Stella
5.000er-Club
Five - Boten der Nacht
Ich lief und lief, nichts schien mich aufzuhalten. Kein Ziel und kein Hindernis waren für mich ein Grund meinen Lauf zu unterbrechen. Wie von einem unsichtbaren Band gezogen, trieb es mich durch die dunkle Nacht. Mein Atem ging schwer, die Last des Laufes breitete sich in meinen Gliedern aus und versuchte mir ein Hindernis zu werden, doch es brauchte nur zwei Augenblicke und der Schmerz war schneller verschwunden, als er versucht hatte sich aufzubäumen. Die Kraft, die mir dies alles immer so leicht machte, die, die sich in meinen Glieder fortan von Tag zu Nacht, von Morgen zu Mittag bewegte und ein nicht endender Lebenssaft zu sein schien. Und doch ängstigte sie mich und ließ mich immer vorsichtig sein. Denn es gab sie, die sie mir entwenden wollten, sie, die meinen Tod bedeuten könnten, sie, die immer an meinen Fersen hingen, sie, vor deren ich jetzt davonlief. Die Five!
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Der Tag brach an und sie wachte auf, eine unendliche Nacht lag hinter ihr und die Spuren des Kampfes, der sich zugetragen hatte, waren an ihrer Trägheit zu erkennen. Wieder mal hatten sie sie gefunden und wieder mal musste sie vor ihrer Vergangenheit und Bestimmung fliehen.
Doch wie schon seit 24 Jahren und unendlichen Tagen, hatte sie gewonnen. Sie hatte sie in die Flucht geschlagen und ihnen gezeigt, dass die Kraft nie enden würde, deren sie habhaft werden wollten. Die Kraft, die einen nie endenden Ursprung im Sein des Lebens hat.
Grace blinzelte der Sonne entgegen und schlurfte zur Küche. Ihre Glieder schmerzten ein wenig, doch wie auch in der Nacht, war der Gedanke an den Schmerz das beste Heilmittel um ihn zu besiegen. Wie immer öffnete sie den Kühlschrank, nahm die dunkle Flüssigkeit heraus und trank einen kräftigen Schluck davon. Sofort erbebte es in ihrem Innern und ihr wurde die Macht geschenkt, die ihr half diesen Tag zu überstehen.
Sie griff zu dem Hörer und wählte die Nummer, die sie immer nach solchen Abenden anrief und wie immer meldete sich die liebliche Stimme ihres Bruders, der sie versuchte zu beruhigen und in die reale Welt zurück zu führen.
„Liebes, komm sie sind dir nicht gewachsen und das werden sie nie sein, also mach dir keine Sorgen“, klang die Stimme so ruhig und bestimmt, dass die Wahrheit darin schon fast erschreckend war.
Schon seit ewigen Zeiten kämpfte sie gegen die Five und schon immer ging sie aus jedem Kampf als Siegerin hervor, doch sie wusste, dass der Tag kommen würde, an dem dies nicht mehr der Fall wäre. Doch der Klang der Stimme ihres Bruders ließ sie dies für Sekunden vergessen.
„Jaja, deine Worte in Gottes Ohr!“, erklang ihre Stimme spöttisch ihrem Bruder gegenüber.
„Ach Gracie, ich hoffe du bist fertig!“, schwieg er nach diesen Worten eine Weile und fuhr dann fort, „Ich hoffe du weißt was heute ist“, erklang es und der Ausdruck auf dem Gesicht seiner älteren Schwester sprach Bände.
„Nein! Du hast nicht schon wieder deinen eigenen Geburtstag vergessen?“, tadelte ihr Bruder sie.
„Habe ich denn überhaupt so was? Wie kann ich geboren worden sein, wenn ich niemals sterben kann?“, hörte er die Worte, die er nun schon so oft aus ihrem Munde gehört hatte. Und jedes Mal war er froh, sie noch hören zu können.
Jedes Jahr tat sie ihrem Bruder diesen Gefallen und ließ ihn eine Party für ihren Geburtstag organisieren, an der sie schon sehr oft nicht teilnehmen konnte. Der Grund dafür...wie immer die Five, doch heute sollte es ruhig sein. Zwei Angriffe hintereinander wagten sie nie.
