1
‚Wo bin ich? Was mache ich hier? Wie bin ich hier her gelangt?’ Ziellose Blicke tasten nervös die Umgebung ab, versuchen erste Eindrücke zu gewinnen. Die Umgebung scheint vertraut und fremd zugleich.
‚Ist alles nur ein Traum?’ Vor dem Rathausplatz stehend, auf die Gebäude rundum mich blickend, während sich blankes Entsetzen und Fassungslosigkeit in mir ausbreiten. Die Gebäude nur noch Bruchstücke von Ruinen, die Straßen aufgebrochen, Lava quirlt aus den Spalten im Boden heraus, vereinzelt einige Flammen sichtend. Keine Sonne und kein Mond vorhanden, die erleuchten könnten, was das Dunkel versteckt. Der Himmel blutrot, überzogen mit gleichfarbigen Wolken. In weiter Ferne Blitze erkennend, gefolgt von Seelendurchdringenden Donnern – das einzige Licht.
Wie erstarrt stehend, unwissend, was geschah - verwirrt. Auf dem einstigen Rathausplatz, ein riesiger Thron, gefertigt aus rotem Marmor. Darauf eine verschwommene Gestalt sitzend, das linke Bein über die eine Lehne hängend, den rechten Arm auf der anderen Lehne des Throns. Die linke Hand mich verführerisch zu sich winkt, worauf ich langsam und zierlich, wie geführt, losmarschiere. Mit jedem Schritt vorwärts die Gestalt wächst, Verschwommenheit durch Klarheit verdrängt, erneut blankes Entsetzen und Schaudern hervorruft.
‚Die Gestalt dämonisch und abgrundtief hässlich, wahrscheinlich der Teufel.’
„Der Teufel? Als würde er sich die Mühe antun, jeden Neuankömmling persönlich zu begrüßen. Hölle an Neuankömmling, willkommen in der Realität!“
„Realität?“
„Nicht schon wieder einer, der nicht begreift, wo er sich hier befindet.“ Die Kreatur sich mit der linken Hand resignierend über das Gesicht fährt.
„Bin ich etwa tot?“ Das vorherige Entsetzen somit durch dieses Gefühl hier überboten. „Ach du heilige Scheiße, befinde mich etwa in der Hölle!?“
Der resignierte Blick fluchtartig verschwindet, wie verdrängt. Ein Aufhorchen, ein freuderfülltes Lächeln. Sich flink wie ein Wiesel in aufrechte Position bringend, beide Hände ausstreckend und teuflisch lächelnd. „T-A-T-A! Doch glaube nicht, du erhältst nun einen Preis, geschweige denn einen Orden von mir.“
„Nein, erwarte ich nicht. Ich erwarte Antworten.“
„Siehst du hier etwa irgendwo ein Schild stehen, worauf Information geschrieben steht?“
„Nein.“
„Sehe ich dann etwa aus wie eine Sekretärin?“
„Nein, aber wenn du nicht der Teufel bist, vielleicht dann seine persönliche Sekretärin.“
„Ich würde dir raten, deine Worte zu überdenken, bevor du sie mit mir teilst. Ansonsten werden deine Bemerkungen unangenehme Folgen haben.“
„Wie? Ihr droht mir? Was wollt ihr machen? Wollt ihr mich etwa töten?“
„Vorlaut auch noch. Ich denke, einige Stunden in der Folterkammer werden dir gut tun.“
„Schmerzen im Jenseits?“
„Schmerzen im Jenseits - und was für welche. Dein Körper ist tot, deine Seele jedoch nicht, Neuankömmling.“ Kurze Pause. Seinen Blick suchend schweifen lassend. Eine flüchtige, selbstbewusste Handbewegung. „Wachen, dieser Neuling hätte gerne einmal das gesamte Wellnessprogramm der Vorlauten als Willkommensgeschenk – inklusive der Zugabe.“
„Welcher Zugabe?“
„Die Zugabe dafür, weil ihr mich hässlich nanntet.“
Aus der Dunkelheit tretend, zwei kleinere, dämonisch aussehende Kreaturen. „Wie ihr wünscht, werter Meister.“
„Wie!? Nein! Das könnt ihr nicht mit mir machen. Lasst mich los! Können wir nicht noch einmal darüber reden, einen zweiten Versuch starten?“
„Und wie wir das können, Neuankömmling. Gleich, nachdem ihr das Programm in seinen vollsten Zügen genossen habt, versuchen wir es nochmals – wenn ihr dann noch fit genug seid. HAHAHA!“ Teuflisches, nicht enden wollendes, Gelächter aus seinem Maul, winselndes Geschreie aus meinem Munde.
„Starten wir den Versuch gleich jetzt. Bitte!“
‚Wie kam ich nur hier her? Meine Erinnerung, wie verblassen. Was sie wohl mit mir anstellen?’ „Nein! Bitte! Nicht! Nein! HILFE!“
2
Dunkelheit weicht, Helligkeit penetrant wie eine Nadel in den Augen sticht. Das Stechen, nicht nur in den Augen. Der Kopf sich anfühlt, als würden darin viele kleine Lebewesen ihr Unwesen treiben. Manche mit Nadeln, manche mit Hämmern. Ein Gefühl, als würde das Gehirn dadurch anschwellen und gegen die Schädeldecke drücken – Platzangst im Obergeschoß. Ein schmerzerfülltes Stöhnen.
‚Ob der Schädelknochen das lange aushält?’
