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[NCIS] When your past returns (Wettbewerbsbeitrag)

*PiperHalliwell

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18 November 2004
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The wonderful world of DiNozzo!
Dann werd ich, wie versprochen, auch mal dafür sorgen, daß sich dieser Bereich ein wenig füllt.
Da die Idee für meinen Wettbewerbsbeitrag damals ein wenig umfangreich war, kommt hier eine längere Fassung

Ich wünsch euch viel Spaß beim Lesen und würde mich über FB freuen.

LG Claudia


• Titel: When your past returns
• Autor: *PiperHalliwell
• Genre: Action / Drama
• Disclaimer: Alle Charaktere der Serie NCIS sind geistiges Eigentum ihrer Erfinder Donald P. Bellisario und Don McGill und unterliegen dem Copyright von Bellisario Productions, Paramount Pictures und CBS.
Diese Story dient lediglich zur Unterhaltung, und ich beabsichtige nicht, Geld damit zu verdienen. Die Hintergrundgeschichten der Charaktere - sofern sie nicht der Wahrheit entsprechen - sind frei erfunden. Alle weiteren Charaktere sind Eigentum des Autors. Jegliche Ähnlichkeiten zu lebenden und toten Personen sind zufällig und nicht beabsichtigt.
• Pairing: keins
• Zeitliche Einordnung: Anfang der zweiten Staffel (also keine Spoiler)
• Anmerkung: Rückblenden in kursiver Schrift



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When your past returns


Baltimore, 17. November 2000

„Preston Collins! Baltimore Police, Sie sind verhaftet.“ Kaum hatte ich diese Worte ausgesprochen, hallte ein Schuss durch meine Wohnung und ein höllischer Schmerz breitete sich von meiner Schulter über meinen gesamten linken Arm aus, so dass ich im ersten Moment nicht dazu fähig war, darauf zu reagieren. Ich kämpfte für einige Sekunden dagegen an, ehe ich meine Zähne zusammen biss und die Verfolgung des Verdächtigen aufnahm. Wenig später rannte ich bereits die Treppen nach unten, das peinigende Gefühl ignorierend, das ich bei jeder Erschütterung verspürte. Glücklicherweise war meine Kondition, im Gegensatz zu der des Flüchtigen, ausgezeichnet, und ich hatte ihn, als er aus meinem Appartementhaus auf die Straße lief, beinahe eingeholt. Die Dunkelheit hatte sich bereits vor Stunden über die gesamte Stadt gelegt, so dass mein Weg nur durch die wenigen erhellten Fenster und die Laternen am Rande des Bürgersteigs beleuchtet wurde. Meine rechte Hand hielt noch immer meine Dienstwaffe fest umklammert, die ich in der Eile aus meinem Nachttisch gezogen hatte. Die vereinzelten Nachtschwärmer, die auch zu dieser späten Stunde unterwegs waren, und die uns umgebende Finsternis hatten mich jedoch davon abgehalten, diese zu benutzen. Der vergangene Tag war der erste seit Wochen gewesen, an dem es nicht geregnet hatte, was mir in diesem Moment zugute kam, denn ich trug lediglich meine Hausschuhe an den Füßen und hätte sonst Mühe gehabt, nicht auf dem glitschigen Pflaster auszurutschen. Obwohl der Verdächtige wenigstens bei der Wahl seines Schuhwerks mir gegenüber klar im Vorteil war, verfolgte ich ihn dennoch mit hoher Geschwindigkeit. Mittlerweile war das weiße Shirt, das ich zum Schlafen getragen hatte, größtenteils von meinem Blut durchtränkt, doch das Adrenalin pumpte sich so stark durch meinen Körper, dass ich die Schmerzen nicht mehr fühlte.
Genauso schlecht wie die Kondition dieses Verrückten waren, zu meinem Glück, auch seine körperliche Fitness und seine Kraft. Deshalb gelang es mir, kaum einen Block von meiner Wohnung entfernt, ihn zu überwältigen und ihm die Pistole aus der Hand zu schlagen, so dass ich ihm schließlich problemlos Handschellen anlegen konnte. Schon näherten sich einige Streifenwagen, die ich als Verstärkung gerufen hatte, und meine Kollegen nahmen den Mann ihn Empfang. Doch ehe sie ihn auf den Rücksitz verfrachtet hatten, drehte er sich noch einmal zu mir um und zischte mit seinem widerlichen Grinsen im Gesicht: „Es ist noch nicht vorbei. Wir werden uns wiedersehen.“ Wie immer ließ ich mir äußerlich nichts anmerken, doch seine Worten bereiteten mir eine leichte Gänsehaut, denn ich wusste, dass dieser Mensch zu allem bereit war. Mit einem kaum merklichen Kopfschütteln verbannte ich meine Gedanken jedoch wieder, denn in Kürze würde er sich in einer Gefängniszelle befinden und diese nicht mehr lebend verlassen. Mit diesem Wissen drehte ich mich um und ging langsam zurück, denn die Verfolgungsjagd mit einer Kugel in der Schulter hatte mich doch etwas geschlaucht. Nun da der Adrenalinschub wieder nachließ, kehrten auch die Schmerzen zurück, doch ich musste unbedingt in mein Appartement zurück, so dass ich die Sanitäter ignorierte, die versuchten, mich dazu zu bewegen, sie ins Krankenhaus zu begleiten.



Washington D.C., 11. Juni 2004

„Tut mir leid, dass ich zu spät komme, Boss, aber...“, tönt meine gehetzte Stimme durch das Großraumbüro, als ich aus dem Aufzug zu meinem Schreibtisch eile, doch ich werde sofort unterbrochen: „Spar dir die Ausrede, DiNozzo. Mach dich endlich an die Arbeit.“ Es ist Montag, und wie so oft am Wochenende hatte ich den gestrigen Abend mit einigen Kumpels in einer angesagten Bar verbracht, so dass mir das Aufstehen heute Morgen ziemlich schwer gefallen ist. Die Sonnenstrahlen scheinen durch die großen Fenster und blenden mich ein wenig, da ich meinen Kopf vorsichtshalber etwas eingezogen habe, doch nachdem ich keine weitere Standpauke zu hören bekomme, wende ich mich nun meinen Kollegen zu. Ein wenig verwundert blicke ich unseren Teamleiter an, denn seine Reaktion ist erstaunlich gelassen, und auch die obligatorische Kopfnuss ist bis jetzt ausgeblieben. Doch anstatt auf mich zu achten, bedeutet Gibbs lediglich Kate und McGee mit einem wortlosen Nicken, sich wieder ihren Akten zuzuwenden. Mit einem kaum hörbaren Seufzer lasse ich meinen Rucksack zu Boden gleiten und starte dann meinen Computer. Doch noch immer stehe ich an meinem Arbeitsplatz und verfolge mit den Augen meine Kollegen, die sich auf ihren Stühlen niederlassen, um sich den vor ihnen liegenden Papieren zu widmen. Keiner der Beiden scheint meine Anwesenheit wahr zu nehmen, denn niemand von ihnen sagt auch nur ein Wort. Für einen Moment überlege ich, woran das liegen wird und habe bereits einen lockeren Spruch auf den Lippen, als mich eine unbekannte Stimme inne halten lässt.
Auf dem Plasmabildschirm, auf den Gibbs, Kate und McGee bis vor kurzem gestarrt haben, ist noch immer eine Nachrichtensendung zu sehen: „Der wegen Mordes zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilte Preston Collins hat vor wenigen Minuten die Maryland Correctional Union in Baltimore als freier Mann verlassen. Wie die Staatsanwaltschaft heute Morgen mitteilte, wurde der Vierzigjährige auf Grund eines Verfahrensfehlers freigesprochen...“ Ich realisiere überhaupt nicht, wie meine rechte Hand unwillkürlich zur linken Schulter wandert und meine Finger unter dem Jackett nach der Narbe tasten, die mich Tag für Tag an diesen Menschen erinnert. Für eine Ewigkeit stehe ich wie angewurzelt neben meinem Schreibtisch und starre auf den Reporter, ohne seine weiteren Worte wahrzunehmen. Nicht einmal als Kate mich anspricht, reagiere ich, so dass sie nur mit den Schultern zuckt und sich ihrem Computer zuwendet. Es dauert einige Zeit, bis ich die Aussage verarbeitet habe, doch sie bereitet mir eine unangenehme Gänsehaut und ruft mir sofort die Ereignisse jener Nacht vor fast vier Jahren wieder ins Gedächtnis. Die Drohung bei seiner Festnahme würde er nun, da er aus dem Gefängnis entlassen war, ohne zu zögern wahr machen. Vermutlich hatte dieser Kerl jeden einzelnen Tag damit zugebracht, Rachepläne zu schmieden, die er nun in die Tat umsetzten könnte. „Matt“, entfährt es mir, und ohne ein weiteres Wort bin ich im Aufzug verschwunden, um mich auf den Weg zu meinem Schützling zu machen. Die wütenden Rufe meines Bosses ignoriere ich, denn ich habe keine Zeit, ihm alles zu erklären, und so wird er wohl warten müssen. An die Kopfnuss, die mich für diese Aktion erwartet, möchte ich lieber nicht denken, deshalb konzentriere ich mich in diesem Moment lieber auf mein Ziel. Wieder und wieder spuken die Worte dieses Verrückten durch meinen Kopf, und zu meiner Sorge gesellt sich nun erneut die Wut, die ich schon damals gefühlt hatte.


