Folge dem Video um zu sehen, wie unsere Website als Web-App auf dem Startbildschirm installiert werden kann.
Anmerkung: Diese Funktion ist in einigen Browsern möglicherweise nicht verfügbar.
Die Lichter des nächtlichen Savalgor schimmerten sanft und in warmen Tönen herauf zu den Fenstern und Balkonen des Shabibspalasts. Ein milder Regen, den ein warmer Südwind mit sich gebracht hatte, war gerade über der Stadt niedergegangen, hatte die staubige Luft geklärt und die Gassen reingewaschen. Das nasse, dunkle Kopfsteinpflaster reflektierte die Lichter so gut, dass es aussah, als wäre die Stadt heute Nacht zusätzlich erleuchtet.
Alina, die Herrscherin von Akrania, stand auf dem langgezogenen Balkon des Shabibsflügels, starrte versonnen auf die Stadt hinab, ihre Stadt, und dachte dass es ein gutes Zeichen wäre, dass die Stadtwache inzwischen wieder darauf achtete die Hauptstraßen nachts erleuchtet zu halten. Die Bürger taten das ihre dazu, indem sie in den Gassen wenigstens eins ihrer Fenster im Untergeschoss mit einer Kerze erhellten. So etwas verbesserte den Gemeinsinn in der Stadt und schuf ein kleines Gefühl der Sicherheit – etwas, das Savalgor in diesen Tagen bitter nötig hatte. Die Stadt war in den letzten zwei Jahren geradezu ein Spielball des Schicksals gewesen und hatte viel erleiden müssen. Langsam erholte sie sich wieder.
Was nicht auf den Palast zutrifft, dachte Alina bitter.
Bewusst ignorierte sie das, was ihm Zimmer hinter ihr vor sich ging, eine aufgeregte, wie auch missgestimmte Diskussion. Sie starrte hinab auf die Stadt, voller Kummer, die Hände um das Balkongeländer verkrampft - so als könne sie allein mit der Kraft ihres Willens der Stadt das aufzwingen, was jetzt so unsagbar wichtig war: Beständigkeit, Verlässlichkeit, Ruhe. Aber gerade das schien sich in genau die andere Richtung entwickeln zu wollen.
"Haben wir nicht genug gekämpft?", vernahm sie Victors wehmütige Stimme, der unbemerkt von hinten an sie herangetreten war. Sie schmiegte sich dankbar in seine Umarmung, gab sich für Momente einem Gefühl des Beschützseins hin, der Gewissheit, dass sie nicht allein war und nicht allein so dachte. "Haben wir nicht oft genug unser Leben riskiert, nicht genug Opfer erbracht?", fuhr er anklagend fort. "Sind nicht genügend unserer Freunde umgekommen? Ich verstehe das nicht."
Sie tastete nach seiner Hand, legte den Kopf in seine Halsbeuge. "Wir sind zu gut", sagte sie leise. "Zu nett, verstehst du? Wir sollten es so machen die. Weißt du noch, als sie den alten Prälat Falber vergiftet haben? Sie benötigten eine Stimme mehr im Rat, da haben sie einfach einen von der Gegenseite umgebracht. So leicht geht das."
"Du weißt, dass wir das nicht können", erwiderte er in einem Tonfall, als könnte sie das ernst gemeint haben. "Wir würden uns die Mittel unserer Feinde zueigen machen und wären bald nicht besser als sie."
Sie lächelte nur, wandte den Kopf und küsste ihn auf stoppelige Wange. Er war unrasiert, sah überarbeitet und übernächtigt aus. Seit Tagen kämpften sie mit den Ratsherrn, den Gildenabgeordneten und der Stadtverwaltung. Zum Glück standen die Offiziere der Palastgarde bisher noch treu zur Shaba.
Die schöne und kluge Anna Karenina ist zu empfindungsfähig, verlangt zu sehr nach Menschlichkeit, als dass sie die frostige Vornehmheit und gefühllose Engherzigkeit ihres Gatten weiter ertragen kann. Eine Begegnung mit dem jungen Grafen Wronskij auf dem Moskauer Bahnhof löst eine Kette von Ereignissen aus, an deren Ende Anna Karenina in den Freitod geht: Der verzweifelte Kampf um eine Liebe gegen alle gesellschaftlichen und religiösen Konventionen wendet sich gegen diese Liebe selbst, verkehrt sie in Eifersucht, Hass und Hoffnungslosigkeit.
Den verhängnisvollen Stationen dieses Leidensweges stellt Tolstoi antithetisch den jungen, grüblerischen Gutsbesitzer Lewin gegenüber. Während Anna Karenina nach einem unereichbaren, absoluten Glück strebt, sucht Lewin in der Harmonie des tätigen Landlebens nach einem wahrhaftigen Leben, das ihm den Ausgleich zwischen sich und der ihn umgebenden natürlichen Gemeinschaft ermöglicht.
Mit äußerst schwarfem Beobachtungssinn und einer meisterhaften Beherrschung der darstellerischen Mittel charakterisiert Tolstoi in diesem seinem zweiten großen Roman die vielfältigen Formen menschlichen Handelns. In dramatischer Handlungsführung und nie lähmender Fülle der Figuren und Ereignisse dringt er vor bis in die feinsten Nuancen der Gefühle und Antriebe seiner Helden. Gleichzeitig entwirft er ein großartiges Bild der russischen Gesellschaft seiner Zeit, so dass Thomas Mann diesen Roman zu Recht als den "größten Gesellschaftsroman der Weltliteratur" bezeichnen konnte.