AW: [Serien-Projekt] Zeitlos
Kapitel 1
Jahr 2023 -
Die Tür wurde mit Wucht in ihre Angeln geworfen und das Knallen jagte durch das ganze Haus. Es erfüllte die Räume mit Lärm und kam mit einem Echo zu ihr zurück. Dann wurde es still und nur Emilys schnelles Atmen durchbrach die Stille. Das Mädchen, nicht älter als dreizehn Jahre stand bewegungslos in dem dunklen Vorraum ihres Elternhauses und blickte mit düsteren und verärgerten Blicken nach Links und Rechts ohne ihren Kopf zu bewegen. Es war niemand hier, bis auf eine rot getigerte Katze, die sich in ihrem Schlaf gestört fühlte und sie dementsprechend ansah. Doch Emily ignorierte sie, auch als die Katze von ihrem Lieblingsplatz herunter sprang und sich schmeichelnd um ihre Beine zum Willkommensgruß wand. Stattdessen stellten sich die kleinen Härchen auf Emilys Arme auf und sie begann in ihrem Sommerkleid leicht zu frösteln, obwohl die Temperaturdifferenz zu draußen nicht gerade hoch war. Kalt war es Emily nicht, im Gegenteil. Ihr war heiß, so heiß, dass sich rote Flecken in ihrem Gesicht bildeten und ihre Wangen zu glühen begannen. Dann ballte sie mit voller Kraft ihre Hände zu Fäuste und kreischte den ganzen Frust in ihr heraus.
Jahr 2046 (Heute) - "Ethan Samuel White!" so bedeutungsschwanger wie dieser Knilch im Frack den Namen aussprach mochte Ethan das schon mal gar nicht. "Ist seine Fliege zu eng gebunden?" flüsterte er deswegen nörgelnd zu Audrey, die ihm gerade ein Champagnerglas überreichte und ihn mit einem Du-bist-echt-unverbesserlich-Lächeln ansah. Ethan nahm das Champagnerglas und verfolgte den Blick von Audrey auf den zu sich zulaufenden Zwerg, der bereits zwei Meter vor ihm, seine Hände nach ihm ausstreckte. "Wenn mich der jetzt auch noch umarmen will, dann bin ich weg. Ich steh nicht auf Kuscheln mit Männer." Ethan sah mit einem skeptischen und widerwilligen Blick zu Audrey, die ihn in die Seite stieß und mit ihrem Blick zu einem freundlichen Lächeln zwang. "Ethan, hör auf damit." Sie wusste, wie ungern er auf dieser Party war und dass er bei jedem etwas auszusetzen hatte, der ihm für die Auszeichnung für sein neuestes Buch gratulieren wollte. Der eine war ihm zu aufdringlich, der andere hatte eine Nase auf die Gérard Depardieu noch neidisch gewesen wäre,... es war einfach furchtbar mit ihm heute. Audrey verdrehte gerade die Augen, bei ihren Gedanken über den bisherigen Verlauf des Abends, doch als sie sah, wie Ethan bereits auf den zu klein geratenen Mann zu ging um ihm die Hand zu reichen, befürchtete sie schon das Schlimmste, weshalb sie sich schnell vor Ethan drängte und statt seiner die Hand des Gratulanten entgegen nahm. "Mr. Warren, wie schön dass Sie kommen konnten! Ich hoffe Ihnen gefällt unsere kleine Feier bisher?" Audrey warf ein kurzes unsicheres Lächeln zu Ethan, der sie für ihre Aktion mit einem missmutigen Gesichtsausdruck bestrafte, aber den nahm sie in Kauf. Immerhin wollte sie nur das beste für Ethan und es war definitiv das beste, ihn vor der Dummheit zu bewahren, den Kritiker mit Champagner zu überschütten. Audrey hatte es heute wirklich nicht einfach mit den Launen des Schriftstellers und war besonders heute bestens darauf geschult, seine Handlungen zu beobachten und vorauszusagen.
