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Die Böse Macht

Pyro

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Düsseldorf
Die Böse Macht



Der Himmel über San Francisco hatte sich verdunkelt. Dicke schwarze Wolken waren aufgezogen und hingen bedrohlich über der Stadt. Die Menschen der sonst fröhlichen sonnigen Metropole zog es nach Hause zu ihren Familien; die Straßen waren so leer wie nie zuvor. Ein Gefühl der Furcht und Kälte hatte die Leute erfasst, und mit einem Mal hatten sie alle das Bedürfnis, die Geborgenheit und Wärme ihrer Liebsten zu spüren. Die Stadt, das fühlten sie unbewusst, konnte ihnen keine Sicherheit mehr geben. Woher dieses Empfinden kam, konnte keiner erklären, aber es hatte San Franciscos Einwohner wie eine Krankheit befallen und war nicht mehr loszuwerden. Angst und Finsternis lagen über der Stadt.

Besonders die Menschen, die in der Prescott Street lebten, fühlten diese Veränderung. Kaum einer von ihnen traute sich mehr nach draußen, sie verkrochen sich in ihren Häusern und warteten, stumm und unsicher; und manch einem kam es vor, als warteten sie alle auf den Tod, der sie von ihrer Angst befreien würde.
Nur die viktorianische Villa in der Nummer 1329 war nicht von der allgemeinen Untergangsstimmung befallen. Im Gegenteil, ihre Bewohner schienen ausgelassener denn je.
Im Wohnzimmer des alten mächtigen Hauses saßen in diesem Moment drei junge Frauen: Piper, Phoebe und Paige. Jahrelang hatten sie als die stärkste gute Macht gegen das Böse auf dieser Welt gekämpft. Zahlreiche Dämonen hatten im Kampf gegen sie ihr Leben gelassen, selbst die Quelle alles Übels hatten sie mehrere Male vernichtet. Sie waren die Besten gewesen, stark und unbesiegbar. Doch dann waren sie auf Dentalien gestoßen. Schon einmal hatte diese Hohepriesterin versucht, die Drei auf die Seite des Bösen zu ziehen; damals war es ihnen jedoch gelungen, sie zu besiegen. Doch dieses Mal war es anders ausgegangen: Mit List und Tücke hatte es Dentalien geschafft, dass die Drei sich mit einer unglaublichen Intensität von der dunklen Magie angezogen gefühlt, und beinahe willenlos die Seiten gewechselt hatten. Unerfahren auf diesem Gebiet hatten sich Piper, Phoebe und Paige von Dentalien leiten und lehren lassen: Sie lernten Zaubersprüche, die sie anschließend fein säuberlich ins Buch der Schatten übertrugen; sie sahen ihr bei dunkeln Ritualen zu und merkten sich deren Abläufe; sie beobachteten Dentalien während sie Zaubertränke kochte; und abends, wenn die Drei müde und erschöpft von der Erziehung in schwarzer Magie im Wohnzimmer des Manors saßen, paukten sie Vokabeln der alten vergessenen Sprache, die nur noch in der Unterwelt gesprochen wurde. Während all der Zeit hatten sie sich Dentalien total unterworfen, sie hatten ihr gehorcht und nach ihren Regeln gelebt. Ihre Zauberkräfte hatten sie kaum eingesetzt, außer, Dentalien hatte es verlangt. Am Anfang war es ja ganz hilfreich gewesen, ein paar Sprüche und Sitten zu lernen; aber mit der Weile reichte ihnen das nicht mehr. In ihnen allen hatte es gebrodelt; sie wollten endlich töten und Blut an ihren Fingern sehen, sie waren gierig danach, anderen Schmerz zuzufügen; sie verzehrten sich danach zu sehen wie jemand leiden musste, weil sie ihn quälten. Immer ausgelaugter und aggressiver wurden die Drei, und eines Tages, als Dentalien sie damit beauftragt hatte, Fledermäuse und Ratten sammeln zu gehen, deren abgeschnitten Ohren und fein säuberlich rausgetrennten Innereien unverzichtbar für fast jeden Trank waren, da hatte es ihnen plötzlich gereicht. Anstatt Angst und Schrecken auf der Welt zu verbreiten, mussten sie Sklavenarbeiten erledigen; und anstatt der Untertanen, die ihnen treu und ergeben dienen sollten, mussten sie selbst im Dreck nach Ratten wühlen. Wer von ihnen den Gedanken zuerst geäußert hatte, wussten sie hinterher nicht mehr; aber einmal ausgesprochen, hing er in der Luft und benebelte ihre Köpfe, bis sie an nichts anderes mehr denken konnten. Und dann hatten sie es einfach getan. Dentalien getötet. Zum ersten Mal hatten sie jemanden aus purer Willkür umgebracht, einfach, weil ihnen nicht gepasst hatte, was sie von ihnen verlangt hatte. Zwar gehörte sie zu den Bösen, von denen die Drei schon viele vernichtet hatten, aber bisher nur um Unschuldige zu retten oder ihr eigenes Leben zu verteidigen. Der erste Mord aus reiner Lust am Töten war etwas ganz Besonderes gewesen, und keine von ihnen hätte gedacht, dass es ihnen so eine Befriedigung geben würde.
Nun saßen sie im Wohnzimmer des Manors und stießen auf ihren Sieg an. Grinsend füllte Piper drei Gläser mit Sekt. Ihre Schwestern nahmen sich jede eins. Paige trank einen Schluck und lachte dann höhnisch los: „Habt ihr ihre hässliche Visage gesehen, als ich ihr das Messer in den Bauch gerammt habe? Ich hätte ihr am liebsten ins Gesicht gespuckt, der alten Ziege!“ Phoebe grinste. „Ja, sie war wohl überrascht, wie mächtig wir sind. Was dachte die denn? Wir sind nach wie vor die stärkste magische Macht, die existiert. Dentalien war gegen uns doch nur ein Haufen Elend. Ihre lumpigen Kräfte im Vergleich zu unseren – es war nur eine Frage der Zeit, bis wir genug gelernt hatten, um sie zu vernichten.“ Paige nickte. „Sie hätte es von Anfang an wissen müssen. Stattdessen hat sie uns ihr ganzes Wissen beigebracht. Wie dumm kann man eigentlich sein?“ Piper brauste auf. „Uns ihr Wissen beigebracht? Na, übertreib aber mal nicht. Wir hätten das auch sonst gelernt, durch sie ging es vielleicht ein bisschen schneller. Aber eigentlich war alles, was sie getan hat, dass sie uns rumgescheucht hat. Ihre Sklavinnen waren wir, weiter nichts.“ Piper redete sich immer mehr in Rage. „Wir hatten doch gar keinen eigenen Willen mehr. Dentalien umzubringen war die beste Idee seit langem. Es war ein richtig gutes Gefühl. All mein Hass und meine Abscheu gegen sie kamen in diesem einen Akt zum Vorschein. Das hat verdammt gut getan.“ Phoebe nickte, „Oh, ja, ich versteh genau, was du meinst. Es war fantastisch. Ich habe mich noch nie so erregt, befriedigt und erlöst in einem gefühlt. Als wäre dieser Mord das, worauf ich mein Leben lang gewartet hatte. Die paar Dämonen, die wir früher vernichtet haben, das war nichts dagegen. Am liebsten würde ich schon wieder losziehen und jemanden töten.“ Piper nickte. „Schwesterherz, du sprichst mir aus der Seele. Lasst uns mal überlegen. Wer könnte der nächste auf unserer Liste sein?“

Einige hundert Meter weiter oben war die Stimmung bei weitem nicht so gut
 
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In diesem Moment eilte ein alter gebrechlich wirkender Mann durch die langen Gänge eines ebenso alten ehrwürdigen Gebäudes. Vor vielen tausend Jahren war es aus Marmor erbaut worden, und wurde vom Ältestenrat seit jeher als Versammlungsstätte genutzt. Normalerweise fanden diese Treffen nur alle fünf Monate statt, um Nachrichten auszutauschen und die neuesten Ereignisse zu besprechen. Obwohl die letzte Zusammenkunft erst zwei Monate zurücklag, war für heute wieder eine einberufen worden. Mit höchster Dringlichkeit hatte der oberste Rat diese außerordentliche Versammlung anberaumt, und entsprechend eilig hatte es auch Rufus, der gerade auf dem Weg zum Konferenzsaal war. Außer ihm waren bereits alle da und heftig am Debattieren, was wohl der Grund für dieses Treffen war. Rufus betrat den Saal und ließ mit einer Handbewegung die schwere Eichentür zuschlagen. Der Knall verfehlte seinen Wirkung nicht: Mit einem Mal verstummten die Gespräche und die Geladenen ließen sich an dem langen gläsernen Tisch nieder. Dieser Tisch und die Stühle um ihn herum waren die einzigen Möbelstücke in dem Saal, der von etlichen Marmorsäulen gestützt wurde. So einfach dieser Raum schien, so bedeutend war er doch: Hier fielen alle wichtigen Entscheidungen, über das Wohl der Menschheit wurde hier diskutiert, hier wurden Probleme gewälzt und gelöst; und auch die Freudenfeier über den endgültigen Sieg der – damals noch guten - Charmed Ones hatte hier stattgefunden.
Heute gab es nichts zu feiern, das stand Rufus deutlich ins Gesicht geschrieben. Sein schmaler Mund war nach unten gezogen, die schlohweißen Haare standen ihm wirr vom Kopf ab und unter seiner runzelnden Stirn blitzten zwei bekümmerte blaue Augen hervor. Er war als einziger stehen geblieben und ging nun auf seinen Platz am Ende des Tisches zu. Langsam schob er den Stuhl zurück, doch er setzte sich nicht, sondern bleib stehen und stützte sich mit den Händen am Tisch ab. Eine Weile blickte er auf seine schrumpligen Fingern; dann hob er den Kopf. Angst und Besorgnis standen in seinem Blick. Er schluckte noch einmal und begann dann ohne Umschweife zu sprechen: „Liebe Freunde und Gefährten,“ sagte er mit betonter Stimme, „ihr wundert euch sicher alle, warum ich heute um diese Versammlung gebeten habe.“ Aufkommendes Stimmengewirr bestätigte diese Vermutung. Rufus klopfte mit der Faust auf den Tisch. „Bitte, bitte... wir haben nicht viel Zeit. Nun denn. Einige Jahre ist es nun her, dass die Mächtigen Drei die Quelle und ihre Kräfte besiegt haben. Seit damals hat sich das Gleichgewicht der Mächte zwischen gut und böse verschoben. Unsere Seite hatte gesiegt, und für die Menschen war das Leben auf der Erde angenehm und schön. Das alles hatten wir den Dreien zu verdanken. Nun, leider muss ich euch etwas sehr Ernstes mitteilen. Einer schwarzen Hohepriesterin, Dentalien, ist gelungen, was wir immer befürchtet haben: Sie hat die Drei auf die dunkle Seite gezogen.“ Rufus wurden von mehreren Aufschreien unterbrochen. Das Stimmengewirr brach wieder los. „Das kann doch nicht sein!“ „Wie war das möglich?“ „Wie soll es mit den Guten weitergehen?“ Rufus hob die Hand und bat um Ruhe. „Ich verstehe eure Aufregung natürlich. Doch das Wichtigste ist, dass wir jetzt schnell eine Lösung finden, sie wieder in die richtige Richtung zu treiben. Ein erstes Opfer gab es bereits: Dentalien. Und wenn die mächtigen Drei ihre Kräfte auf der bösen Seite erst einmal voll entfaltet haben, wird es schlimm aussehen für die Welt.. Nicht nur die Menschen werden leiden, sondern alle guten Wesen. Das Böse wird die Macht und die Kontrolle übernehmen. In ewiger Finsternis werden wir darben, beherrscht von Unbarmherzigkeit und Barbarei. Und genau das gilt es zu verhindern.“ Einer der Ältesten hob seine Hand. Rufus nickte ihm zu. Der Mann stand auf. „Eine von ihnen ist doch mit ihrem Wächter verheiratet. Kann der sie nicht zur Umkehr bewegen?“ Rufus verneinte. „Piper hat sich von ihm getrennt. Da ist wohl nichts zu machen. Aber ich kann Leo rufen lassen, damit wir seine Meinung hören.“ Er machte eine Handbewegung, und eine leise Tonfolge war zu hören. Kurz darauf kam ein Schwarm blauer Punkte angeflogen. „Adam! Halt endlich still!“ Leo stand direkt neben Rufus, an seiner Hand ein kleiner strohblonder sich sträubender Junge, der nur einen Bademantel anhatte. „Verzeiht, my Lord,“ sagte Leo, „ich wollte ihn gerade... waschen.“ Rufus lächelte ihn an, „Das ist schon okay. Ich kenne ja die... Umstände.“ Er wandte sich dem Ältestenrat zu. „Liebe Freunde, die meisten von euch kennen Leo wohl. Weniger von euch dürften den Kleinen hier kennen. Das ist Adam, der Sohn von Leo und Piper. Aus den eben genannten Gründen hielt Leo es für sicherer, ihn bei sich zu behalten, und da er schon sehr viel Gutes für uns und die Mächtigen Drei getan hat, gab ich ihm das Privileg, den Kleinen hier bei sich leben zu lassen. Euer Einverständnis habe ich hierbei vorrausgesetzt.“ Der kleine Adam hielt die Hand seines Vaters festumklammert. Mit großen braunen Augen blickte er erstaunt um sich. „Wo sind wir denn hier, Daddy?“ fragte er mit leicht verwirrter Stimme. Dass sein Vater sich ohne Hilfsmittel von einem Ort zum anderen beamen konnte, daran war er gewohnt. Aber was war das hier für ein Zimmer? Und wer waren die vielen Männer? Leo kniete sich nieder. „Das hier ist ein sehr wichtiger Raum für uns.“ Adam sah ihn überrascht an: „Wieso? Ist Mummy hier?“ Leo schmunzelte. „Nein, mein Kleiner. Aber all diese Männer, die du hier siehst, beschützen uns vor den Bösen.“ „Sowie Mummy?“ Aus Rücksichtnahme hatte Leo seinem Sohn keine Einzelheiten erzählt. Der Kleine war immer noch auf dem Stand, dass seine Mutter die Menschen vor dem Bösen bewahrte. Angesichts dieser Frage entschloss sich Leo zu einer Notlüge. „Nun, ähm...fast wie Mummy.“ Rufus räusperte sich. „Leo, wir sind gerade in einer wichtigen Besprechung. Könntest du ihn nicht von hier wegbringen?“ Leo nickte. „Natürlich, er soll zuhause auf mich warten. Einen Moment.“ Die beiden schwirrten davon und kurz drauf war Leo wieder da. „Worum geht es denn?“ „Nun, ich habe gerade erzählt, was mit deinen Schützlingen...deiner Frau... mit den mächtigen Drei... was...öhm... passiert ist.“ Leos Gesicht wurde härter. So cool er vor seinem gerade mal fünfjährigen Sohn tat, in Wahrheit hatte er das alles noch lange nicht verkraftet.
 
