Jin[x]ed
Episode 1 – Überraschungen (3.376 Wörter)
Alles war bereits vorbereitet und Claire Stone lächelte zufrieden, als sie sich noch einmal im Wohnzimmer umsah. Von hier aus konnte sie die Küche, die reichlich bestückt mit Snacks und Alkohol war, die Terrasse mit Pool, um welchen herum viele kleine Lichter hingen, sowie den Eingangsbereich sehen. Alles war perfekt. Ihre Eltern waren erst fünf Stunden zuvor mit dem Flieger nach Hawaii ausgeflogen und hatten ihrer Tochter das Haus überlassen. »Und denk dran: keine Partys, kein Alkohol und keine Jungs!« – Das waren exakt die letzten Worte ihrer Mutter gewesen, noch hinter »Ich liebe dich mein Sonnenschein.« Claire grinste noch mehr. Sie hoffte nur, dass nicht allzu viel beschädigt werden würde, aber alles nicht Ersetzbare hatte sie bereits sicher in den Keller geräumt.
»Hey, das sieht ja klasse hier aus!«, hörte sie plötzlich eine männliche Stimme hinter sich sagen. Diese Stimme erkannte sie sofort, es war ihre „Friends with benefits“-Beziehung Bryan. Sie drehte sich um und legte den Kopf schief, während ihr Gesichtsausdruck langsam von einem Grinsen in einen fragenden Blick wechselte. »Danke. Was man… vor dir nicht gerade sagen kann?«, erwiderte sie und ging langsam auf Bryan zu. Er trug ein blau, gelb, rot gemustertes Hawaiihemd, eine Khakihose, sowie Flip-Flops und sah damit aus, als würde er zu einer Strandparty wollen. Seine längeren blonden, zerzausten Haare gaben dem Outfit den Rest. Claire hingegen trug ein rotes Cocktailkleid und hochhackige schwarze Schuhe, ihre langen blonden Haare lagen in Locken auf ihren Schultern.
»Danke, du siehst auch heiß aus.«, lachte Bryan, gab ihr einen Kuss auf die Wange und ging dann an ihr vorbei in Richtung Küche.
»Manchmal bin ich echt froh, dass wir nicht fest zusammen sind…«, murmelte Claire kopfschüttelnd und nahm eine Packung Strohhalme vom Wohnzimmertisch, um diese zu öffnen.
»Was hast du gesagt?«, rief Bryan von der Küche herüber, wo er zufrieden den Alkoholflaschenvorrat auf der Küchentheke betrachtete.
»Ich hab gesagt, ich hoffe, dass du auch allen eine Einladung gegeben hast!«
»Sh…it. Die Einladungen.«
»BRYAN!“, fauchte Claire und warf die geöffnete Packung Strohhalme auf den Boden. Bryan hingegen fing an zu lachen und begab sich wieder zu Claire.
»Bleib locker, es werden alle kommen. Natürlich hab ich allen eine gegeben.« Er hob für sie die Packung vom Boden auf und sammelte die paar Strohhalme zusammen, die hinaus gefallen waren. »Du fällst immer wieder drauf rein…«
»Die Party hier ist kein Witz, Bryan. Du weißt genau, dass Amy die letzte Frühlings-Party geschmissen hat. Und du weißt… nein, wahrscheinlich weißt du nichts mehr von dem Abend. Und genau das ist der springende Punkt.« Claire war schon wieder etwas gefasster und kontrollierte ihr Aussehen in einem kleinen Spiegel an der Wand.
»Ach komm schon, man wird dich sicherlich nicht wegen einer misslungenen Party aus dem Cheerleader-Team verbannen.«
»Du hast echt keine Ahnung…«
Bryan grinste, was Claire nicht gerade in ihrer Stimmung aufmunterte. Doch er wusste, dass er es noch schaffen würde, ihr bessere Laune zu verschaffen. Denn er hatte eine ganz besondere Überraschung für die Party geplant, von der auch Claire noch nichts wusste.
