HMJ821
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Huhu ihr Lieben! Bin ja neu hier und hoffe mal, dass ich jetzt alles richtig mache.. ^^ Also, habe eine Schillerstraßen-Fanfic geschrieben, die ist auch bereits fertig, deshalb kann das dann eigentlich direkt verschoben werden... Hoffe, irgendwer liest sie mal, sie ist allerdings ziemlich sehr lang geworden. Naja, über Feedback würde ich mich jedenfalls dann auch freuen..
*When the music fades*
Für die meisten Menschen war es ein Samstagmorgen wie jeder andere auch. Doch in der großen Sporthalle in Köln-Lindenthal herrschte an diesem Morgen ein aufgeregtes Durcheinander. Endlich war der Tag eingetroffen auf den alle schon seit Monaten gewartet hatten. Das erste Turnier in der Regionalliga. Ungefähr die Hälfte der Teams war im vergangenen Jahr erst aus der Oberliga in die Regionalliga aufgestiegen und die Mitglieder waren mangels Erfahrung alle ziemlich nervös. Doch sie alle hatten einen Traum: In dieser Saison in die Bundesliga aufzusteigen. Und sie alle wussten, dass es einigen von ihnen gelingen konnte. Der Konkurrenzkampf war enorm. Hatte in der Landesliga und der Oberliga zwischen den Teams immer eine freundschaftliche Atmosphäre geherrscht, war das Ganze jetzt in eine Feindseligkeit umgeschlagen. Jedes Team wollte weiterkommen, und das bedeutete, dass man besser sein musste als all die anderen, die ebenfalls in den letzten Monaten sehr hart trainiert hatten, genau wie man selber Tag für Tag die Tanzschritte immer wieder durchgegangen waren, bis sie perfekt saßen. Doch die Erschöpfung würde sich auszahlen,- das jedenfalls hofften sie alle. Es war 9 Uhr morgens und das Turnier würde erst um 13 Uhr losgehen. Doch in wenigen Minuten würde das erste Team mit dem Eintanzen beginnen und alle anderen Teams hatten sich auf den Tribünen versammelt um zuzusehen und abschätzen zu können, ob man selber gute Chancen hatte.
Das erste Team trat auf die Tanzfläche. Die Reihenfolge war gelost worden und die Duisburger waren die Ersten. Die meisten von ihnen sahen sehr selbstsicher aus, andere jedoch blickten unsicher in die Runde. Die Damen trugen weiße Röcke und rote Oberteile, die Männer rote Hosen mit weißen Oberteilen. Dann setzte die Musik ein.
Annette stand am Rand der Tanzfläche und beobachtete das Geschehen gespannt. Es war ihre erste Saison. Nachdem sie im vergangenen Jahr am großen Kölner Tanzwettbewerb teilgenommen hatte, war sie hinterher von Max, ihrem jetzigen Trainer angesprochen worden. Er leitete die Teams des Rheinischen Tanzclubs Köln und suchte auf dem Wettbewerb nach Leuten, die gut tanzen konnten und Lust hatten, in sein Team zu kommen. Denn in der vergangenen Saison hatte das Team zwar große Erfolge erzielt, aber drei Damen mussten aus verschiedenen Gründen aufhören und so hatte Max nach Neulingen gesucht. Genau wie Cindy und Roxy, die Zwillinge, die Max ebenfalls auf dem Tanzwettbewerb angesprochen hatte, war auch Annette von da an jeden Tag zum Training erschienen. Sie alle hatten hart gearbeitet, an der Choreographie und an sich selber. Jetzt stand sie da und beobachtete die Duisburger. Sie waren wirklich gut. Am liebsten hätte sie es ihnen gesagt, aber das ging natürlich nicht. Die feindliche Atmosphäre gefiel ihr nicht, aber sie konnte es schließlich auch nicht ändern. Lukas, ihr Tanzpartner trat neben sie. „Na, alles klar?“ wollte er wissen. Er war bereits seit drei Jahren dabei und kannte dabei das ganze Vorgehen. Annette nickte. „Ja, ich bin nur etwas nervös,“ erklärte sie und wandte sich wieder der Tanzfläche zu, die nun von der Mannschaft aus Münster betreten wurde. Lukas lachte. „Wir schaffen das schon,“ sagte er bestimmt und ging in Richtung Tribüne um sich zu Franzi und Martin, dem einzigen Paar in dem Team zu gesellen.
Das Eintanzen war eine Katastrophe für das Kölner Team. Keines der Bilder stand so wie es stehen sollte, mehrere Leute glitten auf der Tanzfläche aus, fielen hin oder hatten einen plötzlichen Black-Out. Doch im Gegensatz zu dem, was man sonst von Max erwarten würde, lächelte er zufrieden. „Wenn das Eintanzen scheiße läuft, wird es hinterher umso besser,“ erklärte er und alle lachten. Doch die Anspannung war groß. Langsam gingen alle in Richtung ihrer Umkleidekabine. Es waren noch 1 ½ Stunden, bis das Turnier richtig beginnen würde, und die Frauen mussten noch geschminkt werden. Außerdem mussten sie von ihren Eintanzkleidern in die richtigen Turnierkleider wechseln. Während die Männer schnell ihre Kleidung wechselten, sich die Haare gelten, ein wenig Puder abbekamen und damit fertig waren, wurde den Frauen zunächst ein Dutt gesteckt. Dann mussten die Haare schwarz gemacht werden und das Gesicht geschminkt werden. Wie immer dauerte es ewig. Irgendjemand war immer unzufrieden und wusch sich alles wieder aus dem Gesicht um die Schminke noch einmal aufzutragen. Doch auf der anderen Seite war dies auch eine der entspannteren Situationen vor einem Turnier. Man konnte sich unterhalten, hatte Spaß zusammen und dachte nicht allzu viel über das Bevorstehende nach.
