So meine Leser, danke für eure Feedbacks und hier nun die andere Seite meines vielseitigen Ichs
Romantik pur, Text ab für Grazia und Milan
Das Klagelied in Saint Richards war verstummt und der exzentrische Bau lag wieder lautlos in der Abgeschiedenheit der Ödnis. Milan hatte seine heiligen Hallen verlassen und die Bibel des menschlichen Verderbens für einige Zeit der Einsicht verlassen. Der unsichtbare Strang des fast verblassten eigenen Ichs zog ihn zum Silberpalast. Der geistig übrig gebliebene Funke glücklichen Lebens wollte Grazia noch einmal sehen, nachdem er nun wusste, dass die Dornenvögel ihm nach seinem verdammten Leben trachteten. Die Angst vollkommen zu sterben schnürte ihm die Kehle zu, auch wenn die Verwandlung zum Dornenvogel weitaus schmerzhafter hatte sein müssen. Das kleine Irrlicht trieb ihn immer näher ins Zentrum der Gegenseite, der einzige Ort, wo die Sonne noch ihren Weg unter den dunklen, wabernden Dunst fand.
Grazia stand wie sooft am Fenster und starrte wie in Trance auf das vernichtende Treiben, das unaufhaltsam voranschritt. Menschen auf den Straßen bedrohten sich in Angst es könnte ein Anhänger der dunklen Seite sein, der ihm gegenüber stand. Gesichter gezeichnet von Angst und Schrecken vor der schwarzen Woge, die die Erde erzitterte und von Saint Richards aus über der Stadt aufragte. Grazias silbernes Gewand legte sich schützend um ihren geschwächten Körper, auch sie hatte die Zeichen der Zeit getragen und an ihren letzten Kräften gezehrt. Es kostete sie sehr viel Energie die Schutzbarrieren des Silberpalastes aufrecht zu erhalten gegen den Ansturm der Übermacht. Als Einzige der Silbervögel trug sie noch ihr Amulett, doch sobald sie es berührte, durchfuhr sie ein brennender Schmerz, als würde es unter ihren Fingern verglühen. Aber sollte sie sterben würde dies mit Würde geschehen. Der Sturm rüttelte am Fenster und der klatschende Dauerregen versperrte ihr die weitere Sicht nach draußen. Langsam zog sie sich vom Fenster zurück und eine unsichtbare Kraft führte sie aus dem Zimmer heraus in die Unterführungen des Palastes. Eine Erinnerung nach der anderen wurde aus ihrem Verließ befreit je weiter sie lief. Hier hatte sie Milan das erste Mal getroffen, nachdem sie vor ihm und der Fremde des Palastes geflüchtet war, eine Hand streckte sich ihr entgegen und half ihr auf die Beine und sie hatte sich vom ersten Blick in seine Augen an geborgen gefühlt. Sie wusste er würde sie beschützen und ihm ging es genauso, waren sie doch beide erst Jugendliche gewesen.
Die Jahre schweißten sie zusammen bis ein weiterer Moment diese Einigkeit verdunkelte...die Gänge waren dunkel gewesen, sie suchte die Chronik und fand sie zerstört vor, auf bloßen Füßen begegnete sie Milan dem Dornenvogel unten in der Bibliothek und die Angst schnürte ihr noch heute die Kehle zu. Sie spürte noch heute die gnadenlose Kälte unter ihren Füßen und seinen schneidenden Atem in ihrem Nacken, wie er sie für sich einnehmen wollte. Es war eine schmerzvolle und lehrreiche Erfahrung den Mann hassen zu müssen, den man liebte.
Gedankenverloren wischte sie eine Träne fort, als sie die Stufen zu den Kellern hinabstieg. Die Bibliothek war noch immer am Ende des Ganges.
Milan erreichte die Hoftore des Silberpalastes, wie die Zeit doch vergangen war und die Dunkelheit ihn in einer Gedankenwende heimgesucht hatte, dies war seine Heimat gewesen und nun belauerte ihn ein dumpfes Gefühl bei Betreten der heiligen Hallen. Das strahlende Licht des Silberpalastes war schon sehr abgeschwächt, wie eine verglimmende Kerze, die sich mit ersticktem Docht noch am Leben halten will. Vielleicht war es eine Illusion oder ein letzter Funken an Realität, den er sich bewahren wollte, doch er kehrte nicht um. Durch den Hintereingang betrat er den das wolkenumspannte Gebäude, für eine Umkehr war es sowieso zu spät. Seine dunklen Schwingen ließen ihn beinahe lautlos über den Boden gleiten, es war ein langer Weg zurück nach Hause doch er hoffte seine letzte Lebenshoffnung würde ihn nicht verlassen. Der Wille des Menschen in ihm wuchs je weiter er den Palast betrat. Bald hatte er die Bibliothek erreicht Nur noch eine Wegbiegung trennte ihn von den Seiten der Reinheit, der Wahrheit und der Vernunft.
