Serie: Grey’s Anatomy
Disclaimer: Spielt nicht explizit im Rahmen einer bestimmten Episode. Vorausgesetzt habe ich jedoch die bisher in Deutschland ausgestrahlten Folgen der Serie.
Keine der Figuren gehört mir und ich will mit der Geschichte auch kein Geld verdienen. Nur die Ideen sind meine eigenen.
Umfang: 1.696 Wörter
Wäre seine Großmutter noch am Leben – eine erzkatholische Frau, die jeden Sonntag in die Kirche gegangen war, sogar, als sie bereits eine künstliche Hüfte hatte und kaum noch selbstständig vom Fleck kam – so hätte sie ihn schon lange zur Beichte gejagt und ihm mit ihrem Gehstock gedroht.
Als er noch jünger war, hatte diese Taktik regelmäßig Erfolg gehabt und allein die Erwähnung von Hölle und Fegefeuer hatte ihn doch das ein oder andere Mal von kleineren und größeren Dummheiten abgehalten. Aber mit dem Alter waren solche Drohungen irgendwann einfach abgestumpft und hatten ihre Bedeutung verloren.
Wenn er versuchte, sich daran zu erinnern, wann er zum letzten Mal überhaupt in einer Kirche, geschweige denn bei der Beichte gewesen war, bekam er allerdings trotz allem noch ein schlechtes Gewissen, das ihm deutlich zeigte, wie sehr seine Großmutter ihn geprägt hatte.
Neben Dereks Eltern war sie ein weiterer Ersatz für seine Mutter und seinen Vater gewesen, die sich kaum um ihn gekümmert hatten, wenn sie ihn denn überhaupt zur Notiz nahmen.
Und selbst, als er sich seinem besten Freund anschloss, um ebenfalls Medizin zu studieren, hatten seine Eltern sich bemerkenswerterweise kaum bis gar nicht dafür interessiert. Am liebsten hätten sie ihm wahrscheinlich auch noch vorgeworfen, dass er in sich im Gegensatz zu Derek kein „sinnvolles“ Spezialgebiet wie die Neurochirurgie, sondern lediglich die oberflächliche Disziplin der ästhetischen Chirurgie ausgesucht hatte.
Dass er im Laufe der Jahre zu einem der besten und gefragtesten Koryphäen seiner Disziplin geworden war, hatte sie ebenso wenig interessiert, wie früher seine Schulzeugnisse, seine sportlichen Leistungen oder auch jede seiner Freundinnen, die er ihnen vorstellte.
Sein Abschluss am College. Seine erste Stelle. Sein erstes Gehalt. Auch das hatte keine sonderlich begeisterte Reaktion der Erzeugerfraktion hervorgerufen.
An dieser Stelle bekannte er sich zum ersten Mal in seinem Leben tatsächlich dazu, neidisch zu sein. Neidisch auf seinen besten Freund, der alles hatte. Eine liebevolle Familie – auch, wenn seine Schwestern mitunter anstrengend waren -, die sich auch für das interessierte, was er tat und die stolz auf ihn war und natürlich auf seine absolut perfekte Beziehung mit Addison. Addison, einer wunderhübschen, intelligenten und ebenfalls erfolgreichen Medizinerin, mit der er seit dem College zusammen war.
Er dagegen hatte sich irgendwann darauf verlegt, ungefähr jede Woche eine andere Frau zu treffen. In erster Linie wollte er seine Eltern damals damit schockieren, doch auch das schien sie nicht weiter zu interessieren, er selbst jedoch fand Gefallen an dieser Art des „Liebeslebens“.
Aber obwohl auch er selbst nicht schlecht im Leben stand, er war definitiv voll des Neides für das Leben seines besten Freundes – auch, wenn er das ihm gegenüber niemals zugegeben hätte. Niemals.
Sein nächster Fehler, den seine Großmutter händeringend kritisiert hätte, könnte man wohl am Besten mit Trägheit beschreiben. Trägheit, was seine Beziehungen zu Frauen anging, bei denen er nicht einmal bereit war, Gefühle zu investieren, oder sich auch nur in irgendeiner Weise um deren Gelingen zu bemühen. Im Endeffekt war er jedes Mal aufs Neue froh, wenn die Frauen frustriert genug waren, um ihn wieder in Ruhe zu lassen.