Baltimore, 20. Oktober 2000

Der Herbst hatte in Baltimore Einzug gehalten, denn seit Tagen goss es in Strömen, und es schien so, als würde es in nächster Zeit nicht damit aufhören. Die dunklen Wolken hingen bedrohlich tief über den Häusern der Stadt, und es wirkte beinahe so, als wollten sie diese verschlingen. Große Wassertropfen prasselten unaufhörlich auf die Scheiben unseres Dienstwagens, und ich wünschte mir, den heutigen Tag im Revier verbringen zu können. Normalerweise machte mir dieses Wetter nichts aus, doch irgendwie beschlich mich, seitdem wir das Büro verlassen hatten, ein seltsames Gefühl, das nichts mit der Nässe da draußen zu tun hatte. Vincent Green, mein Partner beim BPD, und ich hatten an diesem Wochenende Dienst, so dass man uns zu einem Tatort gerufen hatte, wo wir schon von weitem das gelbe Flatterband erkennen konnten, das diesen absperrte. Seufzend öffnete ich die Tür und verließ das warme Auto, während ich den Kragen meiner Jacke hochschlug und den Reißverschluss bis zu meinem Kinn schloss. Wir befanden uns in der Kensington Avenue, die in einem beschaulichen Stadtteil gelegen war und gingen den schmalen Kiesweg entlang, um eines der großzügigen Einfamilienhäuser zu betreten. Die an der ruhigen, von zahlreichen Ahornbäumen gesäumten Straße gelegenen Gebäude waren eine Mischung aus Backsteinbauten im Kolonialstil und moderner Architektur. Die gepflegten Grundstücke mit weitläufigen Gärten ließen erahnen, dass die Einwohner dieses Viertels ausnahmslos wohlhabende Familien waren.
Der Anblick, der sich uns jedoch im Inneren des modernen Hauses bot, zerstörte diese Idylle umgehend, denn im Wohnzimmer lagen die Leichen der ermordeten Bewohner. Thomas und Carrie Morrison waren gefesselt und gefoltert worden, bevor man ihnen die Kehle durchgeschnitten hatte. Ihre Tochter Lilian Marie, ein hübsches neunjähriges Mädchen mit langen blonden Locken, war durch einen Schuss in den Kopf regelrecht hingerichtet worden. In den vergangen Jahren, die ich im Polizeidienst verbracht hatte, musste ich bereits zahlreiche Schauplätze grausamer Mordfälle untersuchen, doch dieser war einer von denen, die mir nahe gingen. Die kleine Familie hatte gemeinsam Mittag gegessen, denn der Tisch war mit noch immer gefüllten Tellern gedeckt. Da keine Spuren eines Einbruchs erkennbar waren, mussten sie den Täter wohl gekannt und ihm geöffnet haben. Einer der Nachbarn, der die nur angelehnte Tür bemerkte, hatte im Haus nachgesehen und dann umgehend die Polizei verständigt. Das war vermutlich auch eine jener Wohngegenden, in der jeder wusste, was der andere tat, und trotzdem hatte niemand etwas gesehen. Aus dem Augenwinkel bemerkte ich, wie unser Pathologe herein kam, Vincent und mir kurz zunickte und sich dann neben die Leichen der Eltern hockte. Seufzend wandte ich meinen Blick von den großen Blutlachen ab, um mich ein wenig im Wohnzimmer umzusehen. Ich war noch dabei, mir ein Bild vom Tatort zu machen, als ich ein leises Wimmern aus dem Wandschrank im Flur vernahm. Langsam zog ich meine Waffe aus dem Holster und ging so leise wie möglich näher heran, wobei ich meinem Partner ein Zeichen gab. Dieser verstand sofort und nahm ebenfalls seine Pistole in die Hand, als ich vorsichtig die Schranktür öffnete und eine Sekunde später in die blauen Augen eines verängstigten kleinen Jungen blickte.



Washington D.C., 11. Juni 2004

Mit dem Fahrstil, mit dem ich meinen Wagen durch die Straßen Washingtons lenke, mache ich beinahe Gibbs Konkurrenz, doch die Angst um meinen Schützling lässt mich das Gaspedal noch weiter nach unten treten. Die Sonne brennt mittlerweile schon fast unbarmherzig vom Himmel, doch ich realisiere die Wärme, die sich um mich herum immer stärker ausbreitet, kaum. In der Arlington Road, einer noblen Gegend Washingtons, halte ich mein Auto mit quietschenden Reifen vor einem vornehmen Wohnhaus. Eilig springe ich heraus, haste zu einer der großen, reich verzierten Holzportale und betätige den Knopf neben der Aufschrift 'Young'. Auf die darauf folgende Nachfrage erkläre ich: „Special Agent Anthony DiNozzo, ich muss dringend mit Ihnen sprechen.“ Keine zwei Minuten später stehe ich in der großzügigen Wohnung im ersten Stock einem verunsicherten Ehepaar gegenüber. „Es tut mir leid, dass ich Sie so überfalle, Mr. Young, aber...“ Noch ehe ich meinen Satz beenden kann, fällt mir die aufgeregte Frau ins Wort: „Wir haben die Nachrichten gesehen. Jeremy hat Matty sofort von der Schule abgeholt. Er weiß noch nichts davon, aber dieser Kerl wird ihn suchen.“ Als sie beginnt zu schluchzen, legt ihr Ehemann beruhigend einen Arm um sie und flüstert: „Es wird alles gut, Lauren. Agent DiNozzo wird uns helfen.“ Diese Aussage bestätige ich mit einem Nicken und erkläre: „Mr. und Mrs. Young, es ist das Beste, wenn einer meiner Kollegen Sie beide vorerst in eine sichere Unterkunft bringt. Ich werde Matthew mit ins Headquarter des NCIS nehmen und gemeinsam mit meinem Team für seinen Schutz sorgen.“
Das Ehepaar mustert mich noch immer besorgt, doch dann stimmen sie zu, als eine Stimme aus Richtung Tür ertönt: „Tony! Wieso hast du mich schon so lange nicht mehr besucht?“ Bereits im selben Moment ist ein kleiner Blondschopf durch das Wohnzimmer gelaufen und klammert sich fest an mich. Ich hocke mich vor ihn hin und antworte: „Es tut mir leid, Matt, aber jetzt bin ich da. Als Entschädigung machen wir beide einen Ausflug, und du lernst meine Freunde kennen. Einverstanden?“ Das darauf folgende Nicken lässt mich unwillkürlich lächeln, und ich nehme den Jungen auf den Arm, um mit ihm in sein Zimmer zu gehen. Während seine Mutter einige Sachen für ihn packt, begebe ich mich außer Hörweite und fordere mit meinem Handy Polizeischutz für die Eltern an. Ich führe eine zähe Diskussion mit dem zuständigen Beamten, doch schließlich kann ich ihn mit einigen Drohungen dazu bringen, zwei Polizisten vorbei zu schicken. Sobald ich im Hauptquartier bin, werde ich mit Gibbs reden, dass man Mr. und Mrs. Young vorerst woanders unterbringt. Eine halbe Stunde später klingelt es bereits an der Tür, und ich schildere den davor stehenden Beamten kurz die Situation. Dann gebe ich den beiden noch eine Visitenkarte mit meiner Telefonnummer für Notfälle, woraufhin sie sich in ihren Dienstwagen zurückziehen, von dem aus sie das Haus im Auge behalten. Noch einmal bespreche ich mit den Youngs mein Vorhaben und bitte sie, unter keinen Umständen die Wohnung zu verlassen, bevor ich mich verabschiede. Danach schnappe ich mir die kleine Reisetasche und gehe gemeinsam mit Matthew zu meinem Auto, mit dem wir uns auf den Weg ins Büro machen.


Baltimore, 20. Oktober 2000

Der blonde Junge klammerte sich ängstlich an mich, während ich ihm sanft über den Rücken strich, da sein kleiner Körper von Schluchzern geschüttelt wurde. Langsam ließ ich mich auf dem Bett im Kinderzimmer nieder, denn er sollte unter allen Umständen von dem Bild seiner toten Familie verschont werden. Als ich mich ein wenig im Raum umsah, fiel mein Blick auf die zahlreichen Spielsachen in den Regalen und die Fotos an den Wänden, die eine glückliche kleine Familie zeigten. Das Wissen, dass diese für immer zerstört sein würde, war beinahe noch schlimmer als die Tragödie, die sich vor einigen Stunden im Wohnzimmer abgespielt hatte. Beruhigend redete ich auf den kleinen Kerl in meinen Armen ein und wiegte ihn sanft hin und her, so dass sein Zittern irgendwann nachließ und die Tränen versiegten. Nach einiger Zeit stellte ich erleichtert fest, dass er an meiner Schulter eingeschlafen war, dann legte ich ihn behutsam auf sein Bett und deckte ihn zu. Ein letztes Mal sah ich prüfend auf den Jungen, doch er schien tief in seine Träume abgetaucht zu sein, also verließ ich das Zimmer und schloss leise die Tür hinter mir. Seufzend fuhr ich mir mit der Hand durch meine Haare, atmete tief durch und sah mich auf dem Flur um, doch im Obergeschoss gab es keinen einzigen Anhaltspunkt dafür, dass der Täter hier gewesen war. Nachdem ich kurz einen Blick in die angrenzenden Räume geworfen und nichts auffälliges entdeckt hatte, ging ich die Treppe wieder hinunter und zurück zu meinem Partner, um im Erdgeschoss weiter nach Spuren zu suchen.
„Der Kleine heißt Matthew Ryan Morrison. Er ist vier Jahre alt,“ erklärte Vincent nachdem er das Haus durchsucht und einige Papiere sicher gestellt hatte. Ich nickte schweigend, während ich mich weiter in dem Wohnzimmer umsah und nach Fingerabdrücken suchte. In der Zwischenzeit waren die Leichen bereits abtransportiert worden, so dass der Anblick nicht mehr ganz so schrecklich war, doch noch immer hatte ich das Bild vor Augen, das nicht verschwinden wollte. Als wir dann endlich die Untersuchung des Tatortes abgeschlossen hatten, begann ich, darüber nachzudenken, was ich mit dem Jungen machen sollte. Ein lautes Rufen riss mich jedoch aus meinen Überlegungen: „Mom, Dad, wo seid ihr?“ Eilig verließ ich das Wohnzimmer und fand Matthew, der mitten auf der Treppe in die obere Etage stand, einen Teddy im Arm, während ihm ununterbrochen Tränen über die Wangen liefen. Ich ging vor ihm in die Hocke, und er hielt sich erneut an mir fest, so dass ich ihn hoch nahm und versuche, ihn zu beruhigen. Erschöpft ließ er seinen Kopf an meine Schulter sinken, seinen Bären noch immer fest umklammert und den rechten Daumen im Mund. „Wir müssen die Jugendfürsorge anrufen“, ermahnte mich Vincent leise, doch ich schüttelte heftig den Kopf und gab flüsternd zurück: „Es ist Samstagabend. Wir werden dort niemanden mehr erreichen. Ich werde mich bis zum Montag um ihn kümmern. Außerdem ist es viel zu gefährlich für ihn, so lange der Kerl noch auf freiem Fuß ist.“ Ohne eine Antwort von meinem Kollegen, ging ich mit dem Jungen auf dem Arm nach draußen und brachte ihn zum Wagen.



