Milan und Patrizia suchten noch in derselben Nacht den Bürgermeister auf, wie es der Bote befohlen hatte. In der Kutsche betrachtete Patrizia Milan, während dieser angespannt aus dem Fenster schaute. "Dafür, dass du an die 8 Stunden geschlafen hast, siehst du sehr geschafft aus. Was setzt dir zu?" Den Blick nicht von der regengeschwächten Glaswand abwendend, ließ ihr Gegenüber sich zum Antworten herab:" Ich bin in Sorge um Grazia, auch wenn sie Alyssa sagte sie sei Zuhause, kann sie der Gemeinschaft nicht einfach fernbleiben. Das gehört sich nicht, außer sie hat gewichtige Gründe." Je mehr Zeit verstrich, desto stärker wurden die Schmerzen für Milan den Dornenvogel zu kontrollieren, die mit Dornen und Widerhaken versehenen Schwingen des Geschöpfes glaubte er in seiner Haut zu spüren und sich auszubreiten. Das Amulett brannte darauf wie Feuer, diese ganzen Qualen hatte er nicht eingeplant, doch sie plagten ihn mehr und mehr. „Grazia ist mir auch eine Freundin geworden, nicht nur eine Vorgesetzte. Wir haben Freuden und Leiden geteilt...können wir nicht an ihrem Haus vorbeifahren, es wäre nur ein kleiner Umweg bitte! Das würde mich sehr beruhigen.“ In Gedanken um Grazia vertieft, bekam Patrizia Milans Passivität nicht mit, gesprächig war er ja noch nie gewesen. Doch jetzt trafen sich ihre Blicke und sie zuckte kurz zusammen, als hätte sie unbemerkt eine kalte Hand berührt. „Wenn du möchtest gern, auch ich fühle mich danach sicher wohler.“, lächelte er gefühllos. Die Kutsche schlug eine andere Richtung stadtauswärts ein, während die Schwärze der Nacht kaum an die Schwärze Milans heranreichte.
Während seine Schwärze zunahm, brach das Dornenvogeldasein an einem anderen Ort zusammen. „Was hast du getan?“, fragte Grazia fassungslos, es war noch zu früh den Tod ihrer Eltern zu begreifen, jetzt zählte für sie diese Situation.
Seine Seele brannte, er war nun Zerstörer des falschen Scheins, schwarzer Rächer an der silbernen Welt, doch ebenso unsterblich göttlich durch die Reinheit der Aufgabe...seine abgrundtiefer Hass, ihre die Liebe, besagte die Chronik.
Nun saß er wieder in seinem Silbergewand zusammengekauert an dem Ort der Grausamkeit. Er wagte nicht zu sprechen, konnte sie nicht ansehen, wollte nur noch sterben. Grazia entriss ihm das in der Hand gehaltene Amulett und wurde Zeugin der Blutfärbung, ein Dreizehntel wurde untrennbar getränkt.
Dreizehn Stunden besiegeln den Schlaf des Dornenvogels, dann erwacht er, dreizehn Morde besiegeln dein Leben, dann stirbt es für ihn, denn dein Leben ist sein Leben und dein Blut ist sein Blut.
Grazia wollte ihm wie eine Schwester sein, wie immer, doch konnte sie den Mörder ihrer Eltern trösten? Sie konnte, denn kurz darauf hielt sie ihn im Arm. Sie wusste und spürte, dass er es nicht gewollt haben konnte und jeder andere das erste geforderte Opfer hätte sein können. Sein kindliches Gemüt war sichtbar kaum im Stande das Geschehene zu verkraften. Hätte sie ihn nicht abgehalten, hätte er sich mit den Getöteten verabschiedet. „Rede einfach, ich kann dich nicht strafen, noch nicht...“ Schluchzend fügte sich Roman seiner Schuld und erzählte.
„Er hat mir versprochen, dass ich stärker werde, aber immer ich selbst bleibe, er hat mir vorgegaukelt, ich wäre unverwundbar durch das Bündnis mit ihm, bei seinen Raubzügen bin ich mitgegangen, habe das Schicksal erfahren. Grazia, ich will sterben für das was ich tat, denn mein Vergehen haftet ewig an dir.“
„Er war dein Dornenvogel, richtig?“, überhörte sie bewusst den letzten Teil. „Ja, er hat sich meiner angenommen, als ich mir so unbedeutend vorkam. Er hat mir die schönen Seiten gezeigt und gesagt, das Schicksal liegt auf jedem, darum sollte man davor nicht weglaufen.“ „Roman, was ich dich jetzt frage ist sehr wichtig, was hast du gefühlt, als du getötet hast?“ Roman blickte sie erstaunt an und die Tränen versiegten.
Über dem Schicksal liegt eine Schweigepflicht, welche Unbetroffene schützt und davor bewahrt, das Unabänderliche ändern zu wollen.