Seine drei mächtigsten Schützlinge hatte er an das Böse verloren, seine Frau hatte ihn verlassen, und Phoebe und Paige, die wie Schwester für ihn gewesen waren, hatten sich ebenfalls von ihm abgewendet. Er hatte versagt, auf ganzer Linie. Rufus sprach weiter: „Wir sind am überlegen, was wir tun können. Hast du einen Vorschlag?“ Leo schüttelte den Kopf. „Nein. Wir... wir sind machtlos. Es tut mir so Leid.“ Rufus blickte ihn die Runde. „Und ihr?“ Betretenes Schweigen. Er seufzte. „Nun, denn. Eine Möglichkeit gibt es noch.“ Leo sah ihn überrascht an. „Es ist nicht die beste, aber eine Alternative haben wir nicht. Es gibt eine neue gute Macht, auch drei Hexen. Sie sind sehr begabt, haben viel Talent – aber ihnen fehlt die Übung. Sie sind noch sehr unerfahren und haben bisher nur gegen kleine unwichtige Dämonen gekämpft. Allerdings haben sie sehr gute Kräfte. Wenn sie sie gezielt einsetzen, könnten sie damit eine sehr starke Macht des Guten werden. Wir könnten es riskieren, und sie damit beauftragen, sich gegen die Drei zu stellen. Was meint ihr?“ Zuerst sagte keiner ein Wort. Dann brachen die Diskussionen los. Während einige fest davon überzeugt waren, dass das die Lösung war, nach der sie alle gesucht hatten, fanden andere diesen Vorschlag absurd und lächerlich. Unerfahrene Hexen gegen die Mächtigsten kämpfen zu lassen? Käme das nicht einem Todesurteil gleich? Es wurde heftigst debattiert bis Rufus schließlich auf den Tisch klopfte: „Ruhe, meine Herren. Um zu entscheiden, ob wir Drei tatsächlich diesem Risiko aussetzen wollen, werden wir abstimmen. Wer ist dafür?“ Sofort schellten mehrere Arme hoch. Rufus zählte 19 Stimmen. Da der Rat aus 33 Mitgliedern bestand, war das Ergebnis klar: „Wir werden es versuchen.“ verkündete Rufus mit fester Stimme. „Allerdings gibt es da noch ein Problem: Tamara, ihre Wächterin des Lichts, wurde bedauerlicherweise gerade erst bei einem Kampf um einen anderen Schützling getötet. Bisher haben wir noch keinen Nachfolger für sie gefunden.“ Leo, der sich bisher zurückgehalten hatte stand mit einem Ruck auf. „My Lord, diese Aufgabe möchte ich übernehmen.“ Rufus blickte ihn erstaunt an. „Du, Leo?“ Er nickte. „Bitte, lasst mich das machen. Ich kenne Piper, Phoebe und Paige so gut wie kein anderer, ich werde den drei Hexen gute Ratschläge und Tipps geben können. Außerdem habe ich die Besten geführt. Zusammen mit den Mächtigen Dreien habe ich die Quelle besiegt, ich kenne viele Gefahren und ich war auch schon einige Male in der Unterwelt. Gebt mir diesen Auftrag, und ich werde ihn gewissenhaft ausführen.“ Rufus sah Leo zweifelnd an. „Und du glaubst wirklich, dass dich das nicht zu sehr belastet? Immerhin wirst du gegen deine ehemaligen Schützlinge kämpfen müssen, und nicht durch das – auch gegen die Mutter deines Sohnes.“ Leo nickte. „Ja, dessen bin ich mir bewusst. Aber ich möchte es dennoch.“ Rufus zuckte die Schultern. „Nun, du bist einer der besten, und du hast Erfahrung. Ja, Leo. Hiermit vertraue ich dir diesen Auftrag an. Ich werde dir noch alles notwendige erzählen, was du über die Drei und ihre Kräfte wissen musst. Danach liegt das Schicksal der Menschheit in eurer Hand. Der Sieg sei mit euch.“

Indessen standen Piper und Phoebe in der Küche des Manor und waren dabei, einige Tränke zu brauen. Weniger, weil sie sie wirklich brauchten, sondern viel mehr um in Übung zu bleiben. Gerade rührte Piper einen zusammen, der den Gegner einfrieren ließ. Sie warf einen Mäuseschwanz in die Mischung und sah zufrieden zu, wie es zischte und lila Funken sprühten. „Weißt du, was ich das Beste daran finde, dass wir böse sind?“ fragte sie Phoebe, während sie in das kochende Gebräu blickte. Diese zuckte die Schultern. „Nein, was denn?“ „Unsere neuen Kräfte. Wie lächerlich war doch das, was wir früher konnten, im Vergleich zu jetzt.“ Da war etwas dran. Dentalien hatte den Dreien nicht nur Neues beigebracht, sondern auch ihre bereits vorhandenen Kräfte gestärkt. Mit einer Handbewegung konnte Piper beliebig viele Angreifer erstarren oder explodieren lassen; sie konnte problemlos die Moleküle jedes einzelnen Körperteiles verlangsamen oder beschleunigen, und das Beste war: Sie musste denjenigen nicht einmal sehen, es genügte, wenn er sich im Umkreis von zehn Metern befand. Auch Phoebe war hochzufrieden. Sie musste nicht mehr länger auf Visionen warten, sondern konnte sie selbst herbeirufen. Außerdem war ihre Levitationskraft erheblich gewachsen: Sie konnte inzwischen tatsächlich einige Meter weit fliegen. Paige hatte ihre Fähigkeiten als Wächterin des Lichts ausgebaut. Obwohl dies ja eigentlich eine rein gute Kraft war, hatte sie sie zu ihren Zwecken genutzt. Inzwischen konnte sie nicht nur andere, sondern auch sich selbst problemlos heilen, und nicht nur das: Sie konnte ihre eigenen Wunden auf andere übertragen.
Angesichts dieser Tatsachen blieb Phoebe nichts anderes übrig, als heftig zu nicken: „Du hast vollkommen recht. Ich liebe es zu fliegen, wie ein Drache. Wenn ich doch auch nur so Feuer spucken könnte. Na ja, diese Fähigkeit werde ich mir auch noch besorgen.“ „Natürlich, Schwesterherz, das ist alles gar kein Problem. Wir sind einfach die Mächtigsten. Und weißt du, was ich finde? Wir sollten unsere neue Position in der Unterwelt endlich mal klar stellen. Wir sind jetzt die Besten, wir haben jetzt das Sagen. Die Unterwelt vegetierte doch sowieso nur noch vor sich hin. Mit uns als neuen Anführern wird das Böse endlich wieder zu seiner alten Stärke erwachen. Zu dumm, dass wir früher nicht so gedacht haben. Wir haben viel zu viele gute Dämonen getötet, die uns jetzt gefügig wären.“ „Blöd waren wir, all die Jahre lang.“ bestätige Phoebe. „Wir haben so ein langweiliges Leben geführt. Wieso eigentlich? Wir haben uns ständig für andere ins Zeug gelegt, die ganze Zeit haben wir uns um andere gekümmert. Wie dämlich waren wir, dass wir unsere Bedürfnis so zurückgesteckt haben? Und unser Haus war die ganze Zeit kaputt, das Geld, das wir verdient haben, mussten wir ausgeben, um die Schäden der Dämonen zu beseitigen. Wie ich das alles satt hatte. So sehr ich Dentalien hasse, aber ich bin ihr dankbar dafür, dass sie uns aus dieser Hölle befreit hat. Was hat uns denn dazu veranlasst, immer und immer wieder loszuziehen? Gott, war das immer ein Stress.“ Piper lachte auf.
 
„Na, wer war das wohl?“ Sie zog die Augenbrauen hoch und zeigte mit dem Finger nach oben. „Die waren das, die Ältesten. Für wen halten die sich eigentlich? Sie haben einfach in unser Leben reingepfuscht. Haben sie uns ein einziges gottverdammtes Mal gefragt, was wir von unserem Schicksal halten? Irgendwie kann ich mich nicht erinnern, dass je einer der Ältesten an unserer Tür geklingelt hat: „Guten Tag, ich komme vom Ältestenrat und wollte fragen, ob ihr überhaupt gegen Dämonen kämpfen wollt.“ Sie haben es uns einfach aufgezwungen. Es war allerhöchste Zeit, sich dagegen zu wehren. Jetzt sind wir unsere eigenen Herrscher, es gibt niemanden mehr, der über uns steht. Niemanden, der uns zu etwas zwingt, was wir nicht wollen. Und auch keinen...“ - völlig in Rage geredet ließ Piper ließ eine Glasschüssel explodieren – „Leo mehr.“
Wie sehr hatten sie sich geliebt, Leo und Piper, alle Hindernisse überwunden und alle Zweifel beseitigt um zu heiraten und schließlich sogar ein Kind zu kriegen – Adam. Er war ihr Augenstern gewesen, ihr kleiner Schatz, und sie hatten sich so verbunden und nahe gefühlt wie nie zuvor. Ihr Ziel war es gewesen, Adam so weit es ging von der Magie und den damit verbundenen Gefahren fern zu halten, und aus diesem Grund hatten sie auch seine eigenen Kräfte gebannt. Er sollte aufwachsen wie ein ganz normaler kleiner Junge. Doch dann war Dentalien gekommen, hatte Piper auf die Seite des Bösen gezogen und damit weg von Leo. Als dieser erkannt hatte, was mit seiner Frau passiert war, hatte er sich sofort von ihr getrennt – er war den Dreien auch als Wächter des Lichts entzogen worden – und den kleinen Adam hatte er aus Sicherheitsgründen mitgenommen. Piper weinte Leo keine Träne hinterher, im Gegenteil. Sie war heilfroh den Spießer endlich los zu sein. Aber Adam – das schmerzte. Er war immer noch ihr Sohn, und sie wollte ihn bei sich haben. „Er hat mir mein Kind genommen!“ murmelte Piper, „weißt du, Phoebe, er hat ihn mir weggenommen. Was für ein perfekter kleiner Dämon er doch geworden wäre. Er hat tolle Kräfte, so ähnliche wie Paige. Ich müsste nur den Spruch rückgängig machen und ihm beibringen sie anzuwenden. Aber Leo..“ – bei diesem Namen musste die nächste Schüssel dran glauben – „hat ihn ja bei sich, und lässt ihn mich nicht sehen. Mein kleiner Adam. Aber eins sage ich dir, Phoebe, ich werde ihn mir holen. Ich weiß noch nicht sicher, wie, aber irgendetwas wird mir schon einfallen.“ – Und das war die dritte Schüssel.

Paige saß im Badezimmer vorm Spiegel und lackierte sich die Fingernägel – schwarz, natürlich, wie ihr gesamtes Outfit. Unten in der Küche hörte sie immer wieder Explosionen. Der Krach nervte sie. Konnte man in diesem Haus nicht ein einziges gottverdammtes Mal seine Ruhe haben? Natürlich, sie fühlte sich mit ihren Schwester verbunden, und mit ihnen zusammen würde sie die Macht der Unterwelt an sich reißen – aber mussten sie immer so rücksichtslos ihr gegenüber sein? Paige beamte sich in die Küche. Der Boden war von Scherben übersät. Ohne darauf zu achten bellte sie los: „Was soll das? Warum seit ihr so laut? Ich möchte Stille. Einfach nur Stille. Ist das zu viel verlangt?“ Piper funkelte sie an. „Jetzt komm du nicht auch noch. Ich lasse mir nämlich nie wieder sagen, was ich zu tun und zu lassen habe. Das ist vorbei. Jetzt bin ich diejenige, die über mein Leben bestimmt.“ Phoebe stand von ihrem Barhocker auf und blickte ihre Schwestern an. Dann sprach sie mit rauer dunkler Stimme: „Bevor wir hier rumtönen, dass wir die Mächtigsten und die neuen Herrscher sind, sollten wir lieber mal dafür sorgen, dass wir es wirklich werden. Soweit ich weiß gibt es im Moment niemanden in der Unterwelt, der uns das Wasser reichen kann. Aber es gibt wohl einige, die es gerne würden und uns den Platz an ihrer Spitze nicht kampflos überlassen wollen. Also sollten wir diese Dämonen schnell fühlen lassen, wer die Besten sind. Ich schlage vor, dass das nächste, was wir tun, ist, unsere neue Position zu sichern. Danach können wir wieder auf die Jagd gehen.“

Mit dieser Vermutung hatte Phoebe nicht ganz Unrecht. Die Unterwelt war seit der völligen Vernichtung der Quelle ohne Anführer gewesen. Zunächst hatten viele einzelne Dämonen versucht, die Macht ohne die Kräfte der Quelle an sich zu reißen, aber keinem war es gelungen. Danach folgten viele verbitterte Kämpfe zwischen den verschiedenen Gruppen, deren Ziel es gewesen war, gemeinsam die Unterwelt anzuführen. Doch in etlichen Schlachten hatten sich die Warlocks, Grimlocks und sonstigen Wesen nur gegenseitig zerfleischt und umgebracht. Das Ergebnis war eine Welt ohne Anführer und ohne Rangordnung. Die paar Dämonen, die es noch gab, waren entweder zu schwach oder zu feige um erneut zu versuchen, die Macht an sich zu reißen.
In einer finsteren Höhle inmitten der Unterwelt hatte sich eine der letzten Dämonenspezies verkrochen. Darwins waren sie, eine ebenso zähe wie faule Gruppe. Die meisten von ihnen wirkten plump und schwerfällig. Ihre Rücken waren aus einem festen Panzer, ihre Haut fühlte sich wie Leder an. Sie hatten Jahrhunderte hier unten verbracht, sich von Ratten und Fledermäusen ernährt und sich nicht um das gekümmert, was um sie herum passierte. Es gab für sie gute und schlechte Jahre, je nach dem ob sie genügend zu essen bekamen oder nicht. War es ein schlechtes Jahr konnte es passieren, dass einer von ihnen starb, was für die anderen wiederum gut war, weil sie ihn ohne zu zögern essen konnten. Für etwas anderes hatten sie sich nie interessiert. Sie wussten zwar von der Quelle, aber solange sie sie in Ruhe ließ, kümmerten sie sich nicht drum. Sie hatten keine Ahnung, dass die Quelle inzwischen besiegt war, und als draußen Kriege tobten, war die einzige Veränderung, die die Darwins bemerkten, dass erstaunlich viele Ratten zu ihnen flüchteten – ohne zu wissen, weshalb und ohne es wissen zu wollen. Das einzige, was sie noch interessierte, waren ihre Kräfte – sie konnten ihren Gegner einschläfern lassen, was ihnen vor allem bei der Rattenjagd zugute kam.