Washington D.C., 11. Juni 2004

Mit einem achtjährigen Jungen an der Hand stehe ich ein halbe Stunde später im Aufzug des NCIS-Headquarters und warte darauf, dass die Türen sich öffnen. Ich weiß, dass mein Boss mir eine Predigt halten wird, da ich einfach verschwunden bin, doch meine größte Sorge gilt vorerst meinem Schützling. Mit einem leisen 'Pling' öffnen sich die schweren Metalltüren und geben den Blick auf das Großraumbüro frei, das wir nun betreten. Mit großen Augen sieht sich Matt um, während er sich ein wenig eingeschüchtert an mich klammert und keinen Ton von sich gibt. Am Schreibtisch meiner Kollegin angekommen, will ich sie gerade bitten, sich um den Kleinen zu kümmern, als die laute Stimme des Chefermittlers mich zusammen zucken lässt: „DiNozzo, was fällt dir ein, einfach abzuhauen. Wo...“ Doch noch ehe er weiter sprechen kann, unterbreche ich ihn und deute auf den Jungen: „Können wir bitte unter vier Augen reden? Kate, das ist Matt. Würdest du bitte kurz auf ihn achten?“ Die junge Frau sieht erst den Jungen und dann mich verwirrt an, doch dann nickt sie, so dass ich mich an Matt wende: „Das ist meine Partnerin Kate. Sie wird sich kurz um dich kümmern, solange ich mit meinem Boss rede. Ich bin gleich wieder da, Kumpel.“ Nach diesen Worten schenke ich meiner Kollegin noch ein dankbares Lächeln, bevor ich meinem Boss in den Fahrstuhl folge, den dieser sofort, nachdem sich die Türen geschlossen haben, zum Halten bringt.
Gibbs mustert mich mit dem üblichen durchbohrenden Blick aus seinen eisblauen Augen, und so beginne ich, ihm die ganze Geschichte zu erzählen. Ich hatte gemerkt, dass auch meine Kollegen von Collins und seinen Taten von vor vier Jahren wussten, doch nun berichte ich dem Teamleiter von den Einzelheiten und der Drohung, die er bei seiner Verhaftung ausgesprochen hatte. Bei dessen geistigem Zustand und dem Gefallen, den er am Töten gefunden hatte, ist auch mein Boss der Meinung, dass Matthew in Gefahr ist. Nachdem wir den Mörder der Morrisons vor vier Jahren verhaftet hatten, kümmerte sich die Jugendfürsorge um ihn, und schließlich hatte er in den Youngs eine Pflegefamilie gefunden. Seitdem besuchte ich ihn sehr oft, da wir ziemlich gute Freunde geworden waren, obwohl ich dies in letzter Zeit ein wenig vernachlässigt habe. Gibbs hört sich meine Ausführungen schweigend an, bevor er erklärt: „Ich verstehe dich, Tony. Trotzdem fällt die Sache nicht in den Zuständigkeitsbereich des NCIS.“ Obwohl ich den Einwand meines Bosses einsehe, machen mich diese Worte ziemlich wütend, so dass ich entgegne: „Diese Idioten sind doch nicht einmal in der Lage, auf sich selbst aufzupassen. Ich werde ganz bestimmt nicht zulassen, dass die Cops für Matts Sicherheit sorgen.“ Nur mit Mühe lasse ich mich beruhigen, doch Gibbs verspricht mir, mit unserem Direktor zu reden und eine Lösung zu finden. Ein wenig erleichtert nicke ich und atme kurz durch, denn wie so oft kann ich mich auf meinen Boss verlassen. Das ungute Gefühl, das mich seit dem Fernsehbericht heute Morgen verfolgt und sich in meinem Inneren breit gemacht hat, schwächt sich nach seinen Worten ein wenig ab. Doch nur Sekunden später breitet sich ein unangenehmes Gefühl auf meinem Hinterkopf aus, und ich blicke erschrocken zu Gibbs, der nur erwidert: „Sei froh, dass ich dich nach deinem Zuspätkommen heute Morgen verschont habe.“ Leise in mich hineinmurmelnd reibe ich mir die schmerzende Stelle, erwidere jedoch in weiser Voraussicht nichts darauf.


Baltimore, 17. November 2000

Noch nie zuvor war mir ein Mordfall so nahe gegangen wie dieser, und vor allem seit ich Polizist in Baltimore war, hatte ich viele schreckliche Verbrechen aufklären müssen. Doch dieses Mal war es etwas anderes, vielleicht lag es daran, dass ich mich in dem Kleinen wieder erkannte. Ich konnte es nicht genau sagen, aber ich hatte das Gefühl, ihn unter allen Umständen beschützen zu müssen. Obwohl ich meine Eltern nicht wie er durch ein Verbrechen verloren hatte, konnte ich mir dennoch ausmalen, wie allein er sich fühlen musste. Als ich sechs Jahre alt war, starb meine Mutter bei einem Autounfall, und mein Vater hatte danach nichts anderes mehr im Kopf als seine Firma. Früher hatte ich mich immer gut mit ihm verstanden, aber ihr Tod hatte alles verändert, so dass wir uns nach meinem Schulabschluss komplett entzweit hatten. Deshalb konnte ich mir in etwa vorstellen, wie er sich fühlen musste und wollte ihn wenigstens vorerst vor der Jugendfürsorge bewahren. Mit etwas Hartnäckigkeit konnte ich den Captain dazu überreden, Matthew mit zu mir nehmen zu dürfen, um ihn in Sicherheit zu wissen. Nach einigen Tagen verstanden wir uns immer besser, und der Junge begann, ein wenig aufzutauen. Der Kinderpsychologe hatte mit ihm gesprochen, doch er war zu der Überzeugung gelangt, dass Matt vermutlich nicht viel von dem Mord an seiner Familie mitbekommen hatte, da die Türen zwischen Flur und Wohnzimmer geschlossen waren, als es passierte. Dennoch sprach er nicht über jenen Tag, so dass wir nicht erfuhren, weshalb er sich im Schrank versteckt hatte, während seine Schwester mit den Eltern am Tisch saß.
Leider kamen wir mit der Untersuchung des Falles nicht voran, denn unser Hauptverdächtiger war unauffindbar und mordete Woche für Woche weiter. Obwohl wir Spuren am Tatort gefunden hatten, die auf einen Preston Collins hindeuteten, gab es keinen einzigen Hinweis, wo er sich aufhielt. Der Mann begann, mehr und mehr durchzudrehen, deshalb würde Matt in Lebensgefahr schweben, sobald herauskommt, dass er nicht tot war. Vermutlich hatte der Täter diesen ersten Mord im Affekt ausgeführt und nicht gewusst, dass Thomas und Carrie Morrison zwei Kinder hatten. Bis jetzt hatten wir die Nachricht zurückhalten können, dass ein Mitglied der Familie überlebt hatte, aber es würde nur eine Frage der Zeit sein, bis die Presse davon Wind bekam. Denn je mehr Menschen durch seine Hand starben, umso größer wurde die Gier der Journalisten nach Neuigkeiten. Dieser ungelöste Fall machte mir mehr und mehr zu schaffen, auch wenn ich den Jungen gern bei mir hatte, war ich doch besorgt um dessen Sicherheit, denn je länger unser Unbekannter frei war, desto gefährlicher würde er werden. In der Nacht, genau vier Wochen nach dem ersten Mord, schreckte mich plötzlich ein lautes Geräusch aus dem Schlaf. Prüfend sah ich zu Matt, der neben mir in dem großen Bett lag, doch er war noch tief in seinen Träumen versunken. Mit einem Griff hatte ich meine Waffe gepackt und tastete mich leise durch mein Schlafzimmer und dann den Flur entlang. Vorsichtig öffnete ich die Tür zum Wohnzimmer, hielt die Pistole schussbereit, als ich eine Gestalt in der Dunkelheit wahrnahm. Meine Hand tastete nach dem Schalter, und mit einem Griff hatte ich das Licht eingeschaltet, an das sich meine Augen jedoch nach zwei Sekunden gewöhnt hatten. Ein Blick in das Gesicht des Eindringlings genügte, um zu wissen, dass Preston Collins in mein Appartement eingebrochen war.

To be continued...
 
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Washington D.C., 11. Juni 2004

Da Collins ein ehemaliger Petty Officer ist, hält Gibbs sein Versprechen und kann Direktor Morrow überreden, den Fall zu übernehmen. Ducky hat sich bereit erklärt, Matt herum zu führen, so dass sich unser Team in Abbys Labor zu einer Lagebesprechung trifft. Kurz fasse ich noch einmal die damaligen Geschehnisse zusammen, ehe unser Boss die Aufgaben verteilt. Unsere Forensikerin würde sich die Beweise erneut vornehmen, sobald diese aus Baltimore eintreffen, während wir die Akten des Falls studieren. „Tony, welches Tatmotiv hatte Preston Collins damals?“, hakt schließlich Kate nach, und ich berichte: „Thomas Morrison war Lehrer und Zeuge bei Collins' Sorgerechtsanhörung. Er sagte aus, dass dieser seinen Sohn verprügelt habe. Aus diesem Grund wurde ihm schließlich der Umgang mit dem Kleinen verboten. Seine Ex-Frau hat daraufhin eine Unterlassungsverfügung erwirkt und ist weggezogen. Er soll völlig durchgedreht sein und Morrison gedroht haben, sein Leben zu zerstören. Collins hat ihn zusehen lassen, als er seine Tochter und seine Frau ermordet hat, bevor er auch ihn erschossen hat. Scheinbar hatte er am Morden gefallen gefunden, denn er tötete weiter. Noch drei Familien, wie die Morrisons mit mindestens einem Kind, starben innerhalb von vier Wochen auf die gleiche Weise. Er hatte dazu gelernt, hatten wir am ersten Tatot noch Haare von ihm gefunden, gab es später keine Spuren. Aber schließlich beging er einen Fehler, indem er versuchte, Matthew zu finden. Bis heute habe ich keine Ahnung, wie er von seiner Existenz erfahren hatte, aber er wusste, dass die Familie noch einen Sohn hatte. Er ist in mein Appartement eingebrochen, und nach einer Verfolgungsjagd konnte ich ihn festnehmen. Bei seiner Verhaftung hat er erklärt, die Sache wäre erst zu Ende, wenn er den Jungen auch umgebracht hätte.“

Mittlerweile brüten meine Kollegen und ich seit einigen Stunden über den Papieren des damaligen Falls, als ich kurz aufschaue und einen blonden Wirbelwind auf mich zu laufen sehe, der vor mir auf und ab hüpft, ehe er strahlend verkündet: „Tony, es ist toll bei euch. Wie lange musst du noch arbeiten? Du hast versprochen, dass wir Pizza essen.“ Aus dem Augenwinkel sehe ich Ducky ihm um die Ecke zu den Schreibtischen folgen und lachend dem unermüdlichen Plappern des kleinen Jungen zuhören. Ich weiß, dass wir vermutlich noch einige Stunden über unseren Akten verbringen würden, denn bisher konnten wir noch nichts finden. Deshalb streiche ich ihm mit einem Seufzen durch die Haare und erkläre dann: „Tut mir leid, Matt. Es wird noch eine Weile dauern.“ Ein wenig betrübt senkt er den Kopf, doch dann meint er: „Abby hat gesagt, wenn du es erlaubst, dann darf ich ihr helfen.“ „Na klar, Großer. Aber du bist brav und hörst auf sie. Außerdem bleibst du immer im Gebäude, und ich will wissen, wo du bist“, erwidere ich grinsend und sehe ihm hinterher, wie er nach einem eifrigen Nicken mit unserem Pathologen im Schlepptau wieder verschwindet. Kopfschüttelnd, sowohl über sein Verhalten als auch über meine Besorgnis um ihn, will ich mich wieder meiner Arbeit zuwenden, als ich in das fragende Gesicht meiner Kollegin blicke und so nachhake: „Was ist?“ Kate lächelt mich an und antwortet: „Ich hätte nie gedacht, dass du so gut mit Kindern umgehen kannst.“ Mit einem Lächeln auf den Lippen zwinkere ich ihr zu und erkläre: „Ich stecke eben voller Geheimnisse.“