"Kleine Feier? Nun seien Sie nicht so bescheiden! Sie ist großartig, wie jede Feier aus dem Hause Dexter's. Aber wie sollte es bei diesem Ambiente dieser alten geschichtsträchtigen Gemäuern, aber vor allem bei dem Anlass der Feier auch anders sein." Mr. Warren's Hang zu theatralischen Gesten amüsierten Ethan aber schließlich doch.
Er wäre ein guter Comedian, finden Sie nicht auch?... Ethan grinste und sah wie Audrey versuchte den Kritiker von Ethan wegzulocken und in ein Gespräch zu verwickeln, das Ethan in Vergessenheit geraten ließ. Audrey war perfekt darin und einmal mehr an diesem Abend war Ethan ihr dankbar dafür, was ihn aber auch gleichzeitig und heimlich etwas beschämte. Sie sorgte sich heute wirklich vorbildlich um ihn und er ließ nichts unversucht, sich hier irgendwie aus der Affaire zu ziehen und die Party zu verlassen. Der Schriftsteller seufzte tief und nahm einen Schluck Champagner, während er gedankenverloren Audrey dabei beobachtete, wie sie mit dem Kritiker schäkerte. Ethan lächelte ihr zu und schüttelte leicht den Kopf, während er an seinem Glas nippte. Er würde ihr heute noch sagen, wie dankbar er für ihre Hilfe und ihre bloße Anwesenheit ist. Das nahm er sich schon den ganzen Abend über vor, aber bis jetzt hatte er es immer wieder hinausgeschoben, da irgendwie sein Mund immer völlig trocken war, wenn es darum ging, Audrey nicht mit beißender Ironie zu überschütten, sondern ihr einen kleinen Einblick in sein Empfinden für sie zu geben.
Ethan wandte sich gerade von Audrey mit einem letzten, leicht verträumten, Lächeln ab und wollte den kommenden Kellner aufhalten, um sein leeres Glas gegen ein Volles einzutauschen, als er einen Aufprall spürte und blonde Haare in sein Gesicht flogen. „Oh hey...“ überrascht versuchte er sein Gleichgewicht zu halten und auch sein Gegenüber strauchelte leicht nach hinten, weshalb Ethan reflexartig nach vor fasste und die Frau, mit der er zusammen gestoßen war, fest hielt. „Verzeihung, ich habe Sie nicht kommen sehen, ich...“ Ethan versuchte das Gesicht zu erkennen und fand dann schließlich ihre Augen, die ihn nicht weniger überrascht ansahen, aber da war noch etwas anderes darin, das Ethan nicht wirklich zuordnen konnte. Von dem abgesehen, verschwendete er so oder so keinen weiteren Gedanken darüber, da die Frau, mit der er zusammenstieß gar nicht mal so schlecht aussah. Seine Gedanken spiegelten sich in einem kleinen frechen Lächeln wieder, welches die Frau erwiderte.
„Also für gewöhnlich bevorzuge ich erst einmal einen Drink, ehe ich auf Tuchfühlung gehe...“ grinste er etwas breiter und tastete ihr hübsches Gesicht mit seinen Blicken ab. Die Frau tat es ihm gleich, während sie lächelte und so wie Ethan auch in seinen Augen hängen blieb. „Achja? Ihre Bekanntschaften scheinen ja sehr schrecklich zu sein, wenn Sie erst etwas Alkohol dazu benötigen.“ grinste sie frech und ging einen Schritt zurück. „Hm...“ War Ethans nicht sehr schlagfertige Antwort darauf und nahm zwei Gläser Champagner von dem Tablett des Kellners und reichte es ihr schon fast zum Trotz. „Trotzdem etwas Champagner gefällig? Wer weiß wo wir den sonst noch so verschütten könnten...“ meinte er und sah ihr kurz eindringlich in die Augen, ehe er über ihre Schulter hinweg einen flüchtigen Blick zu Audrey warf, die natürlich den Zusammenprall mitangesehen hatte und hoffte, dass es von Ethan nur ein Versehen war und keine böswillige Absicht eine weitere Kritikerin zu vertreiben. „Mein Name ist Ethan S. White und Sie sind?“
