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Was die dumme Liebe aus uns macht - Avi's OneShots and Similar Stuff

AW: Was die dumme Liebe aus uns macht - Avi's OneShots and Similar Stuff

Engelchen, flieg

Ich bin kein Mensch, der gern über sich selbst spricht. Zugegeben, mein Leben mag vielen interessant erscheinen, doch eigentlich bin ich… ich. Nur ich, Katja Hansen. In meinem Beruf habe ich oft mit Menschen zu tun, die etwas über andere Personen in Erfahrung bringen wollen. Ob nun über Bekannte, Freunde oder Familie, sie machen sich Sorgen. Ich selbst habe keine Familie, mein Mann Sebastian ist vor zwei Wochen gestorben und hat mich allein zurückgelassen. Nun… nicht ganz allein. Ich bekomme ein Kind. Es war immer mein größter Wunsch, eines Tages eine Familie zu gründen, mit dem Mann, den ich über alles liebe, glücklich zu werden. Glücklich… das waren wir auch. Einzig und allein ein Baby zu bekommen hätte es noch perfekt machen können. Jeden Tag, kurz vor dem Einschlafen, schloss mich Basti fest in seine Arme und flüsterte mir etwas ins Ohr. Abend für Abend, immer etwas anderes. Wir liebten solche kleinen Rituale. „Wenn du mir jetzt noch eine kleine Tochter schenkst, Engelchen… Dann machst du mich zum glücklichsten Mann der Welt…“
Am Tag darauf erfuhr ich von meiner Schwangerschaft. Unser Traum war in Erfüllung gegangen. Ich beschloss, ihm bei einem romantischen Abendessen damit zu überraschen, doch noch am selben Abend bekam ich einen Anruf von der Polizei. Ein schwerer Unfall auf der Hauptstraße hatte ein Menschenleben gefordert, ich sollte die Leiche identifizieren. Es war Basti. Er hat niemals erfahren, dass er Vater wurde. Jetzt muss ich allein für mein Kind sorgen, habe niemanden, der mir dabei helfen kann. Doch ich habe mir eines geschworen. Egal, was geschieht, ich werde meiner Tochter eine Mutter sein, mich um sie kümmern, so wie ich es mir in meiner Jugend viele schlaflose Nächte lang ersehnt habe. Ich hatte nie Eltern, die für mich da waren, mich in die Arme schließen konnten, wenn ich traurig war. Oder Geschwister, mit denen ich streiten konnte… Ich war ganz allein, hatte niemanden. Aufgewachsen bin ich im Waisenhaus, meine Familie kam kurz nach meiner Geburt ums Leben. Viele Jahre lang hab ich mir nichts mehr gewünscht, als eines Tages adoptiert zu werden, doch dieser Traum wurde niemals wahr.
Ich war überall die Außenseiterin, die auf sich allein gestellt war, hatte keine Freunde. In der Schule war ich die Streberin, die nichts anderes im Kopf hat, als ihre Bücher, im Heim nur das hässliche Entlein, nur weil ich mein Geld lieber sparte, als es für Sachen wie Wimperntusche oder Lippenstifte auszugeben. Niemand wollte etwas mit mir zu tun haben und so sehr ich mich auch bemühte, es war, als wäre ich unfähig, Kontakte zu knüpfen. Selbst die Betreuer schienen mich zu hassen. Wenn ich einmal nicht pünktlich im Bett gewesen war, oder einer der Jungs es wieder geschafft hatte, mich für eine Tat verantwortlich zu machen, die ich nicht begangen hatte, wurde ich härter bestraft als alle anderen. Es kam vor, dass ich in meinem Zimmer eingesperrt wurde, ohne etwas zu essen zu bekommen, oder ich wurde geschlagen, oft stundenlang. Niemand wusste, was hinter den verschlossenen Türen im Waisenhaus vorging, und die, die davon erfahren hatten, fürchteten die Leiter zu sehr, um bei der Polizei eine Aussage zu machen. Ich habe mich oft gefragt, wieso ausgerechnet ich von allen so sehr verabscheut wurde, warum niemand etwas mit mir zu tun haben wollte und wie es wohl wäre, wenn ich nicht existieren würde. Doch ich hatte zu große Angst, um wegzulaufen, so fand ich nie eine Antwort und es blieb mir keine andere Wahl, als mein Schicksal zu akzeptieren.
Kurz nach meinem 18. Geburtstag wurde ich schließlich mit den Worten „Viel Glück für die Zukunft“ und 500€ aus dem Heim entlassen. Ich hatte großes Glück, denn ich fand schnell einen Job, mit dem ich mich über Wasser halten konnte und da meine schulischen Leistungen immer sehr gut gewesen waren, wurde mir ein Stipendium für die Universität gewährt. Dort lernte ich Sebastian kennen.
Nun, man könnte meinen, er würde jemandem wie mir keine Beachtung schenken, nicht einmal den Namen des Mädchens kennen, das ihn so sehr begehrte, doch es kam alles anders als erwartet. Eines Tages kam Basti nach einer Vorlesung auf mich zu und fragte mich, ob ich Lust hätte, mit ihm am Abend etwas trinken zugehen, ich wäre ihm vor längerer Zeit schon aufgefallen, aber er hätte sich bis zu diesem Zeitpunkt nicht getraut, mich anzusprechen. Zuerst hielt ich es für einen schlechten Scherz, in den 18 Jahren meines Lebens hatte ich gelernt, nur mir selbst zu trauen, doch als ich ihm in die Augen sah, konnte ich Aufrichtigkeit darin lesen. Und ich willigte ein. Noch in der Bar kam es zu unserem ersten Kuss, am Morgen danach gestand er mir, sich von Anfang an in mich verliebt zu haben. In diesem Moment war ich so glücklich wie niemals zuvor. Ich spürte, dass ich Sebastian vertrauen konnte, so erzählte ich ihm von meinen Ängsten und geheimsten Wünschen, die ich viel zu lange mit niemandem teilen konnte. Ein Leben ohne ihn war innerhalb kürzester Zeit völlig unmöglich für mich geworden, denn er gab mir das Gefühl der Geborgenheit, die Gewissheit, jemanden zu haben, der mich liebte, bei dem ich sicher war. Doch es blieben auch Zweifel. Ich konnte mir nicht vorstellen, wieso ausgerechnet ich einen so wunderbaren Mann wie Basti verdienen konnte, auf der Universität war ich immerhin für alle unsichtbar. Natürlich merkte er, dass ich mir immer noch zu viele Gedanken machte. Er nahm mich mit in sein Zimmer und schloss mich dort fest in seine Arme. „Ich verspreche dir, Engelchen... Eines Tages wirst auch du lernen, wie man fliegt.“
Dieser Tag, obwohl wir erst sechs Monate ein Paar waren, war der Tag unserer Verlobung.
In derselben Nacht erhielt ich einen Anruf von der Polizei, meine ehemalige Heimleiterin hatte sich in ihrem Büro erhängt. Jemand war ihren Machenschaften auf die Schliche gekommen und ihre Angst, dass die Öffentlichkeit davon erfahren würde, war einfach zu groß gewesen. Das Waisenhaus wurde daraufhin geschlossen, die Kinder in die verschiedensten Heime aufgeteilt. Ich wusste nicht wieso, doch in gewisser Weise verspürte ich Mitleid mit ihnen.
So sehr ich es auch versuchte, ich konnte kaum schlafen, wurde ständig von den Erinnerungen an meine Kindheit eingeholt. Basti entging nicht, wie unruhig ich war, er kuschelte sich fest an mich und begann mit mir über unsere Hochzeit zu sprechen. Obwohl er einen so unglaublich anstrengenden Tag hinter sich hatte, blieb er solange wach, bis ich fest in seinen Armen eingeschlafen war.
Ich vermisse ihn. Ich vermisse ihn unglaublich... Nie mehr werde ich einen Mann so lieben können, wie ich einst Sebastian geliebt hatte, selbst wenn ich wollte. Er wird für immer einen Platz in meinem Herzen haben und bis ich ihm eines Tages folge, werde ich auf dieser Erde weiterleben, mich um unsere gemeinsame Tochter kümmern. Auch wenn es schwer ist. Auch, wenn ich ohne ihn verloren bin.
 