Kaum ist Matthew verschwunden, wende ich mich wieder den Akten zu und versuche, mich erneut in die Berichte zu vertiefen. Gerade habe ich den ersten Absatz des Obduktionsberichts gelesen, als mich mein Handy von der Arbeit aufsehen lässt und ich den Anruf entgegen nehme: „DiNozzo. ... Was? ... Verdammt.“ Zornig beende ich das Gespräch, stecke das Telefon wieder weg und zische meinen Kollegen zu: „Das war Agent Johnson. Als sie die Youngs in ein sicheres Haus bringen wollten, haben sie die Wachposten ermordet vorgefunden. Die komplette Wohnung ist verwüstet, Jeremy und Lauren sind verschwunden. Das Schwein hat sie entführt.“ Erneut steigt die Wut in mir auf und dieses ungute Gefühl, das ich bereits heute Morgen gespürt habe, verursacht mir einen dicken Kloß im Hals. Ohne weiter darüber nachzudenken, öffne ich meine Schublade, greife mir meine Marke und Waffe, bevor ich zum Aufzug eile. Die schweren Metalltüren beginnen sich zu schließen, als meine Kollegen neben mir auftauchen, um in die Tiefgarage zu gelangen. Ich setze mich einfach auf den Fahrersitz unseres Dienstwagens, und die anderen steigen wortlos ein, so dass ich den Motor starte und losfahre. Mit hoher Geschwindigkeit lenke ich das Auto durch die Straßen Washingtons, den mir bekannten Weg entlang, doch ich ignoriere die verwunderten Blicke von Kate und Gibbs, die auf mir ruhen. Lediglich ein dumpfes Poltern aus dem Laderaum ist in der Stille zu hören und durchbricht das eisige Schweigen, das zwischen uns herrscht.
Ich halte den Truck vor dem Wohnhaus der Youngs, wo wir aussteigen und uns dem Polizeiwagen nähern, der bereits weiträumig mit gelbem Flatterband abgesperrt worden ist. Nachdem wir unsere Ausweise gezückt haben, werfen wir einen Blick durch die offene Tür und sehen die beiden Officers, denen die Kehle durchgeschnitten wurde. Sofort wendet sich Gibbs an die anwesenden Polizisten: „Das ist ab jetzt unser Tatort. Wir werden Sie über die Ermittlungen auf dem Laufenden halten. Kate, DiNozzo, seht euch in dem Appartement um.“ Als wir uns abwenden hören wir noch einen Teil der Diskussion, die unser Boss mit den Cops führt, doch wir nehmen unsere Ausrüstung und gehen eilig die Treppe nach oben. In der Wohnung im ersten Stock erwartet uns bereits Agent Johnson, der sich nach unserem Eintreffen zurück auf den Weg ins Hauptquartier macht und uns den Tatort überlässt. Ein seltsames Gefühl beschleicht mich, als ich meinen Blick durch das verlassene Appartement schweifen lasse. Noch vor wenigen Stunden war ich hier gewesen, hatte mich mit Jeremy und Lauren unterhalten, ihnen versichert, dass alles gut werden würde. Verdammt, ich hätte sie einfach besser beschützen müssen. Wenn er ihnen etwas antut und Matt erneut seine Familie verliert, könnte ich mir das niemals verzeihen. Als würde meine Kollegin meine Gedanken lesen können, legt sie mir eine Hand auf den Arm und reißt mich mit ihrer sanften Stimme aus meiner Trance: „Du kannst nichts dafür, Tony. Du hast der Polizei vertraut, die für ihren Schutz sorgen sollte.“ Ich schüttle bedrückt den Kopf und erwidere: „Ich hätte hier bleiben müssen. Schließlich weiß ich, wie unfähig die sind. Ich hätte...“ Doch Kate unterbricht mich bestimmt: „Du hast dich um Matt gesorgt und ihn in Sicherheit gebracht.“
„Wir werden sie finden“, fügt meine Kollegin noch hinzu, und ich nicke, obwohl ich mir dabei nicht so sicher bin wie sie. Nachdem ich unsere Ausrüstungskoffer im Flur abgestellt habe, nehme ich die Kamera und beginne, Fotos zu machen, während Kate sich in den Zimmern umsieht. Die Eingangstür weist eindeutig Einbruchsspuren auf, doch ich kann keinen einzigen Fingerabdruck finden. Ein wenig lässt mich diese Tatsache stutzen, denn das würde bedeuten, dass Collins sie gesäubert hat, bevor er verschwunden ist. Vermutlich will er uns mit dieser Tatsache zeigen, dass er sich uns überlegen fühlt und dass wir keine Spuren finden, wenn er es nicht will. Seufzend wende ich mich ab, gehe langsam durch den Flur ins Wohnzimmer und sehe mich gründlich um. Die Sachen der Familie wurden komplett durchgewühlt, doch kein einziger Hinweis auf Collins ist zu finden. Ich frage mich, was er gesucht haben mag, denn dass Matt nicht hier ist, muss er doch ziemlich schnell festgestellt haben. Vielleicht ist es seine Art, die Youngs und indirekt auch mich, in Furcht zu versetzen. Noch einmal lasse ich meinen Blick über das Chaos schweifen, kann aber nichts auffälliges entdecken. Kurze Zeit später taucht meine Kollegin neben mir im Wohnzimmer auf und erklärt resigniert: „Ich habe absolut nichts gefunden. Wie sieht es bei dir aus?“ Ich zucke kurz mit den Schultern und erwidere: „Weder an der Tür noch sonst irgendwo sind Fingerabdrücke. Wahrscheinlich hat er Handschuhe getragen oder alles gesäubert. Auf dem Sofa sind kleine Blutspuren, die vermutlich von den Youngs stammen. Ich habe eine Probe für Abby genommen.“ Wir packen unsere Sachen zusammen, versiegeln das Appartement und machen uns dann wieder auf den Weg nach unten zu unserem Boss.
Als wir wieder auf die Straße treten und uns dem Polizeiwagen nähern, erkennen wir, dass die beiden Leichen bereits von Ducky verpackt und in den Truck gebracht worden sind. Er wird sie in wenigen Stunden in der Pathologie obduziert haben, was uns aber vermutlich keine Überraschungen bezüglich der Todesursache bescheren wird. Wir bleiben neben Gibbs stehen, der sich uns zuwendet und mit seinem üblichen ungeduldigen Ausdruck mustert. Mit einigen Sätzen berichten wir ihm von unserer ergebnislosen Suche, woraufhin er jedoch nur schweigend nickt. Ich bin von dieser Reaktion etwas überrascht, habe ich doch zumindest ein wenig Gereiztheit seinerseits erwartet, doch nicht einmal ein Zähneknirschen ist zu hören. Aber auch im Auto der Polizisten haben unsere Kollegen keine Hinweise auf unseren Täter gefunden, worüber unser Boss uns wenig später aufklärt. „Was ist mit den Nachbarn?“, frage ich hoffnungsvoll, aber unser Bambino schüttelt den Kopf und antwortet: „Niemand hat etwas gesehen oder gehört.“ „Ich dachte, das wäre eine Gegend, wo man nicht wegsieht“, murmele ich genervt vor mich hin, doch auch die anderen nicken zustimmend. Resigniert verpackt McGee seine Ausrüstung und verstaut sie gemeinsam mit meinem und Kates Koffer und Rucksäcken im Laderaum des Trucks. Die Polizisten sind gerade dabei, den Dienstwagen ihrer Kollegen abtransportieren zu lassen, um ihn selbst noch einmal zu untersuchen. Anscheinend vertrauen sie dem NCIS nicht sonderlich, aber da keine Spuren darin zu finden waren, kümmert es uns nicht weiter. Gibbs bedeutet uns kurz darauf mit einem Blick einzusteigen, und wir lassen uns schweigend auf unseren Sitzen nieder, um zurück ins Hauptquartier zu fahren.

„DiNozzo, du wirst mit Matthew heute Nacht bei Kate bleiben. Ich will nicht, dass ihr allein seid. Du hast dich Collins in den Weg gestellt und bist damit genauso in Gefahr. Außerdem wird er bereits wissen, wo du wohnst“, ertönt plötzlich, nach drei weiteren ergebnislosen Stunden, Gibbs' Stimme vor mir und läutet den Feierabend ein. Sein eisiger Blick lässt mich verstummen, noch ehe ich meinen Mund auch nur geöffnet habe, so dass ich seufzend meine Sachen packe und gemeinsam mit meiner Kollegin in den Fahrstuhl steige. Nach wenigen Sekunden öffnen sich die schweren Metalltüren mit einem leisen 'Pling' wieder und die laute Musik unserer Forensikerin schallt uns entgegen. Es kostet uns einiges an Mühe, Matt von Abby loszueisen, doch schließlich sitzen wir im Auto und sind unterwegs zu meinem Appartement, um einige Sachen zu holen. Knapp eine Stunde später betrete ich zum ersten Mal Kates Wohnung, begutachte die freundlichen Farben und die moderne Einrichtung. „Hätte nicht gedacht, dass du soviel Geschmack hast, Katie“, provoziere ich sie ein wenig, doch sie verdreht nur die Augen, führt Matthew und mich den Flur entlang, wo sie eine Tür öffnet und erklärt: „Hier ist das Gästezimmer. Das Bad ist nebenan.“ Ich stelle unsere Sachen einfach neben das Bett und schlage dann grinsend vor: „Wie wäre es mit einer Pizza?“ Nachdem mein Schützling sofort strahlend zugestimmt hat, nickt auch Kate und holt ihr Telefon, um das Essen zu bestellen. Ich bin angenehm überrascht, wie locker der weitere Abend verläuft, denn auch meine Kollegin versteht sich gut mit Matt, und wir haben viel Spaß beim Karten spielen.
„Ich glaube, es wird langsam Zeit, ins Bett zu gehen“, meine ich irgendwann zu meinem Schützling, nachdem wir gemeinsam noch einen Film angesehen haben. Mit einem bittenden Blick versucht er, mich zu erweichen, doch ich schüttele lachend den Kopf, und er verschwindet seufzend im Bad. Als ich wenig später nach ihm sehe, hat er sich in seine Decke gekuschelt, sieht mich erwartungsvoll an und fragt: „Erzählst du mir eine Geschichte?“ „Bist du dafür nicht schon zu alt?“, hake ich nach, doch er schüttelt den Kopf, und ich lasse mich auf der Bettkante nieder. Bereits nach fünf Minuten ist Matthew jedoch eingeschlafen, wahrscheinlich war der vergangene Tag doch anstrengender für ihn, als ich gedacht habe. Vorsichtig, um ihn nicht wieder zu wecken, ziehe ich seine Decke etwas höher und streiche ihm über seine blonden Haare. Lächelnd erhebe ich mich und wende mich zu Tür, in der meine Kollegin steht und mich mit einem undefinierbaren Blick ansieht. „Was ist los?“, frage ich sie deshalb leise, doch sie schüttelt nur den Kopf und flüstert: „Den Schmollmund und den DiNozzo-Dackelblick beherrscht er schon ziemlich gut.“ Ein kaum hörbares Lachen folgt auf diese Feststellung, ehe sie hinzufügt: „Ich wundere mich nur immer wieder, wie gut ihr beide euch versteht.“ Nachdem ich schweigend die Tür geschlossen habe und wir zurück ins Wohnzimmer gehen, erkläre ich: „Und das obwohl ich eigentlich nicht sonderlich gut mit Kindern kann, aber er ist etwas besonderes. Irgendwie erinnert er mich an mich selbst, als ich klein war.“ In der Zwischenzeit haben wir uns auf dem Sofa niedergelassen, so dass ich Kate nun direkt in die Augen sehe, als ich hinzufüge: „Ich habe einfach das Gefühl, dass ich ihn beschützen muss. Das hatte ich schon damals.“
Mittlerweile habe ich meinen Blick zum Fenster gerichtet und starre abwesend nach draußen auf das in Dunkelheit gehüllte Washington. Die Finsternis wird lediglich durch die Sterne am wolkenlosen Himmel und die vielen Lichter der Großstadt durchbrochen. Meine Gedanken sind weit in die Vergangenheit abgeschweift, so dass mich die sanfte Stimme meiner Partnerin aus meiner Trance reißt: „Dafür gibt es aber noch einen anderen Grund, oder?“ Ein wenig überrascht sehe ich wieder in ihre dunkelbraunen Augen, die eine unglaubliche Wärme auf mich ausstrahlen. Wieder einmal wird mir klar, dass Kate mich besser zu kennen scheint als ich mich selbst, was nicht allein an der Tatsache liegt, dass sie eine ausgebildete Profilerin ist. Mit einem leisen Seufzen wende ich meinen Kopf wieder ab und visiere einen Punkt an der gegenüber liegenden Wand an, ehe ich beginne zu erzählen: „Die Morrisons hatten in den Wochen vor ihrem Tod Morddrohungen bekommen. Obwohl sie sich an die Polizei gewandt haben, hat ihnen niemand geholfen. Ich meine..., wir hatten so viel zu tun... Baltimore ist eine ziemlich gefährliche Stadt.“ Mit einer Hand fahre ich mir kurz über das Gesicht, doch meine Kollegin wartet schweigend ab, so dass ich fortsetze: „Ich habe solche Briefe nie sonderlich ernst genommen. So oft hatte ich erlebt, dass es sich nur um leere Drohungen handelte... Deshalb hatte ich auch in diesem Fall nur das Nötigste untersucht und mich lieber den spannenderen Fällen gewidmet... Und dann stand ich eines Tages an einem Tatort drei ermordeten Menschen und einem Waisenjungen gegenüber.“ Erneut verfalle ich in Schweigen, doch diesmal fühle ich eine Hand auf meinem Arm, als Kate erklärt: „Es war nicht deine Schuld.“

