Assassine. Prolog.
Prolog.
Hast du jemals versucht dir eine Welt vorzustellen, die gut ist?
Ich habe es versucht. Mir ist es nicht gelungen.
Es ist so lange her, dass ich nicht einmal zu sagen vermag, es sei wahr. Ich kann lediglich sagen „Sie sagen, es sei wahr.“ und hoffen, dass du dich damit zufrieden gibst. Angeblich soll die Welt einst in Frieden gelebt haben. Die Menschen waren einander Freund, nicht Feind, und teilten ihre Habe untereinander. Ohne jegliche Anzeichen von Selbstsucht hatte sich ein Zusammenleben organisiert, in dem jeder seinen Platz und alles seine Ordnung hatte. Bis eines Tages eine verheerende Dürre ausbrach.
Als die Menschen vor die Wahl gestellt wurden, das Leben eines anderen oder das eigene zu retten, waren sie überfordert. Zunächst lief es fort, wie gehabt. Doch Schmerz ist ein unerbittlicher Lehrer. Schon bald war das erste, das dem Menschen nach dem Aufwachen in den Sinn kam, er selbst. Niemand wog mehr ab, wer Nahrung nötiger hatte. Jedem war bewusst, dass der, der heute auf sein Essen verzichtete, morgen der sein konnte, dem man das Essen verwehrte. Der Zwietracht schlich sich sogar in Familien und sorgte dafür, dass sich Ehen zerstritten und Brüder einander das Leben trachteten. Es war ein grausamer Anblick als unter der brütenden Hitze und den verdorrten Feldern nur mehr verkümmerte Menschen zu finden waren.
Es hatte nur Tage gedauert, bis der Mensch seine Menschlichkeit zerstört hatte. Es dauerte zwei Monate, bis jemand versuchte, die Wogen zu glätten. Ein junger Mann war es, der vorschlug, sich auf Gesetze zu einigen, die das Wohl aller unterstützen sollten. Nach seinem Denken sollte ein Mensch erst dann gezwungen sein, sein Essen zu teilen, wenn er genug hatte, um das eigene Überleben zu sichern. Im Umkehrschluss aber, habe er all das, was darüber hinausreichte, abzugeben. Die Rationen waren gering und der Hunger blieb. Aus Angst aber, man könnte eines Tages einen elenden Hungertod sterben, stimmte man ein. Aus dem Mann wurde ein König, der über den gesamten Kontinent regierte.
Nach drei weiteren Monaten regnete es. Endlich. Die Felder blühten auf und die Anspannung verlor sich. Dennoch entschied man sich den König zu belassen. Auch wenn die letzten Monate der Dürre ohne nennenswerte Todeszahlen überbrückt werden konnten, hatte sich das Denken der Menschen verändert. Wo einst der Sinn der Gemeinschaft stand, war nun nur noch Egoismus zu finden. Die Gesetze, die man erlassen hatte, mochten das Überleben gesichert haben. Jedoch waren es die Gesetze gewesen, die diejenigen, die genug Nahrung gehabt hätten, ebenfalls zum Hunger verdammt hatten. Nun, da die Dürre vorüber war, gab es keine Furcht mehr, die den Sinn der Gesetze verteidigte. Aber es gab Streit und Zorn und Hass, die nach neuen Gesetzen verlangten. Gesetze, die aus „richtig für mich“ „falsch“ und „böse“ machten. Die Worte „Falsch“ und „Böse“ hatte man sich sogar ersinnen müssen.
Trotz aller Differenzen konnte man den Herrscher als „gerecht“ bezeichnen – sofern einem die neue Bedeutung von Recht und Unrecht schon bekannt war. Er bemühte sich stets die Welt zu der zu machen, die sie einst war. Doch der Teufelskreis, den die bisher erlassenen Gesetze angetrieben hatten, ließ sich nicht mehr aufhalten. Vor allem diejenigen, die alt und dem Tode nahe waren, behaupteten, man habe das Böse durch die Erfindung seines Namens erst erschaffen.