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Als uns Flügel wuchsen

„Frau Nitka, hiermit verhafte ich Sie wegen Mordes an Christian Storm.“


Wie einer Art Trance gefangen tat sie stumm, was die Polizisten von ihr verlangten, wehrte sich nicht gegen die groben Stöße, die ihr versetzt wurden. War das alles wirklich real? Wie sehr sie sich doch wünschte, das alles nur träumen, innerhalb weniger Minuten erwachen zu können...
Sie zitterte am ganzen Leib, sank langsam zu Boden, als der Leichnam ihres einst besten Freundes von einem Tuch verdeckt an ihr vorbeigetragen wurde. Tränen liefen ihre Wangen hinab. „Es tut mir so Leid, Chris...“, flüsterte sie kaum hörbar. „Es tut mir so unglaublich Leid...“

„Verdammt nochmal, schweigen hilft ihnen auch nicht!“ Wütend knallte Kommissar Weber mehrere Akten auf den Eisentisch im Vernehmungsraum. Sandra reagierte nicht. Wie lange saß sie nun schon hier, ohne ein Wort von sich zu geben... Unzählige Polizisten hatten stundenlang auf sie eingeredet, sie beschworen, endlich zu geschehen, doch sie schwieg. Selbst ihr Vorgesetzter war beim Versuch, sie zum sprechen zu bringen gescheitert.
„Haben Sie Christian Storm getötet?!“, fragte der Kommissar scharf, konnte jedoch ein Seufzen nicht unterdrücken, als er sich erneut auf seinem Stuhl niederließ. Noch immer würdigte sie ihn keines Blickes, starrte an an die ihr gegenüberliegende Wand. Doch endlich... Endlich gab sie Antwort. „Ja.“

„Sandra... Sandra, um Himmels Willen, was tust du da?!“ Unglaublich blass ließ sich Ingo Lenßen neben seine Ermittlerin auf einen der für Besucher bereitgstellten Sessel sinken. „Warum nimmst du die ganze Schuld auf dich?“, fragte er leise. Sie sah auf, blickte ihm tief in die Augen. „Das tu ich nicht, Ingo...“, erwiderte sie mit matter, erstickter Stimme. „Das... das tu ich nicht....“

„Um Himmels Willen, was ist geschehen?!“ Unzählige Männer eilten in ihre Zelle, hoben die Frau vorsichtig auf ihr Bett, tätschelten unsanft ihre Wange. „Aufwachen!“, fuhr einer der Wärter sie an. „Verdammt nochmal, aufwachen!“
Ingo musste schlucken. „Es... es ist zu spät...“, murmelte er, trat nun ebenfalls in den winzigen Raum, kniete sich vorsichtig zu ihr, in ein Scherbenmeer. Behutsam nahm er ihre leblose Hand in die seine. Sie war eiskalt geworden. Sanft streichelte er darüber, Blut tropfte auf das Laken, seine Knie, den Boden... So sehr, so verzweifelt er sich auch bemühte, etwas zu spüren, er hatte keine Chance. Ihr Puls hatte längst aufgehört zu schlagen.„Warum haben Sie sie nicht beobachtet?!“, fuhr er den Gefängniswärter an. Dieser seufzte leise. „Herr Lenßen, das haben wir... Aber... solche Zwischenfälle sind einfach nicht vorhersehbar... Es tut mir Leid.“
„Zwischenfall...“ Müde erhob er sich, nur um gleich darauf auf einem Stuhl Platz zu nehmen. Erst spät fiel ihm der blütenweiße Umschlag auf, der vor ihm auf dem Tisch lag. In zittriger Schrift stand „Ingo“ darauf geschrieben. Ohne den Kommissar und seine Kollegen eines weiteren Blickes zu würdigen, öffnete er das Couvert. Und begann zu lesen.

