Cellardoor
Neues Mitglied
Gomorrha
Reise in das Reich der Camorra.
Ausgezeichnet mit dem Premio Viareggio-Repaci 2006
und dem Premio Giancarlo Siani 2006
Die süditalienische Camorra mischt mit im internationalen Drogenhandel, verschiebt riesige Mengen Giftmülls in Italien, macht gewaltige Geschäfte mit der Herstellung billiger wie hochwertiger Textilien, hat praktisch das Monopol auf den Handel mit Zement - und Geschäftsbeziehungen, die bis nach Deutschland, Schottland oder China reichen. Der junge Journalist Roberto Saviano hat unter Einsatz des eigenen Lebens vor Ort in Neapel recherchiert, Beweise geliefert und ein brillantes Buch geschrieben, das dem Leser den Atem nimmt. In Italien schlug es ein wie eine Bombe, der Autor war damit schlagartig berühmt - aber auch gefährdet. Saviano lebt inzwischen im Untergrund.
Erschienen: 08.2007
ISBN-10: 3-446-20949-2
ISBN-13: 9783446209497
Übersetzt von: Friederike Hausmann, Rita Seuss
Mitarbeiter: Hausmann, Friederike
Einband: gebunden
Erschienen bei: Hanser
Seitenzahl: 384
Sprache: Deutsch
Quelle: thalia.at
Zur Zeit wird ja überall über dieses Thema und vorallem über dieses Buch diskutiert. Ich bin durch einen Zeitungsbericht auf das Buch und den Autor aufmerksam geworden.
Wenn ich mir denke, Roberto ist gerade mal ein paar Jahre älter als mein Bruder und kann nicht ohne Bodyguards auf die Straße und muss alle 3 Tage seinen Aufenthaltsort wechseln...und das nur wegen diesem Buch. So ein Leben würde ich nicht wollen.
Leider bin ich selber noch nicht dazu gekommen, es zu lesen, aber da ich ein Italien-Fan bin und so ziemlich alles über die italienische Mafia lese, werde ich mir das Buch wohl zu meinem Geburtstag schenken lassen.
Hat es jemand von euch schon gelesen? Und wenn ja, wie findet ihr es?
Fall's jemand Interesse daran hat, hier gibt's eine Leseprobe im PDF-Format:
Leseprobe "Gomorrha" PDF
Hier noch ein 'kleines' Interview, dass ich aus der Salzkammergut Rundschau vom 26. August '07 herausgeschrieben habe.
„Viele Unschuldige am Leichenberg“
Für sein Buch recherchierte Roberto Saviano verdeckt in der neapolitanischen Verbrecherorganisation Camorra. Nach der Veröffentlichung bekam er Morddrohungen und tauchte unter. Ein Gespräch auf der Flucht. - Von Gregor Hoppe und Lars Reichardt
Herr Saviano, wie gut ist das Gedächtnis der Camorra?
Sehr gut. 1993 hatte ein Clan in Neapels Stadtteil Secondigliano den Erben eines anderen Clan-Bosses umgebracht, man nannte ihn den „Kleinen Prinzen“. Am nächsten Tag hängte der Clan des Kleinen Prinzen eine Liste an die Kirchentür, mit den Namen all derer, die man für verantwortlich hielt. Die Liste bedeutete: Übergebt sie uns, sonst werden ihre Verwandten büßen. Den Vorletzten haben sie letztes Jahr umgebracht, also 13 Jahre nach dem ersten Mord. Der Letzte auf der Todesliste sitzt noch, man wartet mit der Hinrichtung bis zu seiner Entlassung.
Wie lange wird die Camorra wohl bei Ihnen auf Rache sinnen?
Schwer zu sagen. Die Camorra verändert sich ja ständig. Wer mich heute hasst, kann morgen schon tot sein. Allerdings haben die Carabinieri in meinem Fall einige Anzeichen dafür gefunden, dass man sich noch lange an mich erinnern wird. Nach dem Motto: Wir warten, bis die öffentliche Aufmerksamkeit abebbt.
Welcher Camorra-Clan will Sie töten?