Annette besah sich im Spiegel. Sie hatte das orangene Kleid schon vorher angehabt, bei diversen Auftritten in der Tanzschule aber mit dem aufwendigen Make-Up im Gesicht hätte sie sich fast selber nicht wiedererkannt. An ihrem Ohr baumelten die orangenen Ohrringe und im Haar hatte sie wie alle anderen auch eine ebenfalls orangene Blumenkette. „Hoffentlich erkennen meine Freunde mich,“ dachte sie während sie kritisch ihr Spiegelbild betrachtete. „So Leute, gleich geht’s los.“ Max war in die Kabine gekommen und sah sich um. „Alle fertig?“ wollte er wissen und die meisten nickten. Annette bückte sich schnell um ihre Tanzschuhe zu schnüren. In wenigen Minuten würden sie auf die Tanzfläche treten, und dem Publikum vorgestellt werden. Danach würde das eigentliche Turnier beginnen.
Die Vorstellung der einzelnen Teams verlief in alphabetischer Reihenfolge, ebenso wie die Vergabe der Startnummern. Wann jedoch welche Mannschaft tanzen würde war ausgelost worden. Der Moderator rief das Team aus Aachen auf, dann Duisburg, Essen, Iserlohn. Dann traten die Kölner auf die Tanzfläche und wurden von tosendem Applaus begrüßt, was sich ganz klar auf den Heimvorteil den sie hatten zurückführen ließ. Noch während Annette ihre Freunde in der Menge der Zuschauer suchte, mussten sie die Tanzfläche auch schon wieder verlassen. „Hoffentlich haben sie mich wenigstens gesehen,“ dachte sie und folgte den anderen aus ihrem Team zurück zu den Umkleidekabinen. Da sie erst als achtes von elf Mannschaften starten würden, mussten sie die Zeit bis dahin irgendwie überbrücken, und sich nicht allzu sehr aus der Ruhe bringen lassen. Fatal wäre es, sich die anderen Teams anzusehen, denn das würde sie alle nur noch mehr verunsichern. Also saßen sie nun in ihrer Kabine, warteten, unterhielten sich, lasen, spielten Karten und beobachteten die anderen Teams, die an ihrer offenen Kabinentür vorbeihuschten.
Dann endlich war es so weit. Einer der Helfer kam zu ihrer Kabinentür und sagte, dass jetzt Paderborn dran sei, und sie dann das nächste Team wären. Alle standen auf, sahen sich nervös an. Diejenige, die nur als Ersatz mitgekommen waren, machten sich auf den Weg Richtung Tribüne, um sie anzufeuern. Die anderen versammelten sich noch einmal kurz um Max, der ihnen einige letzte Dinge mit auf den Weg gab, dann kamen die jeweiligen Tanzpartner zusammen und die acht Paare liefen los in Richtung der Sporthalle. Das Team aus Paderborn war noch mitten in ihrer Choreographie. Sie waren ziemlich gut, bis plötzlich in einer der Figuren eine der Damen wegrutschte. Wenn sie jetzt innerhalb des selben Taktes wieder in die Choreographie reinfand, wäre das Ganze nicht so schlimm, denn dann würde es von der Jury nicht gewertet werden dürfen, jedoch war sie dadurch so irritiert, dass sie einen kurzen Blackout hatte und bevor sie weitertanzen konnte, war der Takt auch schon vorbei. „So etwas darf euch auf keinen Fall passieren,“ sagte Max und sah seine Leute eindringlich an. Alle nickten stumm. Sie waren zu nervös um irgendetwas zu sagen. Langsam setzte die Musik aus. Die Paderborner verbeugten sich und verließen die Tanzfläche. Während der Moderator nun den RTK ankündigte, wischten ein paar Leute noch schnell die Fläche.
Annette sah sich nervös um. Sie wünschte, sie würde ihre Freunde irgendwo im Publikum erblicken, doch sie konnte sie einfach nicht finden. Gemeinsam mit ihrem Tanzpartner betrat sie die Fläche und stellte sich auf ihre Position. Jetzt mussten sie ganz ruhig stehen, bis Max das Zeichen geben würde und die Musik einsetzen würde. Zum Glück stand sie so, dass sie unauffällig ihren Blick durch das Publikum schweifen lassen konnte. Und dann endlich entdeckte sie Cordula, Ralf und Michael, die mittig auf der Osttribüne standen, und aufgeregt hin und her sprangen und etwas riefen. „Die sind ja fast noch aufgeregter als ich,“ dachte Annette und lächelte. Der Bann war gebrochen.
Nach einem sagenhaften Auftritt in der Vorrunde, schaffte es das Team aus Köln mit fünf anderen Teams zusammen das Große Finale zu erreichen. Sie würden noch einmal tanzen, um den Sieg in diesem ersten Turnier. Doch keiner war mehr besonders aufgeregt. Angefeuert durch das Kölner Publikum waren sie so von Adrenalin und Energie durchflutet worden, dass sie keine Angst mehr hatten, im Gegenteil. Sie freuten sich darauf ihre Choreographie noch einmal vor den begeisterten Zuschauern zeigen zu können.
Auch dieses Mal ging nichts schief. Die Bilder standen perfekt, keiner fiel, keiner hatte einen Blackout. Jetzt kam es einzig und allein auf die Jury an. Alle warteten gespannt darauf, dass diese die offene Wertung präsentieren würden.
Während sich die sechs verbleibenden Teams um die Tanzfläche versammelten, standen die fünf Wertungsrichter langsam auf und betraten die Fläche. Der Moderator stellte sie noch einmal kurz vor, um das Ganze möglichst spannend zu machen, doch dann verkündete er endlich, dass sie nun zur Wertung kommen würden. Die Richter stellten sich nebeneinander auf. Der Moderator verkündete den Namen des ersten Teams: Aachen! Ein Jurymitglied nach dem anderen hob seine Karte: 4-5-4-6-5. Keine allzu tolle Wertung. Je nachdem welche Wertung die anderen Teams bekamen, würde Aachen nicht über den fünften Platz hinauskommen. Duisburg erhielt 3-2-3-4-4 und Iserlohn 6-4-5-5-6, womit sie bereits eindeutig den letzten Platz belegten. Dann endlich kam die Wertung für Köln: 1-3-2-2-1. Während die Fans begeistert zu jubeln begannen, sahen sich die einzelnen Mitglieder an: Eigentlich war die Wertung ziemlich gut. Aber sie hatten eine 3 und damit war ihnen der erste Platz nicht sicher. Es folgte die Wertung für Münster: 5-6-6-4-3, dann die für Wetter an der Ruhr: 2-1-1-1-2. Das Team schrie erfreut auf,- sie hatten den ersten Platz in diesem ersten und wichtigen Turnier der Saison erzielt und freuten sich sichtlich über ihren Sieg.