Trägheit, was die Anfangszeit in seinem Beruf anging, als Derek von einer Topstelle zur nächsten jagte, während er immer wieder daran zweifelte, ob er tatsächlich in der plastischen Chirurgie bleiben wollte und sich bei seinen Betreuern allenfalls durch mangelnde Leistungen hervorhob.
Das Traurigste jedoch war die Tatsache, dass er sich erst aufraffen konnte, sich wirklich um seinen Job zu bemühen, als er eines Tages Addisons mitleidigen, aber irgendwie auch enttäuschten Blick bemerkte, als er wieder einmal viel zu spät in der Klinik erschienen war.
Dereks mahnende Worte waren lange Zeit an ihm vorbeigegangen, aber ein Blick dieser faszinierenden Frau reichten aus, um ihn über sein Tun nachdenken zu lassen.
Mit dem beruflichen Erfolg kam schließlich auch der Hochmut. Nun gut, welcher gutaussehende, bei Frauen erfolgreiche, junge Mann hätte sich die Lobeshymnen erfahrener Kollegen wohl nicht zu Kopf steigen lassen? Er schien tatsächlich das richtige Fachgebiet für sich gewählt zu haben, denn nachdem er sich endlich richtig darauf eingelassen hatte, entwickelte er ein unwahrscheinliches Interesse und eine nicht unerhebliche Begabung für die Schönheitschirurgie und auch seine Patienten waren begeistert, was ihm natürlich auch eine gewisse finanzielle Sicherheit gab.
Was könnte es noch Besseres geben? Er war der Vorzeigetyp des modernen Mannes, erfolgreich, jung, gutaussehend – und natürlich mit nicht unerheblicher Anziehungskraft auf das andere Geschlecht. Er hatte alles und bekam alles, was er wollte.
Und seine Probleme begannen, als das, was er haben wollte, Addison war.
Einige Zeit lang schaffte er es, seinem Verlangen in keinster Weise nachzugeben, schließlich war sie Dereks Freundin und damit ein riesiges Tabu für ihn. Und so abgehoben, dass er vergessen hätte, dass sein bester Freund immer in seinem Leben für ihn da gewesen war, war er definitiv nicht
Aber irgendwann siegte dann schließlich doch sein Instinkt, der wieder einmal nur haben wollte und als sie sich eines Abends bei ihm über Derek ausheulte, hatte er einfach eine Hand auf ihre Wange gelegt und sie geküsst. Im ersten Moment hatte sie ihn zurückgeküsst, bevor sie sich erschrocken von ihm gelöst hatte und so schnell verschwunden war, wie sie nur konnte.
Dafür stand sie nach zwei Wochen ohne jeglichen Kontakt wieder vor seiner Tür und sah ihn einfach nur abwartend an. Sie hatte ihn nicht lange auffordern müssen.
Und es hatte nicht lange gedauert, da war er bereits an einem Punkt angekommen, an dem ihm seine Großmutter wohl mehr als nur einen Schlag mit ihrem Stock verpasst hatte.
Er wollte Addison für sich, wollte sie nicht mehr mit Derek teilen müssen, wollte sie ganz allein, wollte sie einfach. Immer wieder.
Dabei hatte seine Großmutter ihm schon, als er noch ein kleiner Junge war, erklärt, dass es geizig war, wenn man etwas nicht teilen wollte und dass Geiz etwas war, wofür man beichten musste.
Abgesehen davon, dass er ohnehin bei weitem nicht so gläubig war, wie sie, so war er trotz allem der Meinung, dass Geiz sich nicht auf eine Person beziehen konnte... Zumindest redete er sich dies immer wieder ein, da seine Schuld gegenüber Derek auch so bereits schwer genug auf ihm lastete. Er hatte keine Lust, sich auch noch Gedanken über irgendwelche christlichen Werte zu machen, die ihm in seiner Kindheit immer wieder eingetrichtert worden waren.
Und trotzdem war er irgendwann so weit, dass er sich nicht mehr länger verstecken wollte. Er liebte Addison, etwas, das er schon lange bei keiner Frau mehr empfunden hatte und unterbewusst wollte er seinem besten Freund endlich die Wahrheit sagen, sodass es ihm in gewisser Weise gar nicht so ungelegen kam, als Derek sie eines Abends schließlich erwischte.