So langsam ging es auf die 20Uhr zu und die Gästen würden bald da sein. Craig, der für die Musik an diesem Abend sorgen sollte, war schon etwas früher gekommen und installierte noch schnell ein paar Musikboxen im Haus. Bryan hatte sich schon mit einem Getränk auf eine Terrassenliege verdrückt und genoss die warme Abendluft und die vorherrschende Stille, bevor der Lautstärkepegel ins unermessliche steigen würde. Claire hingegen konnte gerade keine Ruhe finden und lief hinter der Eingangstür auf und ab. Es war bereits 20:05 und langsam machte sie sich darüber Sorgen, ob Bryan eben vielleicht doch keinen Scherz mit ihr gemacht hatte. Aber dann hörte sie Stimmen von draußen und atmete erleichtert aus. Wenig später klingelte es an der Haustür und sie machte ihren Gästen auf. Da keiner von ihnen der erste sein wollte, hatten sie sich zuvor vor dem Haus versammelt, um gemeinsam hinein zu gehen. Claire fiel ein großer Stein vom Herzen, denn jetzt füllten mindestens 70 Gäste das Haus. Claire hatte alle Schüler der 11. und 12. Klassen eingeladen und es schienen fast alle, bis auf die Außenseiter, gekommen zu sein
Ein wenig später als die anderen kamen auch Amy und Keegan zur Party. Während Keegan sich in Richtung Küche verabschiedete, steuerte Amy geradewegs auf Claire zu, die ihre Freundin ebenfalls schon entdeckt hatte. »Hey Claire, die Party scheint ja echt ein Erfolg zu werden!«, grinste Amy zufrieden und umarmte sie zur Begrüßung.
»Ja, ich bin echt erleichtert, dass so viele gekommen sind.«
»Hey, es sind Frühlingsferien, wer lässt sich da schon eine Party entgehen?«, lachte Amy und sah sich im Wohnzimmer um. Die Mehrheit der Gäste hatte sich angezogen wie Claire und auch Amy hatte sich ein Cocktailkleid für die Party besorgt. Ihres war schwarz und hinten wie bei einer Korsage mit Bändern geschnürt, dazu trug auch sie schwarze High Heels. Ihre kurzen, dunkelbraunen Haare hatte sie offen gelassen und ihr Pony fiel glatt und gepflegt in ihr Gesicht. Dann entdeckte sie Dwight am anderen Ende des Wohnzimmers, seufzte und schaute schnell weg, als ihre Blicke sich trafen. »Oh nein, da vorne ist Dwight. Lass uns schnell woanders hingehen.«
»Ist er etwa immer noch hinter dir her?«, schmunzelte Claire, aber Amy antwortete schon nicht mehr, da diese sie bereits an der Hand hinaus zur Terrasse zog.
»Ich dachte du hattest ihn nicht eingeladen?«, fragte Amy ein wenig erbost, aber wirkte dabei zugleich sehr aufgedreht. Sie konnte ihn aus den Augenwinkeln durch die Glaswand des Wohnzimmers beobachten. Er stand mit gesenktem Kopf neben einem Mitschüler, welcher ihm mit der Hand auf die Schulter klopfte.
»Hab ich auch nicht.« Claire klang schon fast ein wenig entschuldigend, obwohl sie nichts dafür konnte, dass er trotzdem gekommen war. Sie verschränkte die Arme vor sich und verlagerte ihr Gewicht von einem Bein aufs andere. »Aber so wie er aussieht wird er dich heute sicher in Ruhe lassen.«
»Kommt da schon wieder jemand mit den Gästen nicht klar?«, hörte man dann eine Stimme lachen. Es war Bryan, der zwar immer noch auf seiner Liege lag, aber mittlerweile klitsch nass war. Er musste bereits im Pool gewesen sein, so wie es viele andere ebenfalls waren. Amy musterte ihn und ihrem Gesichtsausdruck zufolge war sie genauso wenig von seinem Outfit überzeugt gewesen, wie Claire.
»Aarrrggg…«, zischte sie protestierend, drehte sich auf den Absätzen um und stampfte davon.
Claire atmete tief ein und aus. »Musste das sein?«, fragte sie Bryan und setzte sich zu ihm auf die Liege.
»Was kann ich dafür, wenn sie ihre Ansprüche so hoch schraubt?«
»Du könntest wenigstens ein wenig netter zu ihr sein. Sie ist nicht so, wie du denkst. Eigentlich ist sie wirklich nett.«, versuchte Claire ihm ihre Freundin zu erklären, wusste aber, dass sie es schon tausend Mal vergebens getan hatte.