Die Siegerehrung ging schnell vonstatten, dann verschwanden alle Teams in ihren Kabinen, um sich zu duschen und umzuziehen, bzw. das Ergebnis zu diskutieren.
„Es ist ja klar, dass wir jetzt noch mehr und noch härter trainieren müssen,“ sagte Max und warf einen Blick in die Gesichter seines Teams. Die meisten waren enttäuscht über den zweiten Platz, nur diejenigen die erst neu in das Team gekommen waren, schienen das Ergebnis nicht schlecht zu finden. „Ist denn ein zweiter Platz wirklich so schlimm?“ wollte Roxy vorsichtig wissen und Cindy pflichtete ihr schnell bei: „Für das erste Turnier ist es doch gar nicht schlecht, oder?“ „Das findet ihr vielleicht,“ erwiderte Max kühl, „klar ist jedenfalls, dass wenn wir in der Regionalliga am Ende nur den zweiten Platz belegen, wir im Relegationsturnier keine Chancen haben werden und nicht aufsteigen werden. Und wir wollen doch aufsteigen oder nicht?“ „Ja!“ riefen alle und nickten bekräftigend. „Gut,“ erklärte Max. „Dann ist die Sache eindeutig: Wir sehen uns am Montag beim Training, und werden statt den üblichen zwei Stunden vier Stunden, also bis 22 Uhr trainieren!“
Annette stand unter der mittlerweile nur noch lauwarmen Dusche. Das Wasser, das durch die Duschen floss war fast schwarz, denn sie alle mussten sowohl den Bräuner für die Haut, als auch das Make-Up und das schwarze Gel, das sie in den Haaren hatten, abwaschen. Es dauerte ewig alles von der Haut zu bekommen. Die Stimmung war relativ bedrückt, obwohl weder Annette noch Roxy oder Cindy verstehen konnten, warum. Immerhin waren sie ins Große Finale gekommen und hatten den zweiten Platz erreicht. Es war nicht irgendwie so, als wären sie besonders schlecht gewesen. Die anderen, aus Wetter waren nur eben ein bisschen besser gewesen. Das konnte beim nächsten Turnier schon wieder ganz anders aussehen. Solange sie weiter hart trainierten und sich Mühe gaben, war ein zweiter Platz doch vollkommen in Ordnung oder etwa nicht? Schnell warf Annette einen Blick in den Spiegel: Das Make-Up war abgewaschen und die Haare waren nicht mehr schwarz. An ihrem Arm entdeckte sie noch einen braunen Fleck, den sie schnell abwusch, dann wickelte sie sich in ihr Handtuch und verließ die Duschräume, um jemand anderem Platz zu machen. Sie ging zurück in die Umkleiden, wo sie in ihre Jeans und ein T-Shirt schlüpfte. Sie griff nach ihrer Tasche und packte ihre Sachen, die in der Umkleidekabine verteilt lagen, ein. Ihre Freunde warteten bestimmt schon ungeduldig auf sie. Da es nicht allzu kalt draußen war, verzichtete sie darauf die Haare zu föhnen, sondern kämmte sie nur schnell. Dann machte sie sich auf den Weg nach draußen. Kaum hatte sie den Flur betreten, als sie auch schon in ein Mädchen rannte, das noch ihr Tanzkleid anhatte. Sofort erkannte Annette, dass sie aus dem Team aus Wetter stammte, - dem Siegerteam. Eigentlich hätte das Mädchen fröhlich sein müssen, doch ihre Augen waren rot, sie hatte offensichtlich geweint. „Ist alles in Ordnung?“ wollte Annette vorsichtig wissen, doch das Mädchen schluchzte nur leise. Sie war noch relativ jung, vermutlich Anfang zwanzig, obwohl man das unter der Make-Up-Schicht immer nicht so klar erkennen konnte. „Was ist denn los?“ fragte Annette noch einmal, woraufhin die andere in Tränen ausbrach. „Mein Trainer hat gesagt, dass wir so schlecht abgeschnitten haben, liegt daran, dass ich so dick bin und mich nicht so toll bewege, wie die anderen,“ flüsterte sie unter erneuten Schluchzern. „Was?“ Annette sah sie entsetzt an. Das Mädchen war ziemlich schlank, keinesfalls dick, und außerdem schlecht abgeschnitten? „Ihr habt gewonnen, was will euer Trainer denn noch?“ hakte sie bestürzt nach. „Gewonnen hat man, wenn man von den Wertungsrichtern nur Einsen erhält,“ entgegnete das Mädchen mit immer noch leiser Stimme. „Unfassbar,“ murmelte Annette und schüttelte leicht den Kopf. In dem Moment hörten sie Stimmen, die sich schnell näherten. Noch mehr Leute aus dem Wetteraner Team. „Ich muss gehen!“ Mit diesen Worten war sie plötzlich verschwunden. Annette sah ihr nach. Sie konnte es einfach nicht glauben. Schlimm genug, dass sie sich nicht über ihren zweiten Platz freuen durften, aber dass sich ein Team, das den ersten Platz erreicht hatte, nicht freute, nur weil sie nicht ausschließlich Einsen erhalten hatten, war echt zu viel. Sie hatte mit dem Tanzen angefangen, weil sie gemerkt hatte, dass es ihr Spaß machte, nicht um sich von Ergebnissen auf irgendwelchen Turnieren runterziehen zu lassen. Egal, was die anderen sagten, sie freute sich über das Ergebnis und würde es nun mit ihren Freunden zusammen feiern.
