr, dem man einfach erzählen konnte, dass alles wieder gut werden würde. Er wollte sie nicht belügen, wollte ihr keine falschen Hoffnungen machen. Auch er war sich ziemlich sicher, dass Cordula tot war, und wer auch immer sie umgebracht hatte, wollte es ihrer besten Freundin vermutlich nicht ersparen, sie zu finden. Am liebsten hätte er Annette alleine in dem Schlafzimmer zurück gelassen und wäre nach draußen gegangen, um nach Cordula zu sehen. Er wollte ihr den Anblick ihrer toten Freundin um jeden Preis ersparen, doch es war viel zu gefährlich. Was, wenn er zurückkam und Annette nicht mehr da wäre? Das würde er sich nie verzeihen können. Michael seufzte leise. Er wollte sich nicht vorstellen, was der Wahnsinnige mit Cordula angestellt hatte. Seine Gedanken glitten zu dem Anblick des toten Bernhards und noch immer fragte er sich, wie er es geschafft hatte, eine Decke über ihm auszubreiten, um seine Leiche so gut wie möglich vor Tieren zu schützen. Bei Olivers Leiche hatte es vermutlich nicht mehr viel gegeben, was man hätte schützen können. Er fragte sich, ob er vollkommen verbrannt war, oder ob unter den Trümmern des zerstörten Bungalows noch Reste seiner Leiche zu finden waren. Dann fragte er sich wieder einmal, wie und wo sie Cordula finden würden. Er schüttelte den Gedanken ab. Wichtiger war es erst einmal, Annette zu beruhigen. Er wusste, dass sie hier nicht sicher waren. Und ihm war die Dunkelheit egal. Er würde sich einen der Lampions schnappen und mit Annette gemeinsam von hier fliehen. Und wenn der Wahnsinnige hinter ihnen her war, würde er kämpfen und dafür sorgen, dass wenigstens Annette fliehen konnte. Er wusste, dass er es schaffen konnte, er musste es einfach schaffen. Beruhigend strich er Annette über den Kopf und redete flüsternd auf sie ein, um ihr seinen Plan mitzuteilen. Sie schien nicht allzu begeistert von der Idee zu sein, dass sie eventuell alleine würde fliehen müssen. Doch immerhin, sie hörte ihm zu. „Bitte, Annette,“ flüsterte Michael schließlich, „ich weiß, es klingt furchtbar, aber es ist das einzige Vernünftige. Ich will, dass du hier weg kommst.“ Endlich nickte Annette langsam. „Okay,“ sagte sie und ihre Stimme klang ernst und gefestigt, „aber ich gehe nicht ohne Cordula. Wir müssen sie erst finden.“ „Annette…,“ wollte Michael widersprechen. Er war sich mittlerweile so gut wie sicher, dass Cordula tot war, doch Annette ließ ihn nicht zu Wort kommen. Ruhig sagte sie: „Ich bin mir auch sicher, dass sie tot ist. Aber es zu glauben reicht einfach nicht. Ich könnte es mir nie verzeihen, wenn ich ihr noch irgendwie hätte helfen können.“ Sie sah Michael an, und erneut spiegelten sich Tränen in ihren Augen, doch sie konnte sie zurückhalten. „Das verstehst du doch, oder?“ „Ja,“ entgegnete Michael leise. Er verstand sie wirklich, auch wenn er wusste, dass es für sie Beide besser sein würde, nicht nach Cordula zu suchen. Wenn sie noch lebte, und sie Beide einfach so abhauten, würde auch er es sich nie verzeihen können. „Suchen wir nach ihr,“ murmelte er also ergeben, stand auf, und hielt Annette seine Hand hin. Sie ergriff sie und zog sich an ihm hoch. Michael betrachtete sie einen Augenblick. Sie sah sehr blass aus, doch wirkte sie auf gewisse Weise auch irgendwie gefasst, so als könnte sie nichts mehr schocken. Ihre Augen sahen hart aus, und das machte ihm Angst. Wo waren ihre sanften Augen hin? Schon alleine dafür, dass all der Glanz aus ihnen verschwunden war, hätte er die Person, die ihnen all das angetan hatte, umbringen können. Wenn sie das hier überlebten, würden sie dann je wieder so werden wie früher? Inwieweit hatte er selber sich bereits verändert? Er wusste es nicht. Er wusste auch nicht, ob er all das je würde vergessen, je würde verarbeiten können. Manche Sachen waren einfach zu viel. Vielleicht würde ihn der Schock einfach umbringen. Oder so verändern, dass niemand ihn mehr wieder erkennen würde. Egal. Das alles war jetzt unwichtig. Er musste sie hier raus bringen, musste sie in Sicherheit bringen. Fragend sah er Annette an. Sie nickte leicht und holte einmal tief Luft und so vertrieb auch Michael seine Gedanken vorerst und konzentrierte sich voll und ganz auf das, was nun kommen würde. Langsam trat er mit Annette an der Hand auf die Tür zu.
