Es klopfte an der Tür und Wornak trat ein. Verstehend blickte er auf den Anführer der Bruderschaft. Er war nie auf diese Weise von Balthasars Mentor bestraft worden, aber einmal war Balthasar deswegen zusammengebrochen und das genügte Wornak, um zu wissen, dass Reynos Macht gewaltig war.
Kastor schien noch immer nicht die Kraft aufzubringen sich aufzurichten.
Reyno wandte sich zu diesem um.
„Steh auf!“
Ohne zu zögern stand der Angesprochene auf, doch Wornak konnte sehen, wie seine Beine unter der Belastung zu zittern begannen.
„Geh!“
Noch immer zitternd verliess der gequälte Kastor den Raum.
„Der Reaktion des Jungen zufolge warst du nicht sehr sanft zu ihm,“ sagte Wornak halb fragend.
„Ich gebrauchte die Fähigkeit der mentalen Bestrafung,“ Wornak unterdrückte ein Schaudern, „aber das Niveau des Zaubers war sehr niedrig.“
Ohne weiter darüber nachzudenken sah Reyno seinen Gegenüber an: „Gibt es etwas Neues?“
Wornak schüttelte den Kopf.
„Wo ist denn eigentlich die Kleine?“ wechselte Wornak das Thema.
Reyno sah ihn an. Einen kurzen Moment nur.
„Wann?“ fragte Wornak.
„Vor ungefähr zehn Minuten.
Die kleine Närrin ist über Balthasar gestolpert und hat geglaubt, sie könne es mit ihm aufnehmen.“
„Hast du ihn gesehen?“
„Ich habe ihm ein paar Kopfgeldjäger auf den Hals gehetzt, denn er ist der einzige, welcher uns gefährlich werden kann.“
Einen Moment lang blitzte Besorgnis in Wornaks Augen auf. Reyno lachte leise: „Wir sprechen hier von Balthasar, Wornak, und du weißt, dass die Möglichkeit, dass wir ihn töten müssen, besteht. Zerbrich dir darüber nicht den Kopf.“
Es berührte den Stellvertreter nicht, dass Christina tot war, aber er war neugierig, wie Balthasar sie zur Strecke gebracht hatte. Bevor er das Reyno sagen konnte, erklärte dieser es ihm bereits:
„Ganz einfach. Balthasar war nicht so töricht gewesen unter der Lokalisierungsreichweite von drei hochrangigen Kopfgeldjägern wegzuschimmern. Er bog um die Ecke und fühlte die Nähe einer aussergewöhnlich schlecht getarnten Dämonin. Eines Mitglieds der Bruderschaft. Den Rest kannst du dir denken.“
Diese Worte warfen eine erneute Frage hervor: „Du weisst noch immer, wo sich Balthasar befindet?“
„Ich weiss immer, wo sich die Mitglieder der Bruderschaft befinden.“
Wieder einmal hatte Reyno eine Antwort gegeben, welche man zweideutig verstehen konnte.
Doch dieser liess Wornak nicht darüber nachdenken.
„Ich bin um 17.30 Uhr wieder hier. Jetzt muss ich aber zur Quelle. Wir sehen uns.“
Mit diesen Worten war er schon verschwunden.
In der Unterwelt: In seinen Gemächern angekommen, zog er sich wieder den Zeremonienmantel an. Danach trat er aus seinen Gemächern und wollte direkt zur Quelle, als genau in diesem Moment Subdomos auftauchte, ein sehr junger Alchimist von grosser Macht. Er verneigte sich vor dem Anführer der Bruderschaft.
„Alchimist, welch eine Ehre. Was kann ich für Euch tun?“
Eigentlich musste er den Alchimisten nicht mit der Höflichkeitsform ansprechen, doch damit zeugte er diesem gegenüber einen gewissen Respekt, welchen der Alchimist verdiente.