So hatten die Darwins viele Jahre vor sich hingelebt. Doch nun war etwas passiert. Eine von ihnen hatte vor einigen Jahrzehnten einen Sohn geboren, Larka. Eigentlich war das keine besondere Sache. Doch dieser Sohn war anders. Er war hellhörig und gewitzt. Er wollte nie stillhalten, sondern erforschte schon als kleiner Darwin die ganze Höhle, und nun, im Alter von 40 Jahren, erkundete er auch den Rest der Unterwelt. Larka verhielt sich so gar nicht wie ein Darwin, dass ihn manche von ihnen mit Argwohn und Misstrauen beobachteten. Und nun das! Von einer seiner Erkundungstouren zurückgekehrt, hatte Larka ihnen etwas verkündet, womit keiner gerechnet hätte: Die Quelle war tot und es gab keinen Nachfolger. Und nicht nur das. Auch viele andere Dämonen waren gestorben, umgekommen im Kampf um den Platz an der Spitze. Larka berichtete, er habe mit anderen Dämonen geredet, und einer habe ihm von Kriegen und Schlachten erzählt, und vom Tod der Quelle, die durch die Hand dreier guter Hexen gestorben sein sollte. „Versteh ihr das nicht?“ rief Larka, und seine Augen blickte aufgeregt umher, „der Thron ist frei! Niemand will ihn mehr! Das ist unsere Chance!“ Die anderen Darwins blickten ihn desinteressiert an. Das alles klang in ihren Ohren nach jeder Menge Stress. „Wir können ihn uns holen. Wir, die Darwins, könnten die neuen Anführer der Unterwelt werden.“ Außer ihm schien die Idee niemanden zu beeindrucken. Doch das machte nichts. In Larkas Kopf war dieser Gedanke entstanden, und niemand konnte ihn mehr von dort vertreiben. Er fühlte seine Kräfte, jetzt im Augenblick durchflossen sie ihn; er wusste, dass er mehr konnte, als nur in einer Höhle zu hocken und sich von Fledermäusen und Ratten zu ernähren. Dass er anders war als der Rest seiner Spezies, hatte einen einfachen Grund, den außer seiner Mutter aber niemand kannte: Sein Vater war kein Darwin gewesen, sondern ein Warlock, der sich vor etlichen Jahren ausversehen in diese Höhle verirrt hatte. Der Tatendrang und die Abenteuerlust seines Vaters steckten in ihm; und außerdem eine weitere Fähigkeit: Er konnte blinzeln. Mit diesen Vorraussetzungen, dessen war sich Larka sicher, würde es ihm gelingen, die Macht über die Unterwelt an sich zu reißen, und nichts und niemand konnte ihn davon abhalten.
 
Es war Alyssas Idee gewesen zu kochen, aber es war Amanda, die jetzt im Esszimmer stand und den Tisch deckte. Wo waren ihre Schwestern nur? Immer blieb alles an ihr hängen. Alyssa und Anastasia, die beiden Zwillinge, waren von Mum und Dad viel zu sehr verhätschelt worden. Sie, Amanda, dagegen hatte als Älteste schon immer mit anpacken müssen. Und so war es auch heute noch. Während die beiden ihren Vergnügungen nachgingen, kümmerte sich Amanda um den Haushalt und sorgte dafür, dass alles hübsch und ordentlich war. Vielleicht lag es daran, dass sie ihren Eltern unbedingt beweisen wollte, dass sie es schafften, zusammen zu wohnen; dass sie ihr Leben auch selbst regeln konnten. Weder ihre Mutter noch ihr Vater waren begeistert davon gewesen, dass ihre Töchter magische Fähigkeiten besaßen – ein Erbstück einer Großtante, die einst eine sehr mächtige Hexe gewesen sein sollte. Als die Drei wieder zusammen gezogen waren, da Tamara, ihre Wächterin des Lichts, beteuert hatte, dass ihre Macht auf diese Weise bedeutend größer werden würde, hatten ihre Eltern sie ausgelacht. Ihre Drei zusammen unter einem Dach, alleine? Das konnte ja nur schief gehen. Aber bisher lief alles gut. Jede hielt sich an die vereinbarten Regeln, sie kauften gemeinsam ein und halfen einander. Es war, wie Tamara prophezeit hatte: Ihre Kräfte waren gewachsen, und auch das Band, dass die Drei zusammenhielt, schien stärker geworden zu sein. Es gab Momente, in denen sich Amanda unbesiegbar fühlte. Allerdings waren das nicht die Momente, in denen sie gegen einen Dämonen zu kämpfen hatten. Zum Glück hatten sie Tamara gehabt, die ihre Kratzer und ihre Wunden geheilt hatte. Ach, Tamara. Amanda seufzte bei dem Gedanken an sie. Sie hatten sie geliebt wie eine Schwester und nun das – sie war umgekommen, bei dem Versuch einen ihrer Schützlinge aus der Gewalt eines Wächters der Dunkelheit zu retten. Seitdem waren die Drei ohne Schutz gewesen, und aus diesem Grund hatten sie sich auch mit dem Kampf gegen Dämonen zurückgehalten. Doch nun schien etwas passiert zu sein. An diesem Vormittag hatten die Drei hohen Besuch gehabt: Ein Mitglied des Ältestenrates hatte sie aufgesucht, mit der Ankündigung, sie seien für eine sehr wichtige Mission ausgewählt. Am Abend würden sie Besuch von ihrem neuen Wächter des Lichts erhalten, der ihnen alles Weitere erzählen würde. Als er in einer blauen Wolke verschwunden war, hatten die Drei sich angeblickt und losgekreischt. „Wir? Das kann doch nicht wahr sein. So stark sind wir doch gar nicht!“ „Was das wohl für eine Mission ist? Ob wir in große Gefahr kommen werden? Meint ihr, wir werden bald von einem hochrangigen Dämon angegriffen?“ „Was das wohl für ein Wächter des Lichts ist? Ich bin mal gespannt, was er uns zu sagen hat!“ hatten sie alle durcheinander geredet. Und schließlich war von Alyssa noch der Vorschlag gekommen, den abendlichen Besucher mit einem Essen zu empfangen. So war Amanda den halben Tag in der Küche gestanden und hatte gekocht und gebraten. Es war ihr köstlich gelungen, aber sie hatte sich auch viel Mühe gegeben. Alles, was sie von ihren Schwestern verlangt hatte, war, das Esszimmer hübsch her zu richten. Doch nicht einmal das hatten sie getan. Amanda bemühte sich ruhig zu bleiben. Bestimmt macht es keinen guten Eindruck, wenn ihr neuer Wächter des Lichts gleich einen Einblick in die Streitereien der Schwestern bekam. Von oben hörte sich Kichern. Anscheinend richteten sich die beiden gerade hübsch her. Sie legte die letzten Gabeln ordentlich hin und lief dann die Treppe nach oben. Sie fand ihre Schwestern im Badezimmer. Anastasia hatte sich ein langes dunkelblaues Kleid angezogen und war eigentlich gerade dabei ihre Augen zu schminken. Doch im Moment zeigte sie auf ihre Zwillingsschwester und prustete los: „Schau dir die mal an, Amy! Wie die sich rausputzt. Nur wegen des Wächter des Lichts.“ Alyssa hatte einen kurzen Rock angezogen und ein ausgeschnittenes Oberteil von Amanda.
 
Sie kicherte. „Ich bitte euch, lasst mir doch meinen Spass. Ich richte mich eben gerne hübsch her.“ Amanda runzelte die Stirn. „Davon abgesehen, dass diese Bluse mir gehört – du siehst nicht hübsch aus, sondern schlampig. Zieh dich um, was soll der denn von dir denken?“ Alyssa machte einen Schmollmund. „Ich zieh mich nicht um. Ich finde mich sehr hübsch so.“ Sie warf einen letzten Blick in den Spiegel und verließ mit erhobenem Kopf das Badezimmer. Ihre Schwestern folgten ihr. Als sie die Treppe des alten Hauses hinuntergingen, klingelte es plötzlich an der Tür. Die Drei warfen sich erstaunte Blicke zu: Der Wächter des Lichts würde sich doch wohl einfach her beamen? Anastasia eilte zur Tür. Als sie öffnete, stand vor ihr ein Mann, sie schätzte ihn spontan auf um die 30 Jahre. Er hatte kurze blonde strubbelige Haare und als Anastasia aufblickte sah sie in zwei blinzende blaue Augen. Der Mann lächelte. „Hallo, ich bin Leo. Ich hoffe, ihr erwartet mich schon.“ Anastasia sah ihn erstaunt an: „Sie sind... unser neuer Wächter des Lichts?“ Leo lachte. „Sagt ruhig du zu mir. Ja, der bin ich wohl. Darf ich reinkommen?“ Beschämt machte Anastasia einen Schritt zu Seite. „Natürlich, entschuldige bitte, ich bin nur so überrascht...“ Alyssa, die fand, dass sie sich bisher zu sehr im Hintergrund gehalten hatte, drängte sich an Amanda vorbei und lief auf Leo zu. „Hallo!“ meinte sie und lächelte ihn zuckersüß an. „Ich bin Alyssa. Warum klingelst du denn an der Tür? Du hättest dich doch reinbeamen können?“ „Nun,“ sagte Leo, „ich dachte, das macht sich besser. Ich wollte nicht einfach reinplatzen.“ Alyssa warf Anastasia einen schwärmerischen Blick zu. Amanda reichte es. Leo war nicht gekommen, um sich von ihrer kleinen Schwester bezirzen zu lassen. Sie klatschte in die Hände, und rief: „Setzt euch doch alle, bevor das Essen kalt wird. Alyssa, kannst du mir helfen, die Ente rein zu tragen?“ Beim Rausgehen zischte sie ihr zu: „Hör auf damit, du blamierst uns nur alle.“
Nach einem ausgiebigen Essen lehnte sich Leo satt und zufrieden zurück: „So gut habe ich schon ewig nicht mehr gegessen, seit... na ja, lang eben nicht mehr.“ Amanda lächelte. „Vielen Dank. Möchtest du noch vom Nachtisch?“ Leo schüttelte den Kopf. „Nein, danke, da geht wirklich nichts mehr rein. Außerdem sollten wir wohl langsam mal an den eigentlich Grund denken, weshalb ich hergekommen bin.“ Die drei zuckten hoch: Jetzt wurde es spannend. Leo blickte in die Runde und begann zu erzählen.
Als er fertig war, waren Amanda, Alyssa und Anastasia in ihre Stühle zurückgesunken. Keine sprach ein Wort. Was sie da gehört hatten, hatte ihn die Sprache verschlagen. Sicher, sie waren Hexen, sie hatten Kräfte und ein mächtiges Zauberbuch. Aber so viel konnten sie noch gar nicht. Sie hatten oft gegen Dämonen gekämpft, aber das waren keine besonderen gewesen, die hatten sie alle leicht besiegen können. Keine von ihnen beherrschte ihre Kraft perfekt, und sie alle machten Fehler. Sie waren weit davon entfernt starke Hexen zu sein. Sicher, von den Mächtigen Dreien hatten sie gehört, beinahe jedes Wesen mit magischen Fähigkeiten kannte sie; und sie hatten sie bewundert und für sie geschwärmt, wie sie es in ihrer Jugend für irgendwelche Popgruppen getan hatten. Niemals wären sie auf die Idee gekommen, sich mit ihnen zu vergleichen, zwischen ihren Kräften und denen der Mächtigen Drei lagen Welten. Und nun hatten sie, Amanda, Alyssa und Anastasia vom Ältestenrat den Auftrag bekommen gegen die Drei zu kämpfen? Die Gefahr, die ihnen drohte, wenn die Drei tatsächlich die Unterwelt anführen würden, war ihnen wohl bewusst; aber auch die Gefahr, die auf sie wartete, wenn sie sich den Dreien in den Weg stellen würden. Wie stellte sich der Ältestenrat das vor? Leo zuckte die Schultern. „Nun, einfach wird es bestimmt nicht. Ihr müsst lernen, eure Kräfte besser und gezielter einzusetzen. Ihr müsst Zaubersprüche schreiben und gute Tränke mischen. Durchsucht euer Zauberbuch nach Sprüchen. Trainiert eure Nahkampftechniken. Und was immer ihr tut: Es muss schnell gehen. Wenn sich die Mächtigen Drei erst zu den neuen Herrschern der Unterwelt gekrönt haben, wird es schlecht aussehen. Sie werden die ganze Unterwelt mobilisieren, sie könnten ein Heer aufstellen. Bevor das passiert müsst ihr sie besiegt haben.“ Amanda schüttelte fassungslos den Kopf. „Wieso gerade wir? Wir sind doch viel zu schwach.“ „Nein.“ sagte Leo bestimmt. „Ihr seit stärker als ihr denkt. Ihr müsst eure Macht nur erkennen.“ „Und wenn wir uns weigern?“ fragte Alyssa, der sämtliche Farbe aus dem Gesicht gewichen war. „Das könnt ihr nicht. Es ist eure Bestimmung, diesen Kampf gut gegen böse zu führen.“ erklärte Leo. „Und zusammen mit meiner Hilfe könnt ihr es auch schaffen. Rufus... ähm... ich meinte, einer der Ältesten hat mir bereits einiges über eure Kräfte erzählt, aber vielleicht könnt ihr mir sie noch mal vorführen. Amanda, fang du doch an.“ Amanda nickte und stand auf. Sie presste die Augen fest zusammen - und kurz drauf stand neben ihr noch eine Amanda. Sie lächelte Leo an. „Das ist meine Fähigkeit. Ich kann mich klonen.“ „Gut!“ murmelte dieser, „sehr gut. Nun, du, Alyssa.“ „Ich habe die gleiche Kraft wie einer der Mächtigen Drei. Ich kann Gegenstände explodieren lassen.“ Sie machte eine Handbewegung in Richtung ihrer Glases und es zersprang in viele Einzelstücke. „Leider funktioniert meine Fähigkeit an Menschen nicht so gut“, erzählte sie ein wenig verlegen, „meistens gibt es ein paar Funken und ich setze irgendetwas in Flammen.“ Als sich Leo an Anastasia wandte, grinste diese ihn an: „Gib mir deine Hand, Leo.“ Verwundert tat er wie geheißen. Sie nahm sie, und presste sie zwischen ihre eigenen Hände. Dann schloss sie die Augen. „Du hast Angst.“ sagte sie. „Du traust uns zwar viel zu, aber du weißt nicht, ob es uns wirklich gelingen wird, die Drei zu besiegen.“ Leo sah sie überrascht an: „Woher weißt du...?“ Anastasia grinste. „Nun, ich kann Gedanken lesen.“ „Wow!“ Leo war sichtlich beeindruckt, “du bist mein erster Schützling, der diese Fähigkeit hat. Ich bin fasziniert. Ihr habt alle tolle Kräfte. Mit ein bisschen mehr Selbstvertrauen werdet ihr es schaffen, Piper, Phoebe und Paige zu besiegen.
 