„Okay ich bin in 20 min da“. Mit diesen Worten, fiel der Hörer auf die Gabel und schon Bruchteile an Zeit später stand sie fertig angezogen in ihrem hautengen roten Lederoutfit vor dem Spiegel.
Ihr langes braunes Haar fiel lockig über die Schultern und bildete zu dem weißen Mantel einen wunderschönen Kontrast. Sie strich sich zart eine Strähne hinters Ohr, schwang ihre Ledertasche über die Schulter und bewegte sich auf ihren hochhackigen schwarzen Schuhen die Treppen hinunter.
Sekunden später heulte der Motor ihres Lamborghinis auf und sauste Richtung Prescott Street, wo sie von mehr als 20 Personen nervös erwartet wurde.
„Da bist du ja endlich“, stand Jason unruhig auf der Treppe und begrüßte seine Schwester mit einer heftigen Umarmung und küsste sie mehrmals auf die Wangen. Ein Ritual, das Grace ihm gerne abgewöhnen würde, jedoch bis heute damit gescheitert war.
„Entschuldige, doch ich konnte mich nicht zwischen dem kleinen Schwarzen und diesem hier entscheiden“, zeigte sie an sich herunter und drehte sich lachend einmal um die eigene Achse.
Jason pfiff, um dem Spielchen die Würze zu verleihen und geleitete seine Schwester in das Elternhaus, welches seit dem Tod ihrer Eltern sein Eigen war.
Grace wollte nicht mehr hier wohnen. Der Gedanke, an dem Ort zu schlafen, an dem ihre Eltern ihretwegen das Leben lassen mussten, quälte sie jedes Mal aufs Neue, wenn sie die Pforte ins Reich der Familie Piere betrat.
„Grace Piere, auf die Minute genau“, kam ein schlaksig wirkender, kleiner Mann auf sie zu.
Brian war schon seit dem Kindergarten der Freund der Pieres und jedes Mal überaus glücklich Grace zu sehen, die schon lange sein Herz im Sturm eroberte hatte. Jedoch nahm sie davon selbst nie Notiz, denn Liebe war für Grace ein Bestandteil des Lebens, der nicht mit ihrem Schicksal vereinbart werden konnte.
„Brian, schön, dass du hier bist“ erwiderte sie die kommende Umarmung und wurde danach auch von allen weiteren 18 Gästen herzlich willkommen geheißen.
Ein kleines Liedchen stimmte die kleine Gruppe für das Geburtstagskind an, jedoch sollte das Lied nie ein Ende finden.
Der Raum füllte sich mit Nebel, Schwärze folgte dem auf der Stelle und Geräusche die für das menschliche Ohr nicht erträglich waren.
Grace konnte es nicht glauben, sie wagen es ein zweites Mal hintereinander.
Mit tierischer Genauigkeit suchten ihre Augen die Umgebung ab und konnten die schemenhaften Gestalten wahrnehmen, die sich sekundenschnell Zugänge zu dem Haus verschafften.
Die Gäste waren schon längst in Starre verfallen, die der Nebel in ihren Gliedern verursachte. Man konnte Münder erkennen, die gerade einen Schrei entgleiten lassen wollten, jedoch nicht soweit kamen, da die Starre sie erreichte.
„Verdammt! Nicht dieses Jahr!“, schrie Grace vor Wut auf und ihre Haaren flogen durch den Wind, als sie die schnellen Bewegungen ihrer Glieder in sich vervollständigte und sie so den Augen ihrer Feinde entkam.
Schnell war sie im Keller, bestückte sich mit dem Sarazenenschwert der Familie und machte sich wieder nach oben auf, um sich dem Kampf zu stellen, der sie nun erwarten würde.
Aber es war still und hell und alle Gäste waren wieder erwacht.
Blicke suchten die Umgebung ab, ihre Blicke, die verzweifelt versuchten zu erkennen, was passiert war. Darüber hinaus bemerkte sie nicht die Augen, die sie verwirrt anstarrten und nicht begreifen konnten, warum sie aufgelöst mit einem Schwert in der Hand nun ihrer Party beiwohnte.
„Jason, neeeiiinnn…“, schrie sie auf und verstummte sofort, fiel in Ohnmacht und landete unsanft auf dem Boden.