„Ich benötige Eure Hilfe.“
„Erzählt.“
„Legendär sind die Geschichten über Euch, homo litteratus. Und bei manchen stutzte ich. Ihr sollt eine gewaltige Sammlung von Büchern haben, welche von hoher Bedeutung sind.“
Reyno sah dem Alchimisten direkt in die Augen. Er antwortete jedoch nicht.
Subdomos bemerkte das Misstrauen und bemühte sich anders auszudrücken: „Wir sind beide Gelehrte, Anführer der Bruderschaft, sensei, shihan. Es wäre mir eine Ehre, wenn wir unser Wissen teilen könnten...............“
Reyno liess ihn nicht ausreden: „Redet mit Eurem Lehrmeister, junger Freund. Nomus wird Euch erklären, weswegen ich jetzt ‚nein’ sage.“
Ohne die Antwort seines Gegenübers abzuwarten, verneigte er sich förmlich und schimmerte weg.......................
Genau vor die Gemächer der Quelle.
Die Wächter musterten Balthasars Mentor nur eine Sekunde, dann liessen sie ihn durch.
Reyno wartete geduldig stehend auf die Quelle. Als diese erschien, verneigte er sich förmlich.
Mit tiefer Stimme fragte die Quelle: „Was ist passiert?“
„Christina ist tot.“
Die Quelle fragte nicht weiter: „Und?“
„Ich bitte Euch, dass ich dieses Mal den Vorstand wählen darf. Christina wurde von keinem Mitglied der Bruderschaft als höherrangig angesehen.“
Der Anführer der Unterwelt antwortete nicht, sondern umging das Thema: „Was ist mit Kastor?“
„Kastor ist jung. Er hat sehr töricht und dumm gehandelt und damit riskiert, dass alles, was wir über das Thema ‚Die Mächtigen Drei,’ herausgefunden haben, ebendiesen bekannt wird. Mit dieser Handlung hat er auch jeglichen Respekt, welchen wir ihm entgegengebracht haben, verloren.“
Doch die Quelle wollte das nicht hören: „Ach, Reyno. Balthasar hat schon so oft dumm gehandelt in seinen frühen Jahren, dass ich mich schon oft gefragt hatte, wieso ich ihn eigentlich gewählt habe.“
Reyno blieb wie immer die Ruhe selbst. Doch er bemerkte, dass die Quelle begann ihn wütend zu machen.
Also sprach er seine Gedanken aus: „Ich werde Kastor nicht mehr erlauben an den Besprechungen des Vorstandes teilzunehmen. Ich habe ihm eine Chance gegeben und er hat es verpatzt. Mein Vorschlag ist, dass Ronald in den Vorstand kommt. Für Clea werde ich noch nach einem Ersatz suchen müssen.“
„Du meinst wohl für Christina.“
„Christina ist niemals ein Ersatz für Clea gewesen.“
Die Quelle wurde sehr zornig. Sie brüllte so laut, dass ihre Stimme an den Wänden wiederhallte:
„Nein, zum Teufel! Natürlich ist sie das nicht,“ die Stimme triefte vor Ironie, „ebenso wie Kastor Tarkin nicht ersetzen kann! Oder Sykes nicht diesen verfluchten BALTHASAR! Was willst du eigentlich, Reyno? Glaubst du tatsächlich, dass ich deine Privatarmee noch mehr aufstocken werde? Damit du mich vernichten kannst? NIEMALS!“
Fast jeder andere Dämon wäre auf dem Boden gekrochen, doch Reyno war zu stolz und zu erfahren, um sich die Blösse zu geben.
Mit ganz leiser und ruhiger Stimme, welche das Gegenteil zur Quelle war, antwortete er: „Ich existiere nun schon sehr lange, Meister. Nie habe ich einen Gedanken daran verschwendet Euch zu stürzen, ich habe Euch respektiert. Weil Ihr mich respektiert habt. Warum verzichtet Ihr nur darauf, indem Ihr einem jungen Dämon ohne mein Wissen meinen Platz anbietet?“
Die Stimme der Quelle wurde ruhiger, als sie bemerkt hatte, dass er damit den Anführer der Bruderschaft nicht beeindrucken konnte: „Woher weißt du das?“
„Ich habe viele Fähigkeiten und eine davon ist Gedanken zu lesen, dux.“
Die Quelle wusste, dass sie einen Fehler gemacht hatte: Reyno konnte damit leben, wenn man ihm sagte, dass er abgelöst wurde. Er hätte es akzeptiert. Das dachte die Quelle wenigstens.