Als Cordula am Montag morgen aufwachte, hatte sie immer noch Kopfschmerzen. Nach dem Turnier am Samstag war sie mit ihren Freunden Annette, Ralf und Michael noch in eine Disco zum Feiern gegangen. Obwohl sie nicht viel getrunken hatte, hatte sie den ganzen Sonntag über ziemliche Kopfschmerzen gehabt. Vermutlich von der lauten Musik. Auch jetzt brummte ihr Schädel, aber darauf konnte sie keine Rücksicht nehmen, sie musste zur Arbeit. Ein Blick auf die Uhr verriet ihr, dass es bereits nach sieben war, sie musste also wirklich langsam aufstehen. Langsam stand sie auf und schlurfte erst einmal in Richtung Küche, um sich eine Kopfschmerztablette zu besorgen. Dann beschloss sie, bei Annette anzurufen. Die Beiden waren heute Abend verabredet und Cordula wollte wissen, ob es dabei blieb. Sie griff nach ihrem Telefon und wählte die Nummer. Annette nahm nach dem ersten Klingeln ab. „Hast du auf meinen Anruf gewartet?“ wollte Cordula verdutzt wissen. Annette lachte: „Ja, Cordula, ich warte den ganzen Morgen nur auf deine Anrufe. Nein, Quatsch, ich hatte gerade mit Jessica telefoniert und kaum hatte ich aufgelegt, klingelte das Telefon schon wieder. Kein Wunder, dass ich nie pünktlich zur Arbeit komme.“ „Okay, ich mache ganz schnell,“ entgegnete Cordula, „ich wollte eigentlich nur wissen, ob das mit unsere Verabredung heute Abend bleibt.“ „Oh.“ Annette schwieg einen Moment. Offenbar suchte sie nach den richtigen Worten. „Das tut mir leid, aber ich kann nicht. Wir haben heute Training.“ „Ja, und wir wollten uns doch danach treffen. Ich dachte, ich soll dich abholen.“ Cordula war verwundert. „Ja, aber wir machen jetzt immer doppelt so lange wie sonst Training. Damit wir beim nächsten Turnier besser abschneiden.“ „Wie bitte? Wie oft wollt ihr denn noch trainieren?“ Cordula war noch erstaunter. „Du, Cordula, können wir ein anderes Mal darüber reden, ich muss jetzt wirklich zur Arbeit, ja?“ Mit diesen Worten legte Annette auf. Cordula starrte überrascht den Hörer an, bevor auch sie auflegte. Sie konnte verstehen, dass das Tanztraining vorging, aber auf der anderen Seite war sie auch enttäuscht. Wie lange würde das noch so gehen, dass Annette kaum Zeit für ihre Freunde haben würde? Und so viel Spaß ihr das Tanzen auch machte, war es wirklich nötig jeden Abend in der Woche zu trainieren? Aus irgendeinem Grund hatte Cordula ein ungutes Gefühl. Doch war es wirklich so, dass sie sich Sorgen um ihre Freundin machte oder war sie einfach nur eifersüchtig, weil Annette in den letzten Wochen wesentlich mehr Zeit mit den Leuten aus ihrer Tanzformation als mit ihr verbracht hatte? Cordula wusste, dass sie jetzt auf diese Frage ohnehin keine Antwort finden würde, und beschloss später genauer darüber nachzudenken. Jetzt musste sie sich endlich für die Arbeit fertig machen.
Es war bereits halb elf, als Max das Training endlich beendete. Alle waren nassgeschwitzt und konnten sich kaum noch bewegen. Sie würden morgen ziemlichen Muskelkater haben und trotzdem würden sie alle wieder zum Training kommen müssen. Annette beneidete diejenigen, deren Positionen doppelt besetzt waren. Sie konnten sich mit dem Tanzen abwechseln und hatten so immer kleinere Pausen, obwohl Max natürlich wollte, dass meistens diejenigen tanzten, die auch auf dem nächsten Turnier tanzen würden. Ihre Position hingegen war nur mit ihr selber besetzt, was den Vorteil hatte, dass sie auf jedem Turnier tanzen durfte. Jetzt allerdings wünschte sich Annette auch eine Doppelposition zu haben. Sie wusste nicht wie sie die Woche überstehen sollte. Und das nächste Turnier war bereits am Sonntag, in Paderborn. Bis dahin musste sich die Leistung des Teams um einiges steigern. „Zieht euch schnell um, dann muss ich noch etwas mit euch besprechen,“ wies Max seine Mannschaft an. Alle schlurften in Richtung Umkleide. Normalerweise herrschte nach dem Training immer einiges an Stimmengewirr, man unterhielt sich über die Durchgänge, und das, was verbessert werden musste. Doch jetzt waren die meisten viel zu erschöpft, um noch zu reden und das Training zu analysieren. Schnell zogen sie sich um und versammelten sich dann wieder auf der Tanzfläche. Max sah sie ernst an. „Unsere Leistung am Samstag war nicht schlecht. Das will ich nicht sagen. Aber das Team aus Wetter war einfach besser. Das muss sich ändern. Wir dürfen uns nicht mit dem zweiten Platz zufrieden geben. Ich WILL mich nicht mit dem zweiten Platz zufrieden geben. Vor allem, weil uns hier in Köln natürlich auch der Heimvorteil zu Gute gekommen ist. Aber ich will, dass wir am Sonntag in Paderborn gewinnen. Zum einen werden wir natürlich jeden Abend trainieren. Am Samstag machen wir einen Trainingsmarathon, und treffen uns um 10 Uhr hier in der Tanzschule. Danach liegt es an euch, wie schnell wir fertig werden.“ Es wurden verstohlene Blicke getauscht. Sie hatten sich alle darauf eingestellt, dass sie sich am Samstag vor dem Turnier noch einmal ausruhen können und jetzt wollte Max, dass sie den ganzen Tag trainierten? Auch Annette seufzte innerlich auf. Eine weitere Verabredung, die sie würde absagen müssen. Eigentlich hatte sie geplant am Samstag mit Michael einkaufen zu gehen. Er brauchte neue Schuhe und sie hatte versprochen ihn zu beraten. Vielleicht würde er sich auch mit Cordulas Rat zufrieden geben. Annette wurde aus ihren Gedanken gerissen, denn Max sprach noch weiter: „Abgesehen vom Training müssen wir noch an etwas weiterem arbeiten: Aussehen und Ausstrahlung. Auch das zählt.“ Er warf Martin, der auf einem Corny kaute einen scharfen Blick zu: „So etwas ist ab heute verboten. Keine Schokolade, nichts Fettiges. Ihr müsst mehr auf eure Gesundheit und besonders eure Figur achten. Und ich will dass ihr heute damit anfangt.“ Max sah jeden Einzelnen an. Die meisten hatten den Blick gesenkt. „So das war es. Wir sehen uns morgen beim Training.“ Damit waren sie für heute entlassen. Bevor ihm doch noch etwas einfallen könnte, verließen alle schnell die Tanzschule. Annette stieg zu Roxy und Cindy in den Wagen, die beiden wohnten nur eine Straße weiter als sie und nahmen sie immer mit nach Hause.