»Apropos nett, wo ist Hana eigentlich?«, erkundigte sich Bryan nach der Sandkistenfreundin von Claire.
»Sie wollte nicht kommen. Aber ich kann es ihr auch nicht verübeln. Die Leute hier sind nicht ihre Welt.«
Bryan nickte zustimmend. »Da hast du wahrscheinlich recht.«
Amy suchte derweil im Haus nach Keegan, ihrem Ex, aber immer noch besten Freund und fand ihn schließlich in der Küche bei seinen Football Teamkollegen. »Lass uns gehen!«, sagte Amy leise und ließ es wie einen Befehl klingen.
Keegan sah sie verwundert an und stelle zunächst sein Getränk neben sich ab. »Was ist denn los?«, fragte er verwundert. »Die Party ist doch super.«
»Ja, bloß ihre Gäste nicht.«
»Also ist Dwight gekommen.« stellte Keegan fest und fuhr sich mit einer Hand durch seine braunen, kurzen Haare, während er kurz durchatmete. »Kannst du ihn nicht einfach ignorieren?«, fragte er sie und nahm ihre linke Hand in seine. Sie gab ihm keine Antwort und schüttelte nur unglaubwürdig den Kopf. »Komm schon, beruhig dich erst mal ein wenig und dann wirst du hier sicher noch deinen Spaß haben. Ich wette er wird sowieso um 11 zuhause sein müssen.«
Jetzt nickte Amy und deutete mit einer Kopfbewegung auf die Haustür. »Wahrscheinlich hast du Recht. Ich geh nur kurz ein wenig frische Luft schnappen.« Dann war sie auch schon verschwunden und Keegan wandte sich wieder seinen Freunden zu.
Hana stand am Fenster ihres Schlafzimmers und hielt die schwere, braune Gardine zur Seite. Von hier aus konnte sie den Vorgarten und irgendein unbedeutendes Gästezimmer des Hauses der Familie Stone sehen. Die anderen Gardinen waren zugezogen und die Party fand auf der anderen Seite des Hauses statt. Sie war nicht rüber gegangen, obwohl sie direkt nebenan wohnte. Wenn man sich an die Straße gestellt und ihre Häuser verglichen hätte, hätte man es ihr wahrscheinlich nicht einmal verübeln können. Hanas Familienhaus war ein kleines, braunes Holzhaus, das einst ihren Großeltern gehört hatte. Diese waren kurz nach der Geburt von Hanas Schwester Kaya 3.000 Kilometer weit weg gezogen und der Kontakt brach über die Jahre hinweg ab. Vor drei Jahren starben dann ihre Eltern bei einem Bombenanschlag in ihrem Türkeiurlaub, Kaya heiratete ein Jahr später, wurde schwanger und zog dann aus dem Familienhaus aus. Seitdem wohnte Hana alleine in dem kleinen Häuschen. Das Haus der Stones von nebenan wurde erst vor 18 Jahren erbaut, damals war Claires Mutter mit ihr schwanger und wollte, dass ihr Kind in einem vernünftigen Haus aufwächst. Da Claires Vater Chefarzt der Stadtklinik war, konnte er sich ein Haus leisten, das mindestens vier Mal so groß war, wie das von Hanas Familie. Trotz der Wohlstandsunterschiede hatten sich die Familien und somit auch Hana und Claire angefreundet und pflegten immer noch den Kontakt zueinander, auch wenn ihre Leben verschiedener nicht sein könnten. Claire war im Cheerleaderteam und würde im nächsten Jahr höchstwahrscheinlich die Position des Captains übernehmen, welche momentan Amy inne hatte. Sie legte viel Wert auf ihr Äußeres, kam bei allen Jungs gut an und würde auch in der Schule gut zurecht kommen, wenn sie sich etwas mehr bemühen würde. Hana hingegen engagierte sich in keiner außerschulischen Aktivität. Im Gegensatz zu Claire machte sie sich auch über ihr Aussehen keine Gedanken, eine ausgewaschene Jeans, irgendein wahlloses T-Shirt oder ein Pullover und dazu ihre ausgefranzten und uralten Chucks, waren ihr genug. Ihre braunen, langen Haare trug sie meist einfach nur offen. Wenn sie einen Zopf trug, dann nur einen, den sie sich auf die Schnelle zusammen gebunden hatte. Make-Up war ebenfalls ein Fremdwort für sie gwesen. Es war ihr egal, was andere von ihr dachten. Die High School endete irgendwann, die Wege würden sich trennen und es würde niemanden mehr interessieren, wer man auf der High School einmal war.