Die Frau sah zu der prickelnden leicht goldenen Flüssigkeit in dem Glas, das ihr gereicht wurde. „... nicht interessiert“ vollendete sie den Satz mit einem bitter-süßen Lächeln zu Ethan und lehnte mit anmutigem Kopfschütteln den Champagner ab. Doch erneut sah man in ihren Augen einen kurzen Funken aufflackern der mehr zu verheißen schien, allerdings war Ethan noch mit der Abfuhr beschäftigt, als dass er es hätte bemerken können. Natürlich kannte Sie ihn, aber nicht wegen all den Transparenten oder übergroßen Bucheinbänden auf denen sein Name zu lesen war, sondern aus einem anderen Grund. Ein Grund, der sie schon vor Jahren auf die Suche nach ihm gehen ließ. „Ich bin Emily Cooper. Trotzdem, nett Sie kennen zu lernen.“
Ethan sah zu Emily und ihrem Lächeln, dann aber zu dem verschmähten Glas und seufzte innerlich. Schade, sie war hübsch und er hätte absolut nichts gegen einen weiteren „Zusammenstoß“ mit ihr gehabt, das hätte die Party hier sicherlich etwas aufgepeppt und Audrey schien ja sowieso schon wieder anderweitig beschäftigt zu sein, wie er mit einem kurzen Blick zu seiner jungen Lektorin feststellte, die mit einem gutaussehenden Mann in ein Gespräch verwickelt war. Ein Gespräch, das offensichtlich mehr als nur eine Unterhaltung über das Wetter war.
Tja, man sieht ihr gar nicht an, dass sie auf solche Idioten steht, nicht wahr? Aber so ist es nun mal. Darf ich vorstellen Christian Hawkes, ein Möchtegern Schriftsteller, der schon mehrmals von Dexter's House Verlag abgelehnt wurde... Er lernt es wohl nie, aber am besten ist es, wenn Sie diesen Typen gar nicht erst beachten, so wie ich... Oh! wo ist denn Emily hin? Ethan wollte sich wieder Emily zuwenden, nachdem er die Gläser abgestellt hatte und sich von dem Anblick von Audrey und Christian ablenken hat lassen. Doch sie war nicht mehr da. Ethan suchte sie in der Menge mit seinen Blicken ab, was allerdings sinnlos war, es waren zu viele blonde und hübsche Frauen hier, als dass er sie erkennen hätte können.
Der Blick des Schriftstellers verharrte noch einen Moment in der Menge, als ihn plötzlich ein merkwürdiges Gefühl beschlich. Emily ging ihm nicht mehr aus dem Kopf. Es waren ihre Augen gewesen, die ihm eigenartiger Weise vertraut waren. Oder war es ihre Stimme?
Kennen Sie das? Sie begegnen jemanden und haben das Gefühl ein Déjà-vu zu erleben? Ethan griff zum Champagner und leerte das Glas mit einem Schluck, ehe er gleich danach zum zweiten Glas griff, einen Blick zu Audrey warf und dann mit den Schultern zuckte. „Sie hat ja was besseres vor, als mich vom Trinken abzuhalten...“ Mit einem weiteren Schluck ist auch dieses Glas leer und plötzlich fühlte sich Ethan, wie schon so oft in seinem Leben völlig leer und allein. Er hasste dieses Gefühl und versuchte es seit je her in Alkohol zu ertränken, was natürlich nur reine Illusion war. Sein Blick folgte Audrey die von Christian mit einem Kichern zur Bar geführt wurde, während Mr. Warren sich wieder einem anderen Gast der Feier zu wandte. Diesmal niemand geringeren, als Cole Dexter, Inhaber des Dexter's House Verlag. Amüsiert betrachtete Ethan, wie Cole, nicht nur sein Boss, sondern auch guter Freund, versuchte ebenfalls Mr. Warren abzuschütteln, denn eigentlich wollte er nur von der Bar einen Drink für seine Frau besorgen.