Auch in der Unterwelt wurden währenddessen Pläne geschmiedet. Larka hatte die Höhle der Darwins verlassen. Keiner aus seinem Stamm war an der Macht der Quelle interessiert gewesen. Also war er aufgebrochen um sich mit anderen Dämonen zusammen zu tun, fähigen Dämonen, die er leiten wollte, und die ihm gehorchen und seine Befehle ausführen sollten, wenn sich ihm bei der Ergreifung des Thrones jemand in den Weg stellen würde. Nun stand er in einer moderigen Höhle, umringt von anderen Dämonen, die gespannt seinen Worten lauschten. „Wir waren doch schon mal die führende Macht! Erinnert ihr euch nicht an alte Zeiten, in denen die Unterwelt das Sagen hatte? In denen gute Hexen und Feen vor unserer Macht erzittert sind! Wir waren stark, wir, die böse Seite. Niemand konnte mit uns mithalten. Was ist daraus geworden? Schaut euch doch an. Wir sind junge kräftige Dämonen. Es wäre doch gelacht, wenn wir unsere Zeit damit verbringen, hier unten zu versauern, anstatt dass wir den Guten mal wieder zeigen, wer die wirklichen Gewinner sind. Und deshalb meine ich,“ schloss Larka seine impulsive Rede, „dass der Thron der Quelle uns zusteht. Wir sind doch die, die die Unterwelt am Leben erhalten. Haben sich unsere Mütter und Väter dafür interessiert, was aus uns wird? Haben sie das? Ich sage euch, sie haben es nicht! Wir müssen selbst handeln. Der Platz an der Spitze gebührt jungen dynamischen Anführern, durch die die Unterwelt zu alter Herrschaft erblühen wird. Folgt mir!“ Und er riss seine kurzen Arme in die Höhe und genoss den Jubel, der auf ihn niederprasselte. Da schob sich ein Grimlock nach vorne, einer der letzten. „Hör zu. Ich weiß, du bist fähig und stark. Aber es gibt da welche, die dich überbieten. Und zwar die Mächtigen Drei. Sie waren es, die einst die Quelle töteten. Und sie werden nicht zulassen, dass du die neue Quelle wirst, dessen kannst du sicher sein.“ Larka sah ihn erstaunt an. „Wovon redest du? Wer sind diese Mächtigen Drei?“ Der Grimlock lachte kurz auf. „Neuling, du. Du hast wirklich gar keine Ahnung. Es gibt drei gute Hexen, die mächtigsten gute Hexen, die je gelebt haben. Sie sind stärker als du, stärker als alles, was je in der Unterwelt gelebt hat. Sie haben uns zu dem gemacht, was wir heute sind: Ein verkümmerter verängstigter Haufen. Und sie werden uns wieder dazu machen. Willst du erneut Kriege entfesseln? Willst du sterben?“ Larka funkelte den Grimlock böse an. „Natürlich nicht, du Dummkopf. Und ich werde auch nicht sterben. Ich bin auch stark. Das werden wir ja dann sehen, wer die Mächtigeren sind. Die alte Quelle war schwach und ausgelaugt, die Dämonen früher waren dumm und machtgierig, deshalb haben sie sich unnötigerweise alle umgebracht. Das muss uns nicht passieren. Wir sind nicht nur stark, wir wissen auch viel. Wir kennen die Fehler der früheren Quelle. Wenn wir nur alle zusammen halten, wird es uns gelingen, zu altem Ruhm zurückzukehren.“ Der Grimlock schüttelte den Kopf. „Du überschätzt dich. Du kennst die Macht dieser guten Hexen nicht.“ In Larka kochte es. Da hatte er sich so viele Gedanken macht, hatte Pläne gefasst und war nächtelang wach gelegen; und dann kam dieser Dämon daher und bildete sich ein, er könne ihm sagen, was er zu tun habe. „Dann werde ich sie eben kennen lernen!“ schrie er. „Ich lasse mir doch meinen Plan nicht von ein paar dummen Hexen durchkreuzen. Was für ein Feigling bist du? Wegen Dämonen wie dir ist die Unterwelt zu dem geworden, was sie jetzt ist. Ich habe keine Angst. Ich werde die Drei besiegen, koste es, was es wolle.“ Und damit verschwand Larka.

„He ja!“ schrie Amanda und schleuderte ihren rechten Fuß nach vorne. Alyssa duckte sich geschickt und holte zum Gegenschlag aus. Amanda fing ihre Faust ab und versuchte Alyssa über ihre Schulter zu werfen. Diese wollte sich aus dem festen Griff ihrer Schwester befreien und zappelte herum wie verrückt. Amanda verlor das Gleichgewicht und das Ergebnis war, dass beide lachend übereinander auf den Boden fielen. Alyssa setzte sich auf ihre Schwester und drückte ihre Arme nach unten. „Ergib dich!“ „Niemals!“ Mit einem gekonnten Ruck nach oben gelang es ihr, Alyssa von sich zu werfen. Beinahe gleichzeitig standen sie wieder auf den Beinen. Amanda grinste. „Super, Schwesterchen. Das war wirklich schon gut. Wenn wir so weitermachen, können wir bald angreifen.“ Alyssa wischte sich die verschwitzten Hände an ihrer Trainingshose ab. „Hoffen wir’s. Wir haben Nahkampf geübt und unsere Fähigkeiten verbessert. Was uns noch fehlt, sind ein paar flotte Zaubersprüche gegen die Drei.“ Amanda nickte. „Du hast Recht. Ich werde mich dran machen, ein paar zu schreiben. Lass uns mal nach Anastasia schauen.“ Die beiden liefen in die Küche. Anastasia stand am Herd und mischte einen Trank zusammen. Alyssa rümpfte die Nase. „Hier riecht ’s ja ekelhaft.“ Anastasia nickte. „Stimmt, aber das muss leider sein. Wir brauchen die Tränke.“ Interessiert betrachtete Amanda die Fläschchen, die bereits auf dem Küchentisch standen. „Wofür sind die hier denn?“ Mit dem Rücken zu ihrer Schwester antwortete Anastasia: „Also, das gelbliche kann den Gegner für einige Minuten einschläfern Mit dem violetten kann sich eine von uns unsichtbar machen.“ „Was?“ Alyssa staunte, „und das funktioniert wirklich?“ Anastasia zuckte die Schultern. „Ich hoff ’s mal zumindest. Und das grüne ist um ihre Kräfte zu bannen..“ „Klasse! Das ist genau das, was wir brauchen!“ freute sich Amanda. „Wie wär’s jetzt noch mit ein paar Zaubersprüchen?“ „Hast du im Zauberbuch geschaut?“ wollte Alyssa wissen. Amanda nickte. „Ja, aber natürlich standen keine Sprüche gegen die Mächtigen Drei drin. Weshalb auch? Wir müssen selbst einen schreiben, am besten einen, der ihre Einigkeit zerstört. Wenn das Band, das sie verbindet, nicht mehr existiert, stirbt auch ihre Macht. Zumindest hat Leo das so gesagt.“ „Klingt logisch!“ bestätigte Alyssa. Sie ging zum Küchenschrank und holte eine Packung Kekse raus. Diese schüttete sie auf einen Teller und stupste Amanda an. „Dann lass uns mal ins Wohnzimmer gehen und uns was überlegen. Und die Kekse sollen uns inspirieren!“
Kurze Zeit später war Alyssa nicht mehr zu Scherzen aufgelegt. Sie und ihre Schwestern quälten sich nun schon eine halbe Stunde mit diesem Spruch rum, aber irgendwie schaffte es keine von ihnen, etwas Vernünftiges zustande zu bringen
 
Genervt blickte Anastasia auf: „Das kann doch echt nicht sein. Wie unkreativ sind wir eigentlich! Wir werden es doch wohl hinkriegen, einen billigen Spruch zusammen zu reimen.“ Alyssa zuckte die Schultern. „Das ist doch genau das Problem. Ein billiger Spruch reicht eben nicht. Wir brauchen einen, der die Besten der Besten besiegt. Das schüttelt man sich nicht aus dem Handgelenk.“ Amanda saß dran und kaute auf ihrer Unterlippe herum. „Hm...“ begann sie...“ wie wär’s damit... „Ihr guten Mächte, steht uns bei, brecht das Band der Bösen Drei.“ Anastasia schaute sie an und redete einfach weiter: „Die Kräfte, die sie jetzt verbinden, durch diesen Zauber ganz verschwinden.“ Und ohne zu Zögern ergänzte Alyssa: „Die Einigkeit, die dort besteht, durch diesen Spruch im Nu vergeht.“ Überrascht sahen die Drei sich an. Anastasia sprach aus, was sie alle dachten.: „Wieso ging das auf einmal so leicht?“ Hinter sich hörten sie jemanden lachen. Als Alyssa sah, wer da war, setzte sie ihr hübschestes Lächeln auf: „Leo! Wie schön, dass du mal wieder vorbeischaust! Wen hast du da mitgebracht?“ „Das ist Adam, mein Sohn. Tut mir Leid, er hat heute einen schlechten Tag. Er wollte mich partout nicht gehen lassen. Also dachte ich, ich nehme ihn einfach mit. Er kann ja vielleicht ein bisschen bei euch bleiben und im Garten spielen oder so.“ erklärte Leo ein bisschen verlegen. Eigentlich sollten seine privaten Probleme sich nicht mit seiner Aufgabe als Wächter des Lichts überkreuzen. Aber Adam hatte so lange gezetert und geschrieen, dass er keinen anderen Ausweg gesehen hatte. Anastasia ging auf den Kleinen zu und lächelte ihn an: „Dann komm mal mit, kleiner Mann. Wir haben einen sehr schönen Garten, in dem du toll spielen kannst.“ Sie nahm Adam an der Hand und führte ihn nach draußen. Alyssa wandte sich an Leo: „Übrigens, wir dichten gerade.“ „Ja, das habe ich gehört. Der Spruch klingt ja schon ganz gut.“ Amanda sah ihn fragend an: „Weißt du, warum das grad so geflutscht ist?“ Leo lachte über diesen Ausdruck: „Das war eure Muse.“ „Unsere was?“ fragten die Zwei wie aus einem Mund. Leo winkte ab. „Das erklär ich euch ein anderes. Wir haben es jetzt eilig.“ Anastasia, die zurückgekommen war, runzelte die Stirn: „Wie – eilig?“ „Nun, der Ältestenrat befürchtet, dass die Drei nicht länger damit zögern werden, die Macht in der Unterwelt an sich zu reißen. Aus diesem Grund sollt ihr noch heute angreifen und ihre Macht bannen.“ Alyssa starrte ihn an: „Das ist ein Scherz, oder?“ Sie lachte schräg. „Das ist nicht witzig, Leo.“ Dieser nickte. „Das ist wirklich nicht witzig. Es ist mein voller Ernst. Wir müssen die Operation sofort durchführen.“ Amanda sprang auf. „A-a-ber das g-g-geht nicht!“ stammelte sie. „Wir sind noch nicht so weit, wir müssen noch viel mehr an unsere Fähigkeiten arbeiten. Wenn wir da jetzt ankommen, haben wir keine Chance. Die bringen uns um!“ „Wenn sie die Anführer der Unterwelt sind, werden sie euch auch umbringen. Ihr müsst versuchen, jetzt zu handeln und zu retten, was zu retten ist.“ „Du meinst das also wirklich ernst?“ fragte Alyssa noch einmal. Leo sah sie seufzend an: „Es tut mir ja Leid für euch. Aber ihr müsst es tun. Ihr seid gut, wirklich. Ihr habt jede Menge Talent, ihr seid sehr begabt. Ihr müsst an euch selbst glauben. In den letzten Tagen habt ihr doch ununterbrochen an euren Kampftechniken gearbeitet. Das muss genügen. Ihr habt einen einmaligen Spruch. Und ihr habt mich. Ich werde euch hin beamen.“ Anastasia ächzte. „Nun ja, das sieht wohl so aus, als hätten wir keine andere Wahl, was?“ Leo nickte. „Das stimmt. Habt Vertrauen in euch, hört auf euer Inneres. Wenn ihr euch bemüht, könnt ihr diesen Kampf gewinnen.“

Im Halliwell Manor war die Stimmung währenddessen auf dem Nullpunkt. Seit Tagen hatten sie geplant, ihre Position an der Spitze der Unterwelt klar zu machen, und was hatte sich seit dem getan? Absolut nichts. Übel gelaunt saß Phoebe in der Küche. Sie hatte keine Lust mehr untätig daheim rumzugammeln. Sie fühlte sich absolut schwach und ausgelaugt. Ihr erster und einziger Mord – der an Dentalien – lag nun schon über eine Woche zurück. Sie war immer noch begierig danach weiter zu töten, aber da ihr dieser Wunsch bisher noch nicht erfüllt war, war sie bis zum Platzen gereizt. Ihre Schwestern nervten sie. Paige schien überhaupt kein Interesse an nichts mehr zu haben. Sie saß den ganzen Tag in ihrem Zimmer und schrieb Zaubersprüche. Sprüche! Wen interessierten die schon! Phoebe wusste, wenn sie wollte, könnte sie Sprüche en masse liefern, in ihr drin waren jede Menge Sprüche. Aber sie waren es nicht, die aus Phoebes Innern an die Oberfläche quellen wollten. Es war ihre Mordlust und ihre Machtgeilheit. Bevor sie nicht wenigstens eins von beidem befriedigt hatte, wollte sie mit niemandem mehr zu tun haben. Piper war auch nicht besser. Die dachte an Adam und wie sich ihn zurück bekommen könnte. Phoebe verstand ihre Schwester absolut nicht. Wieso trauerte sie einem Kind hinterher, dass sie in ihrem alten Leben bekommen hatte? Der Junge zählte doch gar nicht. Hinzu kam, dass sein Vater ein Wächter des Lichts war. Einer, der so gut war, wie man überhaupt nur gut sein konnte. Phoebe spürte ihren Hass, wenn sie an Leo dachte. Irgendwann, das wusste sie, würde sie ihn wieder sehen und bis dahin würde sie Mittel und Wege kennen um ihn auch ohne die Hilfe eines Wächters der Dunkelheit zu töten.. Und diesem Moment fieberte sie entgegen. Wenigstens von ihm hatte sich Piper gelöst. Das wäre ja noch schöner. Die Anführerin der Unterwelt verheiratet mit einem Wächter des Lichts! Aber natürlich war Leo viel zu anständig um auf eine derartige Verbindung einzugehen. Und der kleine Adam kam ganz nach seinem Vater. Phoebe hatte ihn zwar schon längere Zeit nicht gesehen, aber wie sollte es anders sein? Und was wollten sie in der Unterwelt mit einem kleinen fünfjährigen Jungen? Phoebe beschloss, ihrer Schwester mal gehörig den Kopf zu waschen. Plötzlich kam Paige in die Küche und unterbrach Phoebes Gedankenfluss. „Ist noch was zu essen da?“ fragte sie mürrisch