Ingo,

ich wünschte, ich hätte die Möglichkeit nun neben dir zu sitzen, dir unter vier Augen alles erklären zu können, versuchen zu verstehen... Aber nein... Nein, das Privileg der Freiheit, der Wahrung der Privatsphäre bleibt mir von nun an verwährt, für immer. Nun... Natürlich hätte ich es verdient, das alles, was auf mich wäre zugekommen, ich hatte keine Angst... Niemals hätte ich mich meiner gerechen Strafe widersetzt.
Ich wusste genau was geschah, als ich Christian erschoss, mein Verstand war völlig klar... Erst, als ich meine Tat begriff, begann ich, mich in diesen tauben, unantastbaren Trancezustand zu versetzen, in dem ich mich bis zum Ende meines Lebens befand... Ja, Ingo. Ja, ich bin schuldig, ich habe ihn getötet, meinen besten Freund. Meine große Liebe. Ob ich es bereue? Mehr als alles andere. Auch, wenn ich weiß, dass es richtig war. Warum... Warum hab ich es getan? Christian hatte Krebs. Ingo, er war todkrank, die Ärzte gaben ihm weniger als ein halbes Jahr zu leben. Ingo... Er hat mich gebeten, ihn zu töten... Niemals... Ich schwöre dir, niemals hätte ich es gewagt, es über das Herz gebracht, es zu tun, doch es war sein größter Wunsch, zu sterben. Wir sollten ihn stets in guter Erinnerung behalten... Als Christian. Den Mann, den wir alle liebten.
Ich kann mit der Schuld nicht weiter leben, selbst wenn ich wollte, niemals wäre ich fähig, ihn zu vergessen. Der wichtigste Mensch in meinem Leben ist nun fort, wird nie wieder kommen. Und für mich ist es Zeit, ihm zu folgen. Es tut mir Leid... Es tut mir unglaublich Leid. Vergib mir.

In ewiger Liebe,
Sandra
 
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Missing

Ich beobachte dich. schon seit vielen Jahren. Ich weiß alles über dich, durchlebe jeden Tag mit dir die Höhen udn tiefen des Alltags, sehe dich lachen, weinen und tauche mit dir in deine geheimsten Gedanken, deine Träume ein, die du noch nicht einmal mit deinem besten Freund teilen würdest.
Als Sandra schwanger wurde, war ich die erste, die von dem Baby wusste, von Anfang an kannte ich deine Reaktion auf die Nachricht, du würdest Vater. Ihr habt geheiratet, als sie hochschwanger war, ohne mich wärst du niemals auf die Idee gekommen, ihr endlich einen Antrag zu machen. Ich kenne die Namen eurer Kinder und Enkel, die erst in vielen Jahren geboren werden, weiß Bescheid über eure ganzes Leben. Ihr werdet euch lieben und ehren und eines Tages, nach langer Zeit des Glücks, eng umschlungen eure Augen schließen.
Wir haben uns nie gegenüber gestanden, Christian, doch ich kenne dich, besser als dich je ein Mensch kenenn wird. Könnten wir uns sehen, berühren, wäre ich mehr als deine Arbeitskollegin, deine beste Freundin, die stets für dich da ist. Du würdest mich lieben. Nicht so, wie du Sandra liebst, nein... Anders. Ganz anders.
Du weißt von mir, natürlich weißt du von mir. Aber als du das erste Mal hörtest, was geschehen war, hast du geweint. Noch nie zuvor habe ich dich weinen sehen. Es hat mir wehgetan, dich zu beobachten, deine Gedanken zu lesen. Obwohl du bis zu diesem Zeitpunkt nichts von meiner Existenz gewusst hattest, hast du dir gewünscht, an meiner Stelle zu sein. Und jetzt? Jetzt denkst du kaum noch an mich, hast mich vielleicht sogar schon vergessen. Doch ich kann es dir nicht verübeln. Denn viele Jahre ist er her, der Unfall, bei dem alle Beteiligten starben. Nur du nicht, ein ungeborenes Baby, das es geschafft hatte, im Leib der Mutter drei Stunden lang zu überleben. Mein Zwillingsbruder.
Es wird lange dauern. Aber ich verspreche dir, Chris... Eines Tages werden wir uns begegnen. Und du wirst mich erkennen.

Even though I'm the sacrifice,
You won't try for me, not now.
Though I'd die to know you love me,
I'm all alone.
Isn't something missing?
Isn't someone missing me
 
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I'll Always Think Of You - In Memoriam Julia Brahms

Es war bereits Nacht, als Ingo Lenßen mit seinem Ermittler in die Kanzlei zurückkehrte. Schwerfällig stiegen die beiden die Treppen hoch, öffneten die Tür. „Sandra?“, fragte Christian, noch immer mit erstickter Stimme. „Sandra, du... du musst herkommen...“
Die Angesprochene tat, was ihr gesagt wurde, trat in den Flur und betrachtete ihre Kollegen mit einem Stirnrunzeln. „Was ist denn mit euch los?“, erkundigte sie sich, während sie die beiden zum Ermittlerbüro begleitete. „Und wo ist Julia?“
Schweigen. Eindringlich sah Sandra ihrem Vorgesetzten in die Augen. „Ingo... Wo ist Julia?“
„Sie... sie wurde angeschossen, Sandra...“, flüsterte er kaum hörbar. Ihre Augen weiteten sich vor Schreck. „Also ist... ist sie im Krankenhaus?“
Kopfschütteln. Vorsichtig legte Chris eine Hand auf ihre Schulter. „Sie hat es nicht geschafft...“


Wegen eines Trauerfalls vorrübergehend geschlossen.
Ihre Hände zitterten, als sie das Schild an der Tür anbrachte. Lange stand sie davor, betrachtete es mit tränenverschleierten Augen. Zärtlich, beinahe liebevoll strich sie über die schwarzen Druckbuchstaben, ehe sie sich umwandte. Und lief. Doch bereits nach wenigen Stunden fand sie sich erneut in der Kanzlei wieder, inmitten eines Kerzenmeeres. All ihre Kollegen hatten sich auf dem Boden versammelt, sahen nun zu Sandra auf, als hätten sie sie längst erwartet. Nur eine fehlte. Julia.
„Hey...“ Auch sie sank nach unten, schmiegte sich müde an Christian. „Was... was tut ihr hier?“
„Wir... wir wollten ihrer nur noch einmal gedenken... Und uns... verabschieden...“

