[Grey's Anatomy] Forever and one Day
„Bitte rede mit mir, Alex!“
Meine Stimme ist verzweifelt, beinahe flehend, doch mein Ehemann scheint, sie nicht wahrzunehmen, nicht wahrnehmen zu wollen.
In sich zusammen gesunken, kauert er vor dem zerwühlten Bett, starrt regungslos vor sich hin.
Seit Minuten stehe ich vor ihm, versuche verzweifelt, mit ihm zu sprechen, jedoch ohne auch nur den geringsten Erfolg zu haben.
Noch immer verharrt er in der Position, in der ich ihn eine halbe Stunde zuvor fand, als ich unseren Wohnwagen betrat.
Der schönste Tag meines Lebens, unseres Lebens ist erst wenige Wochen Vergangenheit.
Wochen, die ich ununterbrochen im Krankenhaus verbrachte.
Doch nun endlich bin ich zu Hause, kann wieder bei dem Mann sein, den ich über alles liebe.
Nun ist die für mich schlimmste Zeit, die Zeit der Todesangst vorüber.
Ich spüre wieder, dass ich noch nicht tot bin, spüre, dass am Ende vielleicht alles gut wird.
Lange glaubte ich nicht mehr daran, aber jetzt lasse ich zum ersten Mal einen winzigen Funken Hoffnung zu.
Dennoch hätte ich nicht erwartet, auf diese Art zum ersten Mal hierher zu kommen.
Etwas in meinem Inneren wünschte sich einen anderen Empfang, wünschte sich einen Ausdruck des Willkommens.
Aber die wenigen Minuten, die mich vom Krankenhaus an diesen Ort führten, legte ich allein mit einem Taxi zurück, anstatt von meinem Mann begleitet zu werden.
Die Welle der Enttäuschung, die mich bei dieser Erkenntnis heute Morgen einholte, ist noch immer nicht völlig verebbt, hält mich auch weiterhin gefangen.
Wenn ich mich nun jedoch in dem Wohnwagen umsehe, den Derek uns überließ, um uns ein wenig Zweisamkeit zu ermöglichen, kann ich meine widersprüchlichen Gefühle kaum kontrollieren.
Die winzigen Räume, die eher spartanisch ausgestattet sind, offenbaren ein völliges Durcheinander, ein Durcheinander, das sogar für ihn ungewöhnlich ist.
Im Grunde liebe ich ihn für sein Chaos, eine Tatsache, die ich vermutlich niemals eingestehen würde, die ich vor allem meinem Ehemann nicht eingestehen würde.
Die Unordnung, die sich hier jedoch in jedem einzelnen Winkel ausgebreitet hat, will für mich überhaupt nicht zu ihm passen.
Auf den Schränken der Küchenzeile stapeln sich Töpfe und Geschirr, von denen ich nicht wissen möchte, wie lange diese bereits dort stehen.
Den Fußboden entlang weisen zerknitterte Kleidungsstücke eine deutliche Spur, die sich durch die gesamte Wohnung zieht.
Sogar den kleinen Tisch sowie die beiden Stühlen daneben verdecken halb zerknüllte Papiere und Zeitungen.
Mit einem leisen Seufzen unterdrücke ich den Impuls, ein wenig Ordnung in dieses Durcheinander bringen zu wollen, wende mich stattdessen erneut meinem Mann zu.
Seine Miene ist zu einer versteinerten Maske erstarrt, lässt nicht die kleinste Gefühlsregung erahnen.
Zögernd löse ich mich aus meiner passiven Position, trete langsam auf ihn zu.
Neben ihm lasse ich mich in die Hocke sinken, während er meine Nähe nicht einmal zu realisieren scheint.
Vorsichtig strecke ich meine Hand nach ihm aus, möchte sanft über seinen Arm streichen, nur um sie schließlich wieder sinken zu lassen.
„Es tut mir leid, Alex.“
Meine gedämpfte Stimme vermag nur leidlich das Zittern zu verbergen, das diese Worte begleitet.
Die Angst, ihn nach dieser schlimmen Zeit am Ende vielleicht noch zu verlieren, hat sich in meinem Inneren festgesetzt, lässt sich nicht wieder vertreiben.
Nur mit Mühe kämpfe ich mittlerweile gegen meine Gefühle, versuche, meine Tränen zurück zu halten, die mir sein verbissenes Schweigen in die Augen treibt.
Aber auch weiterhin macht er keine Anstalten, mir zu antworten oder sich mir auch nur zuzuwenden.
