AW: [Supernatural] One Life, One Heart, One Soul...]
Dann will ich dich mal nicht zu lange zappeln lassen
* * *
"Dean, schmeckt es dir?" Voller Freude sah Cassandra, wie andächtig der ältere der Brüder das einfache Abendbrot genoss, mit geschlossenen Augen vom frischen Maisbrot abbiss und ganz hingerissen den Duft einzog.
"Ma'am, es ist großartig. Ich hab seit… seit Ewigkeiten kein so gutes Maisbrot gegessen und das gebackene Hühnchen ist echt göttlich." Ewigkeiten – so lange schien es her zu sein, seit seine Mum für ihn und seinen Dad gebackenes Hühnchen mit Maisbrot zubereitet hatte, das Leckerste, was er sich damals als kleiner Junge mit seinen vier Jahren vorstellen konnte. Er hatte Mühe, der Unterhaltung am Tisch zu folgen, weil ihn seine Erinnerungen an diese glücklichen Tage seiner Kindheit zu überwältigen drohten.
"Jungs, bitte nennt mich Cass, okay? Ich liebe es, junge Leute hier zu haben, und noch mehr, wenn es sich um Freunde meiner Blair handelt... Naja, ihre Freunde waren mir nicht immer eine Freude…" grummelte sie mit einem tadelnden Seitenblick auf ihre Tochter.
"Wieso das, Ma'am… Cass?" Sam sah neugierig von einer der beiden Frauen zur anderen, zwischen denen plötzlich eine leichte Spannung zu spüren war.
"Ganz einfach, Sam, ich hatte eine Phase in der Highschool, in der mein Umgang, sagen wir, gewöhnungsbedürftig war, oder besser gesagt – nicht gesellschaftsfähig. Ich schwänzte die Schule, trank zu viel und rauchte wie ein Schlot und das war auf meinen Freund Rick und seine Clique zurückzuführen." Blair stocherte mit der Gabel in den Resten des Hühnchens auf ihrem Teller und es war klar, dass dieses Kapitel ihrer Vergangenheit nicht ihr liebstes war.
"Sicherlich war Rick ein Teil des Problems, aber nicht die Ursache", warf Cass ein.
"Richtig, die lag woanders. Ich hatte damals Schwierigkeiten damit, meine Fähigkeiten und die Geschichte meiner Familie zu verarbeiten. Ich meine, wem kann man schon erzählen, dass die eigenen Vorfahren Hexen waren? Ich fühlte mich wie eine Ausgestoßene, wie ein Freak und wollte einfach dazu gehören. Später verstand ich, dass ich das ganz anders angehen musste, dass es dumm war, die Erleuchtung in Alkohol und Drogen zu suchen. Aus diesem Grund studierte ich Psychologie. Das war meine Art, mein Schicksal endlich anzunehmen."
Sie sah zu Dean, der gedankenverloren seine Bierflasche zwischen den Händen drehte.
Jetzt wusste er, was sie gemeint hatte, als sie sagte, er kenne ihren Stil nicht. Auch sie hatte ihre Dämonen, auch sie war nicht immer die geniale, beherrschte junge Frau gewesen, die sie jetzt darstellte. Und sie wusste genau, wie Sam sich fühlte mit seinen Visionen und wie er sich fühlte als potenzieller Höllenkandidat. Freaks, das waren sie alle, er und Sam durch den YED, den Vater oder Gottweißwas sonst, Blair durch Abstammung und genetische Veranlagung. Er schob seine Hand über den Tisch, berührte ihre Fingerspitzen und ihre Blicke verflochten sich miteinander, bildeten eine Brücke der Gefühle über die Distanz hinweg.
* * *
Cass hatte die Ellbogen aufgestellt und das Kinn auf die gefalteten Hände gestützt, während ihre Blicke Dean und Blair umfingen. Es war genau so, wie Mary und sie es sich vorgestellt hatten in ihren Jungmädchenträumen. Und nun stand sie hier und möglicherweise war alles anders, fatal verkehrt.
Sie wusste nicht, wie sie es ihnen sagen sollte – ob sie es ihnen überhaupt sagen oder besser für immer schweigen sollte. Aber möglicherweise lag der Schlüssel zu Deans Erlösung in diesem Zauber und wie sollten sie das herausfinden, ohne die beiden einzuweihen? Vielleicht sollte sie Sam ansprechen? Der Jüngere schien der Ruhigere, Bedachtere der Beiden und seinem Bruder ebenso zugetan, wie der ihm. Aber wie konnte sie mit ihm reden, ohne Deans und Blairs Aufmerksamkeit zu erwecken?
Der Zufall spielte ihr in die Hände, als Blair nach dem gemeinsamen Abräumen und Spülen ihren Gefährten zum Providence-River entführte, um sich ein wenig die Beine zu vertreten.
"Sam, wir müssen reden. Wir müssen über etwas reden, das wir Blair und Dean nicht erzählen können – zumindest jetzt noch nicht. Ich bitte dich also, ein Geheimnis gegenüber deinem Bruder zu bewahren. Ist das ein Problem für dich?" Sie saßen im diffusen Licht der Abenddämmerung auf der Veranda mit zwei großen Tassen Kaffee und Sam hatte die langen Beine auf dem Geländer platziert – natürlich mit Erlaubnis der Hausherrin – versteht sich.