Durch ihr Fenster konnte sie auch Amy beobachten, die das Haus der Stones durch die Vordertür verließ. Hana fragte sich, ob die Party vielleicht doch kein großer Erfolg war, wenn Amy jetzt schon gehen wollte. Doch sie lief nur am Rand des Hauses umher und setzte sich schließlich auf die alte Schaukel, die noch aus Kindertagen war und zwischen zwei Bäumen des Gartens hing. Dort hatte Hana oft mit Claire gespielt, in ihrer unbeschwerten Vergangenheit. Ein flaues Gefühl durchfuhr ihre Magengegend und sie schloss kurz die Augen, um die Fassung nicht zu verlieren. Als das Gefühl vorüber war, öffnete sie ihre Augen wieder und sah, dass jemand weiteres den Garten betreten hatte und nun Amy auf der Schaukel Anschwung gab. Es war Keegan Norris, Captain der Footballmannschaft ihrer High School und er war, genau wie Amy, eine Klassenstufe über ihr. Sie wusste, dass die beiden nicht mehr zusammen waren und trotzdem machte sich die Eifersucht in ihr breit. Die beiden hatten ein Bilderbuchleben und mussten sich um nichts Sorgen machen. Natürlich war Hana nicht auf ihre Beliebtheit eifersüchtig, aber auf ihr Leben. Darauf, dass von beiden die Eltern nun wahrscheinlich auf dem Sofa warteten und nicht eher ins Bett gingen, als ihre Kinder wieder zuhause waren. Und wenn sie zu spät kommen würden, was sicherlich ständig passierte, dann gäbe es Ärger.
Claires Eltern hatten ihr und ihrer Schwester damals nach dem Tod ihrer eigenen Eltern angeboten, bei ihnen einzuziehen. Doch Hana hing an ihrem Zimmer, dem Haus und all den alten Erinnerungen. Und auch ihre Schwester Kaya wollte das Angebot nicht annehmen. Sie einigten darauf, dass die Stones ihnen ihre Rechnungen bezahlten, da sie sonst die Schule nicht hätten abschließen können. Was allerdings nicht ganz richtig war. Denn Hana und ihre Schwester hatten ein Geheimnis, von dem bisher niemand wusste.
Sie waren Hexen.
Natürlich waren diese Kräfte begrenzt und hatten ihre Regeln. Die Stromrechnung wäre weiter gelaufen, denn Elektrizität im ganzen Haus zählte nicht zu ihren Zauberkräften, es sei denn, sie würde sich dauerhaft auf einen Stromverbraucher konzentrieren. Und das herbei zaubern von Geld war strikt verboten. Aber sonst hätte es ihr an nichts gefehlt. Hana war schon die Idee eines lange unentdeckt gebliebenen Kontos ihrer Eltern gekommen, um ihren sonstigen Ausgaben eine plausible Erklärung zu geben. Allerdings wusste sie, dass die Stones ihre Eltern für so etwas zu gut gekannt hätten. Da sie in ihrer Freizeit ständig am fotografieren war, überlegte sie sich, wie sie daraus Profit schlagen könnte. Eigentlich tat sie es nur, um kein Erlebnis je wieder vergessen zu können. Denn das war es, was ihr am meisten weh tat, wenn sie zurück dachte. Die Erinnerungen an ihre Eltern verschwanden mit der Zeit, besonders die frühen. Sie hatte noch nicht alle Geschichten aus ihren ersten Lebensjahren gehört und Bilder konnten ihr diese auch nicht erzählen, da es nur wenige von damals gab. Genau genommen waren es nur drei Bilder. Eines aus dem Krankenhaus, am Tag ihrer Geburt, mit ihr, ihren Eltern und ihrer Schwester drauf. Dann eines, als sie gerade an der Hand ihres Vaters die ersten Schritte machte. Und als sie sich mit vier das Bein gebrochen hatte und stolz ihr von ihren Freunden vollgekritzeltes Gipsbein präsentierte. Diese drei Bilder hatten einen besonderen Platz in Hanas Zimmer gefunden. Sie hingen an der ihrem Bett gegenüberliegenden Zimmerwand, in drei gemalten Wolken. Sie hätte sich noch mehr Bilder gewünscht, doch es gab keine. Und damit dies nie wieder so sein würde, fotografierte sie jeden Tag. Um nun damit Geld zu verdienen, mussten es allerdings gefragte Bilder sein. Also erkundigte sie sich bei allen möglichen Zeitschriften, Zeitungen und Verlagen, nach welcher Art Bildern sie suchten. Seitdem bekommt sie von verschiedenen Firmen wöchentlich Post mit Aufträgen und daraus resultierenden möglichen Gagen. Da sie sich an jeden Ort der Welt zaubern konnte, fehlte es ihr nie an Motiven und die Sache zahlte sich mittlerweile mehr als aus. Doch das meiste von dem Geld sparte sie oder spendete es an Menschen, die das Geld dringender brauchen als sie.