*When the music fades*
Für die meisten Menschen war es ein Samstagmorgen wie jeder andere auch. Doch in der großen Sporthalle in Köln-Lindenthal herrschte an diesem Morgen ein aufgeregtes Durcheinander. Endlich war der Tag eingetroffen auf den alle schon seit Monaten gewartet hatten. Das erste Turnier in der Regionalliga. Ungefähr die Hälfte der Teams war im vergangenen Jahr erst aus der Oberliga in die Regionalliga aufgestiegen und die Mitglieder waren mangels Erfahrung alle ziemlich nervös. Doch sie alle hatten einen Traum: In dieser Saison in die Bundesliga aufzusteigen. Und sie alle wussten, dass es einigen von ihnen gelingen konnte. Der Konkurrenzkampf war enorm. Hatte in der Landesliga und der Oberliga zwischen den Teams immer eine freundschaftliche Atmosphäre geherrscht, war das Ganze jetzt in eine Feindseligkeit umgeschlagen. Jedes Team wollte weiterkommen, und das bedeutete, dass man besser sein musste als all die anderen, die ebenfalls in den letzten Monaten sehr hart trainiert hatten, genau wie man selber Tag für Tag die Tanzschritte immer wieder durchgegangen waren, bis sie perfekt saßen. Doch die Erschöpfung würde sich auszahlen,- das jedenfalls hofften sie alle. Es war 9 Uhr morgens und das Turnier würde erst um 13 Uhr losgehen. Doch in wenigen Minuten würde das erste Team mit dem Eintanzen beginnen und alle anderen Teams hatten sich auf den Tribünen versammelt um zuzusehen und abschätzen zu können, ob man selber gute Chancen hatte.
Das erste Team trat auf die Tanzfläche. Die Reihenfolge war gelost worden und die Duisburger waren die Ersten. Die meisten von ihnen sahen sehr selbstsicher aus, andere jedoch blickten unsicher in die Runde. Die Damen trugen weiße Röcke und rote Oberteile, die Männer rote Hosen mit weißen Oberteilen. Dann setzte die Musik ein.
Annette stand am Rand der Tanzfläche und beobachtete das Geschehen gespannt. Es war ihre erste Saison. Nachdem sie im vergangenen Jahr am großen Kölner Tanzwettbewerb teilgenommen hatte, war sie hinterher von Max, ihrem jetzigen Trainer angesprochen worden. Er leitete die Teams des Rheinischen Tanzclubs Köln und suchte auf dem Wettbewerb nach Leuten, die gut tanzen konnten und Lust hatten, in sein Team zu kommen. Denn in der vergangenen Saison hatte das Team zwar große Erfolge erzielt, aber drei Damen mussten aus verschiedenen Gründen aufhören und so hatte Max nach Neulingen gesucht. Genau wie Cindy und Roxy, die Zwillinge, die Max ebenfalls auf dem Tanzwettbewerb angesprochen hatte, war auch Annette von da an jeden Tag zum Training erschienen. Sie alle hatten hart gearbeitet, an der Choreographie und an sich selber. Jetzt stand sie da und beobachtete die Duisburger. Sie waren wirklich gut. Am liebsten hätte sie es ihnen gesagt, aber das ging natürlich nicht. Die feindliche Atmosphäre gefiel ihr nicht, aber sie konnte es schließlich auch nicht ändern. Lukas, ihr Tanzpartner trat neben sie. „Na, alles klar?“ wollte er wissen. Er war bereits seit drei Jahren dabei und kannte dabei das ganze Vorgehen. Annette nickte. „Ja, ich bin nur etwas nervös,“ erklärte sie und wandte sich wieder der Tanzfläche zu, die nun von der Mannschaft aus Münster betreten wurde. Lukas lachte. „Wir schaffen das schon,“ sagte er bestimmt und ging in Richtung Tribüne um sich zu Franzi und Martin, dem einzigen Paar in dem Team zu gesellen.
Das Eintanzen war eine Katastrophe für das Kölner Team. Keines der Bilder stand so wie es stehen sollte, mehrere Leute glitten auf der Tanzfläche aus, fielen hin oder hatten einen plötzlichen Black-Out. Doch im Gegensatz zu dem, was man sonst von Max erwarten würde, lächelte er zufrieden. „Wenn das Eintanzen scheiße läuft, wird es hinterher umso besser,“ erklärte er und alle lachten. Doch die Anspannung war groß. Langsam gingen alle in Richtung ihrer Umkleidekabine. Es waren noch 1 ½ Stunden, bis das Turnier richtig beginnen würde, und die Frauen mussten noch geschminkt werden. Außerdem mussten sie von ihren Eintanzkleidern in die richtigen Turnierkleider wechseln. Während die Männer schnell ihre Kleidung wechselten, sich die Haare gelten, ein wenig Puder abbekamen und damit fertig waren, wurde den Frauen zunächst ein Dutt gesteckt. Dann mussten die Haare schwarz gemacht werden und das Gesicht geschminkt werden. Wie immer dauerte es ewig. Irgendjemand war immer unzufrieden und wusch sich alles wieder aus dem Gesicht um die Schminke noch einmal aufzutragen. Doch auf der anderen Seite war dies auch eine der entspannteren Situationen vor einem Turnier. Man konnte sich unterhalten, hatte Spaß zusammen und dachte nicht allzu viel über das Bevorstehende nach.
Annette besah sich im Spiegel. Sie hatte das orangene Kleid schon vorher angehabt, bei diversen Auftritten in der Tanzschule aber mit dem aufwendigen Make-Up im Gesicht hätte sie sich fast selber nicht wiedererkannt. An ihrem Ohr baumelten die orangenen Ohrringe und im Haar hatte sie wie alle anderen auch eine ebenfalls orangene Blumenkette. „Hoffentlich erkennen meine Freunde mich,“ dachte sie während sie kritisch ihr Spiegelbild betrachtete. „So Leute, gleich geht’s los.“ Max war in die Kabine gekommen und sah sich um. „Alle fertig?“ wollte er wissen und die meisten nickten. Annette bückte sich schnell um ihre Tanzschuhe zu schnüren. In wenigen Minuten würden sie auf die Tanzfläche treten, und dem Publikum vorgestellt werden. Danach würde das eigentliche Turnier beginnen.