„Weiß nicht, schau doch selbst nach. Bin ich deine Sklavin?“ knurrte Phoebe. Paige sah sie schräg an. „Nee, zum Glück nicht. Wieso haben wir eigentlich noch keine Sklaven? Hätten wir es nicht verdient? Als die Besten der Besten?“ „Oh, herzlichen Glückwunsch, dass du das auch schon feststellst.“ Phoebe Stimme triefte vor Sarkasmus. “Die Erkenntnis kommt spät, aber immerhin kommt sie. Natürlich sollten wir Sklaven haben. Wenn wir es nicht verdient haben, dann keiner. Aber dazu müsstest du eben mal von deinem Hintern aufstehen und dir mit uns zusammen einen Plan überlegen, wie wir die Unterwelt in unsere Gewalt kriegen.“ Paige funkelte ihre Schwester böse an. „Wage es ja nicht, so mit mir zu reden. Außerdem: Schau dir doch mal deine andere Schwester an. Was macht Piper denn? Sie durchsucht das Buch der Schatten nach einem Spruch für den lieben kleinen Adam.“ „Paige! Phoebe!“ rief Piper in diesem Moment. Die beiden verließen die Küche. Auf der Treppe des Manors stand ihre Schwester und wedelte mit einem Blatt. „Ich hab einen Spruch gefunden, für Adam.“ „Wunderbar.“ meinte Phoebe, „dann können wir uns ja jetzt um die Unterwelt kümmern.“ Piper schüttelte den Kopf. „Nein, nein, jetzt holen wir uns erst Adam zurück. Das ist doch wohl klar.“ Phoebe kochte. „Meinst du nicht, dass dein kleiner Dummkopf zurückstehen kann? Wer ist denn wichtiger für dich? Deine Schwestern oder ein Kind, das zur Hälfte ein Wächter des Lichts ist?“ Piper kam die Treppe runter gestapft und stellte sich direkt vor Phoebe. Drohend hob sie die Hand. „Nenn meinen Sohn nie nie wieder einen Dummkopf, kapiert?“ Paige verdrehte die Augen. “Ich geh dann mal!“ meinte sie und beamte sich davon. Zwei Sekunden später kamen die blauen Punkte wieder zurück. „Was willst du denn schon....“ begann Phoebe zu sprechen, doch dann stutze sie. „Leo!“ rief sie überrascht, „du bist zurückgekommen.“ „Paige! Wir brauchen sich!“ schrie Piper und stürzte nach vorne.
 
Amanda, Alyssa und Anastasia waren zunächst ein wenig erstarrt stehen geblieben. Die Mächtigen Drei wirklich aus der Nähe zu sehen, beeindruckte sie mehr als sie es für möglich gehalten hätten. „Na los, macht schon!“ zischte Leo. „He ja!“ schrie Amanda und trat nach Phoebe. Diese lachte und hüpfte hoch. Sie blieb ein paar Sekunden in der Luft und sah auf die verdutzte Amanda herab. „Was war das denn jetzt? Gymnastik für Anfänger? Ich wird dir zeigen, wie richtige Tritte gehen.“ Und sie verpasste ihrer Angreiferin einen Stoß, dass diese rückwärts zu Boden fiel. Anastasia schrie kurz auf und kniete sich zu ihrer Schwester nach unten. Anstatt wieder auf den Boden zurück zu kommen blieb Phoebe über ihren Köpfen. Ohne auf sie zu achten, machte Alyssa eine Handbewegung in Pipers Richtung. Es knallte und Pipers Handfläche zischte ein wenig. Die älteste der drei Halliwells schaute verdutzt ihre Hand an: “Autsch!“ meinte sie. „Was war das denn? Du willst mir doch nicht erzählen, dass du die gleiche Kraft hast wie ich? Soll ich dir mal zeigen, wie diese Kraft funktioniert, wenn man sie gut anwendet?“ Sie wollte Alyssa explodieren lassen, doch Leo packte seinen Schützling, und beamte sich mit ihr davon. Statt Alyssa traf Piper Phoebe, die hinter den beiden gelandet war. Seit die drei böse waren, war ihr magisches Schild gegen Kräfte der anderen nicht mehr ganz intakt, und so wurde Phoebe mit einem Aufschrei nach hinten geschleudert. Anastasia, die immer noch neben ihrer verwundeten Schwester kniete, packte eine Flasche und warf sie auf Piper. Einen Moment später tauchten Leo und Alyssa wieder auf. Erneut machte Piper eine Handbewegung in ihre Richtung, doch der Effekt war nicht viel größer als zuvor bei Alyssas Angriff. „Was ist das?“ schrie Piper auf. Anastasia grinste. „Ein Elixier, das deine Kräfte bannt. Und das ist erst der Vorgeschmack.“ Sie holte aus und wollte die nächste Flasche werfen, als Paige auf der Treppe erschien. „Flasche!“ sagte sie ohne zu zögern, und die Flasche beamte sich zu ihr. „So ein Mist!“ fluchte Anastasia. „Schnell, noch der Zauber.“ Während die drei in Windeseile anfingen, den Spruch zu murmeln, stürzte Piper wutentbrannt auf Paige und entriss ihr die Flasche. Voller Wucht schleuderte sie sie auf Anastasia, die sich geistesgegenwärtig das letzte Elixier überschüttete. Das Fläschchen knallte auf den Boden, dort, wo Anastasia zuvor noch gestanden war. Nun war sie unsichtbar und sagte zusammen mit ihren Schwestern gerade die letzten Zeilen auf: „...Die Einigkeit, die dort besteht, durch diesen Spruch im Nu vergeht.“ Danach packte Leo die Drei und sie verschwanden in einem blauen Licht.
Piper stand dran und starrte die Stelle an, an der sie gerade noch gestanden waren. Ihre Augen verdunkelten sich. Sie presste ihre Hände zu Fäusten zusammen. Es hätte nicht viel gefehlt, und man hätte Rauchwolken aufsteigen sehen. „Diese.... verdammte.... Hexe...“ keuchte sie, „die... hat mir meine Fähigkeit gestohlen. Wie kann sie es wagen!“ Mit einem Aufschrei stürzte Piper die Treppe hoch. Kurz drauf knallte ihre Zimmertür. Paige sah ihr achselzuckend hinterher. Piper hatte schon immer einen Hang zu Theatralischen. Da kam Phoebe angehumpelt. „Vielen Dank auch!“ zischte sie, „das hat Piper ja mal wieder ganz toll hingekriegt. Statt dieser kleinen Hexe hat sie mich in die Luft fliegen lassen. Zum Glück bin ich noch ein wenig gegen ihre Kräfte immun, sonst wär ich jetzt nämlich“ – sie schnaubte – „tot!“ Damit lief sie an Paige vorbei und nach oben. Man hörte die zweite Zimmertür knallen.

„Na, das war doch was!“ rief Alyssa im gleichen Moment. „Wir haben sie wirklich besiegt.“ Leo runzelte die Stirn. „Das nicht unbedingt, aber auf jeden Fall habt ihr sie geschwächt. Die Elixiere waren klasse. Das mit dem Unsichtbar – machen haben die Drei nie beherrscht. Ich bin beeindruckt, Anastasia. Amanda, geht’s dir schon wieder besser?“ Sie zuckte die Schultern. „Na ja, vielleicht kannst du dir das hier mal anschauen.“ Sie hatte eine Prellung an der Schulter und einen Kratzer am Kopf. Innerhalb von Sekunden hatte Leo ihre Verletzung geheilt. Anastasia sprang vom Sofa auf. „Ich geh mal nach Adam schauen.“ meinte sie und verließ das Wohnzimmer. Leo grinste ihre Schwestern an: „Ich bin stolz auf euch. Ihr habt euch tapfer geschlagen.
Ihr habt den Dreien gezeigt, dass sie nicht einzige starke Macht sind, die existiert. Sehr gut.“ In diesem Moment kam Anastasia ins Zimmer gestürzt: „Ist Adam hier irgendwo?“ Leo schüttelte verwundert den Kopf: „Nein, er hat doch im Garten gespielt.“ „Dann...“ presste Anastasia hervor, „dann ist er verschwunden. Denn im Garten ist keine Menschenseele zu sehen.“
 
Dutzende Male hatte Leo schon versucht, seinen Sohn zu orten, aber es wollte ihm einfach nicht gelingen. Natürlich wusste er, was das bedeutete: Adam war nicht mehr hier auf der Erde. Entweder war er also in die Unterwelt verschleppt worden oder er war... . Nun, ja, diesen Einfall wollte Leo lieber nicht zu Ende denken. Aber wer hatte ihn in die Unterwelt entführt? Und warum? Was wollten sie von dem Kleinen? Der hatte noch nicht mal irgendwelche magischen Kräfte. Unter normalen Umständen wäre er felsenfest davon überzeugt gewesen, dass seine Ex-Frau dahinter steckte, aber die konnte es nun ja nicht gewesen sein. Als Adam entführt worden war, hatte er gerade gegen Piper gekämpft. Sein kleiner Liebling in der Unterwelt! Er wusste doch kaum etwas von Magie und dem Machtstreit zwischen gut und böse. Er war so klein und unschuldig. Leo musste sich beherrschen um nicht loszuheulen. Jetzt war es wichtig, die Nerven zu behalten. Er musste ruhig und vernünftig vorgehen. Ihm würde schon etwas einfallen, um seinen Sohn zurück zu bekommen. Ihm musste einfach etwas einfallen.
Plötzlich stand Amanda neben ihm: „Möchtest du etwas Tee?“ Er schüttelte den Kopf. Er bekam jetzt nichts runter, das stand fest. „Es tut mir so Leid. Ich... ich würde dir gerne helfen, aber ich weiß nicht, wie. Alyssa und Anastasia schauen gerade im Zauberbuch nach, ob sie einen Spruch finden.“ Wie aufs Stichwort kamen die beiden in dem Moment die Treppe runtergerannt. „Wir haben es!“ riefen sie. Leo schaute auf. Hoffnung blitzte in seinen Augen. Er nahm den Schwestern das Buch ab und las die aufgeschlagene Seite laut vor: „ ‚Wir rufen dich, geliebtes Kind, so wahr wir deine Eltern sind. Wer dich auch nahm mit düstrer List, gebrochen nun sein Zauber ist; auf dass das Kind, dass er begehrt, zurück zu seinen Eltern kehrt.’ Aha, aha. Und was steht da weiter? ‚Der Zauber muss von Mutter und Vater zur selben Zeit gesprochen werden. Es genügt hierbei, wenn einer der beiden über magische Fähigkeiten verfügt. Die Macht der Liebe wird den Spruch auch beim anderen wirksam werden lassen.’ “ Amanda musterte Leos Gesichtsausdruck: „Weshalb schaust du denn so düster? Das ist doch klasse.“ Leo schüttelte den Kopf. „Nun ja, wisst ihr... Adams Mutter und ich... wir hatten Differenzen. Ich glaube nicht, dass sie mich sehen will.“ Alyssa zuckte mit den Schultern. „Na, hör mal, es geht hier um ihr Kind!“ „Hm, ja, das stimmt natürlich!“ murmelte Leo. „Ich werde mir sicherheitshalber den Spruch abschreiben... vielleicht kann ich sie ja wirklich überreden.“

Natürlich war Adam nicht tot. Genau wie Leo angenommen hatte, war er nur in die Unterwelt verschleppt worden. Allerdings hatte es dabei eine unbeabsichtigte Verwechslung gegeben. Der Zufall wollte es, dass Adams Entführer davon nie erfahren sollte. Dieser war – wie nicht anders erwartet – Larka. Mit vielen Dämonen hatte er sich unterhalten, die ihm alle das gleiche über die Schwestern erzählt hatten: Sie waren mächtige Hexen und hatten die Quelle besiegt; doch ihr Schwachpunkt war ihre Liebe zu einander und zu ihrer Familie. Eine von ihnen, so hieß es, habe Mann und Kind. Darüber hatte Larka lange nach gedacht und schließlich einen Plan gefasst: Wenn es ihm gelingen würde, dieses Kind zu entführen, könnte er die Hexen erpressen. Unter der Forderung, dass sie ihm nichts antun würden und es akzeptieren würden, dass er die neue Quelle wird, könnten sie das Kind zurückbekommen. Natürlich dachte Larka nicht im Traum daran, ihnen das Kind dann auch wirklich zu geben. Er würde es töten und versuchen, mit den Hexen das gleiche zu machen. Das Kind war der Köder, mit dem er sie in die Unterwelt locken wollte. Sein Plan schien ihm perfekt – bis auf ein Problem: Er wusste nicht, wo er die drei finden konnte. Doch auch dafür fand er eine Lösung: Er würde sich einfach zu den stärksten guten Hexen blinzeln.
So hatte er es beschlossen, und genauso hatte er es gemacht. Was Larka nicht wusste, war, dass Piper, Phoebe und Paige nicht länger die mächtigsten guten Hexen waren. Diesen Platz hatten nun Amanda, Alyssa und Anastasia eingenommen. Und so landete er im Haus dieser Schwestern. Erstaunt sah er sich um: Bisher hatte er nur die Unterwelt gesehen, er hatte in fauligen Höhlen gehaust, immer den Geruch des Moders und der Vergänglichkeit in der Nase. Zum ersten Mal kam er in die Welt der Menschen. Möbel und dergleichen waren ihm fremd. Vorsichtig schlich er um Tische und Stühle herum. Hoffentlich konnten die ihn nicht angreifen! Aber eigentlich sahen sie ganz friedlich aus. Von irgendwoher hörte er jemanden sprechen. Bemüht nichts zu berühren folgte er der Stimme und landete im Garten. Was er dort sah, ließ ihn überwältigt stehen bleiben: Riesige Klötze säumten einen grauen Weg. Auf grünen Gras wuchsen Bäume, und wenn er seinen Kopf in den Nacken legte blickte er auf die endlose Weite des Himmels. Ihm wurde schwindlig und er taumelte. Er sehnte sich zurück nach der Enge seiner niedrigen Höhlen. Ihm war, als blickte das gesamte Universum auf ihn herab. Wurde er wirklich beobachtet, jetzt im Moment? Er versuchte, nicht darüber nachzudenken, nicht nach oben zu schauen. Nur dieses Kind finden und mit ihm in die Unterwelt abhauen, dorthin, wo er sicher war. Einige Meter vor ihm saß ein kleiner blonder Junge. Auf seiner Hand saß ein kleines Wesen, das bunt war und Flügel hatte. „Du bist ein schöner Schmetterling. Wo hast du nur all diese Farben her?“ sagte der Junge gerade. Larka fasste sich an den Kopf. Wovon redete der nur? Eilig lief er auf den Kleinen zu. Dieser hörte die Schritte kommen und drehte sich um. Als er den plumpen braunen Körper erblickte, fing er an zu schreien. Mit einem Satz war Larka bei ihm.