Die Uhr zeigt bereits Mitternacht, doch so sehr ich mich auch bemühe, finde ich einfach keinen Schlaf. Um Matt nicht zu wecken, habe ich mich ins Wohnzimmer verzogen, doch auch dort liege ich wach. Nachdem ich mich lange auf der Couch hin und her gewälzt habe, ohne meinen Gedanken entfliehen zu können, bin ich wieder aufgestanden. Mit einem Glas Wasser in der Hand stehe ich nun an dem großen Fenster und starre nach draußen, ohne etwas wahrzunehmen. Irgendwann vernehme ich leise Geräusche und spüre kurz darauf die Anwesenheit meiner Partnerin hinter mir, doch etwas hindert mich daran, mich zu bewegen. „Wenn ich meine Arbeit richtig gemacht hätte, würden seine Eltern vielleicht noch leben“, gebe ich einfach tonlos von mir, und ohne auf eine Reaktion von ihr zu warten, sprudelt es aus mir heraus: „Ich werde einfach dieses Bild von damals nicht mehr los. In den letzten Jahren habe ich alles dafür getan, es zu verdrängen. Doch jetzt ist es wieder da und mit ihm das Gefühl, versagt zu haben.“ Wie eine Puppe lasse ich zu, dass Kate mich einfach zu sich dreht und umarmt, während sie leise aber bestimmt erwidert: „Du hast Matt gerettet. Wenn du nicht gewesen wärst, hätte ihn dieser Verrückte damals auch umgebracht.“ Ich lasse mich einfach in ihre Umarmung fallen, spüre die Wärme und Geborgenheit, die von ihrem Körper ausgeht. Ohne mich von ihr zu lösen, flüstere ich: „Aber ich habe nicht verhindert, dass er erst seine Familie und jetzt seine Pflegeeltern verliert.“ Bei diesen Worten löst sich meine Kollegin wieder von mir, sieht mir fest in die Augen und erklärt beschwörend: „Sie sind nicht tot, und wir werden sie finden.“ Nach dieser Aussage zieht sie mich zum Sofa, auf das ich mich nach einem ihrer Blicke fallen lasse, deckt mich zu und verschwindet dann ohne ein weiteres Wort wieder im Schlafzimmer.


Washington D.C., 12. Juni 2004

„Tony! Aufstehen!“ Im gleichen Moment, in dem die durchdringende Stimme schmerzhaft an mein Ohr dringt und mich somit unsanft aus meinem viel zu kurzen Schlaf reißt, fühle ich, etwas auf mich fallen. Grummelnd versuche ich, mich zu orientieren und langsam wach zu werden, bevor ich vorsichtig die Augen öffne. Das grelle Sonnenlicht lässt sie mich jedoch umgehend wieder zusammen kneifen, und ich blinzle ein wenig, um mich an die Helligkeit zu gewöhnen. Als ich meinen leicht schmerzenden Kopf ein wenig anhebe, stelle ich fest, dass ein Blondschopf auf meinem Bauch hockt und mich erwartungsvoll angrinst. Nun kehren langsam die Lebensgeister in meinen geräderten Körper zurück, und ich realisiere, dass ich Matt das äußerst unsanfte Wecken zu verdanken habe. Mit einem Ruck packe ich den Jungen und beginne, ihn durchzukitzeln, was er mit einem freudigen Quietschen quittiert. Von dem anhaltenden Lachen angelockt, sieht Kate wenig später zur Wohnzimmertür herein und mahnt lächelnd: „Wenn wir noch in Ruhe frühstücken wollen, müsst ihr beiden euch beeilen.“ Kaum hat sie diese Worte ausgesprochen, entbrennt zwischen uns ein Wettrennen zum Badezimmer, was meine Kollegin nur mit einem Kopfschütteln quittiert. Kurz darauf stehe ich neben Matthew vor dem Waschbecken, wir beide mit einer Zahnbürste bewaffnet, und grinsen uns durch den Spiegel an, während wir unsere Zähne putzen und uns dann einer Katzenwäsche unterziehen. Darauf folgt der Gang ins Gästezimmer, wo wir die Klamotten für den kommenden Tag aus der Tasche kramen.
Rekordverdächtige zehn Minuten später sitzen Matt und ich fertig angezogen Kate am Frühstückstisch gegenüber. Als ich meinen Blick über das reichhaltige Angebot schweifen lasse, muss ich feststellen, dass sie wohl schon eine Weile vor mir aufgestanden sein muss. Zufrieden greife ich nach einem Brötchen und stille damit meinen ausgewachsenen Appetit. Eine fast schlaflose Nacht zu verbringen, macht doch hungriger, als ich vermutet hätte, so dass ich wenig später noch ein zweites verputze. Meine Kollegin ist das von mir bereits gewöhnt, doch nun realisiere ich, dass sich ihre Augen überrascht weiten, als sieht, dass Matthew den gleichen Appetit hat wie ich. Ich wende meinen Kopf nach rechts und zwinkere ihm kurz zu, ehe wir beide die junge Frau uns gegenüber angrinsen. Kate lacht jedoch nur und erklärt: „Ich hatte nicht mit Besuch von hungrigen Wölfen gerechnet. Wenn ihr immer noch nicht satt seid, werden wir wohl unterwegs noch einmal anhalten müssen.“ Wieder werfen mein Schützling und ich uns einen Blick zu, bevor ich erwidere: „Vielen Dank für deine Besorgnis, Katie, aber das wird wohl nicht nötig sein.“ Ich habe erwartet, dass sie mich zumindest mit einem finsteren Blick bedenkt, weil ich sie mit ihrem ungeliebten Spitznamen angesprochen habe, aber sie schüttelt nur den Kopf und gießt uns noch eine Tasse Kaffee ein, die ich wirklich gebrauchen kann. Erneut stelle ich fest, dass wir uns während dieses Falls näher gekommen sind als in dem vergangenen Jahr, in dem wir nun schon zusammenarbeiten. Sie ist für mich mittlerweile nicht mehr nur eine Kollegin, sondern auch eine sehr gute Freundin geworden, auf die ich mich auch in schwierigen Situationen verlassen kann. Meine Gedanken und die heitere Stimmung werden jedoch bereits wenig später unterbrochen, als Kate zum Aufbruch mahnt. Nur widerwillig erheben Matt und ich uns vom Küchentisch, packen unsere Sachen zusammen und folgen ihr dann zum Auto. Konnte ich noch bisher am heutigen Morgen den verzwickten Fall, der uns im Hauptquartier erwartet, verdrängen, sind meine Selbstzweifel nun mit einem Schlag wieder präsent.

To be continued...

Es geht gleich weiter.
 
AW: [NCIS] When your past returns (Wettbewerbsbeitrag)

