„Oh Gott, oh Gott,“ flüsterte sie leise, langsam drückte sie die Klinke hinunter und öffnete die Tür:
Sie stand wie gelähmt da, kein einziges Gefühl war in ihr, nur blankes Entsetzen. Grauenhaft zugerichtet lag die Leiche eines Mannes, ihres Verlobten, auf dem Boden. Über den Toten gebeugt war ein Wesen mit der Fratze des Teufels.
Emma konnte keine Trauer entfinden. Das einzige, was sie fühlen konnte, war blanker Hass auf den Mörder ihres Verlobten.
Phoebe hatte noch nie so tiefen Hass jemandem gegenüber entfunden, wie jetzt in diesem Moment Balthasar, als dieser sie angrinste, dieses Grinsen, welches sie schon viele Male hatte sehen müssen, und verschwand.
Die Mittlere Halliwell war sich nicht mehr sicher, ob es ihr Hass war oder Emmas.
Der Raum um sie verschwand ein letztes Mal.........
Als Phoebe wieder in das Gesicht des Bösen blickte, stand sie aufrecht und kein Zeichen von Verzweiflung waren ihr anzumerken.
Reyno lächelte. „Siehst du nun?“
Phoebe sah ihn an: „Er tat es nur, weil du ihn dazu gebracht hast.“
Ein Lachen das so kalt war wie Eis: „Hast du mich jemals in diesen Erinnerungen gesehen?“
„Ja, in ihm.“
Er zog die Augenbrauen hoch, schien aber nicht überrascht zu sein.
Die junge Hexe sah ihm ins Gesicht: „Das ist doch das, was du bist, oder? Das Böse. Daher kennst du auch mich, du weißt auf was ich reagiere, du weißt, was du tun musst, damit ich Cole beginne zu hassen. Weil du ein Teil von mir bist. Ein Teil von ihm. Ein Teil dieser Welt.“
„Das ist wahr, Phoebe. Bravo! Du bist eine der ersten Guten, welche das begriffen hat. Schon vor langer Zeit. Du erinnerst dich, nicht wahr?“
Das tat sie. Es war nach dem Kampf mit dem Schwarzen Mann gewesen: Sie hatte damals zu Piper und Prue gesagt: ‚Ich kann beides sein: Gut und Böse.’
Coles Mentor riss sie aus ihren Gedanken: „Aber bin ich deshalb verantwortlich für seine Taten? Du darfst eines nie vergessen: Jedes Wesen hat einen freien Willen, wenn es darum geht, gut zu sein oder böse zu sein und Balthasar, Cole wie du ihn nennst, ist seinen Weg gegangen.“
„Und er hat ihn verlassen.“
„Es wäre überzeugender, wenn du selbst die Worte glauben würdest, Phoebe,“ erwiderte ihr Gegenüber spöttisch.
Sie versuchte dem Blick des Teufels standzuhalten, doch die Kälte seiner Augen bohrte sich in ihr Herz.
Sie sah überall hin, nur nicht in Reynos Augen, als sie weitersprach.
„Die Taten, welche er begangen hat sind grausam, ohne Zweifel, doch er kann die Vergangenheit nicht verändern. Wohl aber seine Zukunft.“
„Mich brauchst du nicht zu überzeugen, kleine Hexe. Ich kenne Balthasar. Ich kenne dich. Du versuchst nicht mich zu überzeugen, sondern dich selbst. Wie oft hast du dich selbst belogen, im Bezug auf Cole? Du hast an ihn geglaubt und er hat dich enttäuscht. Oder hast du Jenna bereits vergessen? Die Sache mit der Quelle? Nein, das wirst du nie vergessen, denn was tut mehr weh als sein eigenes Kind zu verlieren?“
„Hör auf!“ schrie Phoebe, ihre Hände hatte sie unbewusst an ihren Bauch gelegt „das ist Vergangenheit! Ich habe ihm verziehen.“
„Doch wie weit liegt diese Vergangenheit zurück? Nur ein paar Monate. Für einen hundertjährigen Halbdämon, der unsterblich ist, erscheint mir das ziemlich kurz.“
„Warum tötest du mich einfach nicht?“ flüsterte Phoebe sehr leise und sank auf die Knie. „Warum nicht?“
Cole tauchte an einem Ort auf. Er war ihm vertrauter als ihm lieb war. In den Gemächern der Quelle. Er wusste nicht, weswegen er ausgerechnet hier aufgetaucht war. Er hatte nur noch einen Gedanken gehabt, ‚Verschwinde aus der Welt des Lichts, sie soll wieder leuchten können,’ aber warum dieser Ort. Er hätte so viele Dimensionen nehmen können, so viele andere Orte der Unterwelt. Weswegen ausgerechnet den Ort, an welchem er den grössten Fehler seines Lebens begangen hatte? Er wusste es nicht.