„Sei doch still!“ zischte er, und hielt Adam den Mund zu. Einige Sekunden später hatte er sich und den Jungen in die Unterwelt geblinzelt. Die Entführung war gelungen.
 
Immer noch voller Zorn saß Piper auf ihrem Bett. Sie kochte innerlich. Was bildeten diese Hexen sich ein! Wie konnten sie es wagen, ihr ihre Zauberkraft zu stehlen! Was hatten die sich gedacht, dass sie einfach so hier aufkreuzen konnten! Wussten die denn eigentlich nicht, wer hier wohnte! Wussten die nicht, wer sie waren? Und wer waren die schon? Neulinge; kleine, unbedeutende Hexen. Die konnten sie doch mit dem kleinen Finger erledigen. Und trotzdem kamen sie einfach hierher, ins Manor. Zusammen mit – sie versuchte ein Kissen explodieren zu lassen, aber es bekam nur ein paar kleine Löcher und qualmte - Leo. Dass der sich noch hierher traute! Nachdem er ihr ihren Sohn weggenommen hatte. Wie konnte er. Dass würde er büßen. Piper sprudelte förmlich über vor Energie und Hass. Töten wollte sie ihn, vierteilen, vergiften, was auch immer. Nicht nur, dass er Adam entführt hatte, ihn von seiner Mutter getrennt hatte – dabei war sie es doch, die er am Dringendsten brauchte – er schleppte auch noch diese unbegabten Hexen hier an. Es war geradezu eine Beleidigung, dass sie gegen diese Anfängerinnen kämpfen sollten. Und dann trauten die sich auch noch, ihr durch irgendein billiges Elixier die Zauberkraft zu stehlen. Oh, sobald sie sie wieder haben würde, würden die ihre Macht schon zu spüren bekommen. Sie würde ihnen zeigen, wer die stärkste Hexe ist. Ihnen und Leo. Der würde schon begreifen, wie stark sie war, er würde vor Ehrfurcht und Angst erzittern und ihr ohne Umschweife Adam wieder geben. Vor Piper lag das Buch der Schatten. Noch einmal schlug sie die Seite auf, auf der der Spruch stand, um jemanden von einer Sache zu überzeugen. Um ihn zu sprechen, brauchten sie allerdings die Macht der Drei, und mit Paige und Phoebe wollte Piper gerade nicht reden. Ob sie nicht doch noch einen anderen Zauber finden konnte? Sie blätterte weiter. Plötzlich stutze sie. „Wir rufen dich, geliebtes Kind, so wahr wir deine Eltern sind. Wer dich auch nahm mit düstrer List, gebrochen nun sein Zauber ist; auf dass das Kind, dass er begehrt, zurück zu seinen Eltern kehrt.“ Pipers Augen blitzten. Das war genau das, was sie gesucht hatte. Rasch las sie weiter:
„Der Zauber muss von Mutter und Vater zur selben Zeit gesprochen werden. Es genügt hierbei, wenn einer der beiden über magische Fähigkeiten verfügt. Die Macht der Liebe wird den Spruch auch beim anderen wirksam werden lassen.“ Mit einem Aufschrei schleuderte sie das Buch der Schatten gegen die Wand. Wie konnte das sein! Da hatte sie endlich den geeigneten Spruch gefunden, und jetzt so was. Natürlich konnte die den Spruch nicht gleichzeitig mit dem Vater sprechen. Schließlich ging es ja darum, von ihm das Kind wieder zu bekommen! „Wer hat eigentlich diese bescheuerten Regeln gemacht?“ murmelte sie atemlos. Plötzlich erschienen vor ihr die bekannten blauen Punkte. „Paige!“ rief Piper, „Kannst du nicht einfach anklopfen? Habe ich kein Recht auf ein bisschen Privatsphäre?“ Doch es war nicht Paige. „Leo!“ kreischte Piper los. „Was willst du denn hier? Du wagst es noch mal, hier aufzutauchen?“ Sie hob ihre Hände, aber es gab nur ein paar Funken. Sie jaulte auf. Leo ging vorsichtshalber ein paar Schritte zurück. Er machte den Mund auf und wollte anfangen zu reden, doch Piper kam ihm zuvor: „Wo hast du denn diese Verliererinnen aufgetrieben? Warum bringst du sie hierher? Du weißt doch, dass wir die besten sind. Was sollte dieser peinliche Angriff? Ist die eine wenigstens tot?“ Leo schüttelte den Kopf. Piper grinste sarkastisch: „Klar, der große Leo hat wieder ein Wunder vollbracht. Ich hab mir heute morgen versehentlich in den Finger geschnitten, willst du das nicht auch heilen?“ Sie streckte Leo ihre Hand entgegen. Der wusste nicht, wie er reagieren sollte. So aufgebracht hatte er Piper bisher selten erlebt. Sie nahm ihren Arm zurück. „Aber es ist ganz toll, dass wir uns mal persönlich unterhalten können!“ sprach sie weiter, „denn es gibt da etwas, dass du hast, und mir gehört. Und ich denke, es ist nun langsam an der Zeit, dass ich es zurückbekommen.“ Leo räusperte sich. „Ich nehme an, du meinst nicht den Ehering.“ Piper sprang ihm beinahe an die Gurgel. „Wage es nicht, dich über mich lustig zu machen.“ knurrte sie. „Du weißt ganz genau, wovon ich rede. Es geht um Adam.“ „Nun...“ begann Leo, „dem geht es bei mir sehr gut.“ „Ach?“ zischte Piper, „und du meinst, bei mir ginge es ihm nicht gut? Ich bin dafür geschaffen, Kinder zu erziehen, das weißt du. Ich kann mich um meinen Sohn kümmern. Er braucht die Wärme seiner Mutter.“ Leo lachte kurz und ironisch auf. „Wärme? Ich bitte dich. Schau dich an. Du tötest Unschuldige. Du bist eine der Bösen. Wo soll da denn Wärme herkommen?“ „Sag das nicht noch mal!“ fuhr sie ihn an, “ich habe genug Wärme für mein Kind. Und das werde ich auch beweisen. Lass ihn mich wenigstens sehen. Wo hast du ihn? Ist er bei euch oben?“ Leo wurde noch ein Stück bleicher. „Nun... das ist auch etwas, worüber ich mit dir reden wollte. Es sieht so aus, als ob... als ob... als ob man ihn entführt hat.“ „Was??“ schrie Piper auf, „was sagst du da? Entführt? Mein Kind? Adam? Wer? Wann? Oh, ich werde ihn... diesen miesen Kerl... wer war das? Sag’s mir. Ich werde ihn töten. Eigenhändig.“ Mit zusammengeballten Fäusten und wildem Blick stand Piper vor Leo. In diesem Moment war er sich sicher, dass sie das alles zustande bringen konnte, wenn sie wollte. „Und wieso hast du nicht auf ihn aufgepasst? Du beschuldigst mich, keine gute Mutter zu sein, und dann lässt du es zu, dass mein Sohn entführt wird? Wann war das?“ „Vorhin.“ sagte Leo ungenau. „ich... ich kann ihn nicht orten, also nehme ich an, dass es jemand aus der Unterwelt war. Ich weiß nur nicht, weshalb.“ „Aus der Unterwelt?“ brauste Piper auf, „einer von meinen Leuten also? Wie können die es wagen? Wissen die denn nicht, wer jetzt das Sagen hat? Wissen die nicht, dass ich jetzt die Anführerin bin? Und stattdessen kidnappen sie meinen Sohn.“ Leo schlug sich mit der Hand gegen die Stirn.

„Natürlich, das ist es! Sie wollen verhindern, dass ihr die Anführer werdet. Warum bin ich nicht gleich drauf gekommen?“ Das entsprach zwar nicht genau den Fakten, aber kam der Wahrheit empfindlich nahe. „Hör zu, Piper“, sprach Leo weiter, „ich weiß, wir haben uns viel gestritten und... wir haben unsere Meinungsverschiedenheiten. Aber für unseren Sohn sollten wir zusammenarbeiten. Es... es gibt einen Zauber, mit dem ein verloren gegangenes Kind wiederfindet. Wir müssten ihn allerdings zusammen sprechen.“ „Ich? Mit dir? Einen Zauber sprechen? Du spinnst doch. Niemals.“ „Piper! Es geht um Adam! Um sein Leben! Wollen wir nicht wenigstens für ihn unsere Streitigkeiten vergessen?“ „Ich bin die stärkste Hexe der Welt. Ich habe solche lächerlichen Sprüche nicht nötig. Ich werde hingehen, und ihn mir zurückholen. Das ist kinderleicht für mich. Ich brauche deine Hilfe nicht. Ich werde meinen Sohn alleine befreien. Und jetzt lass mich wieder in Frieden.“ „Aber Piper!“ begann Leo. Sie winkte ab. „Verschwinde endlich. Na los, mach schon.“ Leo beugte sich dem Willen seiner Ex-Frau. Er konnte nur hoffen, dass sie noch zur Vernunft kam. Und dass es Adam gut ging.
 
„Phoebe! Paige!“ schrie Piper, kaum dass Leo weg war. Widerwillig kamen die beiden ins Zimmer ihrer Schwester. „Was ist denn?“ murrte Paige. Sie hatte sich gerade ein wenig hinlegen wollen. Auch Phoebe war nicht gewillt, sich mit Piper zu unterhalten. Sie hatte ihr den Energiestoß nicht verziehen. Ihr Bein und ihre Schulter schmerzten immer noch. „Beeil dich bitte!“ knurrte sie, „ich hab heut noch was besseres zu tun.“ Piper ignorierte die Äußerungen ihrer Schwestern. „Leo war gerade da.“ „Was?“ schrie Phoebe auf, „schon wieder? Was wollte der? Oh, dieser kleine miese Dreckskerl.“ Piper nickte. „Ja, das habe ich auch gedacht. Er hat mir etwas Beunruhigendes erzählt: Anscheinend ist in der Unterwelt eine Revolte gegen uns geplant. Sie haben Adam entführt.“ Gespannt schaute sie, was ihre Schwestern dazu sagen würde. Phoebe zuckte die Schultern: „Na und wenn schon. Bald werden wir unsere Position in der Unterwelt klar machen, und dann werden die schon wieder aufhören mit ihrer Revolte. Was hat Leo denn wegen diesen Hexen gesagt? Die halte ich für die größere Gefahr.“ Piper starrte ihre Schwester an: „Bist du blöd? Mein Sohn wurde entführt. Das ist jawohl das Einzige, was jetzt zählt.“ „Finde ich nicht“, meinte Phoebe, „warum überlässt du das nicht Leo? Er kümmert sich doch um den Kleinen.“ Piper brauste auf: „Ich will aber nicht, dass er sich um ihn kümmert. Ich bin seine Mutter. Es steht mir zu, dass Adam bei mir ist. Und jetzt hat ihn jemand entführt! Wenn der ihn umbringt, wehe ihm! Wir müssen Adam so schnell es geht retten.“ „Ich finde Adam weniger wichtig als diese Revolte.“ mischte sich Paige ein, “es wird höchste Zeit, dass wir der Unterwelt zeigen, wer die Mächtigsten sind.“ Piper glaubte sich zu verhören. Das konnte doch nicht wahr sein! „Ihr könnt ihn doch nicht sterben lassen.“ schrie sie. „Doch.“ meinte Phoebe. „Besser er als wir. Und aus diesem Grund sollten wir uns um diese guten Hexen kümmern. Piper, kannst du mir das Buch der Schatten geben?“ Diese schüttelte den Kopf. „Du spinnst doch! Wir brauchen das Buch, um Adam zu befreien.“ Jetzt wurde es Phoebe langsam zu dumm. “Ich werde deinen kleinen hässlichen Jungen aber nicht befreien. Er ist mir egal, kapiert? Er ist doch nur ein kleiner Junge. Zur Hälfte ein Wächter des Lichts. Kümmer dich nicht mehr um ihn.“ sagte sie bedrohlich. „Ihr diskutiert hier ums falsche Thema!“ stellte Paige klar, „wir müssen in die Unterwelt, das habe ich euch doch gerade schon erklärt. Sonst bilden die da vielleicht Allianzen. Immerhin haben sie sich schon getraut, Pipers Sohn zu entführen. Wer weiß, was als nächstes kommt.“ Piper blickte auf: „Du verstehst mich doch, Paige? Du findest auch, dass wir Adam helfen müssen.“ Paige verneinte: „Piper, sieh ’s doch ein, der Kleine ist unwichtig. Wir müssen unsere Position deutlich machen.“ Piper schrie auf: „Jetzt reicht ’s mir aber langsam mit euch. Was für Schwestern seid ihr denn? Seit wann halten wir nicht mehr alle zusammen?“ „Seit du hier allein Entscheidungen triffst, und die uns dann aufzwingen willst.“ fauchte Phoebe. „Ich? Alleine? Das ist doch lächerlich. Ich sehe nur als einzige, was das Wichtigste ist. Nämlich dafür zu sorgen, dass wir in der Unterwelt mal einen Nachfolger haben.“ Paige lachte auf: „Mach dich doch nicht lächerlicher als du eh schon bist. Bis wir sterben, kannst du noch so viele kleine Jungen kriegen, dass die sich um den Thron streiten werden. Doch damit es überhaupt soweit kommt, müssen wir erst einmal auf ihn sitzen. Wieso in aller Welt begreift ihr beiden das nicht?“ „Vielleicht liegt es daran, dass es eine direkte Gefahr gibt, um die wir uns kümmern müssen. Habt ihr schon vergessen, dass wir gerade in unserem eigenen Haus von guten Hexen angegriffen worden sind?“ schnaubte Phoebe. Piper winkte ab. „Lass doch die in Frieden, die waren so lächerlich, die sind es gar nicht wert, erwähnt zu werden.“ „So?“ fragte Phoebe, „dann gib uns doch mal eine Kostprobe deiner Kraft.“ „Ohhhh!“ fuhr Piper sie an, „meine Kraft kommt wieder, das wirst du schon sehen.“ „Na da bin ich ja mal gespannt.“ höhnte Phoebe. Piper funkelte sie böse an: „Das kannst du auch. Ich lasse mir doch nicht einfach meine Fähigkeit wegnehmen. Aber das ist zweitrangig. Zunächst werde ich mich um Adam kümmern.“ „Und die Macht des Guten?“ fragte Phoebe. Piper klemmte sich das Buch unter den Arm und verließ ihr Zimmer. „Vergiss die doch.“ rief sie im Hinausgehen, „die sind unwichtig.“ Phoebe verdrehte die Augen. Paige zuckte die Achseln. „Schau mich doch nicht so an. Ich finde die auch nicht so wild. Da sind die Machtkämpfe in der Unterwelt aber spannender. Ich werde mal im Buch der Schatten schauen, was da drüber drin steht.“ Und damit ging auch sie. Phoebe rannte hinterher. „Und dass wir gerade angegriffen worden sind macht dir gar nichts?“ Ihre Schwester schüttelte den Kopf. „Das waren doch nur kleine Käfer im Vergleich zu uns.“ Sie stieg die Treppe zum Dachboden hinauf.