Aber man durfte Reyno niemals hintergehen. Er würde es nie vergessen.
„Das war ein Fehler,“ sagte die Quelle schliesslich, „aber als Balthasar, welcher so lange unter deiner Aufsicht war, die Seiten gewechselt hatte, dachte ich, dass du etwas damit zu tun haben könntest.“
„Glaubt Ihr mir, wenn ich Euch einfach sage, dass ich ebenso überrascht war wie Ihr, als ich es über einen Boten erfahren hatte?“
Lange sah die Quelle Coles Mentor an.
„Ja.“
Reyno rührte es nicht. Die Meinung der Quelle war ihm gleichgültig, aber man musste ja so tun als ob..............
„Ich danke Euch. Seid Ihr auch der Meinung, dass ich dazu fähig bin, den Vorstand selbst zu wählen?“
Ein Grinsen war in der Stimme der Quelle: „Du bist ein schlauer Fuchs, Reyno. Nun gut. Unter einer Bedingung: Sykes bleibt Balthasars Ersatz.“
„Einverstanden.“
„Du kannst gehen.“
Reyno trat aus den Gemächern der Quelle.
Kaum war er an den Leibwächtern der Quelle vorbeigekommen, fühlte er schon die Nähe der Seherin. Er tat, als wäre nichts und ging weiter.
Die Seherin bewegte sich im Schatten, er konnte sie fühlen. Dann wurde sie etwas schneller, doch bevor sie an ihm vorbeischlich, flüsterte der Anführer der Bruderschaft zwei Wörter, welche als Zauber wirkten: „monstrat oraculi.“
Die Seherin stand an seiner Seite.
„Gegrüsst seiest du, Seherin,“ sagte Coles Mentor höflich.
„Seid auch ihr gegrüsst, Anführer der Bruderschaft. Ich frage mich, wie viele Jahrhunderte ich noch trainieren muss, bis ich Euch täuschen kann,“ sagte die Seherin mit einem geheimnisvollen Lächeln.
Reyno bewegte sich weiter und er antwortete nicht auf die indirekte Frage.
Die Dämonin folgte ihm schweigend. Niemand sprach. Es war ein kleines Kräftemessen zwischen den beiden, wobei der erste, welcher das Schweigen brach, verloren hatte.
Zwanzig Minuten gingen sie still nebeneinander her, bis die Seherin das Schweigen brach:
„Dux war sich nicht mehr sicher, ob Ihr ihn verraten würdet.“
„Das ist er auch jetzt noch nicht,“ sagte Reyno wie beiläufig.
„Hat er einen Grund dafür?“
„Wenn du mich nicht wütend machen willst, dann hör auf,“ sagte Reyno mit eiskalter, warnender Stimme.
„Das würde ich niemals wagen, sensei,“ flüsterte die Seherin mit gesenktem Kopf.
„Mit der Vortäuschung deiner Unterwürfigkeit kannst du vielleicht der Quelle etwas vorspielen, aber nicht mich, Oditia.“
Überrascht sah sie den Mentor an. Es war schon lange her, da er sie das letzte mal bei ihrem richtigen Namen angesprochen hatte.
„Du folgst stets der grössten Macht, Oditia, weswegen schleichst du also um mich herum wie eine listige Schlange? Bist du wütend auf die Quelle, weil sie das Orakel dir vorgezogen hat?“
Die Seherin zischte wütend: „Hört auf über dieses verfluchte Miststück zu sprechen! Sie hat keine Ahnung von Macht.“
Reyno lachte leise, was den Zorn der Seherin nur noch steigerte.