Solche Lackaffen... Glauben immer dass sie besser sind als alle anderen, besser und vorallem etwas ganz Besonderes. Ethans Blick glitt von Mr. Warren zu Christian, der Audrey ziemlich eindeutlich am Arm berührte und ihr etwas ins Ohr flüsterte.
Und dabei bin ich hier das einzige Besondere hier in diesem Raum. Sie glauben mir nicht? Sie denken, ich wäre bloß ebenfalls einer dieser Lackaffen, wenn ich so von mir überzeugt wäre? Wissen Sie was? Ich werde es Ihnen beweisen. Ethan griff zu dem vorbeiwandernden Tablett und griff nach einem weiteren Glas Champagner, das er so wie die anderen beiden, mit einem Schluck hinunterstürzte. „Hey, Pinguin, warte mal.“ Ethan drehte sich zu dem Kellner um, der zuerst gar nicht auf diese Anrede reagierte, dann aber doch stehen blieb. „ich brauche eine Serviette und einen Stift. Jetzt. Na hopphopp , auf was wartest du?“ sprach Ethan, mit vom Alkohol etwas gelockerter Zunge den Kellner an, danach lehnte er sich an den Bartisch und ließ seinen Blick von Mr. Warren zu einem anderen Mann gleiten, der in einer sehr ernst wirkenden Diskussion mit einem anderen Schriftsteller befand.
Ich wette mit Ihnen um 2000 Dollar, dass dieser konservative Spießer sich gleich die Sachen vom Leibe reissen wird und sich auf unseren Comedian stürzen wird. Na? Nehmen Sie die Wette an? „Mr. White? Ihre Serviette und der Stift.“ Ethan wandte den Blick von dem Mann ab und wandte sich zu dem Kellner um. „Danke,... Hey, nicht so schnell!“ Ethan bedankte sich und wollte gerade noch zwei Gläser auf Vorrat von dem Tablett nehmen, was beinahe schief gegangen wäre, weil der Kellner, wohl immer noch wegen vorhin etwas beleidigt, gehen wollte. Aber Ethan hatte sich noch zwei Gläser Champagner angeln können, bevor das Tablett gefährlich ins Wanken kam.
Ok, passen Sie gut auf... Ethan legte die Serviette feinsäuberlich auf den Tisch und schnappte sich den Stift, dann begann er zu schreiben, ohne auch nur ein einziges Mal aufzusehen.
Worte formten sich unter seiner Hand, ritzten sich in die Serviette ein und schienen kurz in bläulichem Schein aufzuleuchten, ehe sie unwiderruflich in die Serviette gebannt wurden, während sich vor Ethan ein einzigartiges Schauspiel abspielte. Dem Mann, der scheinbar einen Stock verschluckt hatte, wurde heiß, immer wieder griff er sich zu seinem perfekt sitzenden Windsorknoten und - für ihn vollkommen unverständlich - suchte er immer wieder sehnsüchtig den Blick von Mr. Warren. Lust und völlige Verwirrung zugleich spielten sich in der Mimik des Mannes ab, bis er dem Gefühl nicht mehr widerstehen konnte und sich aus seiner Diskussion entschuldigte und auf Mr. Warren zuging, während er seine Krawatte endlich lockerte und daran riss um das einengende Stück Stoff von sich zur reißen. Auf Ethans Lippen spielte sich ein finsteres Lächeln ab, als er sah, wie sich seine „Vorhersagung“ bewahrheitete, nicht mehr lange und Mr. Warren würde sich vor Küssen und Berührungen von dem Konservativen Mann nicht mehr retten können. Doch in dem Moment, sah er aus den Augenwinkeln, zwei lange Beine auf ihn zukommen, welche er schnell als Audreys Beine erkannte. Ethans Lächeln verschwand sofort und schnell zerriss und zerknüllte er die Serviette und schob sie in seine Hosentasche.