Er wandte sich um, glaubte jeden Augenblick Reyno zu sehen oder ihn zu hören, doch dies passierte nicht. Noch nicht.
Im Halliwell-Manor: In genau der Sekunde, da Cole verschwand, funktionierte wieder jedes elektrische Gerät im Haus. Auch draussen gingen die Laternen an, natürlich war es noch dunkel, denn es war noch immer Nacht.
Paige sah sich verwirrt um: „Warum funktionieren denn alle Geräte plötzlich wieder?“
„Ich nehme einmal an, dass es mit Coles Verschwinden zu tun hat. Ich meine, er hat diesen Zauber gewirkt, also wird auch er ihn wieder aufgelöst haben,“ vermutete Leo.
„Wie geht es Phoebe?“ Darryl hatte diese Frage sehr leise gestellt.
„Nicht sehr gut,“ antwortete Leo besorgt, „aber wir finden vielleicht ein Gegengift im Buch der Schatten.“
Wortlos gingen die vier Wächter, Steven, Leo und Darryl auf den Dachboden. Viktor, Piper und Paige hatten darauf bestanden bei Phoebe zu bleiben. Darryls Frau Nathalie sass verwirrt auf der Coach, Piper konnte es ihr nicht verdenken: Nathalie war die einzige, welche nichts von der Welt der Magie wusste.
Die Minuten verstrichen.
Die Gruppe, die auf den Dachboden gegangen waren, kam niedergeschlagen zurück. Leo sagte traurig und etwas entmutigt: „Das Buch der Schatten kann uns nicht helfen.“
Der Bann war gebrochen.
Ben und Benjamin, welche während der ganzen Zeit in menschlicher Gestalt daneben stehen mussten, konnten sich endlich wieder rühren.
„Mister Turner?“ fragte Darryl. Dann wandte er sich an die andere Person. „Und wer sind Sie? Seit wann sind Sie hier?“
„Ich bin Ben,“ antwortete der Gefragte auf Darryls Frage, „Können Sie sich denn nicht erinnern? Reyno hat uns als Pfand für Coles Leben benutzt. Ihr habt uns doch gesehen, als.......,“ er stockte, „Vater?“
„Ich verstehe es auch nicht, Ben. Cole hat uns auf alle Fälle wahrgenommen.“
„Aber weswegen hat er uns nicht angesprochen?“
„Frag lieber, warum wir uns diese Fragen erst jetzt stellen.“
„Bitte?“ Benjamin Turner blickte nur in verwirrte Gesichter.
„Wir haben die letzte Stunde nur mitverfolgen können. Phoebes Erkenntnis die Auserwählte zu sein, Emmas Tod, Sybilles Tod, Phoebes Vergiftung und Coles Verbannung. Wir haben nichts tun können. Wir konnten nicht denken........Der Grund dafür, dass ihr uns nicht wahrnehmen konntet war ein geschickter Tarnzauber Reynos, aber der Grund warum Cole uns nicht wahrnahm ist dieser: Das Böse verschleierte unsere Gedanken. Cole liest im Moment Gedanken, er hört nicht auf ausgesprochene Worte, sondern auf unsere mentalen, die auch unsere Gefühle darstellen können. Deswegen ist er auch verschwunden, weil er die Gefühle der anderen wahrnahm.“
„Und Cole hat uns nicht wahrgenommen, weil er unsere Gedanken nicht hören konnte.“
„Genau.“
Leo hörte auf die Worte jener, die gerade erst aufgestaucht schienen. Aber es macht Sinn.
„Für einen Sterblichen sind Ihre Interpretationen sehr gut, Mister Turner. Aber warum haben wir Sie erst jetzt sehen und wahrnehmen können?“
„Weil der Zauber des personifizierten Bösen in der Sekunde aufgehört hat zu wirken, als...............“
„ich gesagt habe, dass uns das Buch nicht helfen kann.“
„Nein, das ist ein Vorwand: Als ihr Cole verstossen habt.“
„Aber das war vor Minuten,“ kam es von einer verwirrten Paige.
„Ich wette es war vor 666 Sekunden: Die Zahl des Teufels,“ erwiderte Benjamin. Alle starrten ihn an. Es wäre logisch. Und durch Darryls Kopf schossen die Worte, welche Cole vor noch nicht einmal einem Tag zu ihnen gesagt hatte: Die Logik des Bösen.