Love changes
Jess sieht mir verdutzt nach, als ich ihn einfach stehen lasse und beinahe fluchtartig nach draußen in die Dunkelheit laufe. Hastig steige ich in meinen Wagen, um so schnell wie möglich weg von hier und nach Hause zu kommen. Der Kuss zwischen mir und ihm vor wenigen Minuten hat mich vollkommen aus der Bahn geworfen, so dass ich Mühe habe, auch nur einen klaren Gedanken zu fassen. Vielleicht habe ich es unbewusst darauf angelegt, dass dies geschieht, doch dann ist einfach Panik in mir aufgestiegen. Es ist noch nicht lange her, dass ich von Logans Betrug erfahren hatte, und auch wenn ich ihm verzeihen wollte, glomm in meinem Inneren weiterhin ein Fünkchen Wut. Dies war einer der Gründe, dass ich Jess' Einladung angenommen hatte und zu seiner Galerieeröffnung gefahren war. Doch auch wenn es heißt, Rache ist süß, hat genau dies lediglich ein schlechtes Gewissen bei mir ausgelöst.
Die gesamte Fahrt durch die Nacht von Philadelphia zurück nach Stars Hollow schwirren mir die Ereignisse des Abends durch den Kopf, und meine Gedanken kreisen unaufhörlich um den Kuss. Ich hatte mich gefreut, ihn wiederzusehen, diesmal unter anderen Umständen, als bei seinem letzten Besuch, und als wir uns dann endlich gegenüber standen, war sofort die alte Vertrautheit zwischen uns wieder spürbar. Dennoch hat Jess sich in den letzten Monaten verändert, hat sich weiter entwickelt, ein Buch geschrieben und nun sogar eine Galerie eröffnet. Ich dagegen habe mein Leben gerade erst wieder auf die Reihe bekommen, und das auch nur nachdem er mir die Meinung gesagt hat. Seine Worte waren es, die mir endlich die Augen geöffnet und mich dazu gebracht haben, mich mit meiner Mutter zu versöhnen und mein Studium wieder aufzunehmen, das ich überstürzt abgebrochen hatte. Im Nachhinein kommt mir mein Verhalten beinahe wie das eines beleidigten Kindes vor, dem man sein Spielzeug weggenommen hatte. Wieso hatte ich mich nur von einem Mann so verunsichern lassen und meine gesamten Zukunftspläne über den Haufen geworfen?
Doch in dem Moment, als ich eingesehen habe, das mein Leben wieder in seinen gewohnten Bahnen verlaufen muss, war der Streit mit Logan passiert. Alles was ich danach wollte, war Abstand zu ihm und unserer Beziehung, doch er schien diese als beendet anzusehen. Im Nachhinein erinnere ich mich kaum daran, wie es ihm gelungen war, mich wieder zurückzugewinnen, alles, was ich vor mir sehe, sind die Brautjungfern seiner Schwester, die sich über ihre Nächte mit ihm unterhalten. Das Wort Auszeit hatte er anscheinend ernst genommen, so dass es mir wirklich schwer fiel, ihm zu verzeihen, und auch wenn ich ihm sagte, ich hätte es getan, musste ich doch ständig an seinen Betrug denken. Es wollte mir einfach nicht gelingen, so zu tun, als sei dies alles nie geschehen, auch wenn ich erklärte, dass alles in Ordnung sei. Die Spannungen zwischen uns waren danach fast unerträglich, dennoch machte ich mir Sorgen, als Logan mit der Life and Death Brigade zum Fallschirmspringen nach Costa Rica fahren wollte. Darüber waren wir so in Streit geraten, dass er schließlich ohne Abschied abgereist war und ich beschlossen hatte, zu Jess zu fahren. Und genau dieser ist es, anstatt meines Freundes, der mir nun einfach nicht mehr aus dem Kopf gehen will. So sehr ich es auch versuche, wollen die Gedanken an ihn partout nicht verschwinden.
Die in Dunkelheit gehüllte Landschaft zieht in hoher Geschwindigkeit an meinem Auto vorbei, doch ich habe weder einen Blick dafür noch für die funkelnden Sterne am Nachthimmel übrig. Alles, wofür ich mich interessiere, ist mein Zuhause, dem ich mich nun endlich nähere. Ich parke achtlos in der Einfahrt und öffne erleichtert die Haustür, um schnellstmöglich in meinem Zimmer zu verschwinden. Mums bohrenden Fragen auszuweichen, ist wie erwartet schwierig, doch schließlich falle ich todmüde in mein Bett. Dennoch will es mir einfach nicht gelingen, Schlaf zu finden, denn die Bilder der letzten Stunden haben sich tief in mein Gedächtnis eingebrannt und lassen mich nicht zur Ruhe kommen. Stundenlang wälze ich mich von einer Seite auf die andere, bis ich den Entschluss fasse, meine Sachen zu packen und zurück nach Yale zu fahren. Vielleicht wird mir der Abstand helfen, endlich auf andere Gedanken zu kommen und das Chaos in meinem Kopf zu ordnen.
