Sally
Der Häuptling stand schweigend da, beobachtete aber jede Bewegung seines Sohnes. Sally schien es, als wäre er einen Moment erschrocken gewesen, als er Schwarzer Adlers Verband erblickt hatte. Aber der Verband war sauber und sein Sohn bewegte sich mühelos, was den Vater anscheinend davon überzeugt hatte, dass es nichts ernstes war.
Als sich Schwarzer Adler dem Häuptling zu wandte, sprach dieser einige Worte, die Sally nicht verstand, und Schwarzer Adler antwortete. Sally reimte sich aus den Gesten, der beiden Männer zusammen, dass es um seine Verletzung und sie selbst gehen musste. Sie fühlte sich ziemlich unwohl in ihrer Haut, da sie nichts tun konnte, beziehungsweise sagen. Denn Grosser Bär verstand kein Englisch, wie ihr Schwarzer Adler am letzten Abend erzählt hatte. So konnte sie nur abwartend da stehen und lächeln, wobei ihr das auch nicht so wirklich gelang.
Nach einigem hin und her lachte Grosser Bär plötzlich und schloss seinen Sohn in die Arme. Das Bild das sich ihr nun bot, war äusserst amüsant, den Schwarzer Adler überragte seinen Vater um Haupteslänge. Nun folgten eine Reihe von Umarmungen, von allen möglichen Leuten, wobei alle als erstes den Häuptlingssohn Willkommen heissen wollten, was nun beim besten Willen nicht ging. Sie selbst schien in Vergessenheit geraten zu sein.
Auf einmal fiel Sally, wieder die junge Frau ins Auge, die ihr vorher so freundlich zugelächelt hatte. Seltsamerweise hatte sie keine Probleme, durch die vielen Menschen nach vorne zu gelangen. Die Leute schienen ihr sogar Platz zu machen. Nicht viel, aber gerade genug, dass sie jeweils den nächsten Schritt machen konnte. Sie wirkte wie ein Fels in der Brandung. Als die junge Frau bei Schwarzer Adler angekommen war, lächelte dieser herzlich und schloss sie ebenfalls in die Arme, aber ganz sorgfältig, so als hätte er Angst, sie könnte in seinen Armen zerbrechen. Dann gab er ihr einen Kuss auf die Stirn und Sally wurde plötzlich klar, woher sie diese Frau kannte. Das musste Schwarzer Adlers Schwester sein! Sie suchte in ihrem Gedächtnis nach deren Namen, aber sie fand ihn nicht. Das konnte sie ja auch gar nicht, denn sie hatte ihn noch nie gehört.
In Gedanken versunken stand sie da, als plötzlich Worte in Englisch an ihr Ohr drangen.
„Was?“ sagte sie verwirrt. „Fürs erste ist alles in Ordnung, Sally,“ sagte schwarzer Adler in einem sachlichen Tonfall. „Bis Morgen kannst du ganz sicher hier bleiben. Alles andere wird mein Vater heute Abend entscheiden.“ Sally nickte. „Wie du sicher schon erkannt hast, ist das der Häuptling Grosser Bär,“ fuhr er fort und zeigte dabei auf seinen Vater. Sally lächelte diesem zu und bat Schwarzer Adler dem Häuptling in ihrem Namen für die Gastfreundschaft zu danken. Grosser Bär winkte ab und Schwarzer Adler übersetzte seine Worte. „Mein Vater sagt, dass du damit noch warten solltest, denn der Tag sei noch lang.“ Sally wusste nicht, wie diese Antwort gemeint war und verbot sich auch, weiter darüber nach zu denken.
Als Schwarzer Adlers Schwester ihm auf die Schulter tippte und einen Schmollmund machte, lachte dieser und sagte dann zu Sally: „Jetzt bin ich gerade bei meiner Schwester in Ungnade gefallen, weil ich sie beinahe vergessen habe. Sally, das ist meine Schwester Flüsternde Nacht. Sie wird sich ein wenig um dich kümmern, damit du nicht verloren gehst, und du wirst heute in ihrem Tippi schlafen.
Dann sagte er etwas zu Flüsternder Nacht, worauf diese Sally beim Arm nahm und ihr zu verstehen gab, sie solle mitkommen. Sally tat wie ihr geheissen und lief schweigend neben Flüsternder Nacht her, wobei sie sich fragte, warum diese noch kein einziges Wort von sich gegeben hatte, auch nicht in ihrer Sprache. Und warum hatte Schwarzer Adler, der Sally einiges über seine Mutter und seinen Vater erzählt hatte, kein Wort über eine Schwester verlauten lassen? Aus dem Augenwinkel musterte sie Flüsternde Nacht unauffällig. Und warum dieser Name? Irgendetwas war anders an dieser jungen Frau, aber was...