AW: Die Gilde der Magier
Lyra
Lyra konnte ihren Blick erst wieder Lord Osen losreissen, als sie bemerkte, wie es um sie herum erneut unruhig wurde. Erst dadurch bemerkte sie, dass die Novizen aufgestanden waren und sich, genau wie auch die Eltern und Magier auch, nicht zu leise unterhielten. Die Worte welche sie aufschnappte, bestätigten ihr, was sie bereits befürchtet hatte. Niemand hatte Verständnis dafür, dass sie so früh aufgerufen wurde. Alle liessen sich darüber aus, wie unverschämt es gewesen sein. Und von den Novizen vernahm sie, dass so etwas ganz sicher nicht noch einmal passieren würde. Sie würden schon dafür sorgen, dass sie wieder daran erinnert würde, wohin sie gehöre.
Als sie aufstand, war sie völlig steif und ihre Bewegungen mussten auch so ähnlich wirken. Niemand schenkte ihr offene Aufmerksamkeit. Doch spürte sie, dass sie das Gesprächsthema Nummer 1 war. Sie wollte sich schon davon schleichen, als sie sich des Blickes von Lord Aruan bewusst wurde. Sie ging kurz zu ihm hinüber, schaute ihn ziemlich verwirrt an und hoffte, er würde ihr die Antwort sagen können. Weshalb hatte Lord Osen das getan? Doch wie wenn er ihre Frage geahnt hätte, schüttelte er leicht den Kopf. „Ich weiss es nicht Lyra“, antwortete er ihr dann auch gleich, ohne die Frage gestellt bekommen zu haben. „Aber wir werden das schon wieder hinkriegen“, fügte er noch mit einem Lächeln hinzu, welches Lyra wieder etwas Hoffnung gab.
Sie rang sich zu einem leichten Lächeln durch, verneigte sich dann kurz vor Aruan, und verliess den Saal dann eilig, damit sie so wenig Novizen wie auch nur möglich auf begegnete. Als sie die Universität dann hinter sich gelassen hatte, ging sie eilig zum Quartier der Novizen hinüber und drückte ihre Roben dabei fest an sich, da einer der Novizen bereits den Versuch gestartet hatte, sie ihr weg zu nehmen…
In ihrem Zimmer angekommen, verschloss sie die Tür, das Fenster und zog die Vorhänge zu, sodass sie im Dunkeln sass. Sie wollte einfach nicht, dass jetzt irgendwer das Zimmer betrat, oder auch nur hineinblickte, was durch das Fenster, da ihr Zimmer im Erdgeschoss lag, ganz gut möglich gewesen wäre…
Lord Lorlen
Kaum hatte Osen Lyra aufgerufen, war Lord Lorlen auch schon darüber informiert gewesen. Zig Magier hatten per Gedankenrede mit ihm Kontakt aufgenommen und ihre Empörung kundgetan. Und auch in ihm war im ersten Moment Empörung und sogar Wut auf seinen Assistenten aufgestiegen. Wie hatte er es nur wagen können? Nicht nur, dass er die Ehre der einflussreichsten Familien der Stadt verletzt hatte, nein er hatte auch das arme Mädchen in eine ziemlich missliche Lage gebracht. Es war nicht Osen, der den ganzen Ärger zu spüren bekommen würde, sondern ganz allein Lyra. Und dabei hätte sie eigentlich schon genug damit zu tun gehabt, mit der Abneigung zu kämpfen, welche man ihr nur schon auf Grund ihrer Herkunft entgegen brachte…
Er seufzte leicht, verschloss dann schliesslich seine Gedanken, sodass ihn niemand mehr per Gedankenrede erreichen konnte und lehnte sich kurz in seinem Sessel zurück. Er musste die Hohe Lady benachrichtigen… Doch sollte er es gleich tun, oder erst mit Osen sprechen. Der junge Mann war immerhin sein Assistent und er vertraute ihm. Zudem war er auch einer seiner engsten Vertrauten und Freunde. Er wollte ihn nicht den Zorn der Hohen Lady spüren lassen, sollte sie denn wütend werden. Andererseits würde Vinara wohl wütend auf ihn werden, wenn er sie nicht unverzüglich benachrichtigte…
Er schätzte kurz ab, und entschied sich dann dafür, dass er die Verantwortung auf sich nehmen musste. Er hatte Lord Osen erlaubt diese Zeremonie abzuhalten, also hatte auch er dafür gerade zu stehen, was vorgefallen war. Vinara würde noch früh genug von dem Debakel erfahren.
Und so stand er, kaum dass die Zeremonie zu Ende gegangen war auf, und verliess sein Büro, um an Osens Tür zu klopfen und kurz darauf einzutreten. Mit ernster Miene trat er auf den jüngeren Magier zu und musterte ihn für einen Moment schweigend.
„Warum?“, fragte er dann einfach und legte eine kurze Pause ein, welche dem Warum noch mehr Gewicht gaben, als es sein Tonfall schon getan hatte. „Weshalb bringst du die Gilde in diese Situation? Hast du dir auch nur einen Augenblick Gedanken darüber gemacht, was dein Verhalten für Auswirkungen auf die Gilde hat?“ Er schüttelte leicht den Kopf. „Osen wie konntest du nur so unüberlegt handeln. Ich bin mir sicher, du hattest ehrenvolle Gedanken bei deinem Tun, doch ich wünschte, du hättest es nicht getan. Die Gilde hatte schon genug Kritik zu ertragen, nur schon dadurch, dass wir Lyra aufgenommen haben. Doch jetzt sprichst du ihr einen Rang zu, der ihr überhaupt nicht zusteht und verärgerst dadurch die ganze Stadt und schadest dem Ruf der Gilde.“
Während der letzten Worte hatte er sich mit beiden Händen auf dem Schreibtisch von Osen abgestützt und ihm fest in die Augen geblickt. Nun stand er wieder ganz auf, drehte sich von Osen weg und ging zu einem der Fenster hinüber. Wieder entstand eine längere Pause. Doch als Lorlen weitersprach, war die Wut aus seiner Stimme verschwunden und Mitleid schwang in seiner Stimme mit.
„Hast du auch nur einen Moment daran gedacht, was jetzt alles auf dieses arme Mädchen zukommen wird?“, fragte er dann leise, bevor er per Gedankenrede Kontakt mit der Hohen Lady aufnahm, und ihr kurz die Fakten schilderte. Vielleicht wäre es gar nicht mal so schlecht, wenn sie jetzt in die Gildehalle gehen würde, um dort etwas für Ruhe zu sorgen…