„Entschuldigung?“ Mit einem schüchternen Lächeln auf den Lippen betrat eine junge Frau die Kanzlei, sah sich etwas im Raum um. „Ich... ich soll mich bei Ingo Lenßen melden...“
Der dunkelblonde Mann sah von seiner Akte auf. „Es tut mir Leid, Herr Lenßen hat einen dringenden Termin vor Gericht... Worum geht es denn?“
„Ich... ich hab mich für die Sekretärinnenstelle beworben...“, erwiderte sie. „Und eigentlich wäre heute mein erster Arbeitstag.“
Christian lachte. „Oh... Setzen Sie sich doch erstmal... Ich werde sehen, was ich für Sie tun kann...“
„Vielen Dank, Herr...“ Sie runzelte die Stirn.
Seufzend erhob er sich. „Ich hab ja völlig vergessen, mich vorzustellen! Tut mir Leid... Mein Name ist Christian... Und Sie können gerne ‚Du’ zu mir sagen, wenn Sie wollen.“
Chris’ neue Kollegin lächelte. „Freut mich, dich kennen zu lernen, Christian. Ich bin Julia. Julia Brahms.“


Lange saßen sie so da, schweigend. Die beiden Frauen weinten stumm, auch in den Augen ihrer Kollegen glitzerten Tränen. „Wir... wir sollten ein paar Worte sagen...“, konnte man plötzlich Ingos schwache, erstickte Stimme vernehmen. Katja nickte kaum merklich. „Ja...“, flüsterte sie. „Ja, das sollten wir...“
Ihr Vorgesetzter räusperte sich leise, ehe er sich schließlich herob. „Julia...“ Erneut muste er sich räuspern, denn noch immer war er kaum fähig, zu sprechen. Er schloss für einen kurzen Moment die Augen... Und gab sich vollkommen den Erinnerungen hin, die ihn von einer Sekunde auf die andere heimgesucht hatten.

„Julia?“ Seufzend lehnte sich Ingo in seinem Sessel zurück, nippte an seinem Kaffee. Es dauerte keine Minute, ehe sich die Tür öffnete und die angesprochene Sekretärin trat in den Raum. „Wollen Sie noch einen Kaffee, Herr Lenßen?“, fragte sie. Ihr Vorgesetzter schüttelte kaum merklich den Kopf. „Setzen Sie sich doch bitte.“
Sie tat, was von ihr verlangt wurde. „Was gibt’s denn?“
„Wie lange sind Sie nun schon hier, Julia?“, fragte Ingo. Seine Sekretärin zuckte mit den Schultern. „Ungefähr drei Jahre... Wieso fragen Sie?“
Ein verschmitztes Lächeln umspielte seine Lippen. „Dann halte ich es für mehr als angebracht, dass wir uns ab jetzt duzen – vorrausgesetzt Sie haben nichts dagegen...“
Etwas überrumpelt von diesem Vorschlag schüttelte Julia den Kopf. „Nein... Nein, absolut nicht...“ Sie lachte, während sie ihm die Hand reichte. „Julia...“
Ihr Vorgesetzter nickte ihr freundlich zu. „Ingo.“


„Hey, kleines Julchen...“ Geistesabwesend nahm Christian ihr Bild in seine Hände, betrachtete es lange. „Meine... meine beinahe Lieblingskollegin... Ich weiß, ich habs dir nie gesagt, aber... du warst etwas ganz Besonderes... Hast dich zu einer großartigen Ermittlerin entwickelt...“ Seine Stimme war mittlerweile kaum mehr als ein Flüstern. Doch selbst wenn ihn seine Kollegen nicht verstanden... Es war ihm egal. Völlig egal. Denn er sprach für Julia. „Ich hab dich wirklich gern gehabt, mein Mädchen... Halt... halt mir da oben einen Platz frei, okay? Wart auf mich...“

„Julia, verdammt, beeil dich!“ Vorwurfsvoll warf Christian einen Blick auf die Uhr, doch noch immer war von seiner Kollegin keine Spur zu sehen. „Wir hätten Ingo schon vor einer Stunde vom Flughafen abholen sollen!“
„Ist ja gut, ist ja gut, ich weiß gar nicht, warum du immer so hetzen musst...“ Mit einem leichten Augenrollen blickte Julia von ihrem Spiegel auf. „Bin ich verschmiert?“
„Was?“
Julia seufzte leise. „Lippenstift?“
Geistesabwesend schüttelte er den Kopf. „Siehst toll aus, wie immer, Julchen...“, brummte er. „Aber jetzt komm endlich, Ingo bringt uns um!“


Für einen kurzen Moment herrschte Totenstille. Berührt von Christians Rede wagte niemand, etwas zu sagen, bis schließlich Sebastian als erster seine Sprache wiederfand. „Ich kann es immer noch nicht glauben... Dass... du wirklich nicht mehr da bist... Ich weiß... Wir hatten nie viel miteinander zu tun, aber... Du fehlst mir... Du fehlst mir so sehr... Ich wünschte, wir hätten mehr Zeit miteinander verbracht... Aber... Dafür ist es wohl zu spät...“

„Ach, wen sehe ich da? Meine Lieblingskollegin...“ Sich leise räuspernd, mit einem gefährlichen Lächeln auf den Lippen setzte sich Sebastian neben sie. Etwas unsicher zuckte Julia zurück und betrachtete ihn argwöhnisch. „Den Blick kenn ich... Also, was willst du und wie viel kostet es mich?“
Basti lachte leise. „Du bist viel zu misstrauisch, Ju...“, erwiderte er.
„Und so wie ich dich kenne zu recht.“
Er musste lächeln. „Darf ich diese Reaktion als ‚Ja’ werten?“, fragte er. Julia konnte ein Seufzen nicht unterdrücken. „Sag mir doch erstmal worum es geht...“