Eine halbe Stunde später betrete ich, nicht gerade ausgeschlafen aber pünktlich, mit Kate und Matthew im Schlepptau das Großraumbüro. Mit einem freundlichen „Guten Morgen.“ begeben wir uns zu unseren Plätzen, doch von Gibbs ertönt nur ein undeutliches Grummeln, während McGee in seine Akten vertieft ist und überhaupt nicht reagiert. Auf meinen fragenden Blick zuckt meine Partnerin jedoch nur mit den Schultern und lässt sich auf ihrem Stuhl nieder. Ich realisiere, dass die Sonne bereits um die frühe Uhrzeit grell durch die Fenster scheint, als ich meine Sachen hinter dem Schreibtisch ablege. Kein Tag, den ein kleiner Junge gern drinnen verbringt, aber alles andere wäre zu gefährlich. Eilig verschwinde ich mit Matt wieder im Aufzug und bringe ihn zu Abby ins Labor, die am heutigen Tag erneut auf ihn aufpassen wird. Wenig später sitze ich genau wie meine Kollegen an meinem Arbeitsplatz und wühle mich durch die alten Akten der Mordfälle in Baltimore, ohne einen Anhaltspunkt zu entdecken. Auch Ducky hat bei der Autopsie der Polizisten keine Hinweise gefunden, außer dass sie mit einem Jagdmesser ermordet wurden. Mehr und mehr verschwimmen die Buchstaben nach dem ununterbrochenen Lesen vor meinen Augen, während sich unangenehme Kopfschmerzen immer weiter ausbreiten. Beinahe habe ich schon die Hoffnung aufgegeben, dass wir etwas finden, doch ich arbeite verbissen weiter, um Matt endlich in Sicherheit zu wissen. Irgendwann werde ich aus meiner Konzentration gerissen, als das Telefon unseres Chefermittlers klingelt: „Gibbs. ... Ja. ... Danke, Abbs.“ Nachdem er den Hörer aufgelegt hat, gibt er die Informationen der Forensikerin wieder: „Abby hat die alten Beweise erneut untersucht. Sie hat festgestellt, dass die DNA eindeutig zu Collins gehört. Das bedeutet, dass es keinen Zweifel mehr an seiner Schuld gibt.“ Daraufhin teilt Kate ihre Überlegungen mit: „Auch wenn er es war, können wir ihn für dieses Verbrechen nicht noch einmal verhaften. Er ist auf Grund eines Verfahrensfehlers freigesprochen worden. Das wars.“ Wütend lasse ich meine Faust auf meinen Schreibtisch krachen, als als ich zynisch erwidere: „Das heißt, wir müssen warten, bis wir die Leichen der Youngs finden. Verdammt. Das alles nur, weil er einen gewieften Anwalt gefunden hat, der ihn da rausholt. Wie ich diese Rechtsverdreher hasse.“ Die Hand meiner Kollegin, die an meinen Schreibtisch getreten ist, auf meinem Arm lässt meinen Zorn jedoch ein wenig abklingen, so dass ich meine zur Faust geballte Hand wieder entspanne, mich in meinem Stuhl zurücklehne und die Augen schließe.
Die Ungewissheit lässt mich immer stärker verzweifeln, denn ich habe mich noch nie in meinem Leben so hilflos gefühlt wie in diesem Moment. Wir alle arbeiten seit Stunden fieberhaft daran, diesen Irren zu finden, und doch haben wir noch nicht die kleinste Spur. Langsam mache ich mir Sorgen um Matt, der sicher bald mit seinen Eltern telefonieren will, auch wenn er noch länger bei mir bleiben sollte. Ich habe keine Ahnung, wie ich ihm die ganze Sache erklären und ihm erzählen soll, dass alles wieder von vorn beginnt. Müde fahre ich mir mit der Hand über die Augen und überlege krampfhaft, was ich ihm sagen sollte. „DiNozzo, mitkommen!“, schreckt mich plötzlich die laute Stimme meines Bosses aus meinen wirren Gedankengängen. Einen Moment sehe ich ihm entgeistert nach, bevor ich hastig aufspringe und ihm in den Fahrstuhl folge, in den uns unweigerlich unser Weg führt. Kaum haben sich die schweren Metalltüren geschlossen und sich der Kasten in Bewegung gesetzt, hält er ihn mit einem Handgriff zum Notschalter an. Im gleichen Moment wechselt die Beleuchtung in ein diffuses kühles blau, das sich nun in dem kleinen Raum ausbreitet. Gibbs sieht mir einige Sekunden durchdringend in die Augen, ehe er leise seufzt und dann erklärt: „Du weißt, dass ich dir den Fall entziehen muss, wenn du deine Gefühle nicht beherrschen kannst. Ich kann keinen Agenten gebrauchen, der sich nicht im Griff hat und nicht hundertprozentig konzentriert ist. Damit tust du auch Matthew keinen Gefallen.“
Meinen Blick auf den Fußboden gerichtet, nicke ich lediglich schweigend, denn ich weiß, dass Gibbs Recht damit hat. Dennoch werde ich unter keinen Umständen jemand anderem diesen Fall überlassen, auch wenn ich meinen Kollegen voll und ganz vertraue. Mein Gegenüber scheint zufrieden mit meiner Reaktion zu sein und fragt nun: „Wie geht es dem Kleinen?“ Überrascht sehe ich auf und erkenne seine besorgte Miene, mit der er mich mustert, bevor ich tief durchatme und erwidere: „Er hat keine Ahnung von der ganzen Sache. Ich habe ihm weder erzählt, dass Collins zurück ist, noch dass er seine Eltern entführt hat.“ „Gut“, antwortet er nur, und ich erkläre mit rauer Stimme: „Matt war damals erst vier, als seine Eltern starben. In diesem Alter verkraften Kinder solch schreckliche Ereignisse noch einigermaßen, aber wenn es noch einmal passiert... Ich will mir nicht vorstellen, wie er es aufnimmt, wenn er nun auch noch Thomas und Carrie verliert.“ Ich seufze leise und fahre mir mit der Hand über das Gesicht, ehe ich fortfahre: „Es ist ein Wunder, dass er so ein lebensfroher Junge ist, und ich werde nicht zulassen, dass sich das ändert.“ Gibbs sagt kein Wort zu meiner Aussage, doch sein Nicken zeigt mir, dass er mich versteht. Kurz spüre ich seine Hand auf meiner Schulter und sehe in seine plötzlich nicht mehr so eisigen Augen, bevor er den Fahrstuhl wieder in Gang setzt. Mit einem gedämpften 'Pling' öffnen sich die Türen, so dass wir erneut das Großraumbüro betreten und uns schweigend wieder an unseren Schreibtischen niederlassen. Meine Kopfschmerzen haben ein wenig nachgelassen, und ich mache mich mit neuem Elan an meine Arbeit, um endlich diesen Dreckskerl zu finden. Das Gespräch mit meinem Boss hat mir wirklich gut getan, denn nun bin ich wieder ruhiger und kann mich auf das Wesentliche konzentrieren. Meine Kollegen scheinen in letzter Zeit immer öfter zu wissen, wie es mir geht und was ich brauche, um mich besser zu fühlen. Letzte Nacht hat Kate es geschafft, dass ich meine Schuldgefühle vergesse, und nun lässt Gibbs meine Wut verrauchen. Wieder einmal wird mir klar, dass wir mehr sind als nur ein Team, eher so etwas wie eine Familie. Unmerklich schüttle ich meinen Kopf, um diese seltsamen Überlegungen abzuschütteln und wende mich endgültig wieder der Akte unseres Falles zu.
„Kate, wie weit bist du mit dem Profil von Collins?“, fragt unser Boss, nachdem er sich an seinen Arbeitsplatz gesetzt hat und sieht die junge Frau erwartungsvoll an. Mit einem kurzen Nicken erhebt sie sich, nimmt die Akte des Falles von ihrem Schreibtisch und dann geht zum Plasmabildschirm. Mit der Fernbedienung lässt sie das Bild unseres Mörders darauf erscheinen und wendet sich dann unserem Vorgesetzten zu. In der Zwischenzeit haben auch McGee und ich uns zu ihr gesellt, um ihren Ausführungen besser folgen zu können, mit denen sie nun beginnt: „Preston Collins, 40 Jahre alt, ehemaliger Petty Officer, war sechs Jahre lang bei der Navy. Ist vor fünfzehn Jahren ehrenhaft entlassen worden. In seiner Akte sind jedoch einige Beschwerden wegen Prügeleien mit seinen Kameraden vermerkt. Es waren jedes Mal nur kleinere Verletzungen, doch sie deuten darauf hin, dass er schon damals Probleme damit hatte, sich zu kontrollieren.“ Einen Moment hält meine Kollegin inne und studiert ihre Notizen, so dass Gibbs genervt erklärt: „Das wussten wir bereits. Was hast du neues herausgefunden?“ Seiner Stimme ist die Gereiztheit anzumerken, die sich vor allem immer dann einstellt, wenn wir in einem Fall nicht weiterkommen. Doch auch ich warte gespannt darauf, dass sie endlich ihr erstelltes Profil mit uns teilt, das uns ihm hoffentlich endlich näher bringen wird.
Ich kann es kaum erwarten, diesen Mistkerl, der Matt schon wieder seine Familie genommen hat, endlich in die Finger zu bekommen. Hatte ich ihn vor vier Jahren noch ordnungsgemäß festgenommen, weiß ich nun jedoch nicht, was ich tun werde, wenn ich ihm gegenüber stehen sollte. Ich bin mir dessen bewusst, dass Gibbs mit seinen Befürchtungen Recht hat, aber ich kann diese Sache nicht einfach meinen Kollegen überlassen, dazu bedeutet mir Matt einfach zu viel. Die Ungeduld unseres Bosses ignorierend, fährt Kate mit ihren Erkenntnissen fort, und ihre klare Stimme lässt mich aus meinen Gedanken erwachen: „Preston Collins hat seit seiner Entlassung aus der United States Navy als Bauunternehmer gearbeitet. Verschiedener Nachbarn zufolge ist er mehrfach gegenüber seiner Frau handgreiflich geworden, doch jede ihrer Anzeigen hat sie wieder zurückgezogen. Als er jedoch begann, seinen Sohn zu schlagen, hat sie sich nach elf Jahren Ehe von ihm getrennt. Die Scheidung und das Urteil in seinem Sorgerechtsprozess waren dann der Auslöser, dass er sich nicht mehr kontrollieren konnte. Den ersten Mord hat er mit großer Wahrscheinlichkeit ungeplant in einem Anfall von Wut über den Verlust seines Sohnes ausgeführt. Das Tatmuster deutet darauf hin, dass er ein großes Kontrollbedürfnis hat. Aus diesem Grund mussten Mr. Morrison, und später die anderen Männer, mitansehen, wie ihre Kinder und Frauen starben, bevor sie selbst gefoltert und dann getötet wurden. Aus diesem Grund müssen wir davon ausgehen, dass er alles dafür tun wird, Matt zu töten, um seinen Rachefeldzug zu vollenden.“ Nachdem Kate mit ihren Ausführungen geendet hat, nickt Gibbs nur kurz, während McGee und ich noch immer schweigend auf den Plasmabildschirm starren. Als ich mich wieder hinter meinem Schreibtisch niederlasse, um die Akten weiter durchzuarbeiten, gehen mir nach wie vor die Worte meiner Kollegin durch den Kopf. Genervt raufe ich mir die Haare und atme tief durch, ehe ich diese quälenden Gedanken endlich mit aller Macht verbanne.