Doch statt sich ihm und Addison zu stellen und die Sache endlich auszusprechen, zog er es vor, zu verschwinden und unter die Fittiche von Richard, seinem Mentor, zu flüchten.
Auf eine gewisse Weise jedoch störte es ihn gar nicht, immerhin war es ihm und Addison so möglich, zusammen zu sein und nur zu gern verdrängte er dabei die offensichtliche Tatsache, dass Addison bei weitem noch nicht über Derek hinweg war.
Was sich auch deutlich zeigte, als sie eines Tages verschwunden war und er ihren Zettel gar nicht zu lesen brauchte, um zu wissen, wo sie hingegangen war, das war auch so offensichtlich.
Eine Zeit lang suhlte er sich regelrecht in Selbstmitleid und verfluchte Derek, der schon immer einfach alles bekommen hatte und nun auch die Frau zurückbekam, für die er rein gar nichts getan hatte. Währenddessen ließ er zudem seine Sturheit siegen, die ihn auf keinen Fall nachgeben lassen wollte. Er würde jetzt sicher nicht anfangen, einer Frau hinterher zu laufen, selbst, wenn es sich dabei um Addison handelte – und schließlich tat er es doch.
Kaum in Seattle angekommen, fing er sich auch schon einen nicht unerheblichen Fausthieb von Derek ein, jedoch keineswegs wegen Addison in erster Linie, sondern weil er es gewagt hatte, Meredith anzusprechen, mit der Derek inzwischen mehr oder weniger liiert war.
Was ihn wiederum dazu brachte, wütend zu werden. Wütend auf Derek, der ihn geschlagen hatte und das nicht einmal explizit wegen der Frau, um die es ihm eigentlich gehen sollte. Wütend auf Addison, die Derek einfach hinterhergelaufen war und in erster Linie vor allem wütend auf sich selbst, weil er Addison hinterher gelaufen war und nicht aufhören konnte, sich um sie zu bemühen, obwohl er jeden Tag sehen konnte, dass sie sich nicht so für ihn interessierte, wie er sich für sie.
Schließlich ließ er all den angestauten Zorn an Derek aus und tat etwas, was er bisher nicht einmal im größten Suff für möglich gehalten hätte: er prügelte sich und das auch noch mit seinem besten Freund in aller Öffentlichkeit. Erst nachher dachte er daran, dass er mit seiner Chirurgen-Hand besser nicht zuschlagen sollte, wenn er noch viele Jahre weiter behandeln wollte. Aber nicht nur diese schmerzhafte Lektion lernte er in der nächsten Zeit.
So verfiel er auch bald wieder seiner altbekannten „Lieblingssünde“ und frönte der Maßlosigkeit was seine Beziehungen zu Frauen anging. Im Hinterkopf wunderte er sich dabei nicht nur einmal darüber, dass es so leicht war, seine Gefühle aus diesen Sachen herauszuhalten, nachdem er sich gerade erst Hals über Kopf gefühlsmäßig verstrickt hatte.
Aber schließlich sah er ein, dass er Addison und er nicht füreinander bestimmt waren. Wenn es so etwas wie Bestimmung überhaupt gab. Daran zweifelte er ja ohnehin nicht zum ersten Mal.
Wobei diese Zweifel in letzter Zeit eindeutig weniger wurden. Genauso, wie die Gedanken an Addison auf ein Minimum geschrumpft waren. Er hatte sich mit Derek versöhnt, hatte Gefallen an Seattle gefunden und war über Addison hinweg.
So gesehen mehr als über sie hinweg.
Er hatte seine Bestimmung gefunden.
Und erneut riskiert, es sich mit Derek zu verscherzen.
Aber er war glücklich.
Wobei ihm die wenigsten zugetraut hätten, dass es ihm ernst war.
Als die Sache zwischen Mark Sloan und Lexie Grey begann, meinten die eine Hälfte, dass sie sowieso nur als eine seiner vielen Frauen enden würde, die er schließlich doch wieder ablegte, nachdem er sich mit ihnen vergnügt hatte. Die andere Hälfte unterstellte ihr, dass sie gewisse Vorteile aus dieser Beziehung zog. Aber beides stimmte nicht.
Wenn Mark Sloan Lexie Grey ansah, dann war es bei weitem nicht die Wollust, die ein aufmerksamer Betrachter in seinen Augen erkennen konnte.
Es war Liebe.