Was schließlich auch das Schauspiel vor ihm beendete. Enttäuscht blickte er zu Mr. Warren, der schon verängstigt und mit einem angewiderten Gesichtsausdruck den Mann anstarrte, der gerade mal eineinhalb Meter von ihm entfernt war. Jederzeit bereit, sich auf den Kritiker zu stürzen. „Ethan,... übertreibe es nicht, ja?“ Ethan sah mit hochgezogenen Augenbrauen zu Audrey, dann folgte er aber ihrem Blick. Sie meinte definitiv den Alkoholkonsum. Wieder ausatmend lächelte er sie an. „Ich brauche eben jemanden, der auf mich aufpasst und wenn ich das Gefühl habe, allein gelassen zu werden, dann vergesse ich mich leicht“ gab er zur Antwort und warf einen ganz kurzen Blick zu Christian Hawkes, der unverhohlen auf Audreys Hintern blickte. „Tja, wenn es dir etwas hilft, dann kann ich dir gerne Mr. Warren vorbei schicken...“ konterte Audrey lächelnd und nahm sich dann eines der Champagnergläser. „Ich wollte dir nur kurz sagen, dass ich gleich wieder hier bin und dass du keine Dummheit anstellen sollst. Ich muss kurz.... etwas geschäftliches erledigen... Denkst du, du schaffst es für eine halbe Stunde, die Party hier nicht zu sprengen?“ Doch Audrey wartete nicht auf eine Antwort ab, sondern legte nur sanft ihre Hand auf seinen Unterarm, ehe sie den Champagner austrank und ihm noch einmal zulächelte, bevor sie sich wieder umdrehte und dann kurz zu Cole ging. Vermutlich entschuldigte sie sich ebenso bei ihm für ihr kurzes verschwinden.
Ha... etwas geschäftliches, ja klar... Man kann doch förmlich riechen, wie heiß ihr aufeinander seid. Sehen Sie das auch? Er zieht sie doch schon mit seinen Blicken hier aus. Er kann es wohl kaum erwarten, mit ihr in der Toilette zu verschwinden... missmutig und völlig verärgert starrte Ethan hinter Audrey her, wie sie den Saal verließ. Die Eifersucht brodelte nur so in ihm und am liebsten würde er hinter ihr her laufen und sie zurückhalten. Aber seine Füße setzten sich nicht in Bewegung, stattdessen, sah er nur, wie wenige Augenblicke später auch Christian den Saal verließ. Ethan wandte gerade den Kopf ab, als er glaubte, Blicke auf sich zu spüren und so wandte er sich kurz irritiert von diesem Gefühl um. Suchend ließ er seine Blicke erneut durch die Menge wandern, aber nichts. Keine Aufmerksamkeit, keine Augen, die auf ihn gerichtet waren, nur dieses merkwürdige Gefühl. So wandte sich Ethan nachdenklich wieder dem Bartisch zu und schnappte sich das Champagnerglas.
Vergessen Sie die 2000 Dollar, der Deal ist geplatzt. Nippend trank er zuerst ein paar Schlucke davon, dann stürzte er sich auch dieses Glas hinunter. Es wollte ihm einfach nicht eingehen, was Audrey an Christian fand. Er war überheblich, nicht besonders vermögend und schon gar nicht geistreich, wenn man sich Christians geschriebene Bücher ansah. Er sah gut aus. Das war aber auch schon alles. „Was will der hier überhaupt? Das ist meine Party...“ flüsterte Ethan still vor sich hin und fixierte erneut den Ausgang des Saals mit seinen Blicken, ehe er sich schließlich doch in Bewegung setzte. Er brauchte frische Luft. Dringend. Ethan erreichte knapp den Ausgang, als er von Cole aufgehalten wurde. „Hey,... wohin so schnell?“ fragte dieser und hatte Ethan an der Schulter festgehalten. Dann nahm er die Hand wieder runter und blickte auf die Uhr. „Ausgemacht war bis 23:00 Uhr und jetzt ist es gerade mal neun Uhr. Vergiss nicht, dass du in einer Stunde noch Bücher signieren musst.“ Mahnende Worte, die von einem Arbeitgeber und nicht von einem Freund gesprochen wurden. „Nur etwas Luft schnappen, mehr nicht. Ich bin gleich wieder da. Versprochen...“ sagte Ethan leicht genervt, denn nichts wäre ihm lieber, als von hier zu verschwinden. „Sag Jay einen lieben Gruß und dass ich später noch unbedingt Tequila mit ihr trinken möchte. Sie soll sich also noch etwas Durst für ihren Star aufsparen...“ lächelte Ethan und erntete dann von Cole ein freundschaftliches Lächeln. „Hey, mach nicht immer meine Frau betrunken, ich kann es dann immer ausbaden.“ grinste dieser zurück und ließ Ethan schließlich nach draußen gehen. „Sei pünktlich zurück, sonst gibt es eine Gehaltskürzung...“ hörte Ethan noch, dann war er endlich draußen und der Lärm von drinnen verklang augenblicklich.