Vor allem der mächtige Clan der Casalesi, über den vor meinem Buch nie geredet wurde, zumindest nicht landesweit. Zwei Casalesi-Bosse sind seit zehn Jahren untergetaucht, ein dritter namens Francesco Schiavone, Spitzname Sandokan, wurde letztes Jahr in erster Instanz verurteilt. Es war der wichtigste Mafiaprozess seit Jahren, aber er fand in Italien kaum Aufmerksamkeit. Dabei soll es natürlich auch während der Berufungsverhandlung bleiben, damit die Richter nicht unter öffentlichen Druck geraten. Deswegen stört mein Buch den Clan so sehr.
Schiavones Bruder Walter dürfte Ihnen ohnehin nicht wohlgesonnen sein. Sie haben sich in Ihrem Buch über seine Villa lustig gemacht.
Walter Schiavone hat sich offenbar sehr aufgeregt. Aber nicht etwa, weil ich über seine Verbrechen oder seine leer stehende Villa berichte, sondern weil ich in sein Klo gepinkelt habe und das auch noch erwähne. Das ist natürlich eine Provokation für ihn, aber so war es auch gemeint.
Die Villa ist übrigens sehr schön. Schiavone hat sich die gleiche große Treppe bauen lassen, wie sie Tony Montana in dem Film Scarface hatte. Schiavone zieht sich auch so an wie Montana und spricht wie er. Tony Montana ist für alle Männer in der Camorra der Mythos Nummer eins. Einer, der's allein schafft, die Welt zu erobern. Der sich alles nimmt, was er will. Und bereit ist, dafür zu sterben.
Schauen sich Camorra-Leute gerne Mafia-Filme an?
Das Kino bestimmt sogar ihre Mode, schließlich sollen die Leute einen auf der Straße auch erkennen können. Als man Cosimo Di Lauro, den Sohn eines Camorra-Bosses, verhaftete, riefen kleine Kinder am Straßenrand „Die Krähe, die Krähe“ - Di Lauro war wie Brandon Lee im Film Die Krähe gekleidet. Die vor zwei Jahren erschossene Patin Immacolata Capone zog sich an wie Uma Thurman. Man hält die Pistole heute auch nicht mehr gerade, das ist altbacken. Man hält sie beim Abfeuern quer wie die Jungs aus Pulp Fiction. Neapolitaner sind davon besessen, sich zu zeigen, Angst zu verbreiten. Sizilianer wie Bernardo Provenzano stellen ihre Macht nicht so obszön zur Schau.
Scarface aus dem Jahr 1931 war ja auch ein Film über Al Capone, der kein Sizilianer war; seine Familie stammte aus einem Dorf nahe dem Vesuv. Mario Puzo, der Autor von Der Pate, ist auch kein Sizilianer. Puzos Figur Vito Corleone hatte kein sizilianisches Vorbild, sondern Frank Tieri, einen Italo-Amerikaner aus Neapel.
Sie haben undercover als Lagerist im Hafen von Neapel für die Camorra gearbeitet, sind monatelang mit kleinen Dealern durch die Vororte gestreift, haben kleine Textilfabriken und große Baufirmen der Camorra beobachtet – warum haben Sie sich für ein Buch in so große Gefahr begeben?
Aus Wut. Das mag kein edles Motiv sein, aber ich wollte nicht nur Zeugnis ablegen, ich wollte meiner Wut mit dem Tippen Luft machen. Ich habe zu viele Unschuldige auf dem großen Leichenberg der Camorra landen sehen, lauter Jungs, die nichts mit ihr zu tun haben wollten.
Wer weiß eigentlich, wo und mit wem Sie sich im Augenblick aufhalten?
Meine Familie, meine Leibwächter, sonst eigentlich niemand. Nicht einmal meine Freunde.
Wo sind Ihre Leibwächter?
Ich habe sie zum Essen geschickt. Inzwischen bin ich mit denen ja schon befreundet. Ich besitze die sogenannte dritte Schutzstufe: gepanzerter Wagen, zwei Carabinieri rund um die Uhr. Im Süden Italiens gehören Leibwächter zum Alltag. Hier in Rom nicht, aber in Kampanien sind Leibwächter ein Statussymbol, auf das kein Bürgermeister verzichtet, selbst wenn er nur einen Chauffeur bräuchte.
Leben Sie inzwischen in Rom?
Ich lebe nirgendwo mehr, sondern wechsle alle zwei, drei Tage meinen Aufenthaltsort.
Haben Sie Angst?
