AW: [Supernatural] - Second Life
Er erwachte aus seinem unruhigen Schlaf, als sich Blair in seinen Armen wand und unverständliche Wortfragmente flüsterte, während ihre Hände ruhelos auf der Bettdecke hin und her glitten. Noch bevor er reagieren konnte, setzte sie sich, hektisch nach Luft schnappend, auf und schien von einer Sekunde auf die andere hellwach.
"Dean!"
Sie drehte sich zu ihm um und legte haltsuchend die Hand auf seine Brust, als sie sah, dass er bereits erwacht war. "Sagt dir der Name 'Meg' etwas?"
Seine Hand, die beruhigend ihren Rücken gestreichelt hatte, erstarrte in der Bewegung. "Ich kenne ihn - aber woher kennst du ihn?"
Er setzte sich auf und schaute im Licht der blass aufziehenden Dämmerung in ihr schlaftrunkenes Gesicht. Ein starkes Gefühl der Spannung durchzog seinen Körper, die Gewissheit, dass es möglicherweise endlich eine Spur gab, der er bis zu Sam folgen konnte.
"Ich habe geträumt, vielmehr eine Traumvision gehabt. Ich habe Sam gefühlt, aber aus irgendeinem Grund konnte ich ihn nicht sehen, vollkommen lichtlose Schwärze schien ihn zu umgeben. Er friert, Dean, er ist hungrig und unheimlich wütend – aber er lebt!"
Die Erregung in ihrer Stimme hatte zugenommen bis zur Euphorie und Dean schloss ergriffen die Augen, als er sie fest in seine Arme schloss. Einen Moment lang war ihm der Gedanke genug, dass sein Bruder am Leben war, dann rückte er ein wenig von ihr ab und schaute forschend in die aufgeregt funkelnden Augen.
"...und was ist mit Meg? Woher hast du diesen Namen, jetzt mitten in der Nacht?"
"Er hat ihn gedacht, nein, eher gefühlt und zwar mit einer solchen Wut, mit ungeheurem Hass, wie ich ihn niemals bei Sam vermutet hätte. Noch ein anderer Name war da: Akatash, aber auch der sagt mir nichts."
Blair grub die Schneidezähne in die volle Unterlippe, während sie auf der Suche nach weiteren Erinnerungen an die Vision in sich hinein lauschte.
"Du erinnerst dich sicher, dass ich dir erzählt habe, zu einer der beiden Narben in meiner linken Schulter müsstest du Sam fragen, richtig?"
Blair nickte bestätigend. "Du sagtest, er sei besessen gewesen. Ahh… war DAS Meg?"
Dean zog die Augen zu schmalen Schlitzen zusammen.
"Yeah, dieses Miststück war Meg, oder zumindest der Dämon, der zuvor den Körper einer jungen Frau namens Meg Masters in Besitz genommen hatte. Seinen wahren Namen wussten wir nicht, aber es gelang ihm ein paar Monate später, Besitz von Sam zu ergreifen und ihn eine Woche lang wie ein Puppenspieler zu lenken. Unter seinem Einfluss tötete Sam einen Hunter und schoss mich an", erklärte er wütend.
Dann grinste er. "Wie wenig Sam er selbst war, kannst du daran erkennen, dass er in dieser Woche gesoffen hat wie ein Loch und rauchte… Menthol-Zigaretten!"
Die Vorstellung, Sam mit einem dieser ekligen Stäbchen im Mund zu sehen, amüsierte ihn, aber er kam schnell wieder zum Wesentlichen zurück.
"Deine Vision bedeutet wahrscheinlich, der Dämon 'formerly-known-as-Meg' heißt Akatash und er – oder sie – hat Sam. Dieser Hurensohn hasst uns wie die Pest – fast so sehr, wie ich ihn. Er hat Meg Masters zerstört und es drauf angelegt, dass ich Sam erschieße – wie ich es seinerzeit unserem Dad versprochen habe, für den Fall, dass Sam seiner dunklen Seite erliegen sollte."
Er fuhr sich mit der Handfläche über das Gesicht, bevor er leise fragte: "Hast du sonst noch etwas von Sam fühlen können? Ist er verletzt? Hat ihm dieser Mistkerl etwas angetan?"
"Er wäre beinahe ertrunken. Keine Ahnung, wie das geschehen ist oder wo, aber er hat es überlebt, hat nicht mal einen Schnupfen." Blair hatte keinen Schimmer, woher dieser Gedanke jetzt kam, aber sie lächelte, weil es typisch Sam war.