Der Schriftsteller schloss die Augen und sog mehrmals die frische Abendluft ein. Er genoss die vorrangige Stille und blendete alle unwichtigen Geräusche um ihn herum aus. Danach griff er sich in seine Hosentasche und zog seine Zigarettenpackung heraus, wobei eine Hälfte der Serviette auf den Boden segelte. „Verdammt“ flüsterte er leise, als wäre es ein Ding der Unmöglichkeit sich jetzt nach unten zu bücken. Ethans Finger umklammerten das Stück Papier, als er glaubte Geräusche zu hören, die sich nicht nach dem Zirpen von Grillen, oder Zwitschern irgendwelcher Vögel anhörten. Es war mehr ein schnelles Atmen und wohliges Seufzen. Langsam wandte sich der Schriftsteller um und blickte zu einem höher gelegenen und gekipptem Fenster. Das war zu viel für ihn. Natürlich wusste er, wessen schnelles Atmen es war und warum hier so wohlig geseufzt wurde und normalerweise hätte er es sogar als amüsant empfunden, aber nicht im Wissen, dass sich gerade Audrey auf seiner Party mit einem anderen Mann vergnügte.
„Tsss...“ kam es abfällig von ihm, dann ließ er die Zigarette fallen, die er sich aus seiner Packung geholt hatte und ging auf die Mauer zu um das Stück Serviette in seiner Hand dagegen zu pressen, ehe er den Stift hervorzog, den er vorhin vom Kellner bekommen hatte und erneut eifrig Worte aufs Papier brachte.
„Gierig erkundeten seine Hände den weichen, zarten Körper, den er voller Lust gegen die Wand drückte, im Schutze der Kabinen einer Toilette. Sie war Wachs in seinen Händen, trotz des ungemütlichen Ambientes. Doch so wollten sie es. Es war der Reiz, der sie so scharf machte, der die Küsse immer heißer und fordernder werden und seine Hände immer schneller über ihren Körper wandern ließ. Nichts war mehr von Bedeutung. Der Lärm draußen war völlig vergessen, alles war zählte, war die Lust die wie Spannung in der Luft lag und sie umhüllte. Auch ihre Hände begannen sich zu verselbstständigen, sie hatte keinen Einfluss mehr auf ihre Bewegungen, ließ sich nur noch von dem treiben, was sie wollte und was er ihr geben konnte. Sein Jackett landete auf dem Boden, ihre zarten Finger nestelten an den Knöpfen, während er ihr Kleid nach oben schob und ein Bein von ihr hochzog und um seine Hüfte legte, voller Erwartung, dass ihre Hände schneller an ihr Ziel kommen sollten. Gleichzeitig begann sich ein Riss in den alten Gemäuern zu bilden. Ein Riss, der ebenso schnell voran schritt, wie der immer schneller werdende Atem. Leises Keuchen kam ihr über ihre Lippen, als sie spürte, wie seine Finger sich in ihren Nacken krallten und er sie noch mehr zu sich zog, während der Riss sich immer mehr ausbreitete und die ganze Wand drohte, einzustürzen. Aber die Beiden bemerkten diese Gefahr nicht, hatten nur Augen für einander und die Lust die sie immer weiter vorantrieb, bis sich langsam Gestein zu lösen und die Mauer zu bröckeln begann. Es dauerte einen Moment, doch dann war es auch schon zu spät, mit lautem Getöse fiel die Mauer in sich zusammen und als sich die Staubwolken legten und sich der ganze Geröll in den Saal ausbreitete, standen die beiden in aller Öffentlichkeit und eng umschlungen, kurz davor sich ihrer Lust endgültig hinzugeben. Die geschockten und überraschten Blicke auf sich spürend, blickte sie jedoch nur in ein paar Augen. In die Augen, des Schriftstellers, der sie liebte, aber zu feige war, es ihr zu sagen.“