„Es tut mir so Leid, Julia...“ Mit Tränen in den Augen strich Sandra über das Glas des Bilderrahmes, beinahe zärtlich. Sie schluchzte leise, vergrub ihr Gesicht in den Händen. „Es ist meine Schuld... Es... es ist alles meine Schuld...“
Chris schloss sie vorsichtig in seine Arme. „Hey...“, flüsterte er ihr ins Ohr. „Sandra, schau mich mal an...“
Kopfschütteln. Vorsichtig nahm er ihren Kopf in seine Hände, brachte sie so dazu, ihm endlich in die Augen zu sehen. „Du hast nicht Schuld, Sandra...“, sagte er langsam und bedächtig. „Niemand von uns hat Schuld, okay? Wir... wir hätten es nicht verhindern können...“

„Sandra, Katja, könnt ihr mal kurz kommen?“ Sie konnte ein leises Schluchzen nicht unterdrücken, als ihre beiden Kolleginnen den Raum betraten. Erschrocken kamen die Frauen angelaufen. „Julia, um Himmels Willen, was ist denn passiert?!“ Vorsichtig schloss Sandra sie in ihre Arme, doch plötzlich... ganz plötzlich begann sie zu lächeln. „Ihr seid passiert...“, flüsterte sie und deutete auf das Fotoalbum, das auf ihrem Schreibtisch lag. „Das ist so unglaublich süß von euch...“
Auch Katja musste nun lächeln. „Hey... Das ist doch selbstverständlich...“, erwiderte sie und strich ihr vorsichtig eine Haarsträhne aus dem Gesicht. Erneut musste Julia schniefen. „Ihr seid die besten Kollegen, die ich je gehabt hab...“, flüsterte sie. „Danke... Danke für alles...“

Vorsichtig, ganz vorsichtig, mit zitternden Händen nahm sie Julias Bild in ihre Hände, drückte es an sich. Tränen liefen ihre Wangen hinab, selbst als Katja ihre Augen schloss. „Ich werd dich so vermissen, Julia...“, flüsterte sie kaum hörbar. Langsam hob sie ihren Kopf, wandte ihren Blick nach oben. „Ich... ich weiß nicht, ob du mich hören kannst... Da oben... Aber... Ich möchte, dass du weißt, dass wir...“ Sie stockte. „Du hast eine... unglaubliche Leere in uns hinterlassen... In uns allen... Niemand von uns hätte je gedacht, dass du so plötzlich gehen würdest... Du fehlst uns so, Julia... So sehr... Ich... ich wünschte, ich könnte die Zeit zurückdrehen... Das alles ungeschehen machen... Aber es geht nicht... Es geht einfach nicht, auch wenn es unglaublich wehtut... Es war wunderschön, mit... mit dir zu reden... Zu lachen... Du warst immer für uns da, wenn wir dich brauchten...“ Erschöpft lehnte sie sich gegen die Couch, brach nach kurzem Schweigen in leisen Schluchzer aus. „Immer...“, murmelte sie, kaum hörbar. „Bis auf ein Mal... Komm zurück, Julia... Bitte... Wir brauchen dich doch... Mehr als alles andere... Ich fleh dich an, komm zurück...“
Ein leiser Windhauch umspielte ihr Gesicht, wurde immer stärker, bis durch ihn alle Kerzen erloschen. Unsicher suchte Sandra nach Christians Hand. „Was... was war das?“, fragte sie kaum hörbar. Er konnte nur mit den Schultern zucken. Katja lächelte kaum merklich. „Julias Seele, Sandra...“, flüsterte sie. „Es... es war Julias Seele...“
 
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@ Avi: tolle Story :D

(musste ich jetzt unbedingt mal loswerden...) :rofl:

Macht immer wieder spaß storys von dir zu lesen...
 
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Thanks, San ^^

Titel: Engel aus Kristall
Disclaimer: Keiner der Charaktere gehört mir
Spoiler: keine
Genre: Drama/Tragedy
Rating: ab 16
Credits: "Jenseits aller Schmerzen" - Marie Antoinette OST
Wörter: 2.629
Inhaltsangabe: Es ist die Aufgabe der Kanzlei, für den Schutz des Prinzen zu sorgen. Doch es ist Sandra Nitka, die alles vereiteln wird. Imagination und Realität verschmelzen, werden Eins, Menschen verlieren die Kontrolle über ihre eigenen Sinne. Angelehnt an "Sandra Nitka auf Abwegen"


*****


Engel aus Kristall

Leere. Sie war gefangen. Gefangen in einem Raum voller Leere, voller Stille. Stille, die sie fast verrückt machte. Ihr ganzer Körper zitterte, als sie versuchte, die Fesseln zu lösen. Doch nichts geschah. Sie hatte keine Angst. Es war alles so schnell gegangen, sie hatte kaum wahrgenommen, wie die Männer sie zu der Villa gebracht, in einem riesigen Raum eingesperrt hatten. Stundenlang war sie verhört, angeschrieen worden, hatte keine einzige der Fragen beantworten können. Erneut versuchte sie sich zu befreien, zerrte an den Stricken, bis sie es endlich schaffte, sie zu lockern. Schnell, so schnell sie konnte lief sie zum Fenster. Sprang. Der Sturz hatte blutige Spuren hinterlassen, doch sie erhob sich, warf hastig einen Blick nach oben. Voller Schreck erkannte sie die Männer, die sie hierher gebracht hatten... Und begann zu rennen.