Die Vorstellung der einzelnen Teams verlief in alphabetischer Reihenfolge, ebenso wie die Vergabe der Startnummern. Wann jedoch welche Mannschaft tanzen würde war ausgelost worden. Der Moderator rief das Team aus Aachen auf, dann Duisburg, Essen, Iserlohn. Dann traten die Kölner auf die Tanzfläche und wurden von tosendem Applaus begrüßt, was sich ganz klar auf den Heimvorteil den sie hatten zurückführen ließ. Noch während Annette ihre Freunde in der Menge der Zuschauer suchte, mussten sie die Tanzfläche auch schon wieder verlassen. „Hoffentlich haben sie mich wenigstens gesehen,“ dachte sie und folgte den anderen aus ihrem Team zurück zu den Umkleidekabinen. Da sie erst als achtes von elf Mannschaften starten würden, mussten sie die Zeit bis dahin irgendwie überbrücken, und sich nicht allzu sehr aus der Ruhe bringen lassen. Fatal wäre es, sich die anderen Teams anzusehen, denn das würde sie alle nur noch mehr verunsichern. Also saßen sie nun in ihrer Kabine, warteten, unterhielten sich, lasen, spielten Karten und beobachteten die anderen Teams, die an ihrer offenen Kabinentür vorbeihuschten.
Dann endlich war es so weit. Einer der Helfer kam zu ihrer Kabinentür und sagte, dass jetzt Paderborn dran sei, und sie dann das nächste Team wären. Alle standen auf, sahen sich nervös an. Diejenige, die nur als Ersatz mitgekommen waren, machten sich auf den Weg Richtung Tribüne, um sie anzufeuern. Die anderen versammelten sich noch einmal kurz um Max, der ihnen einige letzte Dinge mit auf den Weg gab, dann kamen die jeweiligen Tanzpartner zusammen und die acht Paare liefen los in Richtung der Sporthalle. Das Team aus Paderborn war noch mitten in ihrer Choreographie. Sie waren ziemlich gut, bis plötzlich in einer der Figuren eine der Damen wegrutschte. Wenn sie jetzt innerhalb des selben Taktes wieder in die Choreographie reinfand, wäre das Ganze nicht so schlimm, denn dann würde es von der Jury nicht gewertet werden dürfen, jedoch war sie dadurch so irritiert, dass sie einen kurzen Blackout hatte und bevor sie weitertanzen konnte, war der Takt auch schon vorbei. „So etwas darf euch auf keinen Fall passieren,“ sagte Max und sah seine Leute eindringlich an. Alle nickten stumm. Sie waren zu nervös um irgendetwas zu sagen. Langsam setzte die Musik aus. Die Paderborner verbeugten sich und verließen die Tanzfläche. Während der Moderator nun den RTK ankündigte, wischten ein paar Leute noch schnell die Fläche.
Annette sah sich nervös um. Sie wünschte, sie würde ihre Freunde irgendwo im Publikum erblicken, doch sie konnte sie einfach nicht finden. Gemeinsam mit ihrem Tanzpartner betrat sie die Fläche und stellte sich auf ihre Position. Jetzt mussten sie ganz ruhig stehen, bis Max das Zeichen geben würde und die Musik einsetzen würde. Zum Glück stand sie so, dass sie unauffällig ihren Blick durch das Publikum schweifen lassen konnte. Und dann endlich entdeckte sie Cordula, Ralf und Michael, die mittig auf der Osttribüne standen, und aufgeregt hin und her sprangen und etwas riefen. „Die sind ja fast noch aufgeregter als ich,“ dachte Annette und lächelte. Der Bann war gebrochen.
Nach einem sagenhaften Auftritt in der Vorrunde, schaffte es das Team aus Köln mit fünf anderen Teams zusammen das Große Finale zu erreichen. Sie würden noch einmal tanzen, um den Sieg in diesem ersten Turnier. Doch keiner war mehr besonders aufgeregt. Angefeuert durch das Kölner Publikum waren sie so von Adrenalin und Energie durchflutet worden, dass sie keine Angst mehr hatten, im Gegenteil. Sie freuten sich darauf ihre Choreographie noch einmal vor den begeisterten Zuschauern zeigen zu können.
Auch dieses Mal ging nichts schief. Die Bilder standen perfekt, keiner fiel, keiner hatte einen Blackout. Jetzt kam es einzig und allein auf die Jury an. Alle warteten gespannt darauf, dass diese die offene Wertung präsentieren würden.
Während sich die sechs verbleibenden Teams um die Tanzfläche versammelten, standen die fünf Wertungsrichter langsam auf und betraten die Fläche. Der Moderator stellte sie noch einmal kurz vor, um das Ganze möglichst spannend zu machen, doch dann verkündete er endlich, dass sie nun zur Wertung kommen würden. Die Richter stellten sich nebeneinander auf. Der Moderator verkündete den Namen des ersten Teams: Aachen! Ein Jurymitglied nach dem anderen hob seine Karte: 4-5-4-6-5. Keine allzu tolle Wertung. Je nachdem welche Wertung die anderen Teams bekamen, würde Aachen nicht über den fünften Platz hinauskommen. Duisburg erhielt 3-2-3-4-4 und Iserlohn 6-4-5-5-6, womit sie bereits eindeutig den letzten Platz belegten. Dann endlich kam die Wertung für Köln: 1-3-2-2-1. Während die Fans begeistert zu jubeln begannen, sahen sich die einzelnen Mitglieder an: Eigentlich war die Wertung ziemlich gut. Aber sie hatten eine 3 und damit war ihnen der erste Platz nicht sicher. Es folgte die Wertung für Münster: 5-6-6-4-3, dann die für Wetter an der Ruhr: 2-1-1-1-2. Das Team schrie erfreut auf,- sie hatten den ersten Platz in diesem ersten und wichtigen Turnier der Saison erzielt und freuten sich sichtlich über ihren Sieg.
Die Siegerehrung ging schnell vonstatten, dann verschwanden alle Teams in ihren Kabinen, um sich zu duschen und umzuziehen, bzw. das Ergebnis zu diskutieren.