Grazia legte ihre Hand auf die Klinke und die schweren Flügeltüren öffneten sich, schwerfällig doch nahezu geräuschlos. Ihre hellen Augen suchten nach Etwas, was das Licht der Kerze ihr noch vereitelte. Sie musste um ein paar Regale herumgehen, bis sie es fand. Eine längst vergessene Erinnerung. Zwei silberne Notizbücher standen nebeneinander im letzten Regal des länglichen Raumes. Auf dem einen stand in ineinandergeflochtenen Buchstaben GM und auf dem anderen gegensätzlich MG. Immer wenn sie oder Milan hier unten waren hatten sie sich in ihrer Einsamkeit Briefe geschrieben, die hier in diesen Büchern verwahrt waren. Zaghaft zog sie das mit GM betitelte Buch heraus und schlug es auf, der letzte Eintrag war schon so lange her, doch ihre Haare streiften die feinen Seiten, als wäre es erst gestern gewesen, als sie es berührt hatte. Verzaubert von der Vergangenheit ließ sie sich an dem Regal heruntersinken und las, was ihr verliebter Kopf Milan damals geschrieben hatte. Ihr fiel nicht einmal auf, dass neben dem Regalplatz des Buches noch eine weitere Lücke klaffte. Sein Gegenstück war frisch entfernt worden. Mit einem Seufzen begann Grazia ein paar Zeilen an Milan zu schreiben, auch wenn sie dachte er würde sie niemals mehr lesen:
Ich erlag deinen Worten und tue es noch heute, jeder Silbenlaut den du mir gabst, erfüllte mich mit einem derartigen Selbstwertgefühl, wie ich es nirgendwo anders fand. Ich war verzückt von deinen Zeilen, von jedem einzelnen Buchstaben, der über das Papier tänzelte...
Und Milan saß mit dem Rücken zu ihr, ohne zu wissen sie war da, hielt er das zweite besagte Buch in den Händen und richtete ein paar letzte Zeilen an Grazia, atemlos und in einen längst vergangenen Traum versunken:
Jede freie Nacht habe ich genutzt um unseren in diesen Büchern aufbewahrten Träumen zu erliegen, kam hier her um dich zu lieben, du bist mir so nah gewesen, wie sonst kein Mensch und könnte ich es, würde ich weinen, um das was ich dir angetan habe...
Und Grazia schrieb:
Immer wollte ich deine Lippen auf meinen wissen, immer wollte ich zärtlich berührt werden und selbst über deine Wangen streichen und du solltest selbst mit geschlossenen Augen wissen, dass ich es bin, die bei dir ist, so innig war unsere Liebe. Und ob du mir glauben wirst oder nicht, auch heute wünsche ich mir, dass deine zu schwarzen Federn zerfallene Haut, über die meine streicht...
Seine Worte verewigte er:
Du branntest Buchstaben auf meine Lippen, die ich nicht verdient habe, Liebeserklärungen an einen falschen Freund, es tut mir so unendlich leid und ob du mir glauben wirst oder nicht, ich kann noch Liebe empfinden, ich bin nicht unsterblich wie sie...ein letzter Teil in mir ist sterblich und er wird sich an dich erinnern sollten sie mich töten und...
Ein letztes Wort an ihn:
Du hast mich in deinem Herzen gefangen, was nichts mehr fühlt, außer Kälte und Hass und doch reicht ein Federhauch um es wieder zu entfachen, wenn ich dir helfen könnte so würde ich es tun, doch es ist zu spät, ich liebe dich.
Ein letztes Wort an sie:
Grazia, bitte vergib mir irgendwann für meine Taten, ich liebe dich, egal was war, egal was ist und egal was kommt.