„Boss, ich hab was“, ertönt plötzlich McGees Stimme, und wir wenden uns von unseren Computern ab, um erneut erwartungsvoll auf den Plasmabildschirm zu blicken. „Preston Collins' Mutter hat nach dem Tod seines Vaters erneut geheiratet. Diane Stevens und ihr Ehemann sind vor einem Jahr bei einem Autounfall ums Leben gekommen. Die beiden hatten ein Haus etwas außerhalb von D.C. Collins war Alleinerbe und versteckt sich jetzt vielleicht dort.“ „Verdammt, wieso hat es so lange gedauert, das herauszufinden?“, fragt unser Vorgesetzter verärgert, und Tim erklärt zurückhaltend: „Er wurde adoptiert, und es war schwierig, seine leibliche Mutter...“ Doch bevor unser Bambino geendet hat, springt Gibbs auf, schnappt sich seine Marke und Waffe und bedeutet uns, ihm in den Aufzug zu folgen. Als wir uns wenig später in den Sitzen des Dienstwagens niederlassen, mustert Gibbs mich eindringlich und erklärt: „Wir werden sie lebend finden, Tony. Und dann können wir ihn für die Entführung festnehmen. Bei einem Verhör bekommen wir sein Geständnis, dass er die Polizisten umgebracht hat.“ Obwohl ich weiß, dass auch er sich irren kann, beruhigen mich seine Worte, und ich blicke gedankenverloren aus dem Seitenfenster, während er das Auto aus der Tiefgarage lenkt. Ich nehme meine Umgebung überhaupt nicht wahr, sondern überlege die ganze Zeit, was passiert, wenn wir Collins nicht finden oder noch schlimmer, wenn wir zu spät kommen. Matts Reaktion auf den erneuten Verlust seiner Familie möchte ich mir unter keinen Umständen vorstellen müssen.
Während der Dienstwagen über den Highway rast, herrscht angespanntes Schweigen im Inneren, denn wir alle hängen unseren Gedanken nach. Die Angst, dass Matt etwas zustoßen könnte, beherrscht meine Überlegungen, und ich kann sie nur mit Mühe in die hinterste Ecke meines Kopfes verbannen. Dank Gibbs' rasantem Fahrstil erreichen wir nach dreißig Minuten Collins' mögliches Versteck etwas außerhalb der Stadt. Unser Boss hält das Auto etwas abseits der Zufahrt an, und wir sehen uns aufmerksam um, während wir unsere Sicherheitsgurte lösen und langsam aussteigen. McGee öffnet den Kofferraum und verteilt die schusssicheren Westen, die wir uns umgehend anlegen. „Gibbs, ich habe kein gutes Gefühl bei der Sache. Was, wenn es eine Falle ist?“, gibt Kate schließlich zu bedenken, woraufhin unser Vorgesetzter erwidert: „Es ist ganz sicher eine Falle. Das Ganze ist zu einfach. Aber wir können ja schlecht zurück ins Hauptquartier fahren, Agent Todd.“ Nach diesen Worten schüttelt sie nachdenklich den Kopf, ohne jedoch den Blick von der Einfahrt zu wenden. Sogar mir hat es in diesem Moment die Sprache verschlagen, obwohl ich eigentlich immer einen lockeren Spruch auf den Lippen habe. Nach einigen Sekunden erklärt unser Boss schließlich: „DiNozzo, du bleibst hier und überwachst die Zufahrt.“ Für einen Moment glaube ich, mich verhört zu haben, doch meine Wahrnehmung hat mich nicht getäuscht, und ich gebe aufgebracht zurück: „Das ist nicht dein Ernst. Ich kann schon auf mich aufpassen. Außerdem könnt ihr jede Hilfe gebrauchen.“ Er weiß, dass ich mit meiner Argumentation Recht habe und hat auch nicht daran geglaubt, dass ich mich seinem Befehl fügen würde. Dennoch ist mir bewusst, dass er mich nur schützen will, denn neben Matt bin ich derjenige, hinter dem Collins her ist. Doch ich würde ohne zu zögern, mein Leben riskieren, um den Jungen zu beschützen und ihm seine Familie zurückzubringen.
Den besorgten Blick meiner Kollegin habe ich wohl wahrgenommen, aber ich ignoriere ihn, denn ich muss mich vollkommen auf meine Aufgabe konzentrieren. Ich habe bereits genug damit zu kämpfen, die Angst um Matt zu unterdrücken, da ist ihr Unbehagen nicht gerade förderlich. Unser Boss blickt mich kurz eindringlich an, bevor er seufzend erklärt: „Keine Alleingänge, DiNozzo!“ Nach einem kurzen Nicken ist für mich die Sache mit Gibbs geklärt, und wir ziehen unsere Dienstwaffen aus dem Holster und gehen langsam die Auffahrt entlang, um uns dann von links und rechts dem Haus zu nähern. Das verlassen wirkende Gebäude liegt etwas abseits der Straße und somit weit genug von den Nachbarn entfernt, dass niemand bemerkt, was hier vorgeht. Das gesamte Grundstück ist verwahrlost, und als wir uns nähern, stelle ich fest, dass bereits der Putz von den Wänden bröckelt und der Großteil der Fenster eingeschlagen ist. Bei jeden Schritt, den wir unserem Ziel näher kommen, frage ich mich, was uns im Inneren erwarten würde. Mir ist klar, dass Collins etwas geplant hat, doch kann ich mir keinen Reim darauf machen, wie er so an Matt herankommen will. Denn dass er hier ist, dessen bin ich mir sicher, da ich mich, wie ich es von Gibbs gelernt hatte, auf meinen Instinkt verlasse. Ich muss nur dafür sorgen, dass dieser sich durch meine Gefühle nicht trüben lässt, denn sonst kann es gefährlich werden. Die Gewissheit, dass mein Schützling im Hauptquartier in Sicherheit ist, lässt mich jedoch ruhiger werden, und ich atme tief durch, um mich wieder zu konzentrieren.

To be continued...

Noch eine kleine Unterbrechung.
 
AW: [NCIS] When your past returns (Wettbewerbsbeitrag)