Es war bereits weit nach Mitternacht, als der Anwalt und sein Mitarbeiter die Kanzlei verließen. Stundenlang hatten sie auf ein Lebenszeichen ihrer Kollegin gewartet – vergeblich. Es sah ihr weiß Gott nicht ähnlich, von einer Minute auf die andere zu verschwinden, doch in den letzten Tagen hatte sie sich so sehr verändert... Sie war blass geworden, dünn. Schien verwirrt von den einfachsten Dingen, es war, als wäre sie in ihre eigene Welt geflohen, weit entfernt von der Realität.
Das Läuten seines Handys ließ Christian Storm hochschrecken. Er war so in Gedanken versunken, dass er nun überrascht war, wie weit er sich bereits von seinem Arbeitsplatz entfernt hatte.
„Storm?“ Christian war erschrocken, wie heiser seine Stimme klang, als er in das Telefon sprach. Es war kaum zu überhören, dass er sich große Sorgen um etwas machte. Nur halbherzig lauschte er den Worten des Mannes, doch plötzlich war es, als hätte ein Blitz seinen Körper durchfahren. „Wie bitte?!“, rief er, ohne bemerkt zu haben, dass er seine Stimme erhoben hatte. „Ja... Ja, natürlich... Ich komme.“
Seine Hände zitterten, als er das Handy erneut in seine Tasche sinken ließ. „Ingo...“, flüsterte er, wandte sich seinem Vorgesetzten zu. „Sie... Sie haben Sandra gefunden.“

Es kümmerte sie nicht, was der Anwalt dachte, auch ihr Kollege war ihr egal geworden. Völlig egal. Natürlich wusste sie, dass man ihr nicht glaubte, für verrückt hielt... Doch es war die Wahrheit! Nur die Wahrheit... Niemand hatte je zuvor an ihr gezweifelt, bis zu diesem einen Tag. Er hatte Tabletten in ihrer Tasche gefunden. Tabletten, die nicht ihr gehörten, die sie noch nie zuvor gesehen hatte. Wussten sie denn nicht, dass sie niemals Medikamente genommen hatte?! Nicht wagen würde, jemals damit zu beginnen? Sie hatten ihr niemals vertraut... Niemals! Warum sonst hatten sie sie so schnell fallen lassen... Behandelt, als wäre sie nicht zurechnungsfähig... Wütend vergrub sie ihre Gesicht in den Händen, konnte ein leises Schluchzen nicht unterdrücken. Nein. Nein, sie brauchte sie nicht, sie brauchte niemanden von ihnen... Von nun an war sie auf sich selbst gestellt. Und sie würde kämpfen.

Nervös schritt Christian Storm in seinem Büro hin und her. Er schien verzweifelt über etwas nachzudenken. „Ich versteh das nicht...“, murmelte er, immer und immer wieder. „Ich versteh das einfach nicht... Erst verschwindet sie spurlos... Dann krieg ich plötzlich mitten in der Nacht einen Anruf von einem Polizisten, der sie völlig verstört auf einer Parkbank am anderen Ende der Stadt gefunden hat – mit diesen verfluchten Tabletten in der Hand! Und Sandra behauptet steif und fest, entführt worden zu sein! Was ist bloß mit ihr los?! Ich erkenne sie ja kaum wieder!“
„Es besteht kein Grund zu schreien, Christian“, ertönte plötzlich eine leise, raue Stimme hinter ihm. „Auch nicht, wenn du über mich sprichst.“

Natürlich hatte sie Angst. Alles andere wäre töricht gewesen. Sie wusste, dass man ihr misstraute, sie mit hasserfüllten Blicken von oben herab betrachtete. Und doch war sie zurückgekommen. Als hätte sie keine andere Wahl.

„Was tust du hier, Sandra?“ Lange sah Christian in die müden, dunkel umrandeten Augen seiner Kollegin. Wie sehr sie einst gestrahlt hatten... Man hatte so viel aus ihnen lesen können. Freude, Wärme... Güte. Doch nun war all dies verschwunden. Sandras Blick war leer geworden. Ausdruckslos. „Ich bin entführt worden...“, flüsterte sie nun, nach einem langen Moment der Stille. „Und selbst wenn du mir nicht glaubst, ich schwöre dir, es ist die Wahrheit. Die Gefolgsleute des Prinzen haben mich entführt und in ein Haus am Rande der Stadt gebracht und dort bedroht. Hätte ich micht befreien können, man hätte mich getötet. Ich habe nicht gelogen, Christian...“
Der Angesprochene stieß einen tiefen Seufzer aus, wandte seinen Blick langsam ab. „Und die Tabletten? Man hat Spuren eines starken Psychopharmakons in deinem Blut feststellen können, Sandra... Du kannst es nicht leugnen.“
Es war die Aufgabe der Kanzlei, für die Sicherheit des Prinzen zu sorgen. Er war weit gereist, um Besorgungen für den bevorstehenden Winter zu machen, doch er wurde verfolgt. In seinem Heimatland herrschte Krieg, jeden Tag wurden neue Anschläge auf die königliche Familie von der Hofgarde vereitelt. Aber selbst im Ausland schwebte der Prinz in größter Gefahr.
Man hätte vollen Einsatz von dem Anwalt und seinen Mitarbeitern erwaten können, doch es war Sandra Nitka, die nun alles zu vereiteln schien.

Er widerte sie an. Als er auf sie zukam, stieß sie ein katzenhaftes Fauchen aus, wich zurück, bis sie mit dem Rücken an die kalte Wand stieß. Natürlich hielt er sich für etwas Besseres... Die falsche Besorgnis in seinem Gesicht sie wütend, so unglaublich wütend... Zitternd wandte sie ihren Blick ab. Wie hatte sie ihm nur jemals vertrauen können... Ihm, dem Mann, der sie jahrelang nur belogen hatte... „Folge mir“, hörte sie ihre eigene, monotone Stimme sagen. „Ich zeige dir das Haus.“

„Sandra... Hier ist kein Haus... Wir... wir stehen mitten im Park...“ Christian war nicht entgangen, wie hasserfüllt der Blick seiner Kollegin war, als sie ihn gemustert hatte. Mit einer stummen Geste hatte sie ihm bedeutet, ihm zu folgen und ihn hier her gebracht. Die Fahrt hatte über eine Stunde gedauert und sie hatte kein Wort gesprochen. Ihn nicht einmal angesehen. Schweigend war sie ausgestiegen, hatte ihn in die Mitte eines völlig verwahrlosten Parks geführt. Ihr Blick war glasig geworden, als sie die Hand ausstreckte. „Hier.“
Christian stieß ein leises Seufzen aus, wandte sich zum Gehen. „Ich habe keine Zeit für solche Spielchen“, sagte er kühl. Mit einem Mal war all sein Vertrauen zu Sandra gewichen. Er hatte genug. „Der Himmel weiß wieso du dir all diese Dinge ausdenkst, aber ich muss mich um den Prinzen kümmern.“
Es waren harte Worte, die er ihr an den Kopf warf, doch vielleicht... Vielleicht würde sie nun endlich vernünftig. Langsam wandte er sich um... Und ließ sie allein.