Das Blut war getrocknet, aber die Stellen, an denen sie sich geschnitten hatte, taten furchtbar weh. Wahrscheinlich hatten sie sich entzündet. Besonders sauber waren die Scherben der alten Vase sicher nicht gewesen. Aber das spielte auch keine Rolle mehr. Die Scherbe, mit der sie sich geschnitten hatte, lag neben ihr auf dem Boden. Und dann kam ihr eine Idee. Vorhin in der Hektik hatte sie nicht wirklich lange nach einer scharfen Scherbe gesucht, aber vielleicht ließ sich noch eine bessere finden. Sie wusste, dass sie keine Chance gegen ihn haben würde, wenn er käme. Aber sie wollte sich wehren. Sie konnte und durfte nicht einfach machtlos und hilflos darauf warten, dass er kam und sie umbrachte. Sie würde sich wehren und vielleicht würde sie ihn wenigstens ein bisschen verletzen können. Für dass, was er ihren Freunden angetan hatte, durfte er nicht ungeschoren davon kommen. Es musste verhindert werden. Sie würde es verhindern, auch wenn es mit ziemlich großer Sicherheit das Letzte war, was sie tat. Unter Schmerzen richtete sie sich auf. Sie biss die Zähne zusammen und krabbelte wieder zu der Stelle, an der die Porzellanscherben lagen, und auch als die grade erst getrocknete Wunde an ihrem Oberschenkel wieder aufriss und sie merkte, wie frisches Blut an ihrem Bein herunter lief, hielt sie nicht an, sondern krabbelte solange weiter, bis sie mit ihrer linken Hand in eine Scherbe fasste und auch aus dieser Wunde Blut zu fließen begann. Doch auch das ignorierte sie und suchte in dem Scherbenhaufen nach der schärfsten, die sie finden konnte.
„Oh Gott, nein, bitte nicht,“ flüsterte Annette entsetzt und starrte auf das grausige Bild, das sich ihr und Michael bot. So schlimm es auch war, sie konnte den Blick einfach nicht abwenden, obwohl sie das Gefühl hatte, jede Sekunde das Bewusstsein zu verlieren. Die Welt um sie herum drehte sich und sie konnte, wollte einfach nicht glauben, dass irgendjemand das tatsächlich getan hatte. „Annette,“ murmelte Michael und wollte sie zurück in das Schlafzimmer ziehen, doch sie ignorierte ihn und ging einen Schritt näher in das Wohnzimmer hinein. Sie wusste, dass Michael es nur gut mit ihr meinte, dass er ihr all das ersparen wollte, aber im Augenblick war ihr das vollkommen egal. Alles war egal, nichts spielte mehr eine Rolle. Cordula, ihre beste Freundin, war tot. Sie schloss für eine Sekunde die Augen, doch auch so sah sie das Szenario vor sich und so öffnete sie die Augen wieder und trat noch ein paar Schritte näher auf den kleinen Tisch zu, auf dem der Kopf von Cordula stand. Das einzige, was Annette wirklich beruhigte, war dass Cordulas Augen weder so entsetzt, noch so vorwurfsvoll, wie die von Bernhard aussahen. Im Gegenteil, sie wirkten friedlich und irgendwie gütig. Im Gegensatz zu Bernhards Augen hatten ihre sich nicht verändert und das gab Annette irgendwie ein beruhigendes Gefühl. „Bitte geh da nicht näher hin,“ sagte Michael leise, fast flehentlich, doch sie beachtete ihn nicht und setzte sich stattdessen stumm auf den Sessel, der gegenüber von Cordulas Kopf