Sie ließ den Füllfederhalter sinken und hielt inne, innerlich aufgewühlt und unfähig zu realisieren was um sie herum geschah, lauschte sie ihrem eigenen gleichmäßigem Atem ohne zu wissen, dass es sein Atem war. Und seine Feder kratzte nicht mehr über das Papier, sondern fiel zu Boden. Langsam richteten sie sich beide an dem Regal auf und stellten das Buch zurück an seinen Platz Das Regal zwischen ihnen, aber ihre Hände berührten sich genau in diesem Moment. Zarte Haut tastete nach ledernem Schwarz und seine Klaue strich sanft über ihre Finger. Und beide hielten sich für schlafend im Traum, bis sie entsetzt zurückwichen. Grazia starrte auf ihre Hand und ihr Herz begann schneller zu schlagen, wenn er hier war könnte dies ihr Ende sein und doch hatte sie ihm eben noch das Gegenteil geschrieben. Bitte lass mich jetzt nicht versagen, ich möchte ihr nicht noch mehr weh tun, dachte es in seinem Kopf. Beide zogen den gleichen Schluss und wagten sich wieder näher an das Regal heran, spähten durch den freien Schlitz und blickten in gegenüberliegende Augenpaare. Seine Augen...der Glanz erloschen und doch sahen sie aus wie früher. “Milan...”, flüsterte Grazia und wagte es nicht den Augenkontakt abzubrechen. “Ja ich bin hier Grazia, doch sie jagen mich, ich muss gehen.”, antwortete er ihr kühl und distanziert aufgrund seiner Wandlung, aber sie wusste wie ernst er dies meinte. Ihr silberner Mantel raschelte, als sie sich den Weg herum um das Regal wagte. Sein Anblick hielt sie davon ab näherzutreten, sie hatte sich so gewünscht jetzt ihre Angst vor ihm überwinden zu können, doch diese tiefe Schwärze und diese unberechenbaren Mordinstrumente, die zu seinem Körper gehörten, versetzten ihr einen Stich ins Herz. Bring sie um...töte sie und du bist frei von diesen Gefühlen, die dich daran hindern ein Dornenvogel zu sein...sprach es in ihm aus weiter Ferne, sie ist der Schlüssel...
Doch die Umgebung des Silberpalastes hielt ihn noch immer davon ab zu töten und seine menschliche Seite überwog. Alicia hatte er in der Kathedrale getötet, weil er sie auch nicht hier zu töten gewagt hatte. “Ich kann sie nicht entfernen.”, deutete er hilflos mit einem Blick auf die gewaltigen Klauen und versuchte zu lächeln, was in seiner derzeitigen Erscheinung eher wie eine Grimasse wirkte. Grazia machte einen Schritt auf ihn zu und überlegte, hätte er sie nicht schon längst umgebracht, wenn er es wirklich gewollt hätte? Vorsichtig und behutsam streckte sie eine Hand aus und strich über sein Federkleid. Er verfolgte ihre Berührung und spürte, wie ein Teil des Eises in ihm brach und eine warmer Lichtstrahl sich in seine Wahrnehmung bahnte. Ja sie war der Schlüssel...doch der Schlüssel zu weitaus Besserem als das Dasein eines Dornenvogels. “Grazia ich...es tut mir alles so leid.”, klang seine Stimme noch immer monoton aus ihm heraus. Es war ein beschwerlicher Weg Gefühle zu empfinden in seinem jetzigen Zustand. “Ich weiß, dass es dir leid tut, du hast diese Dinge nicht vollbracht, das war dieses Ding...”, zeigte sie an ihm herunter und suchte eine Möglichkeit ihn zu umarmen, “ aber da du darin gefangen bist, kannst du mir auch nur in diesem Körper nah sein.” Seine Augen blickten wehmütig auf ihre Versuche einen weichen Halt an dieser harten Rüstung zu finden, er würde sie verletzen, egal was er tat. Darum hob er nur leicht ihren Kopf an und zog eine der schwarzen Schwingen aus seinem Gewand. Leicht wie ein Windhauch berührte die Feder ihr Gesicht. “Wenn ich könnte, würde ich dich jetzt streicheln...”, strich die Feder während seinen Worten über ihre Wangen, ihre Stirn und ihr Kinn, “und danach würde ich dich küssen.”, strich sie weiter über ihre Lippen. Tränen standen in Grazias Augen, als er die Feder wieder zurückzog, wie sehr sehnte sie sich doch nach genau Diesem. In seiner Gegenwart wirkte sie immer sehr zerbrechlich und schwach, doch heute war er zu ihr zurückgekommen, wenn auch nur für kurze Zeit. “Du musst jetzt gehen...”, sprach sie ihm Mut zu und öffnete die Fenster. Töte sie...sie ist der Schlüssel...loderte es warnend in Milan auf und der zurückgewonnene Glanz erlosch von Sekunde auf Sekunde. Grazia lächelte, als sie auf ihn zurückblickte, doch er wusste, dass dieses schöne Gefühl nun wieder verschwinden würde. Mächtig öffnete er seine Schwingen und stieg auf das Fensterbrett. Sie folgte ihm und steckte ihm das Buch GM zu. “Nimm es mit, es wird dich wärmen.” Dankbar vergrub er es unter seinen Kleidern und verschwand in der Dunkelheit.