Die nächsten Tage scheinen sich endlos dahin zu ziehen, denn weiterhin kann ich den Erinnerungen an Jess und den schicksalhaften Abend nicht entfliehen, egal wo ich auch bin. Es vergeht kaum eine Sekunde, in der ich nicht an ihn und unseren Kuss denken muss. Ich kann nichts dagegen tun, dass sich bei dem Gedanken daran ein seltsames Gefühl in meinem Inneren ausbreitet, das ich schon lange nicht mehr gespürt habe. Genau aus diesem Grund hoffe ich, dass es mir gelingt, auf Lanes Hochzeit abzuschalten und mich zu amüsieren.
Die beiden Zeremonien sind wirklich wunderschön, und ich freue mich für meine beste Freundin und ihren Frischangetrauten. Die darauf folgende Feier lässt mich dann tatsächlich die Ereignisse der letzten Tage und Wochen ausblenden, so dass es mir gelingt, den Abend zu genießen. Doch dies dauert nicht lange an, denn das Klingeln meines Handys holt mich wieder in die Realität zurück, und Finn erklärt am anderen Ende der Leitung, Logan habe einen Unfall gehabt. Er war tatsächlich bei dieser sinnlosen Aktion der Life and Death Brigade verunglückt und liegt nun in New York im Krankenhaus. Hastig verabschiede ich mich und packe ein paar Sachen zusammen, doch als ich überstürzt das Haus verlassen will, steht Jess vor der Tür. Wie erstarrt stehe ich einfach nur da und sehe ihm in die Augen, die noch immer meine Knie zum Zittern bringen. Erst nach einigen Sekunden kann ich mich losreißen und lasse ihn einfach wortlos stehen, um in meinen Wagen zu steigen. Als ich endlich in der Klinik eintreffe, gelingt es mir nur mir Paris' Hilfe, Auskunft über Logans Zustand zu erhalten. Ich bin erleichtert, dass dieser zwar ernst aber stabil ist, dennoch kann ich mich einfach nicht auf die Erzählung meines Freundes konzentrieren, als ich wenig später an seinem Bett sitze. Mit einer Ausrede erkläre ich, nocheinmal zurück nach Stars Hollow zu müssen und verschwinde eilig aus dem Krankenzimmer.
Als ich mitten in der Nacht die Haustür öffne und das Licht einschalte, sehe ich Jess im Wohnzimmer auf der Couch sitzen. Das lange Warten hatte ihn wohl einnicken lassen, doch mein Auftauchen weckt ihn aus seinem leichten Schlaf. Ohne mich zu Wort kommen zu lassen, erklärt er mir, dass er immer noch sehr viel für mich empfindet und dass die Beziehung zu Logan mir nicht gut täte. Ein wenig steigt die Wut in mir auf, dass er einfach hier auftaucht und sich ein Urteil über mein Leben erlaubt, doch er fügt hinzu, dass es ohne meinen Freund weder den Streit mit meiner Mutter noch meinen überstürztes Verlassen des Colleges gegeben hätte. Als er mir vorhält, dass Logan mich schließlich betrogen hatte, erkläre ich ihm dass ich ihn trotz seiner Fehler liebe. Doch diese Aussage scheint ihn nicht zu überzeugen, und wenn ich ehrlich bin, überzeugt sie nicht einmal mich selbst. Mit der Frage, warum ich dann hier bei ihm, anstatt bei meinem Freund am Krankenbett sitze, verlässt er das Haus. Ich bleibe allein zurück und denke über seine Worte und die vergangenen Wochen nach. Meine Gedanken schweifen zurück in die Zeit, als Jess und ich noch ein Paar waren und er mich einfach ohne ein Wort verlassen hatte. Doch ich habe gesehen, wie sehr er sich seitdem verändert hat, zu einem Menschen geworden war, der auch ich immer sein wollte. Wir hatten schon immer so vieles gemeinsam, konnten stundenlang miteinander über nichts anderes als Bücher reden. Das hatte ich mit Logan nie tun können, denn er wollte nur seinen Spaß und hatte mich dazu gebracht, auch so zu werden. Vermutlich hat Jess Recht, und ich habe mich wirklich zu sehr verändert, aber will ich so sein, wie er mich sieht?