Phoebe folgte ihr. „Dafür hatten sie ziemlich was drauf. Immerhin haben die Piper ihre Kraft gestohlen. Wir sollten sie nicht unterschätzen.“ Paige stieß die Tür zum Dachboden auf. In der Mitte saß Piper auf dem Boden und blätterte schon wieder im Buch der Schatten. Diesmal suchte sie nach den Stichwörtern „Entführt“ und „Unterwelt“. Als ihre Schwestern zur Tür reinkamen, blickte sie mürrisch auf: „Was denn?“ „Wir brauchen das Buch auch.“ erklärte Phoebe. „Da ihr mich im Kampf gegen die Guten nicht unterstützen wollt, muss das Buch mir eben helfen.“ „Ich hab’s satt, hier rumzusitzen.“ erklärte Paige, „ich will endlich von meiner Macht kosten. Ich werde uns auf den verdammten Thron bringen, auch wenn ihr zu feige seid, mir zu helfen.“ Zu dritt beugten sie sich wieder über das Buch.
 
Leo hatte den drei Schwester gerade von seinem Misserfolg erzählt. Er hatte ihnen immer noch nicht verraten, dass es sich bei seiner Ex-Frau und Adams Mutter um Piper handelte. Sie wussten nicht einmal, dass die Mächtigen Drei früher seine Schützlinge gewesen waren. Er befürchtete, dass sie ihn dann wie ein rohes Ei behandelten: Was können wir alles sagen, wie weit können wir gehen, hält er das schon durch, gegen seine ehemaligen Schützlinge zu kämpfen? All diese Fragen würden aufkommen, und darauf hatte er partout keine Lust. Genau so wie: „Erzähl doch mal von damals, als ihr die Quelle besiegt habt.“ Oder noch schlimmer: Mitleid. „Das war sicher schwer für dich, als sie böse geworden sind. Das tut uns alles so Leid.“ Um all diesen unnötigen Sätzen vorzubeugen, erwähnte Leo bei seinem Bericht über Pipers Ablehnung mit ihm zusammen zu arbeiten keinen Namen. Wie erwartet konnten die drei Schwestern über soviel Sturheit nur den Kopf schütteln. Alyssa nahm Leo in den Arm. „Hey,“ sagte sie aufmunternd, „lass den Kopf mal nicht hängen. Wenn wir den Kleinen nicht durch einen Zauber wiederbekommen, dann eben durch fairen Kampf. Du beamst uns in die Unterwelt, und wir helfen dir, die Entführer zu besiegen.“ Leo lächelte traurig. „Das ist wirklich lieb von dir, aber das wäre viel zu gefährlich für euch. Ihr wart noch nie in der Unterwelt, und wer weiß, wie mächtig dieser Kidnapper ist. Wenn, dann mache ich das alleine.“ Amanda schmunzelte: „Du bist genau wie Tamara. Die wollte uns auch nie in Gefahr bringen. Und letzten Endes kostete sie genau diese Einstellung das Leben. Wir kommen mit, soviel steht fest.“ Leo sah seine Schützlinge an und merkte wie im warm ums Herz wurde. Während all der vergangenen Wochen war es genau das, was er vermisst hatte: Diese totale Bereitschaft für den anderen das Leben aufs Spiel zu setzen, um ihm zu helfen; um gemeinsam den Feind zu vernichten. „Also...“ er räusperte sich. „Selbst wenn wir versuchen würden, Adam zu befreien: Wir wüssten doch gar nicht, wo wir suchen müssen.“
In diesem Moment erschien ein Dämon vor ihnen. „Ah!“ schrie Alyssa und wollte sich auf ihn stürzen. Doch der Dämon hob die Hand: „Stop, Hexe!“ rief er. „Ich bin mir sicher, du willst hören, was ich zu sagen habe. Ich habe das Kind.“ „Du?“ schrie Leo auf. „Bist du nicht ein... ein... ein Darwin?“ Larka schaute den Wächter des Lichts erstaunt an. „Sehr richtig. Mir scheint, du bist schon länger im Geschäft. Was bist du? Ein Hexenmeister?“ „Das geht dich gar nichts an. Ich bin der Vater des Kindes, das du entführt hast.“ Larka schaute interessiert. „Ach, einen Vater gibt es dazu auch noch? Das macht die ganze Sache ja noch besser. Dann hört mir mal zu, Hexen, und... Meister. Ich habe das Kind. Und ich werde es in meiner Gewalt behalten. Ich habe von euch gehört, ich weiß, wer ihr seid. Ihr habt einst die Quelle besiegt.“ „Wir...“ begann Alyssa, doch Leo deutete ihr an, ruhig zu sein. „Nun, ich habe vor, diesen Thron zu besteigen. Und ich werde es nicht zulassen, dass ihr meine Pläne durchkreuzt. Bald wird die Inthronisierung stattfinden. Wenn ihr mir durch einen Zauber garantiert, nicht zu versuchen, mich von diesem Platz zu stoßen, werdet ihr den Jungen wiedersehen. Überlegt euch mein Angebot.“ Damit verschwand er. Während Amanda, Leo und Alyssa noch wie versteinert dran standen, packte Anastasia Leo am Arm. „Schnell, hinterher!“ rief sie, „er wird uns zu Adam führen.“ Die Schwester hielten sich an Leo fest, und gemeinsam folgten sie Larka in einem Schauer aus blauen Punkten in die Unterwelt.

Piper, Phoebe und Paige hatten inzwischen den richtigen Spruch gefunden. Nachdem sie festegestellt hatten, dass sie sich partout nicht auf ein Ziel einigen konnten, hatten sie beschlossen, dass eben jeder der Beschäftigung nach ging, die er für richtig hielt. Piper wollte Adam suchen und befreien. Phoebe hatte vor, nach der Macht des Guten zu schauen und aus zu spionieren, wer sie waren und wie viel sie konnten. Und Paige wollte sich in der Unterwelt umsehen und herausfinden, wer ihnen alles bei der Ersteigung der Throns im Weg stand.
Jetzt standen sie zu dritt vor dem Buch der Schatten. Sie hatten eine Kerze angezündet, und jede der Hexen hatte einen Zettel in der Hand, auf dem der Ort stand, wo sie hinwollte. Sie hielten die Zettel in die Flamme und sprachen gemeinsam den Spruch: „O Buch wir stehen nun vor dir und bitten, bring uns weg von hier. Und sei der Weg auch weit und viel, führe sicher uns ans Ziel.“ Kurze Zeit später standen die Drei gemeinsam in einer Grotte. „Oh, verdammt.“ fluchte Phoebe. „Da muss irgendwas schief gegangen sein. Oder wohnen die drei guten Hexen etwa in der Unterwelt?“ Paige zuckte die Schultern. „Aber wir haben es doch genauso gemacht wie es im Buch stand. Der Zauber stimmt.“ Plötzlich vernahmen sie Stimmen. „Psst, seid mal still.“ meinte Piper. Und die Stimmen, die sie da hörten, waren eindeutig die von Leo, Amanda, Alyssa und Anastasia. „Was machen die denn hier?“ fragte Phoebe stirnrunzelnd. „Na was wohl.“ seufzte Paige, „das gleiche wie unsere Schwester: Den Kleinen retten.“ Piper kochte schon wieder. „Ich hatte ihm doch gesagt, dass ich das alleine kann. Was soll das? Warum ist er jetzt hier? Oh, so ein verdammter Mist.“ Phoebe erhob sich.
 
„Nun, denn. Der Spruch hat uns hierher gebracht, und da ich mit den Guten ein ernstes Wörtchen zu reden habe, werde ich das nun tun. Euch viel Spass bei euren diversen Aktivitäten.“ Paige erhob sich auch. „Ich komme mit. Ich werde mich wohl mal ein bisschen in der Unterwelt umschauen. Ich bin mal gespannt, wem ich hier so alles begegne.“ Piper hob die Hand. „Na, dann verschwindet halt. Ich werde Adam suchen und befreien.“ Phoebe verkniff sich einen Kommentar über Pipers geschwächte Kraft. Sollte sie doch selbst sehen, wie sie zurecht kam. Piper entging Phoebes spöttischer Gesichtsausdruck. Sie war viel zu sehr damit beschäftigt, ihren nächsten Schritt zu planen. Der Zauber sollte sie zu Adam bringen, also musste er hier irgendwo sein. Vorsichtig durchquerte sie die Grotte und entdeckte am anderen Ende einen langen Gang, aus dem es nach Fäulnis stank. An der Decke hingen schlafende Fledermäuse und Ratten huschten umher. Ohne sich darum zu kümmern lief Piper weiter. Am Ende des Ganges war Licht. Sie ging direkt darauf zu. Doch was sie dann erblickte, verschlug ihr die Sprache: Der Gang mündete in eine Höhle, an deren Wänden in eisernen Halterungen Fackeln steckten, die die Höhle in ein schummriges Licht tauchten. Fledermäuse gab es hier keine, die hatten wohl angesichts der Helligkeit alle das Weite gesucht. Der Boden allerdings war übersät von ihrem Kot. Knochenreste lagen herum und von der Decke hingen undurchsichtige dicke Spinnenetze, in die sich schon so manches Insekt verfangen hatte. Doch was Piper erstarren ließ, war ein knöcherner Käfig in der Mitte der Höhle. Er war etwa ein Meter lang, breit und hoch. Und darin befand sich ein verängstigter kleiner Junge – Adam. Den Kopf auf einen Arm gestürzt saß er zusammengekauert mit geschlossenen Augen dran. Auf seinen Wangen waren die Spuren von getrockneten Tränen zu sehen. Er wirkte so klein und hilflos. Nachdem Piper sich gefasst hatte, war ihr erster Instinkt, hinzurennen um ihn zu befreien. Aber dann besann sie sich. Ihre Kräfte funktionierten nicht. Sie konnte momentan nichts verrichten. Ihre einzige Möglichkeit war, hier zu verharren und zu warten, dass ihre Kräfte zurückkamen. Oh, wären nur diese vermaledeiten Hexen nicht gewesen. Wenn Adam nun etwas zustieß, war es ganz allein ihre Schuld. Hätten sie ihr ihre Kräfte nicht gestohlen. Hoffentlich hielt der Zauber nicht mehr lange. Vorsichtshalber probierte Piper es aus, aber wieder gab es nur ein paar Funken. Murrend ließ sie sich nieder. Sie hasste es zu warten, aber das Risiko, von Adams Entführer in ihrem jetzigen Zustand gefangen zu werden, hielt sie davon ab, einen Angriff zu wagen. Vielleicht kamen ja bald ihre Schwester wieder um ihr zu helfen.