„Es geht vorbei. Und dein Kopf bleibt heil – muss er. Wie dir bereits gesagt wurde, existiert dein Körper nicht mehr.“
„Warum kann hier jeder meine Gedanken lesen!?“
„Diese Frage ist belanglos.“
„Ist sie nicht.“
„Die Antwort darauf schon.“
„Für Euch vielleicht, nicht für mich. Ich habe so viele Fragen, die nach einer Antwort verlangen. Und wenn ich diese nicht umgehend erhalte, dann… AHH!“
„Ihr solltet zuerst überlegen, bevor ihr sprecht. Also, was wolltet ihr sagen, Neuankömmling?“
„Nichts – von Belangen.“
Im liegenden Zustand ich mich befinde, während grelles, weißes Licht auf mich herab blickt, mich blendet. Meine Hände bewegen möchte, doch sie bleiben starr. Gleiches Schicksal teilen meine Beine.
‚Womit habe ich dies verdient?’ Alle Muskel anspanne, doch jegliche Reaktion dieser ausbleibt. Hilflos auf hartem Untergrund liegend, während auch das letzte Fünkchen Hoffnung schwindet.
‚Was ist geschehen? Wieso bin ich hier nur gelandet? Bei Doktor Frankenstein? Was wusste ich, was ich jetzt nicht mehr weiß? Oder besser; was ist das letzte, an das ich mich erinnere? Hm… Alles, woran ich mich erinnere, ist, dass ich vor dem Thron stehend aus einer Dunkelheit erwachte… Denk nach,…’ Kurz überlegend, dann von einer erneuten Welle des Schauderns überschwemmt.
‚Verfluchte Scheiße, ich weiß ja nicht einmal mehr meinen Namen.’
„Wir wissen deinen Namen, Neuankömmling.“
„Das hilft mir natürlich sehr viel… AHH!“
„Du hättest uns auch fragen können. Aber allem Anschein nach sind dir Schmerzen lieber. Nun gut, du sollst sie bekommen.“
„Nein, so war dies nicht gemeint. Nein! AHH!“
Déjà vu. Erneut Dunkelheit, gefolgt von in den Augen stechendem Licht. Kraftlos und erschöpft daliege, ohne jegliche Hoffnung auf Erlösung aus diesem Albtraum.
„Wie sollen wir unseren Spaß mit ihm haben, wenn er andauernd in die Bewusstlosigkeit flieht.“ Kurze Stille, ein Aufhorchen? „Ah, er ist wieder wach.“
Gelächter, wie das einer Hyäne, dringt an mein Ohr.
‚Es dringt doch an mein Ohr, oder?’ Das Lachen nun intensiver wird.
‚Ach du heilige Scheiße, es kommt aus mir!’
„Ein ganz Schneller, unser Neuankömmling.“
„SOFORT AUFHÖREN!“
„Noch hat dein Folterprogramm nicht angefangen. Es dauert also noch ein wenig. Nur mit der Ruhe. Genieße es – wir tun es jedenfalls.“
Wieder Gelächter in meinem Kopf, während ich angespannt auf dem harten Untergrund liegend versuche, mich zu befreien und versuche, das Lachen zu ignorieren. „Es hat noch nicht einmal begonnen?“
„Nein, denn du fällst ja andauernd in Ohnmacht. Ärger als die Frau, die wir vor einigen Tagen hatten. Wie soll man dich da ausgiebig foltern? Während du tief schlummerst, bringt uns das ja nichts, wenn wir dich für deine vorlaute Art bestrafen.“
„Aber mir, denn für mich würde die Folter immerhin schneller vergehen.“
„Hättest du wohl gerne. Los, beginnen wir.“
„Halt! Nein! Bitte! Aufhören! Nein! AHH!“
„Wir haben doch noch gar nichts gemacht. Anscheinend ist unser Neuankömmling auch noch überempfindlich.“ Abermals unerträgliches Gelächter. Anschließend erneut kurze Stille, bevor sich in meinem Kopf etwas regte. „Wir werden nun gewisse Stellen deines Hirns bearbeiten, sodass wir jene Erinnerungen heraufbeschwören können, die wir brauchen.“
„Bearbeiten?“ Fassungslosigkeit und Entsetzen schwappt in mir hoch wie übergehendes Wasser.
„Kleine Messungen hier, ein wenig Massieren dort. Du weißt schon…“
„Nein, weiß ich nicht!“ Plötzlich meine Augen einen Film voller Erinnerungen abspielend, als würde ich sie gerade eben erst erleben. Erinnerungen erotischer Natur – erste Treffen, erste Küsse, erster Sex… Verwirrung sich in mir ausbreitet. „Dies ist Eure Folter?“
„Oh.“ „Verzeihung.“ „Dies waren anscheinend die falschen Parameter.“ „Ähm.“ „Voreinstellung.“
Ihre Stimmen klingen verlegen. Plötzlich ein Filmwechsel. Nun Erinnerungen peinlicher Natur, Demut, Schuldgefühle, Schmerz und Trauer. Zum Teil auch verdrängtes, vergessenes Material. Mein Wille, nach einigen Stunden gebrochen, die letzte Hoffnung verschwunden. Mich fühlend wie ein Häufchen Elend, als ich plötzlich Arme und Beine Bewegen kann.
‚Ich habe das Ende erreicht.’
„In der Tat.“
„Und was passiert nun mit mir?“
„Bist du bereit für einen zweiten Versuch beim Meister?“
„Was, wenn nein?“
„Dann ist das Ende deiner Existenz nur noch einen Schritt entfernt.“
„Was, wenn ja?“
„Dann ist das Ende deiner Existenz noch weit entfernt.“
„Also angenommen, ich spreche mit dem Meister, werde ich jemals wieder gefoltert?“
„Das kommt ganz auf dich an, Neuankömmling.“
„Wieso?“
„Benimmst du dich, war dies deine erste und letzte Folter – in der Hölle.“
Meine Erinnerungen an die Foltern ins Bewusstsein tretend, während ich antworten möchte. Schaudern. „Ok, ich bin bereit für den Meister.“