Hana verlor sich mit der Zeit in Gedanken darin, wie ihr Leben wohl verlaufen wäre, wenn ihren Eltern damals nichts passiert wäre. Sie kannte bisher niemanden, der beide Elternteile verloren hatte und auf sich allein gestellt war. Und das stimmte sie wie immer ein wenig traurig, gerade an solchen Tagen - nicht, dass sie es anderen zum Ausgleich auch gewünscht hätte -, ihre Mutter hätte sie wahrscheinlich gezwungen hinüber zu gehen und Spaß zu haben. Ihr Vater hingegen hätte sie verstanden und wäre froh über ihr Zuhause bleiben gewesen, da sie so auch nicht heimlich etwas mit einem Jungen hätte anfangen können. Ihr Vater wäre wahrscheinlich als Sieger aus der Sache heraus gekommen. Deshalb blieb sie auch an diesem Abend zuhause. Doch dann passierte etwas, womit sie nicht gerechnet hatte. Die Verankerungen der Stange, an der die Schaukel befestigt war, lösten sich aus den Bäumen heraus, obwohl Amy nicht mehr am Schaukeln war. Die Konstruktion war zu alt für diese Belastung gewesen, der sie schon seit Jahren nicht mehr ausgesetzt worden war. Keegan stand zu weit von Amy entfernt an die Hauswand gelehnt und konnte ihr aus seiner Position heraus nicht helfen, auch wenn er trotzdem auf sie zu stürmte. Die große, massive Eisenstange drohte direkt auf Amys Kopf zu fallen. Jetzt war Hana die einzige, die das noch verhindern konnte. Sie zückte ihren rechten Zeigefinger und die Stange verschwand für eine kurze Sekunde, ehe Hana sie neben Amy auf den Boden fallen ließ. Natürlich war das Spektakel für Keegan nicht zu übersehen gewesen. Geschockt blieb er kurz vor Amy stehen und hielt verdutzt inne.
»Aua… willst du mir nicht hoch helfen?«, fragte Amy ihn und fasste sich mit einem schmerzverzerrten Gesichtsausdruck an den Kopf. Sie war beim Herunterfallen der Schaukel hinten rüber gefallen.
»Natürlich, tut mir leid.« Amys Worte holten Keegan aus seiner Verwirrung heraus und als er sich zu Amy herunter kniete und ihr half, sich aufzurichten, sah er sich im Garten um. Und dann entdeckte er Hana am Fenster ihres Zimmers stehen. Ihre Blicke trafen sich nur für einen Bruchteil einer Sekunde, denn Hana schreckte auf und schloss die Gardine, die sich immer noch in ihrer Hand befand, schnell zu. »Wie soll ich da bloß wieder raus kommen…«, fragte sie sich verzweifelt und sank zu Boden.
Keegan blickte noch eine kurze Zeit auf ihr Fenster, ehe er sich wieder Amy zuwandte. »Geht’s?« Er hievte sie hoch und Amy klopfte sich ihr Kleid zurecht.