Sie hatte ihn verflucht. Angeschrieen, geschlagen, getreten... Doch es schien ihn nicht einmal zu kümmern. Sie war ihm völlig gleichgültig geworden. Doch warum log er? Konnte er das Haus denn nicht sehen?! Das Haus, das direkt vor ihm stand, in dem sie gefangen gehalten, von den Gefolgsleuten es Prinzen bedroht worden war... Der Prinz... Sie wusste, dass er gefährlich war. Unternahm sie nicht so schnell wie möglich etwas, würde er sie alle töten. Erschrocken wandte sie sich um, als sie plötzlich ein Geräusch vernahm. Nur wenige Meter von ihr entfernt stand ein Mann, der langsam auf sie zukam...

Christian Storm war kaum in die Kanzlei zurückgekehrt, als ihm sein Vorgesetzter entgegen gelaufen kam. „Wo ist Sandra?“, fragte Ingo Lenßen, deutlich um Fassung bemüht. Der Angesprochene zuckte mit den Schultern. „Sie ist mit mir in einen völlig verdreckten Park gefahren“, erwiderte er. „Ich hab keine Ahnung, was sie dort wollte, aber sie hat die ganze Zeit von einem Haus gesprochen... Und plötzlich... Plötzlich wurde sie still... Völlig katatonisch... Es war ein Fehler von mir, dass ich sie allein gelassen hab, aber ich war so wütend auf sie... Als ich mich noch ein Mal nach ihr umgedreht hab, hatte sie wieder diese verdammten Pillen in der Hand...“ Ein eiskalter Schauer durchfuhr seinen Körper. „Aber wieso fragst du? Ist etwas passiert?“
Ingo Lenßen stieß ein langes, tiefes Seufzen aus. „Ihre Waffe ist verschwunden.“

Endlich. Endlich erkannte sie ihn. Die Augen zu bedrohlichen Schlitzen verengt kam er auf sie zu, langsam und schwer atmend. Es war einer der Handlanger des Prinzen, der Mann, der sie entführt hatte. Sein Lächeln offenbarte ihr, dass er gefunden hatte, wonach er gesucht zu haben schien. Doch sie lief nicht.


Sie hatte schon geschlafen, als die Glocke läutete. Müde richtete die blonde Frau sich auf, stieß einen leisen Fluch aus und bewegte sich langsam zur Tür, die sie schwerfällig öffnete.
Katja Hansen stieß einen erstickten Schrei aus, als sie ihre Kollegin im Treppenhaus stehen sah, zitternd, völlig blutverschmiert. „Um Himmels Willen...“
Stumm zog sie Sandra Nitka in ihr Wohnzimmer, kniete sich vor sie auf den Boden. „Was ist passiert?“, fragte sie kaum hörbar. Jegliche Müdigkeit war vergessen.
„Ich musste es tun, Katja...“, flüsterte Sandra. Ihre Stimme bebte. „Er... er hätte mich sonst getötet...“ Es folgte lange Stille. „Ich... Ich hab sogar einen Krankenwagen gerufen... Aber... Dann bin ich geflohen... Ich hatte so große Angst... Glaub mir, Katja... Bitte... Du musst mir glauben...“

Sie war die Einzige, der sie vertrauen konnte. Mitten in der Nacht hatte sie ihr alles anvertraut... Alles. Sie hatte versprochen, ihr zu helfen... Und sie würde es tun.

„Katja, schlag dir das aus dem Kopf!“ Abfällig musterte Christian Storm seine Kollegin, die in ihre Unterlagen vertieft an seinem Schreibtisch Platz genommen hatte. „Wir haben keine Zeit für Anderes. Die Sicherheit des Prinzen steht auf dem Spiel.“
Die junge Frau antwortete nicht. Es war offensichtlich, dass Sandra ihm egal geworden war. Doch sie würde alles tun, um zu beweisen, dass ihre Kollegin die Wahrheit sagte.
„Sie lügt nicht“, sagte sie nach einem langen Moment der Stille. „Und das weißt du genau so gut wie ich, Christian. Die königliche Familie tyrannisiert seit Jahren ihr Heimatland. Es herrscht strengste Zensur, Leute wegen eines falschen Satzes oder gar Wortes zum Tode verurteilt...“
Christian zuckte nur mit den Schultern. „Selbst wenn dem so wäre – unsere Aufgabe ist es, den Prinzen und seine Schwester zu schützen. Nicht mehr und nicht weniger. Was auch immer in Sandra gefahren ist, dass sie mit diesen Mitteln versucht es zu verhindern... Vielleicht sind es wirklich die Tabletten, die-“ Er konnte nicht weitersprechen. Katja hatte sich wütend erhoben und einen Aktenordner nach ihm geworfen. „Ich werde herausfinden, was mit ihr geschieht“, erwiderte sie kühl. „Denn du scheinst dich ja nicht darum kümmern zu wollen.“

Sie wusste nicht, was sie tat, als sie in die Suite eindrang. Ihre Angst war unbeschreiblich, doch sie drang immer weiter in das Zimmer vor, begann langsam, die Sachen des Prinzen zu durchsuchen. Es dauerte nicht lange, bis sie fand, was sie suchte. Mit zitternden Händen steckte sie die Dokumente in ihre Tasche... Und verließ den Raum, genauso leise wie sie ihn betreten hatte.