stand, so als wäre er extra dafür hingestellt worden, dass Annette sich dorthin setzen konnte. Auf Michael musste es so wirken, als wolle sie mit ihrer besten Freundin reden oder Ähnliches, doch alles, was Annette wollte, war ein paar Augenblicke mit Cordula zu verbringen und in gewisser Weise Abschied von ihr zu nehmen. Sie streckte langsam eine zitternde Hand aus, während ihr stumme Tränen über das Gesicht liefen und Michael hinter ihr „Tu es nicht,“ flüsterte, dann berührte sie Cordulas Gesicht und stellte erschrocken fest, dass es noch relativ warm war. Lange war ihre beste Freundin noch nicht tot. Annette biss sich auf die Lippen um nicht laut zu weinen, dann sah sie ein letztes Mal in Cordulas freundliche Augen, bevor sie sie mit zitternden Fingern schloss. Erschöpft, als hätte sie gerade etwas sehr anstrengendes getan, lehnte sie sich in dem Sessel zurück und schloss für einen Augenblick die Augen. Sie war so froh, dass Cordula anders als die anderen nicht voller Angst und Schmerzen gestorben war, sondern offensichtlich in Frieden mit sich und der Welt. Und dennoch, sie verloren zu haben, tat fast mehr weh als alles andere, was bisher geschehen war. Ihre Angst war vergessen und alles, was sie fühlte war eine unaussprechbare Wut und eine überwältigende Trauer. Wer auch immer ihr das angetan hatte, durfte nicht einfach so davon kommen. Sie würde alles daran setzen, dass dieser Jemand seine gerechte Strafe bekam. Dann als sie die Augen wieder öffnete, sah sie es plötzlich: Sie hatte es vorher nicht bemerkt, war sogar mit dem Fuß etwas hinein getreten, doch die Botschaft, die Cordulas Mörder mit dem Blut seines Opfers auf dem Fußboden hinterlassen hatte, war dennoch klar und deutlich zu erkennen. „Gesucht – Wer hat den passenden Körper diesem Kopf gesehen?“ Annette spürte, wie sich ihr der Magen umdrehte. Wer tat so etwas? Wer konnte so grausam sein, eine solche Botschaft zu hinterlassen und dann auch noch mit Blut geschrieben? Und als sie dann ein zweites Mal genauer hinsah, konnte sie es kaum glauben. Sie kannte die Schrift. Plötzlich war alles so klar. Es war so klar, wie es nicht klarer hätte sein können. Erneut biss sie sich auf die Lippe, so feste, dass sie zu bluten anfing, - aber hätte sie es nicht getan, hätte sie womöglich laut los geschrieen, und das durfte sie nicht. Sie wusste, dass sie es ihm nicht zeigen durfte, dass sie erkannt hatte, wer hinter allem steckte. Also drehte Annette sich langsam zu Michael um, bemüht nicht zu zeigen, wie erschrocken sie war, doch er musste das Entsetzen in ihren Augen erkannt haben, denn er fragte sofort: „Was ist los?“ Schnellen Schrittes kam er auf sie zu, bemüht sie anzusehen und nicht Cordulas körperlosen Kopf. Stumm deutete Annette auf die blutige Botschaft am Fußboden und sie sah Michael an, dass er es auch erkannt hatte. Fassungslos sah er sie an und murmelte: „Das glaube ich einfach nicht, das kann doch nicht wahr sein. Warum würde er so etwas tun?“ Annette antwortete ebenso leise: „Ich weiß es nicht, aber es passt alles so gut zusammen.“