"Er ist nicht verletzt. Er stinkt wie ein Klo und würde sich gern rasieren. Er möchte daran glauben, dass du kommst und ihn rettest – aber manchmal kann er sich nicht mehr an deinen Namen erinnern… oder an seinen eigenen. Er verliert sich, Dean…"
Tränen stiegen in ihrer Kehle auf und brannten sich ihren Weg in die tintenblauen Augen. In ihrem Kopf schrie eine Stimme "rette ihn" und sie schluckte hart. Sie musste Dean erklären, woher diese detaillierte Vision kam, die ihre 'normalen' angeborenen Fähigkeiten weit überstieg.
"Dean, ich muss dir noch etwas sagen."
Sie hatte keine Ahnung, wie er auf diese Neuigkeit reagieren würde.
"Deine Tochter – unsere Tochter – sie hat spezielle Fähigkeiten… seherische Fähigkeiten."
Puhh, nun war es raus und sie sah Dean erwartungsvoll an. Sein Gesichtsausdruck wandelte sich von überrascht über vollkommen verständnislos zu neugierig und er setzte mehrfach an, bevor er rauskriegte, was er sagen wollte.
"Sie hat… ähh… sie ist doch noch gar nicht… verdammt, woher weißt du, ich meine, sie ist noch nicht mal geboren, wie soll sie da… " Ratlos kratzte er sich am Kopf. Seine Vorstellungskraft reichte nicht soweit, zu erfassen, dass ein ungeborenes Kind übersinnliche Fähigkeiten entwickeln und sogar nutzen könnte.
"Beruhige dich, Winchester, es ist alles okay. Sie ist ein starkes Kind, was nicht unwesentlich an dir liegt und ein starkes Medium aufgrund ihrer Hexen-Gene. Sie versucht schon seit geraumer Zeit, genauer gesagt, schon seit Wochen, mit mir Kontakt aufzunehmen, aber ich war einfach zu taub, um ihre Stimme zu hören. Sie hat viel intensivere mediale Fähigkeiten als ich und sie hat quasi als Verstärker zu Sam gewirkt."
Dean setzte erneut zu einer Frage an, brach aber verwirrt ab und schloss den Mund wieder.
Er überlegte einen Moment, dann platzte er raus: "Das heißt, wenn unsere Tochter geboren wird, kann sie denken, sprechen und Gedanken lesen wie deine Oma? Wo bleibt da der Spaß, ihr das alles beizubringen?"
Er zog leicht unzufrieden die Stirn kraus, aber dann hellte sich sein Gesicht hoffnungsvoll auf. "Abgesehen davon – dann braucht sie wahrscheinlich auch keine Windeln, oder?"
Blair kicherte amüsiert. "Dean, sie ist ein Baby! Sie kann nicht sprechen, sie kann nicht laufen und sie macht in die Windeln wie jedes Baby. Also zu früh gefreut…"
Er schmollte einen Moment. "Schade eigentlich. Aber du hast das Gedanken lesen ausgelassen…"
Es war zwar noch verdammt früh am Tag, aber man konnte ihn trotzdem nicht einfach so austricksen. Blair hatte gehofft, diesen Teil auslassen zu können, bis Meli geboren sein würde… und er es selbst rausfinden würde.
"Hm… ich würde nicht wetten, dass sie dich nicht vom ersten Tag an durchschaut – aber das ist ja auch einfach, dafür muss man keine Gedanken lesen können", spöttelte sie.
Grinsend zog er seine Liebste in die Arme… so gut das mit einem beinahe-acht-Monats-Bauch möglich war.
"Blair, ich danke dir… und ich danke unserer Kleinen."
Seine Stimme schwankte ein bisschen bei dem Gedanken an seinen Bruder, der dieser Ausgeburt der Hölle ausgeliefert war. Aber er lebte, noch hatte er die Chance, ihn zu retten – wenn er nur endlich einen Hinweis fände, wo er ihn suchen musste!
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>Milliarden-schwerer Medienmogul in seinem Wochenendhaus in Denver tot aufgefunden! Polizei steht vor einem Rätsel!<
Deans Blick war mindestens schon drei Mal über diese Schlagzeile hinweg geglitten, als er endlich daran hängen blieb und den dazu gehörigen Artikel las.