Es hatte Tage gedauert, ehe sie zu einem Ergebnis gekommen war. Immer und immer wieder kontrollierte Katja Hansen den Text, bis sie ihn seufzend in ihren Papierkorb gleiten ließ. Sie hatte Sandra kaum beruhigen können, als sie in jener Nacht ihre Wohnung aufgesucht hatte, dabei war es für sie selbst schwer genug gewesen, ihr Entsetzen zu unterdrücken. Natürlich waren Katja die Veränderungen aufgefallen, die in ihrer Kollegin vorgegangen waren. Sie war blass, geworden, still. Es war, als hätte sie sich in ihre eigene Welt zurückgezogen, aus der nun nicht mehr fliehen konnte. Sie hatte gesehen, wie Sandra Tabletten genommen hatte, doch es war, als hätte sie es nicht einmal wahrgenommen.
Nächtelang hatte Katja Nachforschungen angestellt, um die Unschuld ihrer Kollegin zu beweisen, doch nun... Sie stieß einen tiefen Seufzer aus. „Ich hab es so sehr versucht, Sandra...“, flüsterte kaum hörbar. „Es tut mir Leid...“
„Katja...“
Erschrocken wandte die Angesprochene sich um. „Sandra, um Himmels Willen!“
Leichenblass stand die junge Frau in der Tür, sah sich mit glasigem Blick in dem Raum um. Bis sie den Papierkorb entdeckte. „Du hast sie gelesen?!“, schrie sie, als sie die Notizen in Katjas Papierkorb entdeckte. „Ich... Ich hab gedacht, ich könnte dir vertrauen!“
Katja seufzte leise. „Sandra, ich-“ Sie konnte nicht weitersprechen. Denn Sandra hatte längst das Büro verlassen.

Sie hatte ihr vertraut... So sehr vertraut... Doch nun... nun verabscheute sie sie! Sie war allein... Ganz allein auf der Welt, fühlte sich so einsam...
Schreckliche Gedanken schossen ihr durch den Kopf. Der Prinz... Es war die Schuld des Prinzen. Sie schloss die Augen, schwor sich tief in ihrem Inneren, Rache zu nehmen...


Sie war verschwunden. Schon so lange... Selbst Christian hatte nun begonnen, sich Sorgen zu machen. Noch immer war er wütend auf sie, denn Katja hatte ihm verschwiegen, was sie über ihre Kollegin erfahren hatte. Stundenlang hatten sie nach ihr gesucht, jedoch ohne Erfolg. Bis...
Die blonde Frau stieß einen erstickten Schrei aus, als sie eine neue Notiz auf Sandras Schreibtisch bemerkte, verdeckt von einem riesigen Stapel Papier, als hätte sie nicht gewollt, dass jemand sie fand. Nur zwei Worte standen darauf geschrieben. Der Prinz.
„Ich weiß, wo sie ist.“
Die plötzlich eingekehrte Stille wurde von Katjas Stimme durchbrochen. Totenblass wandte sie sich zum Gehen, zog Christian mit sich. „Wir müssen uns beeilen!“

Es war ein Kinderspiel, ein weiteres Mal in die Gemächer des Prinzen einzudringen. Die gestohlenen Dokumente waren ihr eine große Hilfe dabei gewesen, hatten ihr Einblick in den Tagesablauf der königlichen Familie gegeben. Sie wusste, was zu tun war, doch sie hatte Angst.... Natürlich hatte sie Angst... Ihre Hände zitterten, als sie nach der Waffe suchte. Für einen kurzen Moment schloss sie ihre Augen, atmete tief durch... Und machte sich auf die Suche.

Es wäre zu gefährlich gewesen, einzugreifen. Fassungslos beobachteten Katja Hansen und Christian Storm das Geschehen, das sich direkt vor ihnen abspielte. Es war Sandra Nitka, die nur wenige Meter entfernt von dem Prinzen stand, ihn mit einer Waffe bedrohte. Sie schien nicht wahrzunehmen, was sie tat, wie in einer Art Trance trat sie einen Schritt auf ihn zu, entsicherte die Waffe. Sie schrie ihn an, minutenlang, doch niemand konnte verstehen, was die Worte bedeuteten. Plötzlich verstummte sie. Ihre Hände begannen zu zittern, als sie einen Finger auf den Abzug legte, würde nicht bald jemand eingreifen...
Ein ohrenbetäubender Knall zerriss die Stille. Die Waffe fiel zu Boden.


Ich versuchte dich zu retten
Doch du warst nicht zur Flucht bereit
Mit Stolz und Tapferkeit
Nahmst du dein Schicksal auf
Und erst der Tod hat dich befreit

Um uns stirbt das Licht der Kerzen
Niemand weiß wohin wir gehn
Aber jenseits aller Schmerzen
Werden wir uns wiedersehn


Es hätte ein wunderschöner Tag werden sollen. Der Himmel war wolkenlos, spiegelte sich glitzernd im Wasser des Teichs wider, auf dessen sanften Wellen sich eine Entenfamilie tummelte. Doch all dies bemerkte sie nicht. Stumm saß sie auf einer Parkbank, betrachtete geistesabwesend eine kristallene Figur in ihren Händen. Ihr schwarzes Kostüm war von dem langen Sitzen bereits zerdrückt, doch es kümmerte sie nicht. Langsam hob Katja Hansen den Kopf, als ein junger Mann sich neben sie setzte. „Sie war krank, Katja...“, flüsterte er. „Du hättest es nicht verhindern können.“
Die junge Frau schüttelte kaum merklich den Kopf. „War sie nicht...“, erwiderte sie, ebenso leise. Man hat ein Spiel mit ihr gespielt... Ein dreckiges, eiskaltes Spiel...“
„Was hast du da?“, fragte Christian, offensichtlich bemüht, das Thema zu wechseln, während er auf die Figur in ihrer Hand deutete. Ein kaum merkliches Lächeln umspielte Katjas Lippen. „Einen Kristallengel... Mein Glücksbringer... Sandra hat ihn mir vor fünf Jahren zum Geburtstag geschenkt...“ Sie stieß ein leises Seufzen aus. „Würde es dir etwas ausmachen, mich einen Augenblick alleine zu lassen? Ich muss noch über so viele Dinge nachdenken...“
Christian nickte. „Natürlich“, entgegnete er und erhob sich. „Bis dann...“
„Bis dann“ Katja schloss für einen kurzen Moment die Augen. Tausend Dinge schossen ihr durch den Kopf, der Versuch, ihre Gedanken zu ordnen scheiterte. „Ich werde herausfinden, was mit dir passiert ist, Sandra...“, flüsterte sie kaum hörbar. „Das versprech ich dir.“
Und für einen kurzen Moment... Den Bruchteil einer Sekunde glaubte sie, den Himmel lächeln zu sehen.
 
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