Ihre Schwestern waren weit davon entfernt. Sie hatten sich näher an Leo und die Hexen rangeschlichen und hörten jedes Wort, dass sie sprachen. „Wir sind diesem Dämon doch gefolgt. Wo ist er jetzt hinverschwunden?“ fragte die, die gleiche Kraft hatte wie Piper. Und eine andere antwortete: „Keine Ahnung. Aber er muss hier wohl irgendwo sein. Vor allem Adam....“ Leo nickte. „Ja, hoffentlich. Der Dämon wird ihn hier wohl irgendwo gefangen halten.“ „Sieh mal, da vorne ist Licht!“ rief plötzlich die dritte, „vielleicht ist Adam da.“ Erfreut schaute Leo auf: „Auf jeden Fall werden wir uns da wohl mal umsehen.“ „So, das reicht jetzt.“ meinte Phoebe, „jetzt haben wir mal ein Wörtchen mit ihnen zu reden.“ Sie und Paige kamen hinter ihrem Felsvorsprung hervor und stellten sich den vieren in den Weg. „Schönen Abend!“ sagte Paige, „so schnell sieht man sich wieder.“ „W-w-was… macht ihr denn hier?“ stotterte Amanda. Phoebe zog die Augenbrauen hoch: „Ich bitte euch, das hier ist die Unterwelt. Wir leben hier. Und ihr?“ „Wir suchen Adam.“ entfuhr es Alyssa. „Interessant, interessant.“ meinte Paige, „aber ihr seht nicht so aus, als ob ihr da bisher Erfolg gehabt hättet. Vielleicht möchtet ihr euch mit Piper verbünden, die hat das gleiche Ziel.“ „Piper?“ fragte Leo erstaunt, „sie ist auch hier?“ Phoebe nickte. „Die hockt dahinten.“ „Dann... dann hat sie sich vielleicht besonnen? Wird sie den Zauber mit mir sprechen?“ fragte Leo aufgeregt. Stirnrunzelnd sah Phoebe ihn an: „Welchen Zauber denn?“ „Nun,“ meinte Leo, „es gibt einen Spruch, der ein verloren gegangenes Kind zu einem zurück bringt. Aber Mutter und Vater müssen ihn zusammen sprechen.“ Phoebe pfiff. „Das wär natürlich was. Na ja, Leo, es sieht schlecht aus. Piper hat nicht das geringste Interesse daran, mit dir zusammen zu arbeiten. Sie hasst dich, verstehst du das nicht? Sie will nicht mehr mit dir zu tun haben. Und was Adam betrifft: Ich bitte dich. Sie ist eine der mächtigen Drei. Sie hat schon gegen mehr Dämonen gekämpft als irgendwer anderes. Da wird sie doch wohl auch mit einem kleinen Entführer fertig. Ihr wird etwas einfallen, wie sie Adam alleine befreien kann.“ Natürlich übertrieb Phoebe maßlos. Sie glaubte selbst nicht, was sie da redete, aber sie wollte Leo verletzen. Bevor dieser etwas entgegen konnte, rief Alyssa schon dazwischen: „Wie will sie das denn machen? Sie hat doch ihre Kraft gar nicht mehr.“ Phoebe lachte auf: „Was denkst du denn? Dass euer lächerliches Elixier wirklich Pipers Kräfte gestohlen haben? Sie hat doch nur so getan. Ihre Kräfte sind so stark wie nie zuvor.“ Paige blickte ihre Schwester erstaunt an: „Ist das wahr?“ raunte sie. „Pscht!“ zischte Phoebe, „natürlich nicht.“ Verunsichert blickten die drei guten Hexen sich an: Stimmte es, was Phoebe da sagte? Oder behauptete sie das nur? Auch Leo schoss diese Frage durch den Kopf. „Also“, meinte Anastasia, „wir werden jetzt nach ihr sehen.“ Entschlossen trat sie einen Schritt nach vorne. Phoebe stellte sich ihm in den Weg. „Nicht so hastig!“ sagte sie, „Ich glaube, wir haben da noch eine Rechnung offen.“ Mit einem lauten „Hey!“ packte sie Anastasia und schleuderte sie nach hinten. Diese schlug hart mit dem Kopf auf einem Felsvorsprung auf und blieb bewusstlos liegen. „Anastasia!“ schrie Amanda auf. Leo wollte zur ihr stürzen, doch Phoebe hielt ihn fest. „Jetzt bist du an der Reihe.“ Leo sah sie an: „Du weißt, du kannst mich nicht töten.“ Phoebe lachte laut auf: „Bist du dir da sicher? Weißt du denn, was ich alles gelernt habe in letzter Zeit?“ Leo musste sich eingestehen, dass er das tatsächlich nicht wusste.Während Alyssa sich um Anastasia kümmerte, probierte Amanda Leo aus Phoebes Griff zu befreien, doch Paige griff sie unvermittelt an. Sie hatte beschlossen, ihren Plan, sich um andere Dämonen zu kümmern, zurückzustecken. Zu groß war ihr Bedürfnis danach, jemanden zu töten, und diese Gelegenheit wollte sie sich nicht entgehen lassen. Sie versuchte Amanda einen Schlag zu verpassen, doch diese wich ihr gekonnt aus und schlug gleich drauf mit dem Fuß aus. Sie traf Paige am Oberschenkel. Diese taumelte ein wenig und setzte dann zur Gegenwehr an. „Leo!“ rief Amanda, „wir schaffen das hier allein, kümmere du dich jetzt um deinen Sohn.“ „Nein!“ sagte er, „ich bleibe bei euch. Ich muss euch doch helfen.“ „Das musst du nicht! Geh und rette ihn. Und... Piper.“ Immer noch in Phoebes klammerndem Griff blickte Leo Amanda an. Konnte er das wirklich machen? Sein Gewissen nagte in ihm. Schützlinge oder Sohn? Auf der anderen Seite konnten sich seine Drei wirklich gut selbst verteidigen. Er wusste auch immer noch nicht, ob Phoebe nicht vielleicht wirklich eine Möglichkeit gefunden hatte, Wächter des Lichts ohne vergifteten Pfeil zu töten. Und genaugenommen war Adam ja ebenso sein Schützling. Es war nicht auszudenken, dass Piper ihn befreite und dann mit zu sich nahm! Leo seufzte. „Gut. Ich... ich mach’s.“ Mit einem letzten Blick auf seine Schützlinge beamte er sich davon. Paige und Amanda waren immer noch heftig am kämpfen. Dazu, ihre Kräfte einzusetzen, kam keine von ihnen, zu schnell ging es Hin und Her. Mit festem Schritt lief Phoebe nun in Richtung Alyssa. Diese stand auf. Jetzt war der große Moment gekommen. Sie machte eine Handbewegung, Funken stoben und Phoebes Hand stand in Flammen. Diese schrie mit schmerzverzerrtem Gesicht auf. „Du Miststück. Na warte.“ Sie schüttelte ihre verbrannte Hand. Mit zusammengekniffen Zähnen ging sie auf Alyssa zu. Mit ihrer gesunden Hand ergriff sie Alyssas und verpasste ihr einen Energiestoß und dann noch einen und noch einen. Alyssa fühlte sich, als stände ihr Körper in Flammen. Immer wieder bekam sie einen Stromschlag und jedes Mal hätte sie am liebsten losgeheult. Sie musste nach Luft ringen. Phoebe packte ihre Hand noch fester und warf Alyssa mit einem gekonnten Griff über ihre Schultern. Diese landete hart auf dem Rücken. Um sie herum drehte sich alles. Jetzt nicht aufgeben, weiter machen, sich nicht dem Schmerz hingeben. Amanda war es im beinahe gleichen Moment gelungen, Paige ein Stück von ihr Weg zu schleudern. Mit einem Schritt war sie bei Alyssa und half ihr hoch. Phoebe kam auf die beiden zu, ihre verbrannte Hand hing schlaf herunter. Amanda wollte gerade ausholen und ihr eine reinschlagen, als sie von Paige angegriffen wurde. Der Kampf ging weiter...
 
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Als Leo sich weggebeamt hatte, war er direkt neben Piper gelandet. Diese fuhr hoch: „Du! Ich habe dir doch schon gesagt, dass ich das alleine kann.“ Leo blickte sie ein wenig spöttisch an: „Und warum sitzt du dann hier im Schmutz anstatt dass du unseren Sohn rettest?“ „Weil... weil...“ Piper fiel nichts ein. „Lass mich in Frieden!“ zischte sie. „Ich werde das schon noch schaffen.“ Leo stöhnte: „Piper! Was soll das! Wenn du mich nicht hasst, ist das noch kein Grund, auch Adam im Stich zu lassen.“ Piper sprang ihm beinah ins Gesicht: „Wag es nicht, so etwas zu behaupten! Ich habe Adam nie im Stich gelassen, du hast ihn mir weggenommen. Ich wäre eine wundervolle Mutter für ihn gewesen. Du warst es doch, der auf ihn hätte aufpassen sollen! Deinetwegen ist er jetzt in der Gewalt eines Dämons!“ „Weißt du denn, wo er genau ist?“ wollte Leo wissen. Piper deutete in die Höhle hinein. Als Leo vorsichtig einen Blick hineinwarf und seinen gefangenen Sohn sah, ballte sich ihm das Herz zusammen vor Schmerz. Sein geliebter kleiner blonder Engel, hoffentlich hatte er nicht zu viel leiden müssen. Wer weiß, was der Dämon ihm angetan hatte. Bestimmt hatte er furchtbare Angst und sehnte sich nach seinen Eltern. Er wusste doch gar nichts von der Unterwelt. Wie musste ihm zumute gewesen sein, hier unten, alleine in der Kälte zu kauern, ohne zu Wissen wo er war oder warum er hier war. Plötzlich regte sich was am anderen Ende der Höhle. Erst jetzt bemerkte Leo, dass dort im Dunkeln ein Dämon schlief. Mit einer Handbewegung winkte er Piper zu sich. „Schau!“ flüsterte er, „da ist das Monster!“ „Gut.“ meinte Piper, „Dann werde ich jetzt gehen und ihm eine Lektion verpassen. Er schläft, das trifft sich ja wunderbar.“ Mit festen Schritten trat Piper in die Höhle. Leo gelang es gerade noch, sie am Ärmel zu packen. „Piper! Das ist viel zu gefährlich! Was ist mit deinen Kräften?“ Sie schüttelte ihn ab und lief entschlossen auf Larka zu. Gespannt beobachtete Leo seine Ex-Frau. Doch was dann passierte, war nicht das, was er gehofft hatte: Mit einem Mal erwachte der Dämon, schüttelte sich kurz und erfasste die Lage dann mit einem Blick. „Aha!“ grinste er zufrieden, „du bist wohl gekommen, um den lieben Kleinen zu befreien.“ Piper nickte grimmig. „Gut erkannt, Dämon.“ Sie machte eine Handbewegung. Larka bekam eine kleine Stoßwelle zu spüren, es gab Funken - mehr nicht. Piper fluchte leise. Erstaunt blickte Larka sie an: „Wie? Das war alles? Die ach so mächtige Hexe hat nicht noch mehr Tricks auf Lager? Dann darf ich dir vielleicht mal einen von mir vorführen: Wie gefällt dir das?“ Und mit einem Griff auf Pipers Stirn sank diese eingeschläfert zu Boden. Jetzt musste Leo handeln. So leise wie möglich beamte er sich hinter den Dämon, der dran stand und höhnisch grinsend auf Piper runterblickte. „Hey, du!“ schrie Leo, und verpasste Larka, als er sich umdrehte, einen gekonnten Schlag auf den Kopf. Er taumelte und fiel dann bewusstlos hin. Leo folgte seinem ersten Instinkt und lief zum Käfig. Adam schien auch zu schlafen, vermutlich durch dieselbe Kraft, der auch Piper zum Opfer gefallen war. Als sich Leo davon überzeugt hatte, dass Adam keine äußerlichen Verletzungen hatte, ging er um sich um Piper zu kümmern. Vorsichtig kniete er sich nieder. Als er seine Ex-Frau so liegen sah, still und schön, kamen in ihm Gedanken hoch, die er sich wochenlang selbst verboten hatte zu denken: Erinnerungen an gemeinsame Zeiten, an glückliche Stunden und wunderbare Nächte.
Er sah sich und Piper auf einer Frühlingswiese sitzen und picknicken, während Adam vergnügt um sie herumrannte. Er sah Piper, wie sie im P3 hinter der Theke stand, und voller Enthusiasmus ihrer Arbeit nachging, die Haare in den Nacken warf und laut lachte. Er sah Pipers Lächeln, wenn er für sie Einkäufe erledigt oder den Wagen repariert hatte, ihr wunderbares Lächeln, dass ihm gegolten hatte, und für dass er noch ganz andere Dinge getan hätte. Er sah sich und Piper in wunderbaren Nächten, in denen es nur sie beide gegeben hatte, Nächte voller Liebe und Zärtlichkeit, diese Nächte, in denen sich Piper an ihn geschmiegt und ihn voller Seeligkeit und mit blitzenden Augen angeschaut hatte. Er sah Piper und sich vor dem Altar stehen und sich ewige Liebe versprechen, und er sah Adams Geburt, die für sie beide das faszinierendste Ereignis gewesen war, dass sie bis dahin erlebt hatten.
„Ach Piper!“ schluchzte Leo. Plötzlich stellte er fest, dass er die ganze Zeit über ihre Hand fest umklammert hatte. „Wir waren so glücklich. Wir waren eine traumhafte Familie. Ich habe dich doch geliebt. Ich.... ich liebe dich immer noch.“ Die Tränen liefen ihm über die Wangen. Sollte es das wirklich gewesen sein? Gab es denn nichts, was er tun konnte? Er musste doch seine Familie retten, koste es, was es wolle. Er steckte seine Hand in die Tasche und holte ein kleines Säckchen heraus. Aber ja, er kannte die Regeln, er kannte sie nur zu gut. Aber Piper und er hatten schon immer gegen alle Regeln verstoßen, und es niemals bereut. Und auch diesmal würde er es nicht bereuen, das spürte er. Das Pulver, mit dem man einst Erinnerungen hatte löschen können, war in den letzten Jahre revolutioniert worden: Es löste nicht nur eine völlige Gedächtnislücke aus, sondern konnte auch Erinnerungen hervorrufen. Leo nahm etwas von dem Staub und blies in Piper übers Gesicht. Dabei redete er von früher, er nannte die Tage, an denen sie besonders glücklich gewesen waren und erzählte von vielen wunderschönen Ereignissen, die sie zu zweit erlebt hatten. Gespannt blickte er auf Piper. Diese fing an mit den Fingern zu zucken. Als Leo es sah, lächelte er: Es waren all diese Kleinigkeiten, wofür er sie liebte; und eine davon war, dass morgens als erstes ihre Finger erwachten. Sie kniff ein paar Mal die Augen zusammen und öffnete sie dann. Als sie Leo erblickte fing sie an zu lächeln: „Liebling! Hey!“ Leo strahlte übers ganze Gesicht. Piper sah sich um: “Wo sind wir denn hier? Was ist...“ Da entdeckte sie Adam und schrie entsetzt auf: „Was ist denn mit ihm? Was ist passiert?“ Sie sprang auf und versuchte den Käfig sprengen, aber es tat sich nichts. Verunsichert drehte sie sich um: „Was ist da los? Wie komm ich hier her? Und was ist mit meiner Fähigkeit?“ Leo zog sie zurück. „Ein Dämon hat den Kleinen entführt. Hier, diesen Zauber müssen wir gemeinsam sagen, um ihn zu befreien.“ Hand in Hand standen sie dran und sprachen: „Wir rufen dich, geliebtes Kind, so wahr wir deine Eltern sind. Wer dich auch nahm mit düstrer List, gebrochen nun sein Zauber ist; auf dass das Kind, dass er begehrt, zurück zu seinen Eltern kehrt.“ Adam hüllte sich in die bekannten blauen Punkte, und stand gleich drauf vor ihnen, erwacht: „Mummy, Daddy! Da seid ihr ja! Wer war das? Dieser Mann? Ich hatte solche Angst.“ Piper runzelte die Stirn: „Diese Fragen wird dir dein Vater beantworten müssen .... und mir auch. Ich habe keine Ahnung.“ Adam strahlte seine Mutter an: „Mummy, ich hab dich so vermisst.“ Piper sah ihn verwirrt an: „Ja? Wie... wie lang warst du denn hier?“ „Ach Mummy!“ meinte Adam, „nicht hier. Daddy und ich waren doch ausgezogen.“ Leo nahm den Kleinen schnell auf den Arm. „Weißt du, mein Schatz, darüber reden wir später.“ Piper stand dran wie vom Blitz getroffen. Adams Worte hatten ihre Erinnerung an die letzten Wochen zurückgebracht: „Ihr seid ausgezogen... aber natürlich... Dentalien.... die schwarze Macht...“ murmelte sie. In dem Moment kamen Phoebe und Paige in die Höhle. Phoebe stützte sich auf Paige, die dank ihrer Fähigkeit, ihre Wunden auf andere zu übertragen, keinerlei Verletzungen hatte. Phoebe war dagegen übel zugerichtet: Ihre verbrannte Hand hing nutzlos herunter, ihr Knöchel war verstaucht und sie hatte etliche Prellungen. Außerdem war ihr Oberteil zerrissen. „Oh, diese miesen kleinen Hexen!“ knurrte Paige, „Das schreit nach Rache, aber ganz enorm. Weißt du, was wir noch erfahren haben, Piper? Dass wir uns vorhin so gestritten haben, das war ganz allein ihr Werk! Sie haben einen Zauber ausgesprochen, der unser Band getrennt hat. In Zukunft werden wir wieder alles gemeinsam regeln. Sobald sich Phoebe erholt hat, werden wir zum Gegenschlag ausholen.“ Piper verstand kein Wort. Leo strich ihr über die Haare. „Hoffentlich bis bald.“ sagte er zärtlich. Zusammen mit Adam beamte er sich davon, um nach seinen Schützlingen zu sehen. Überrascht blickte Paige ihm hinterher: „Was war das denn jetzt? Wieso hast du ihm Adam nicht weggenommen? Wieso hat er dich angefasst und du hast dich nicht gewehrt?“ In Pipers Kopf drehte sich alles. „Ich... ich.... ich weiß nicht. Ich glaube, ich will einfach nach Hause.“ Kurze Zeit später hatte Paige sie ins Manor zurück gebeamt.
 
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