»Ja, alles okay. Zum Glück hab ich mir ein schwarzes und kein weißes Kleid gekauft.« Sie grinste schon wieder und sah sich die verunglückte Schaukel an. »Ich hoffe Claire wird nicht allzu sauer sein.«
»Amy, du hättest dir sonst was dabei brechen können. Sie wird sicher nur froh sein, dass es dir gut geht.«, schüttelte Keegan entsetzt über Amys Gedankengänge des Kopf und erzählte ihr erstmal nichts von dem, was er gesehen und sie wohl nicht mitbekommen hatte.
»Vielleicht hast du recht. Mir wäre es trotzdem lieber, ihr erst morgen davon zu erzählen.«
»In Ordnung, aber nun lass uns lieber wieder rein gehen.«
Drinnen angekommen war die Musik leiser gestellt und alle blickten in Richtung des Wohnzimmertisches. Bryan stand mit einem Mikrofon auf der Tischplatte und schien eine Rede halten zu wollen. Die beiden waren also wohl genau im richtigen Moment zurück gekommen.
»Also Leute, es ist echt klasse wie viele von euch gekommen sind und ich hoffe ihr habt euren Spaß heute Abend!«, fing er mit seiner Rede an und die Gäste jubelten ihm zur Antwort zu. »Wie ihr alle wisst, steht nach den Frühlingsferien für uns eine Matheklausur an…«, fuhr er dann in seiner Rede fort und diesmal war es kein Jubel, der aus der Menge kam, sondern Geächzte und Gestöhne, denn sie konnten nicht ahnen, was Bryan für sie in Petto hatte. »Ist ja gut, ist ja gut! Ich weiß, dass ihr alle kein Mathe könnt und ich will euch auch keine Nachhilfe andrehen oder ähnliches.« Jetzt heiterte die Stimmung wieder ein wenig auf und vereinzelt lachten ein paar Schüler. »Wir haben aus geheimer Quelle… die LÖSUNGEN für die Klausur bekommen!«, enthüllte er nun den eigentlichen Grund seiner Rede, die Musik wurde wieder auf volle Lautstärke gedreht, die Menge grölte und feierte und für alle gab es die Lösungen bei Bryan abzuholen.
Claire, die während seiner Rede direkt neben dem Wohnzimmertisch gestanden hatte, strahlte vor Freude und umarmte Bryan, als er von seinem Rednerplatz wieder herab gestiegen war. »Ich glaub, du hast meine Party damit zur besten Frühjahrsparty aller Zeiten gemacht. Die wird so schnell niemand mehr vergessen. Aber hast du nicht Angst, dass es auffliegt und du die ganze Schuld daran bekommst?«
»Claire, und wenn schon, Mr. Huston könnte mich wahrscheinlich gar nicht weiter herabnoten.«
Claire lachte und musste ihm wohl oder übel zustimmen. »Wahrscheinlich nicht.«
»Siehst du. Und gern geschehen.« Er gab ihr einen Kuss auf die Stirn und verteilte dann die Lösungsblätter an seine Mitschüler.
Amy starrte Keegan verdutzt an. »Sie wissen es nicht?«
»Nein und glaub mir, wenn es bei ihnen auch rauskommt, werden sie es allein aus Anstand ihrer Unterstufe auch nicht erzählen.« Zuckte Keegan mit dem Schultern.
»Da hast du sicherlich Recht.«, nickte Amy nun und grinste. »Weißt du noch wann wir sie bekommen haben?«
»Klar. Beim Ausflug ins langweiligste Museum aller Zeiten, als Mr. Huston zufällig kurz mit dem Museumsdirektor unter vier Augen sprechen musste. Ich glaube, so einprägend war noch kein Museumsbesuch gewesen.«
Amy sah ihn leicht gekränkt von der Seite an, »Auch nicht der, wo wir…«
„Halt die Klappe!«, unterbrach Keegan sie lachend und stieß ihr scherzhaft in die Seite. Als Amy daraufhin nichts mehr erwiderte, machte er sich Gedanken über das, was er draußen gesehen Amy nicht mitbekommen zu haben schien. War das wirklich passiert? Oder war das bereits die Wirkung des, wenn auch erst wenigen, Alkohols, den er getrunken hatte?