Unsere Dienstwaffen schussbereit vor unseren Körpern haltend, nehmen wir die Taschenlampen, die uns den Weg durch das heruntergekommene Haus weisen sollen, in die linke Hand. Langsam nähern wir uns dem Gebäude, immer darauf bedacht, keine Aufmerksamkeit zu erregen und trotzdem die Umgebung im Auge zu behalten. Wir teilen uns auf, so dass Kate und ich von hinten eintreten, während Gibbs und McGee die Vordertür nehmen. Wie zu erwarten, sind beide nicht verschlossen, und wir stehen uns wenig später im kahlen Flur gegenüber. Mit einem kurzen Nicken bedeutet unser Boss meiner Kollegin und mir, dass sie die oberen Geschosse durchsuchen, und so steigen wir vorsichtig die ausgetretene Treppe in den Keller hinab. Eine feuchte und modrige Luft strömt uns aus der Dunkelheit entgegen und erschwert das Atmen bei jedem Schritt stärker. Die hellen Kegel unserer Taschenlampen sind das einzige Licht in diesem Raum und lassen uns einen alten Gewölbekeller erkennen, der sich tief unter der Erde befindet. Langsam gehen wir den Gang entlang und öffnen vorsichtig die Türen, um die dahinter liegenden Räume zu überprüfen. Jeder einzelne der Kellerverschläge ist jedoch abgesehen von unzähligen Kisten, Unrat und Dreck vollkommen leer, so dass wir uns langsam weiter vorwärts arbeiten. Während Kate sich dem Raum auf der linken Seite widmet, versetze ich den morschen Latten einer Holztür am Ende des Flurs, die mit einem neuen Vorhängeschloss gesichert ist, mehrere Fußtritte, bis diese endlich nachgeben und nach innen schwingen. Kaum leuchte ich vorsichtig nach rechts in das Zimmer hinein, als ich einen dumpfen Schmerz am Hinterkopf spüre, der mich bewusstlos zu Boden sinken lässt.
Ich bin wohl nur kurz ohnmächtig gewesen, denn als ich vorsichtig meine Augen öffne, beugt sich Collins mit meiner Waffe in der Hand über mich und zieht mich schließlich auf die Füße, nur um mich weiter in den Raum hinein zu drängen. Für einen Moment dreht sich alles um mich herum, und bei dem Griff an meinen Kopf stelle ich fest, dass der Schlag eine Platzwunde hinterlassen hat. „Was wollen Sie?“, zische ich dem Mann entgegen, der mich überheblich angrinst und erwidert: „Sie wissen, was ich will. Ich will endlich Vergeltung. An diesem Bengel und an Ihnen.“ „Ich werde nicht zulassen, dass sie ihn bekommen.“ Nach dieser Aussage bekomme ich die Faust dieses Irren in meinem Gesicht und Sekunden darauf das Knie in meinem Magen, nur wenig gedämpft durch meine Weste, zu spüren. Ich fühle das warme Blut von meiner aufgeplatzten Lippe über das Kinn rinnen und den Schwindel, der mich langsam überkommt. In diesem Augenblick wird die Tür aufgestoßen, Kate erscheint mit ihrer Pistole in der Hand und brüllt: „Lassen Sie sofort die Waffe fallen, Collins.“ Der Angesprochene dreht sich bei ihren Worten nicht um, drückt noch immer den Revolver gegen meinen Hals und erklärt: „Bringen Sie mir den Jungen, dann bekommen Sie ihren Kollegen und die anderen beiden.“ Meine Kollegin weiß so gut wie ich, dass wir Mr. und Mrs. Young ohne die Hilfe dieses Verrückten wohl niemals finden werden. Außerdem kann ich in ihren Augen die Sorge um mich erkennen, so dass ich mit ruhiger Stimme sage: „Kate, ihr dürft nicht auf seine Forderungen eingehen.“ In diesem Moment spüre ich nur noch die Angst um Matt und vergesse die Situation, in der ich mich befinde, doch die Faust in meinem Gesicht lässt die Erinnerung sofort schmerzhaft zurückkehren.
Mein Kopf dröhnt durch den harten Schlag unaufhörlich und gibt mir das Gefühl, explodieren zu wollen, so dass ich Mühe habe, einen klaren Gedanken zu fassen. Das laute Klopfen meines Herzens grollt in meinen Ohren und vermischt sich mit dem Geräusch meines rasselnden Atems, das unnatürlich laut in diesem winzigen Raum widerhallt. Eine eisige Feuchtigkeit kriecht langsam meinen Körper empor, doch vielleicht sind es auch nur die Schmerzen in meinem Gesicht und meinem Magen, die mir diese Kälte vorgaukeln. Der Lichtkegel meiner am Boden liegenden Taschenlampe malt verzerrte Schatten an die Wände des alten Gewölbekellers. Kate steht noch immer unbeweglich in der Tür, doch am Schein ihrer Taschenlampe kann ich das kaum wahrnehmbare Zittern ihrer Hand erkennen. Mit der anderen hält sie ihre Dienstwaffe fest umklammert und richtet diese zielsicher auf den Kopf des Mannes, der mich in seiner Gewalt hat. Plötzlich ertönt in meinem Ohr die entfernte Stimme unseres Bosses, der sich nach unserem Standort erkundigt. Doch der Kerl ist nicht so dumm, wie ich geglaubt habe, denn er hat meinen abwesenden Blick registriert und fordert mich nun energisch auf: „Sagen Sie ihm, dass niemand hier ist.“ Ich nicke meiner Kollegin leicht zu, so dass sie in ihren Sender am Handgelenk antwortet: „Es ist alles in Ordnung, Gibbs. Der Keller ist leer.“ Seine darauf folgenden Worte nehme ich nicht mehr wahr, da Collins seine Pistole erneut schmerzhaft gegen meine Kehle drückt. Mit einem Ruck hat er den Empfänger aus meinem Ohr gerissen, auf den Boden geworfen und wendet sich nun, ohne sich zu ihr umzudrehen, an Kate: „Raus mit dem Ding. Los.“
Doch auch nach mehreren Sekunden bewegt sich meine Kollegin nicht, sondern lauscht nur der Stimme unseres Vorgesetzten, ohne mich aus den Augen zu lassen. Der Mann mir Gegenüber scheint sich jedoch entweder sehr sicher zu sein oder aber kurz davor zu stehen durchzudrehen, da er ihr noch immer seinen Rücken zugewandt hat. Der Griff um meinen rechten Oberarm verstärkt sich, und ich werde unsanft gegen die Mauer hinter mir gedrückt, als er ungehalten faucht: „Wird's bald.“ Doch anstatt seiner Forderung nachzukommen, bildet sich ein selbstbewusstes Grinsen auf ihrem Gesicht und sie erwidert mit übertrieben freundlicher Stimme: „Keine schlechte Idee, die beiden in einem, unter einer Falltür verborgenen, Raum einzusperren.“ Ich kann dabei zusehen, wie Collins bei diesen Worten die Gesichtszüge entgleiten, und in meinem Inneren breitet sich ein zufriedenes Gefühl aus. Dieses wird jedoch abrupt von einem starken Schmerz abgelöst, als er seinen Unterarm unbarmherzig gegen meinen Kehlkopf drückt. In seinen Augen kann ich ein verrücktes Funkeln erkennen, das sogar mir, der noch in jeder Situation Ruhe bewahrt hat, einen unangenehmen Schauer über den Rücken jagt. „Beruhigen Sie sich, Preston“, versucht Kate nun, den Mann mit den Methoden ihrer Profilerausbildung zu beschwichtigen. „Lassen Sie Agent DiNozzo los, dann werden wir darüber sprechen“, fordert sie ihn dann auf, doch dieser lacht nur verächtlich und antwortet: „Ich will den Jungen.“ Plötzlich schießt mir der irrsinnige Gedanke durch den Kopf, dass ich, sollte ich die ganze Sache unbeschadet überstehen, das Gesicht dieses Verrückten wohl niemals wieder vergessen würde. Auch wenn ich mich noch so sehr hinter meiner Fassade aus Witzen und dummen Sprüchen verstecke, gibt es doch Dinge, die mich verfolgen und so schnell nicht wieder loslassen. Eilig verdränge ich diese Überlegungen, denn im Augenblick geht es einzig und allein darum, Matt zu schützen, also flüstere ich eindringlich: „Das werde ich nicht zulassen.“ Kaum habe ich diese Worte ausgesprochen, als ich ein leises Klacken und danach Collins' schneidende Stimme wahrnehme: „Ich werde niemals aufgeben. Ich bekomme meine Rache.“ Daraufhin ertönt ein lauter Knall und sofort ein zweiter.
Ich nehme die beiden Schüsse, die durch den Raum hallen, kaum wahr, alles, was ich spüre, ist der brennende Schmerz, der meinen Hals durchfährt und nicht wieder verschwinden will. Auch dass die Augen des Mannes, der auf mich gefeuert hat, sich entsetzt weiten und er schließlich leblos zu Boden sinkt, bemerke ich kaum. Alles, was ich realisiere sind Kates Hände, die versuchen, meine Wunde zu verschließen und die Blutung zu stoppen. Vermutlich hat sie ihn zuerst getroffen, so dass seine Kugel mich nur gestreift hat, aber auch das ist bereits ausreichend. Meine Beine beginnen zu zittern und geben dann nach, doch meine Kollegin hält mich fest und lässt meinen Körper sanft nach unten gleiten. „Halt durch, Tony. Verdammt, du darfst nicht sterben. Kämpfe gefälligst!“ Ihre verzweifelte Stimme und ihre Worte lassen mich trotz der unglaublichen Schmerzen leicht lächeln, machen sie doch die Angst, die sie um mich hat, deutlich. Der Druck, den sie auf meine Kehle ausübt, ist beinahe unerträglich, doch wie immer lasse ich mir nichts anmerken und setze mein übliches, wenn auch etwas gequältes, Grinsen auf. Immerhin bin ich Meister darin, meine Gedanken und Gefühle vor anderen Menschen zu verbergen. Mit einem lauten Knall wird in diesem Moment die Kellertür erneut aufgestoßen, und dieses unerwartete Geräusch lässt mich zusammenzucken. Kurz darauf stehen Gibbs und McGee im Raum, die fassungslos auf das Bild blicken, das sich ihnen bietet. Caitlin dreht sich nicht zu ihnen um, sondern presst weiter ihre Hand auf meine Wunde, als sie brüllt: „Ruft einen Krankenwagen.“ Sofort reißt sich unser Bambino aus seiner Trance, zückt sein Telefon und verschwindet schnell wieder nach oben.
Ich habe unseren Boss noch nie so erstarrt gesehen, wie er bewegungslos im Raum steht und schweigend auf die Szene blickt. Nach endlos erscheinenden Minuten reißt er sich schließlich los und eilt mit ernster Miene auf uns zu. Nur eine Sekunde später hat er sich neben mich gehockt, gibt mir einen leichten Klapps auf den Hinterkopf und raunt mit beschwörender Stimme: „Ich werde nicht zulassen, dass du stirbst. Ich habe noch nie einen Agenten verloren, und du wirst mir nicht die Bilanz versauen, DiNozzo.“ Sogar in dieser Situation muss ich seine Kopfnüsse ertragen, doch diese Geste zeigt mir auch, wie hilflos er sich fühlt. Auch wenn er es niemals zugeben würde, ist mir dennoch klar, dass er sich verantwortlich fühlt, aber ich hatte ja darauf bestanden, meine Kollegen zu begleiten. In diesem Moment wird mir bewusst, dass ich diese Schläge auf den Hinterkopf vermissen werde, sollte ich aus dieser Sache nicht glimpflich herauskommen. Ich grinse ihn ein wenig schief an und erwidere heiser: „Tut mir leid..., Boss.“ Ein leises Stöhnen kommt über meine Lippen, denn mittlerweile habe ich das Gefühl, dass ein Feuer in meinem Inneren wütet. Unser Boss dreht sich ungeduldig zur Tür, durch die nur wenige Minuten zuvor McGee verschwunden ist, doch draußen bleibt alles ruhig. „Verdammt, wo bleibt der Rettungswagen?“, schreit er daraufhin wütend und hastet den Gang entlang zur Treppe. In der Zwischenzeit hat es Kate irgendwie geschafft, ihre Jacke auszuziehen, ohne ihre Hand von meiner Wunde zu nehmen, und unter meinen Kopf zu legen. Trotzdem spüre ich jeden Knochen, mit dem mein Körper auf dem eiskalten Steinboden liegt, doch der Schmerz in meinem Hals verdrängt dieses Gefühl umgehend.
Ich kann spüren, wie mein Blut aus der Schusswunde, zwischen den Fingern meiner Partnerin hindurch und in einem warmen Strom in meinen Nacken rinnt, um von dort aus auf den Boden zu tropfen. Je mehr dieser roten Flüssigkeit meine Körper verlässt, umso schwächer werde ich, doch sie tut alles dafür, dies zu verhindern. Noch nie war ich ihr so nah wie in diesem Moment, in dem ich sogar ihren Atem auf meiner Wange spüren kann. Ganz plötzlich wird mir klar, wie sehr ich sie vermissen werde, wenn ich jetzt sterbe. Nicht nur unsere kleinen Kabbeleien werden mir fehlen, sondern einfach ihre Anwesenheit und unsere Freundschaft. Vielleicht hätte ja mehr zwischen uns passieren können, wenn ich mich in ihrer Gegenwart nicht ständig wie ein Kleinkind aufgeführt hätte. Ich glaube es nicht, jetzt liege ich tatsächlich hier in diesem muffigen, verdreckten Kellerloch mit einer lebensgefährlichen Schusswunde aus meiner eigenen Waffe und denke darüber nach, ob ich Kate um ein Date hätte bitten sollen. Aber immerhin ist Caitlin Todd eine wunderschöne, intelligente und einfach großartige Frau, die ich jedoch die ganze Zeit über nur als Kollegin wahrgenommen habe. In dieser Situation bereue ich, dass ich es nie getan habe und nun auch niemals mehr würde tun können. Ich frage mich, wie sie wohl darauf reagiert hätte, doch das erfahre ich wohl nicht mehr. Erst als ich ihre undefinierbare Miene registriere, stelle ich fest, dass sich bei diesen Gedanken ein Grinsen auf meinen Lippen ausgebreitet hat. Schweigend blicke ich sie an und versuche, mir jedes Detail ihres Gesichts einzuprägen, um es nie zu vergessen.
Die Erschöpfung beginnt, meinen Körper zu übermannen, so dass ich einfach meine Augen schließe. Nur einen Moment will ich neue Kraft schöpfen, doch sofort schreckt mich Kate ängstlich wieder auf: „Nicht einschlafen, Tony.“ Ich sehe wieder sie an, sie ist mir noch immer so unglaublich nahe, und schüttle kaum merklich meinen Kopf. Der Blick in ihr wunderschönes Gesicht zeigt ihre Angst und Hilflosigkeit, während sich in meinem Inneren eine ungewohnte Ruhe ausbreitet. „Wage es ja nicht zu sterben, DiNozzo“, beschwört sie mich mit zitternder Stimme und drückt ihre Finger noch fester an meinen Hals. Ich spüre, wie mein Herz immer langsamer schlägt und öffne den Mund, doch sie unterbricht mich: „Du musst deine Kräfte schonen.“ Ich sehe in ihre braunen Augen, die mich in diesem Moment so traurig anblicken und lächle sie sanft an. In meinem Hals bildet sich ein überdimensionaler Kloß, und mein Magen zieht sich schmerzhaft zusammen, als ich die Angst darin erkenne. Vorsichtig nehme ich eine ihrer von meinem Blut verschmiertem Hände in meine und flüstere: „Es tut mir leid, Kate. Danke, ... für alles. Bitte... bitte kümmere dich... um Matt.“ Die Worte verlassen meine Lippen mit einem angestrengten Krächzen, doch meine Kollegin hat mich verstanden. Ihr Nicken zeigt mir, dass sie meine Bitte ernst nimmt, und ich weiß, dass sie sich meines Schützlings annehmen wird. Es gibt mir ein zufriedenes Gefühl, ihn in Sicherheit und bald wieder mit seinen Pflegeeltern vereint zu wissen. Die beiden und auch Kate werden für ihn da sein, wenn ich es nicht mehr kann. Ich sehe die Tränen auf ihrem Gesicht glitzern und frage mich plötzlich, ob ich in meinem Leben schon einmal jemanden wegen mir hatte weinen sehen. Noch einmal nehme ich all meine Energie zusammen und streiche ihr sanft über die Wange, bevor mein Arm kraftlos nach unten fällt, Sekunden später mein Herz aufhört zu schlagen und ich meine Augen schließe, um in die erlösende Dunkelheit zu gleiten.


ENDE


Geschafft! Sorry, wegen der vielen Mehrfachposts, aber es paßt leider nicht alles in einen.
Da das Ende ja schon bekannt ist, hab ich micht entschlossen, alles aufeinmal zu posten.
So, jetzt seid ihr dran. :D


Den originalen Wettbewerbsbeitrag findet ihr übrigens hier.
 
AW: [NCIS] When your past returns (Wettbewerbsbeitrag)

wow bemerkenswert was du aus dem kurzen Wettbewerbsbeitrag rausgeholt hast. Die Geschichte ist wirklich gut geworden, sie ist spannend, realistisch und Tony-centered \o/ ich find die Idee toll und süß, dass sich Tony so um den Jungen kümmert. Ich kann mir das richtig vorstellen. Ich finde du hast alle Charaktere gut getroffen, ich könnte mir deine Geschichte gut im TV vorstellen.

Schade, dass die Geschichte gleich endet, wie deine erste Version. Ich hatte gehofft, dass es diesmal ein Happy End für Tony gibt ;) natürlich wirkt so alles viel dramatischer und spannender (wenn man das Ende nicht schon kennt, halt ^^).

great work, keep it up und hoffentlich sieht man bald mehr stuff von dir :)

lg syd
 
Werbung:
AW: [NCIS] When your past returns (Wettbewerbsbeitrag)

Hey Syd!

Vielen lieben Dank für dein FB.
Freut mich, daß dir meine längere Version der Story auch gefällt.
Hab ne Weile überlegt, aber dann doch beschlossen, daß ich ihn sterben lasse.
Ich dachte, so ist es ein wenig realistischer und überraschender.
Naja, zumindest für diejenigen, die den Wettbewerbsbeitrag nicht kennen.

Ich werd bestimmt in ein paar Wochen noch eine (vielleicht auch mehr) FF posten.

LG Claudia
 
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