„Es ist ja klar, dass wir jetzt noch mehr und noch härter trainieren müssen,“ sagte Max und warf einen Blick in die Gesichter seines Teams. Die meisten waren enttäuscht über den zweiten Platz, nur diejenigen die erst neu in das Team gekommen waren, schienen das Ergebnis nicht schlecht zu finden. „Ist denn ein zweiter Platz wirklich so schlimm?“ wollte Roxy vorsichtig wissen und Cindy pflichtete ihr schnell bei: „Für das erste Turnier ist es doch gar nicht schlecht, oder?“ „Das findet ihr vielleicht,“ erwiderte Max kühl, „klar ist jedenfalls, dass wenn wir in der Regionalliga am Ende nur den zweiten Platz belegen, wir im Relegationsturnier keine Chancen haben werden und nicht aufsteigen werden. Und wir wollen doch aufsteigen oder nicht?“ „Ja!“ riefen alle und nickten bekräftigend. „Gut,“ erklärte Max. „Dann ist die Sache eindeutig: Wir sehen uns am Montag beim Training, und werden statt den üblichen zwei Stunden vier Stunden, also bis 22 Uhr trainieren!“
Annette stand unter der mittlerweile nur noch lauwarmen Dusche. Das Wasser, das durch die Duschen floss war fast schwarz, denn sie alle mussten sowohl den Bräuner für die Haut, als auch das Make-Up und das schwarze Gel, das sie in den Haaren hatten, abwaschen. Es dauerte ewig alles von der Haut zu bekommen. Die Stimmung war relativ bedrückt, obwohl weder Annette noch Roxy oder Cindy verstehen konnten, warum. Immerhin waren sie ins Große Finale gekommen und hatten den zweiten Platz erreicht. Es war nicht irgendwie so, als wären sie besonders schlecht gewesen. Die anderen, aus Wetter waren nur eben ein bisschen besser gewesen. Das konnte beim nächsten Turnier schon wieder ganz anders aussehen. Solange sie weiter hart trainierten und sich Mühe gaben, war ein zweiter Platz doch vollkommen in Ordnung oder etwa nicht? Schnell warf Annette einen Blick in den Spiegel: Das Make-Up war abgewaschen und die Haare waren nicht mehr schwarz. An ihrem Arm entdeckte sie noch einen braunen Fleck, den sie schnell abwusch, dann wickelte sie sich in ihr Handtuch und verließ die Duschräume, um jemand anderem Platz zu machen. Sie ging zurück in die Umkleiden, wo sie in ihre Jeans und ein T-Shirt schlüpfte. Sie griff nach ihrer Tasche und packte ihre Sachen, die in der Umkleidekabine verteilt lagen, ein. Ihre Freunde warteten bestimmt schon ungeduldig auf sie. Da es nicht allzu kalt draußen war, verzichtete sie darauf die Haare zu föhnen, sondern kämmte sie nur schnell. Dann machte sie sich auf den Weg nach draußen. Kaum hatte sie den Flur betreten, als sie auch schon in ein Mädchen rannte, das noch ihr Tanzkleid anhatte. Sofort erkannte Annette, dass sie aus dem Team aus Wetter stammte, - dem Siegerteam. Eigentlich hätte das Mädchen fröhlich sein müssen, doch ihre Augen waren rot, sie hatte offensichtlich geweint. „Ist alles in Ordnung?“ wollte Annette vorsichtig wissen, doch das Mädchen schluchzte nur leise. Sie war noch relativ jung, vermutlich Anfang zwanzig, obwohl man das unter der Make-Up-Schicht immer nicht so klar erkennen konnte. „Was ist denn los?“ fragte Annette noch einmal, woraufhin die andere in Tränen ausbrach. „Mein Trainer hat gesagt, dass wir so schlecht abgeschnitten haben, liegt daran, dass ich so dick bin und mich nicht so toll bewege, wie die anderen,“ flüsterte sie unter erneuten Schluchzern. „Was?“ Annette sah sie entsetzt an. Das Mädchen war ziemlich schlank, keinesfalls dick, und außerdem schlecht abgeschnitten? „Ihr habt gewonnen, was will euer Trainer denn noch?“ hakte sie bestürzt nach. „Gewonnen hat man, wenn man von den Wertungsrichtern nur Einsen erhält,“ entgegnete das Mädchen mit immer noch leiser Stimme. „Unfassbar,“ murmelte Annette und schüttelte leicht den Kopf. In dem Moment hörten sie Stimmen, die sich schnell näherten. Noch mehr Leute aus dem Wetteraner Team. „Ich muss gehen!“ Mit diesen Worten war sie plötzlich verschwunden. Annette sah ihr nach. Sie konnte es einfach nicht glauben. Schlimm genug, dass sie sich nicht über ihren zweiten Platz freuen durften, aber dass sich ein Team, das den ersten Platz erreicht hatte, nicht freute, nur weil sie nicht ausschließlich Einsen erhalten hatten, war echt zu viel. Sie hatte mit dem Tanzen angefangen, weil sie gemerkt hatte, dass es ihr Spaß machte, nicht um sich von Ergebnissen auf irgendwelchen Turnieren runterziehen zu lassen. Egal, was die anderen sagten, sie freute sich über das Ergebnis und würde es nun mit ihren Freunden zusammen feiern.