Es ist früh am Morgen als ich in meinem Kleid vom Vortag und auf dem Sofa im Wohnzimmer liegend aufwache, durch das viele Grübeln war ich wohl einfach eingeschlafen. Doch kaum habe ich die Augen geöffnet, sind die Gedanken wieder da, die ständig um Jess und mein Leben kreisen. Ich muss unbedingt mit jemandem darüber sprechen, doch als ich mich anziehe, stelle ich entsetzt fest, dass da niemand zum Reden ist. Meine Mutter hat mit Luke und den Ereignissen des gestrigen Abends schon genug Probleme, Lane hatte gerade geheiratet und ist in den Flitterwochen, und mit Paris kann ich nun wirklich nicht über diese Sache sprechen, denn sie wird mich nicht verstehen. Es bleibt mir also nichts weiter übrig, als mir allein darüber den Kopf zu zerbrechen und einen Ausweg zu finden. Nachdem ich schließlich wieder vorzeigbar gekleidet bin, beginne ich als erstes, einen Brief an Logan zu schreiben, in dem ich versuche, meine Gefühle zu erklären. Irgendwie komme ich mir dabei total bescheuert vor, denn ich weiß nicht einmal selbst, was genau ich eigentlich fühle. Es war noch nie so schwierig für mich, die richtigen Worte zu finden, denn als angehende Journalistin liegt mir genau das im Blut, doch heute will es mir einfach nicht gelingen. Nachdem mehrere Seiten zerknüllt im Papierkorb gelandet sind, bin ich endlich mit dem Ergebnis einigermaßen zufrieden, obwohl ich lediglich sage, dass ich Zeit und Abstand zum Nachdenken brauche. Danach gehe ich zum Blumenladen, um Logan den Brief mit einem Strauß schicken zu lassen. Ich versuche, mein schlechtes Gewissen, ihn im Krankenhaus sich selbst zu überlassen und mit einem Brief abzuspeisen, zu verdrängen, als ich das Geschäft wieder verlasse. Im Moment kann ich ihm jedoch weder gegenüber treten, noch in die Augen sehen und schon gar nicht mit ihm sprechen.
Nur wenig später sitze ich in Luke's Diner und stochere gedankenverloren in meinen Pancakes. Noch immer bin ich unsicher, was genau ich eigentlich will oder tun soll. Als Luke an meinen Tisch kommt, höre ich mich plötzlich nach Jess fragen, so dass ich erschrocken aufblicke. Er erklärt mir überrascht, dass dieser gestern Nacht plötzlich vor seiner Tür gestanden hätte und bei ihm übernachten wollte, aber kein Wort über seinen Besuch verloren hat. Überstürzt springe ich auf, verlasse das Lokal und lasse einen verdutzten Luke zurück, bevor ich die nächsten Stunden ziellos durch die Straßen von Stars Hollow laufe. Die frische Luft scheint mir gut zu tun, denn endlich gelingt es mir, ein wenig Ordnung in das Chaos meiner Gedanken zu bringen und einen klaren Kopf zu bekommen. Kurzerhand fasse ich schließlich einen Entschluss, obwohl die Unsicherheit noch immer an mir nagt, doch so kenne ich mich. Dieses Problem ist jedoch keins, das sich durch das Verfassen von Pro-und-Contra-Listen lösen lässt, sondern ich muss einfach auf mein Herz hören. Als ich wenig später nach Hause komme, nehme ich entschlossen das Telefon und rufe Logan im Krankenhaus an, um ihm den Brief und meine Gefühle zu erklären. Mir ist in den letzten Tagen endgültig klar geworden, dass mein Leben so wie bisher nicht mehr weiter gehen kann.
Eine halbe Stunde später schließe ich bereits die Tür wieder hinter mir und laufe erneut durch die Straßen der Stadt, doch diesmal führt mich mein Weg zu einem bestimmten Ziel. Ich hoffe inständig, dass es noch nicht zu spät sein wird, um mit Jess zu reden. Kurz darauf bin ich mit ihm allein in Lukes Wohnung, und wir stehen uns minutenlang wortlos gegenüber. Ein unangenehmer Kloß hat sich in meinem Hals gebildet, der sich einfach nicht auflösen will. All die Worte die ich ihm sagen wollte, sind plötzlich wie weggeblasen, als ich ihm in die Augen sehe. Die Unsicherheit darüber, wie ich ihm meine Entscheidung erklären soll, breitet sich unaufhörlich in meinem Inneren aus. Für einen Moment schließe ich die Augen, nehme all meinen Mut zusammen und hauche einen sanften Kuss auf seine Lippen. Sein überraschter und gleichzeitig fragender Blick ruht auf mir und entlockt mir ein leichtes Lächeln, bevor ich einfach schweigend nicke. Nach dieser Antwort strahlt Jess mich an und zieht mich für einen leidenschaftlichen Kuss an sich...