>Harlan Mills, Milliardär und Film-Produzent, wurde gestern von seiner Assistentin tot in seinem Chalet aufgefunden. Über die Todesursache wollte die Polizei von Denver bislang keine Auskunft geben, außer, dass es sich um keinen natürlichen Tod handle. Aber aus informierten Kreisen verlautete, es habe ein Blutbad stattgefunden.
Türen und Fenster des Hauses waren lt. Aussage der Polizei von innen verschlossen, ein gewaltsames Eindringen scheint ausgeschlossen.<
"Natürlich weiß ich, dass das 'ne Falle ist. Ich bin ja kein Anfänger! Aber ich muss dahin, das weißt du!" bellte Dean Bobby an und war drauf und dran, das Handy einfach zuzuklappen.
Der Ältere redete seit ein paar Minuten mit Engelszungen auf ihn ein, um ihn davon abzuhalten, sofort Hals über Kopf nach Denver zu fahren. Diese Spur war ZU deutlich, ZU gut, um KEINE Falle zu sein.
"Okay, du weißt, dass dich jemand in die Falle locken will – aber dann lass mich dir wenigstens helfen. Hol mich ab und wir gehen der Sache gemeinsam nach."
Das Argument klang vernünftig – vor allem, wenn Bobby dann endlich aufhören würde, auf ihn einzuquatschen.
"Fein, guter Vorschlag. Bleib zuhause, ich gable dich morgen auf dem Weg nach Denver auf. Und vergiss nicht, was zu Futtern einzupacken, damit wir möglichst keine Pause machen müssen."
Dean verabschiedete sich kurz und knapp vom Älteren und klappte das Mobiltelefon zu.
"Da kannst du lange warten…" murmelte er leise, "… du glaubst doch nicht im Ernst, dass ich dein Leben auch noch aufs Spiel setze…"
"Na klar, ich passe auf mich auf, Rotschopf, und schließlich ist Bobby ja auch noch da", log er wenig später ohne rot zu werden Blair an, während er hinter dem Rücken die Finger kreuzte und hoffte, dass sie ihn nicht durchschaute. Er konzentrierte sich auf seinen Lieblingssong von Metallica…
'Exit light
Enter night
Take my hand
Off to never never land'
um seinen Gedanken dahinter zu verbergen, denn auch, wenn Blair angeblich keine Gedanken lesen konnte, so war ihre Trefferquote seit kurzem beängstigend hoch, wenn es darum ging, seinen Gemütszustand zu diagnostizieren.
'Something' s wrong, shut the light
Heavy thoughts tonight
And they aren't of snow white'
Er würde nicht zulassen, dass sie sich vor Sorge krank machte, weil er der Meinung war, in diesem Kampf niemanden außer sich selbst in Gefahr bringen zu dürfen.
'Dreams of war, dreams of liars
Dreams of dragon's fire
And of things that will bite'
Er schaffte es tatsächlich, diese Abschirmung lange genug aufrecht zu erhalten, selbst, als er sich schweren Herzens von ihr verabschiedete.
Als er den Impala langsam rückwärts aus der Einfahrt rollen ließ, standen seine drei Lieblingsfrauen auf der Veranda, zwei davon voller Sorge um sein Leben und das seines Bruders. Er saugte Blairs Anblick in sich auf – das jetzt in der fortgeschrittenen Schwangerschaft etwas runder wirkende, aber noch immer zarte Gesicht mit den tintenblauen Augen, umgeben von einem wilden Wust kupferroter Locken, die gerade, selbstbewusste Haltung und der sich wölbende Bauch, in dem seine Tochter ungeduldig den nicht mehr fernen Zeitpunkt ihrer Geburt abwartete.
Er war sich durchaus nicht sicher, ob er sie jemals sehen würde. Wenn die jetzige Spur tatsächlich zu Sam führte und er ihn retten konnte, ohne selbst ernsthaft Schaden zu nehmen, dann – so schwor er sich – würde das die letzte lebensgefährliche Aktion sein, auf die er sich einließe. Seine Verantwortung galt jetzt seiner Frau und seinem ungeborenen Kind. Sein Bruder war erwachsen und er hatte ihn alles gelehrt, was er wusste, während seine Tochter ihn noch viele Jahre brauchen würde…
Er schob die Cassette in das 20 Jahre alte Tape-Deck, das er in der Stadt in einem Elektronik-Kramladen als Ersatz für das kürzlich zerschlagene Teil erworben hatte und konzentrierte sich auf seine Art auf die vor ihm liegende Aufgabe – mit ohrenbetäubender Hardrock-Beschallung.
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