Nicht vor dem Tod. Ich fürchte mich weit mehr vor der Verleumdung durch die Camorra: Als ein Clan den Pfarrer in meinem Heimatort Casal di Principe umbrachte – ich war damals noch ein Kind –, behauptete man sofort, er habe die Mädchen betatscht und sei pervers gewesen. Jede Stimme, die sich gegen die Verbrecher erhebt, wird desavouiert. Vor körperlicher Gewalt fühle ich mich durch meine Leibwächter recht gut geschützt. Allerdings ist meine Bewegungsfreiheit stark eingeschränkt.
Bereuen Sie, das Buch geschrieben zu haben?
Das nicht, aber natürlich vermisse ich mein altes Leben. Insofern hat das Buch mein Leben ruiniert. Ich bin ja kein Staatsanwalt oder Mafia-Ermittler, ich bin Schriftsteller, der gern auch mal über andere Dinge schreiben würde, aber so ein Buch brandmarkt dich und nimmt dir auch die Leichtigkeit für andere Themen. Am meisten tun mir allerdings meine Eltern leid. Sie werden bis heute geschnitten. Anfangs erzählte ich, sie hätten mit mir gebrochen, damit man sie nicht in Sippenhaft nimmt.
Leben Sie wie ein untergetauchter Mafioso?
Ja, nur haben die Untergetauchten mehr Angst. Ich bin fröhlicher. Camorra-Leute im Untergrund müssen sich selbst vor den eigenen Leuten fürchten. Aber seit ich mit Leibwächtern lebe, gleichen sich unsere Leben immer mehr an. Staatsanwälten, Richtern und Ermittlern geht es ebenso. Besser geht es nur Camorristi, Mitgliedern eines Clans, die sich noch frei bewegen können.
Befinden sich denn viele Camorra-Leute auf der Flucht?
Einige. Bosse wie die Gebrüder Russo, die mit ihrem Boot die Erde wie ein Tsunami umkreisen. Sie gehen nie an Land. Andere haben nie ihr Heimatdorf verlassen: Michele Zangaria, Antonio Iovane - die sind seit elf Jahren in einem Ort mit zwanzigtausend Einwohnern nicht aufzufinden. Michele Zangaria versteckte sich sogar einmal in einer Kirche, in einem eigens eingebauten Versteck. Er traf seine Leute im Beichtstuhl, saß dort, wo der Priester sitzt.
Wie viele Clans gibt es in Neapel?
Hunderte von kleinen Banden, die auf Erpressung spezialisiert sind, bis hin zu den großen Unternehmerkartellen, die überall auf der Welt ihre Finger drin haben.
Wann sind Sie aus Neapel geflüchtet?
Freitag, den 13. Oktober vergangenen Jahres. Die Drohungen häuften sich damals.
Vermissen Sie die Stadt?
Sehr. Trotz aller Widersprüche, trotz der Anschuldigung seitens der Stadtverwaltung, ich hätte Neapel mit Dreck beworfen. Aber ich liebe meine Heimatstadt, nur deswegen konnte ich so viel von ihr erzählen.
Trauen Sie sich noch nach Neapel?
Ja, aber nur mit der Eskorte. Ich stehe auch in ständigem Kontakt mit der örtlichen Anti-Mafia-Einheit und den Carabinieri, die mich beschützen. Das ist schön: Beide Gruppen haben sich sofort um mich geschart. Damit haben sie auch den Wert meines Buches anerkannt. Das kommt nicht oft vor in Italien. Intellektuelle gelten zumeist als harmlose Narzissten.
Stimmt es, dass erst ein Aufruf Umberto Ecos dazu führte, dass Sie Geleitschutz bekamen?
Nein, ich bin Eco sehr dankbar, aber er mahnte nur, Menschen in meiner Lage nicht im Stich zu lassen. Heute schützt mich ohnehin mein Ansehen, man kennt mein Gesicht. Für Unbekannte ist es viel gefährlicher, sich gegen die Camorra zu stellen. Vor ein paar Jahren haben sie den Gewerkschafter Federico del Prete umgebracht. Ein Kronzeuge berichtete, die Bosse hätten sich vor dem Mord über seinen Bekanntheitsgrad informiert: „Werden die Zeitungen über ihn berichten?“ – „Nein.“ – „Das Fernsehen?“ – „Nein.“ – „Dann können wir's machen.“
Wie gesagt...ein ganz 'kleines' Interview. Was da drinnen steht find ich ja schon sehr heftig...
LG
Blutengel