Während die Hilflosigkeit immer stärker von mir Besitz ergreift, beginne ich schließlich, einfach weiter zu sprechen, in der Hoffnung, ihn zu erreichen.
„Ich war undankbar und egoistisch. Du warst die ganze Zeit für mich da. Bist mir nicht von der Seite gewichen. Und ich habe dich angeschrien.
Ich wollte dich nicht verletzen. Aber es war alles zu viel für mich. Deine Fürsorge. Meine Angst. Es tut mir so leid.“
Nun kann ich nichts mehr dagegen tun, dass sich die ersten Tränen lösen und meine Wangen hinab rinnen, dass sich ein leises Schluchzen aus meiner Kehle löst.
Mittlerweile erscheint mir unser Streit so sinnlos, verdeutlicht mir meine Krankheit doch nunmehr, dass wir nur unnötig Zeit verschwenden, kostbare Zeit.
Bisher war er stets derjenige, der sich zurückzog, wenn ihm ein Mensch zu nahe kam, doch dieses Mal war ich es, die ihn von sich stieß.
Meine Angst war so groß, dass sie mich nicht länger vernünftig denken, vernünftig handeln ließ.
Meine Angst vor dem Tod war zu übermächtig.
So sehr er auch versuchte, mir beizustehen, glaubte ich doch, es im Grunde allein schaffen zu müssen.
Aber nun, nachdem ich die wochenlangen Qualen überstand, ist mir eines nur noch klarer geworden.
Er ist die Liebe meines Lebens, die ich niemals verlieren will.
Lediglich durch ihn hatte ich die Kraft zu kämpfen, denn er gab mir den Halt, den ich in dieser schweren Zeit so dringend brauchte.
Und ich habe den Wunsch, dieses Gefühl in Worte zu fassen, ihm zu vermitteln, wie wichtig er für mich ist.
Auch wenn ich es vermutlich niemals wirklich ausdrücken kann, muss ich es dennoch versuchen.
„Ich liebe dich, Alex. Ich liebe dich mehr als alles andere.“
Während ich jedoch wenigstens ein kleines Lächeln erwartet habe, antwortet er lediglich, indem er sich aus seiner Starre erhebt, um nun unbeweglich in dem kleinen Raum zu verharren.
Verwirrt wandert meine Augenbraue nach oben, setze ich an, etwas hinzu zu fügen, als er mich einfach stehen lässt, sich abwendet und durch die Tür tritt.
Eilig folge ich ihm, will ihn dazu bringen, mit mir zu sprechen, bevor mich eine heftige Handbewegung seinerseits, die all unsere Sachen von der Kommode schleudert, abrupt inne halten lässt.
Doch nur Sekunden später wird mein Blick, der noch immer ungläubig über die verstreuten Bücher und CDs wandert, von ihm angezogen.
Mittlerweile scheint er, sich in einen Ausbruch der Wut hinein zu steigern, anders ist sein Verhalten wohl kaum zu beschreiben.
Unfähig, mich nur zu bewegen, geschweige denn, ihn aufzuhalten, sehe ich tatenlos dabei zu, wie er den gesamten Wohnwagen förmlich verwüstet.
Ein Apfel, der über den Boden rollt, vermischt sich mit den Scherben des Geschirrs und den Resten einer zerbrochenen Bierflasche.
Ich möchte ihn anschreien, will ihn dazu bewegen, mich wahrzunehmen, doch seine Erscheinung lässt jedes Wort in meiner Kehle ersticken.
Sein ausgezehrt erscheinender Körper sinkt förmlich gegen den Türrahmen, an den er erschöpft seinen Kopf lehnt.
Mittlerweile brechen seine Gefühle aus ihm heraus, glaube ich, ein leichtes Zittern seiner Schultern zu realisieren, während kein einziger Ton seine Lippen verlässt.
Bisher war dieser Mann immer stark, sah ich ihn doch nur ein einziges Mal weinen, doch nunmehr scheint er vollkommen kraftlos zu sein.
Jetzt möchte ich für ihn der Fels in der Brandung sein, möchte ihm den Halt, die Kraft geben, die ich in den vergangenen Wochen suchte und bei ihm fand.
Die Schritte, die mich zu ihm führen sollen, halten unwillkürlich inne, als er sich aus seiner Trance reißt.
Regungslos beobachte ich, wie seine Hand nach unserem Hochzeitsfoto greift, bevor er es beinahe wehmütig betrachtet, während eine seiner Tränen darauf hinab fällt.