Als Cordula am Montag morgen aufwachte, hatte sie immer noch Kopfschmerzen. Nach dem Turnier am Samstag war sie mit ihren Freunden Annette, Ralf und Michael noch in eine Disco zum Feiern gegangen. Obwohl sie nicht viel getrunken hatte, hatte sie den ganzen Sonntag über ziemliche Kopfschmerzen gehabt. Vermutlich von der lauten Musik. Auch jetzt brummte ihr Schädel, aber darauf konnte sie keine Rücksicht nehmen, sie musste zur Arbeit. Ein Blick auf die Uhr verriet ihr, dass es bereits nach sieben war, sie musste also wirklich langsam aufstehen. Langsam stand sie auf und schlurfte erst einmal in Richtung Küche, um sich eine Kopfschmerztablette zu besorgen. Dann beschloss sie, bei Annette anzurufen. Die Beiden waren heute Abend verabredet und Cordula wollte wissen, ob es dabei blieb. Sie griff nach ihrem Telefon und wählte die Nummer. Annette nahm nach dem ersten Klingeln ab. „Hast du auf meinen Anruf gewartet?“ wollte Cordula verdutzt wissen. Annette lachte: „Ja, Cordula, ich warte den ganzen Morgen nur auf deine Anrufe. Nein, Quatsch, ich hatte gerade mit Jessica telefoniert und kaum hatte ich aufgelegt, klingelte das Telefon schon wieder. Kein Wunder, dass ich nie pünktlich zur Arbeit komme.“ „Okay, ich mache ganz schnell,“ entgegnete Cordula, „ich wollte eigentlich nur wissen, ob das mit unsere Verabredung heute Abend bleibt.“ „Oh.“ Annette schwieg einen Moment. Offenbar suchte sie nach den richtigen Worten. „Das tut mir leid, aber ich kann nicht. Wir haben heute Training.“ „Ja, und wir wollten uns doch danach treffen. Ich dachte, ich soll dich abholen.“ Cordula war verwundert. „Ja, aber wir machen jetzt immer doppelt so lange wie sonst Training. Damit wir beim nächsten Turnier besser abschneiden.“ „Wie bitte? Wie oft wollt ihr denn noch trainieren?“ Cordula war noch erstaunter. „Du, Cordula, können wir ein anderes Mal darüber reden, ich muss jetzt wirklich zur Arbeit, ja?“ Mit diesen Worten legte Annette auf. Cordula starrte überrascht den Hörer an, bevor auch sie auflegte. Sie konnte verstehen, dass das Tanztraining vorging, aber auf der anderen Seite war sie auch enttäuscht. Wie lange würde das noch so gehen, dass Annette kaum Zeit für ihre Freunde haben würde? Und so viel Spaß ihr das Tanzen auch machte, war es wirklich nötig jeden Abend in der Woche zu trainieren? Aus irgendeinem Grund hatte Cordula ein ungutes Gefühl. Doch war es wirklich so, dass sie sich Sorgen um ihre Freundin machte oder war sie einfach nur eifersüchtig, weil Annette in den letzten Wochen wesentlich mehr Zeit mit den Leuten aus ihrer Tanzformation als mit ihr verbracht hatte? Cordula wusste, dass sie jetzt auf diese Frage ohnehin keine Antwort finden würde, und beschloss später genauer darüber nachzudenken. Jetzt musste sie sich endlich für die Arbeit fertig machen.
Es war bereits halb elf, als Max das Training endlich beendete. Alle waren nassgeschwitzt und konnten sich kaum noch bewegen. Sie würden morgen ziemlichen Muskelkater haben und trotzdem würden sie alle wieder zum Training kommen müssen. Annette beneidete diejenigen, deren Positionen doppelt besetzt waren. Sie konnten sich mit dem Tanzen abwechseln und hatten so immer kleinere Pausen, obwohl Max natürlich wollte, dass meistens diejenigen tanzten, die auch auf dem nächsten Turnier tanzen würden. Ihre Position hingegen war nur mit ihr selber besetzt, was den Vorteil hatte, dass sie auf jedem Turnier tanzen durfte. Jetzt allerdings wünschte sich Annette auch eine Doppelposition zu haben. Sie wusste nicht wie sie die Woche überstehen sollte. Und das nächste Turnier war bereits am Sonntag, in Paderborn. Bis dahin musste sich die Leistung des Teams um einiges steigern. „Zieht euch schnell um, dann muss ich noch etwas mit euch besprechen,“ wies Max seine Mannschaft an. Alle schlurften in Richtung Umkleide. Normalerweise herrschte nach dem Training immer einiges an Stimmengewirr, man unterhielt sich über die Durchgänge, und das, was verbessert werden musste. Doch jetzt waren die meisten viel zu erschöpft, um noch zu reden und das Training zu analysieren. Schnell zogen sie sich um und versammelten sich dann wieder auf der Tanzfläche. Max sah sie ernst an. „Unsere Leistung am Samstag war nicht schlecht. Das will ich nicht sagen. Aber das Team aus Wetter war einfach besser. Das muss sich ändern. Wir dürfen uns nicht mit dem zweiten Platz zufrieden geben. Ich WILL mich nicht mit dem zweiten Platz zufrieden geben. Vor allem, weil uns hier in Köln natürlich auch der Heimvorteil zu Gute gekommen ist. Aber ich will, dass wir am Sonntag in Paderborn gewinnen. Zum einen werden wir natürlich jeden Abend trainieren. Am Samstag machen wir einen Trainingsmarathon, und treffen uns um 10 Uhr hier in der Tanzschule. Danach liegt es an euch, wie schnell wir fertig werden.“ Es wurden verstohlene Blicke getauscht. Sie hatten sich alle darauf eingestellt, dass sie sich am Samstag vor dem Turnier noch einmal ausruhen können und jetzt wollte Max, dass sie den ganzen Tag trainierten? Auch Annette seufzte innerlich auf. Eine weitere Verabredung, die sie würde absagen müssen. Eigentlich hatte sie geplant am Samstag mit Michael einkaufen zu gehen. Er brauchte neue Schuhe und sie hatte versprochen ihn zu beraten. Vielleicht würde er sich auch mit Cordulas Rat zufrieden geben. Annette wurde aus ihren Gedanken gerissen, denn Max sprach noch weiter: „Abgesehen vom Training müssen wir noch an etwas weiterem arbeiten: Aussehen und Ausstrahlung. Auch das zählt.“ Er warf Martin, der auf einem Corny kaute einen scharfen Blick zu: „So etwas ist ab heute verboten. Keine Schokolade, nichts Fettiges. Ihr müsst mehr auf eure Gesundheit und besonders eure Figur achten. Und ich will dass ihr heute damit anfangt.“ Max sah jeden Einzelnen an. Die meisten hatten den Blick gesenkt. „So das war es. Wir sehen uns morgen beim Training.“ Damit waren sie für heute entlassen. Bevor ihm doch noch etwas einfallen könnte, verließen alle schnell die Tanzschule. Annette stieg zu Roxy und Cindy in den Wagen, die beiden wohnten nur eine Straße weiter als sie und nahmen sie immer mit nach Hause.