Ethan steckte den Stift weg, las sich die Worte noch einmal durch und faltete dann sorgfältig das Stück Papier, ehe er grinsend zu dem Fenster hoch blickte und sich dann umdrehte. Zurück im Saal angekommen, suchte er einen freien Bartisch und stellte sich mit direktem Blick zu der, gleich einstürzenden Mauer, während er bei einem Kellner ein Glas Whiskey bestellte, welches er auch prompt und auf die Sekunde genau bekam. Er hob es gerade mit einem schiefen Grinsen an, bis plötzlich die Mauer vor ihm einstürzte und eine Staubwolke empor stieg, der erstmal allen den Atem nahm. Er jedoch nahm seelenruhig einen Schluck seines Whiskeys und starrte unentwegt auf die Stelle hinter der Staubwolke, an der sich Audrey befinden müsste. Und so wie er es gerade eben noch geschrieben hatte, starrte sie ihm deutlich in die Augen. Mit sich zufrieden, aber gleichzeitig enttäuscht von Audrey starrte er zurück, ehe er seinen Blick von ihr löste und auf den Tisch sah, wohin er das Glas abstellte. Mit einer Handbewegung wischte er den kleinen Tisch trocken, dann sah er wieder auf und grinste leicht, während er Christian dabei beobachtete, wie dieser voller Panik sein Hemd wieder zuknöpfte, nachdem er ziemlich schnell Audreys Bein wieder losgelassen hatte.
Hey! Verurteilen Sie mich nicht.... Habe ich je behauptet einer der Guten zu sein? Ethan blickte zu seinem Glas Whiskey und wollte es gerade hochheben, als er plötzlich eine kleine weiße Visitenkarte fand, die vor wenigen Sekunden definitiv noch nicht da gewesen war. Verwirrt ließ sich Ethan von dem Spektakel um die eingestürzte Mauer und den überraschten Gäste ablenken und hob sein Whiskeyglas hoch um die Visitenkarte darunter hervorzuziehen. Sie war vollkommen weiß nur in der Mitte in kleinen schwarzen Druckbuchstaben, stand „Emily Cooper“ drauf. Mehr nicht. Ethan blickte um sich herum, um Emily zu finden, aber selbst wenn er sie in der Menge gesehen hätte, wie hätte sie die Karte unter sein Glas schieben können, ohne dass er sie bemerkt hätte? Noch mehr verwirrt, wandte er die Karte in seinen Händen um und starte auf die Worte die in schöner Handschrift geschrieben worden waren.
„Ich weiß was du kannst. Ruf mich an. Nicht jetzt, nicht heute, im Moment ist es wohl etwas ungünstig und deine kleine Show willst du doch sicher noch genießen. Morgen um 10:00 Uhr. Sei pünktlich.“
Ethan stieß sich von dem Tisch ab und ging einen Schritt zurück, während er seinen Blick, fast schon so panisch wie der Blick von Christian, durch die Menge gleiten ließ um Emily zu finden. Sie musste doch noch irgendwo hier sein. Aber obwohl Ethan schließlich auch noch sich durch die Menge quetschte und eine Blondine nach der anderen umdrehte, konnte er Emily nicht finden, so versuchte er sich wieder etwas abseits zu stellen und drehte die Karte noch ein paar mal hin und her, ehe er schließlich auf ihren Namen auf der Karte tippte und spürte, wie sein Handy in der Innentasche seines Smokings zur Bestätigung des Empfangs der Visitenkarte vibrierte. „Wer bist du Emily....“ flüsterte er und starrte die Visitenkarte immer noch gebannt an.