Doch in dem gleichen Atemzug versteinert seine Miene erneut, ballen sich seine Finger zur Faust, bevor der Bilderrahmen mit Schwung an der Wand zerschellt.
Die Glasscherben sind kaum zu Boden gefallen, als er sich bereits abwendet, um förmlich aus dem Wohnwagen zu fliehen.
Für einen Moment brodelt der Zorn in meinem Inneren nach oben, bin ich versucht, ihn ziehen zu lassen, bevor ich ihm seufzend nach draußen folge.
Ich bemerke den durch seinen Fußtritt umgestoßenen Mülleimer nicht, der unzählige noch immer gefüllte Pizzakartons auf der Wiese verteilt.
Eilig folge ich meinem Mann, der in seinem Gefühlsrausch den Weg entlang läuft, habe Mühe, mit ihm Schritt zu halten.
„Alex, warte! Bleib stehen, verdammt!“
So laut meine Stimme auch über die Weite schallt, bringt sie ihn nicht dazu, seine Schritte zu verlangsamen.
Stattdessen strebt er entschlossen die kleine Straße an, ohne auch nur seinen Blick zu heben und das Auto zu bemerken, das hier außerhalb der Stadt ein rasantes Tempo fährt.
Ich schnappe panisch nach Luft, während mein Herz heftig in meiner Brust schlägt, meine Kehle wie zugeschnürt erscheint.
Mein gellender Schrei hallt in den Bäumen wider, um schließlich ungehört zu verklingen.
„Alex, pass auf!“
Die quietschenden Reifen klingen dröhnend in meinen Ohren, während mich meine Füße mechanisch zu ihm tragen.
Neben dem leblosen Körper meines Mannes sinke ich auf die Knie, streiche mit zitternden Fingern über seine Wange.
Die rote Flüssigkeit, die seine Haut benetzt, nehme ich kaum wahr, starre lediglich in seine Augen, die mich zum ersten Mal an diesem Tag zu realisieren scheinen.
Ein leichtes Lächeln legt sich auf seine Lippen, während er meinen Blick förmlich gefangen nimmt.
„Bitte tu mir das nicht an! Du musst kämpfen.“
Auch diesmal reagiert er nicht auf meine Worte, sieht mich nur stumm an, einen Ausdruck der Zufriedenheit, der inneren Ruhe auf dem Gesicht.
Eine unangenehme Gänsehaut rinnt über meinen Rücken, als ich begreife, was sein Verhalten bedeutet.
Meine Hand fasst unwillkürlich nach der seinen, hält sie umklammert, um ihn so bei mir zu halten, auch wenn ich im Grunde weiß, dass ich nichts tun kann.
„Ich liebe dich, Izzie. Nichts wird uns jemals trennen können.“
Das stumme Schluchzen, das meine Kehle verlässt, hält den Schrei der Verzweiflung zurück.
Mein Herz zerspringt bei diesem Anblick in meiner Brust in unzählige Stücke, lässt lediglich einen Scherbenhaufen zurück.
Doch ich kann nichts gegen die Hilflosigkeit tun, die mich in diesem Moment übermannt.
Und so verharre ich an diesem Ort, halte die Hand meines Mannes, um ihm Kraft zu geben, erwidere den Blick aus seinen stumpfen Augen, sehe, wie das Leben daraus entweicht, bevor sie sich mit seinem letzten Atemzug endgültig schließen.
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Die Tür des verlassenen Wohnwagens steht noch immer offen, doch nicht einmal ein ungebetener Besucher hat sich an diesen Ort verirrt.
Die beinahe friedliche Stille, die sich über diesem abgeschiedenen Teil der Stadt ausgebreitet hat, ist jedoch trügerisch.
Ein genauer Blick in das Innere offenbart das Chaos, das seit Wochen in den winzigen Räumen zu herrschen scheint.
Einzig ein kleiner Zeitungsausschnitt, wenige Worte, zurück gelassen auf dem Boden vor dem Bett, will nicht an diesen Platz gehören.
Isobel Catherine Stevens
* 11. September 1971 † 14. Mai 2009
Der Tod kann mich von dem Menschen trennen,
Der zu mir gehörte,
Aber er kann mir nicht das nehmen,
Was mich mit ihm verbindet.
In tiefer Trauer und ewiger Liebe nehme ich Abschied von meiner geliebten Ehefrau,
die der Tod viel zu früh aus unserem gemeinsamen Leben riss.
Alexander Michael Karev
sowie Kollegen, Freunde und Familie des Seattle Grace Hospital
ENDE