"Das ist kein Problem, solange ich Dean nicht schade, Cass." Er nahm einen Schluck von dem duftenden Kaffee und sah sie über den Rand der Tasse erwartungsvoll an.
"Einen Teil der Geschichte wirst du nachher noch einmal hören, da ich Dean nicht vorenthalten möchte, woher ich eure Mutter kenne.
Mary und ich waren Freundinnen vom ersten Tag, an dem wir uns begegneten. Wir trafen uns in der Bibliothek. Wir gehörten beide nicht zur derzeit angesagten In-Clique auf der Highschool von Salem, sondern waren beide Leseratten und hörten gern stundenlang Musik. Kiffen, trinken, Modezeitschriften wälzen und mit Jungs rummachen war nicht unser Ding.
Marys Eltern führten einen kleinen Gemischtwarenladen und wohnten in der Wohnung darüber, während ich mit meiner Mutter in einem kleinen Haus am Stadtrand lebte. Meine Mum war eine strenge, religiöse Frau, die scheinbar keine Familie hatte außer mir. Ich erfuhr erst später, dass meine Großmutter noch lebte – und bis heute lebt! – und dass ich und somit auch meine Mutter einer langen Ahnenreihe Weißer Hexen entstammen. Meine Mutter verleugnete ihre Herkunft, als könne sie diese damit ungeschehen machen und verschrieb sich voller Fanatismus ihrem Glauben. In seltsamen Widerspruch hierzu hat sie mir niemals erzählt, wer mein Vater ist oder war", Cass seufzte und nahm noch einen Schluck Kaffee.
"Aber wieder zurück zu Mary. Sie und ich liebten Bücher, wie schon gesagt, besonders Bücher über Okkultismus, über Hexen, Dämonen und Teufel. Aber wir lasen nur. Gepflegter Grusel würde man heute wohl sagen. Unsere Fantasie ließ uns eine Geschichte der Hexenverbrennungen in Salem herauf beschwören, was uns das Blut in den Adern gefrieren ließ und was, wenn man meine Familiengeschichte erst kennt, vollkommen logisch erscheint!
Wir praktizierten aber keinerlei Magie, sondern verstiegen uns 'nur' in unsere Fantasiewelt. Eigentlich war es nicht viel anders als heute eines dieser Computerspiele – du weißt sicher, was ich meine?" Sie sah Sam fragend an.
"Klar, ein bisschen wie ein RPG, ein Rollenspiel", bestätigte er.
"Zu wirklichen Hexen wurden wir erst an der Uni in Boston, wozu sicher auch der historische Hintergrund und die Atmosphäre in Neu England beitrugen. Damals wusste ich noch nichts über meine Abstammung, geschweige denn über irgendwelche Fähigkeiten, die in mir schlummern mochten. Wir probierten so rum und als einer der Profs Mary ein verdammt unanständiges Angebot unterbreitete, kriegten wie unseren ersten echten Zauber. Mit einem Schäferstündchen in der Besenkammer sollte sie sich besonders gute Noten 'erarbeiten'. Der sollte einen Denkzettel bekommen… und – tada – plötzlich zierte eine hässliche Warze seine Nase. Total kindisch, oder?" Cass kicherte leise bei der Erinnerung.
"Wir waren wie Schwestern, teilten all unsere Geheimnisse miteinander und unsere Träume. Eines Tages beschlossen wir, unsere Verbundenheit durch einen Zauber zu manifestieren.
In einer uralten Zeremonie, die wir in einem unserer Folianten entdeckt hatten, stellten wir einen Zauber her, der unsere Erstgeborenen Schönheit, Kraft und ein starkes Herz schenken und sie einander zuführen sollte, sodass sie für den Rest ihres Leben miteinander verbunden sein würden, als unzerstörbares Band zwischen unser beider Familien."
Hier endete Cass' Erzählung und in derselben Sekunde zerbrach Sams Kaffeetasse klirrend auf dem altersdunklen Holz der Veranda. Er sah Cass fassungslos an.
"Verdammt! Wie… Ihr… Wie konntet ihr?" Er schüttelte vehement den Kopf.
"Dean würde sich eher umbringen, als eine Beziehung einzugehen, die auf einem Hexenzauber basiert – selbst wenn eine der Hexen seine eigene Mutter war!"
"Sam, genau deshalb kann ich es ihm nicht erzählen – und auch Blair nicht, oder glaubst du, sie würde anders reagieren? Ich glaubte, dieser Zauber hätte bestimmt nicht gewirkt, weil wir damals keine Ahnung hatten, was wir taten. Es schien nichts als bloße Spielerei zu sein und im Laufe der Jahre habe ich es verdrängt, dachte, die beiden wären sich längst über den Weg gelaufen, wenn es funktioniert hätte. Und nun? Ich sehe deinen Bruder und ich sehe Blair – und ich sehe Liebe, wie sie sein soll. Und ich schäme mich und frage mich, was ich tun kann." Cass war das Herz schwer, wenn sie an die Blicke zwischen den beiden jungen Leuten dachte, die tiefen Gefühle für einander, die beiden anzusehen waren.
Sam hockte sich hin und begann, die Scherben der Porzellantasse einzusammeln.
"Cass, warum erzählst du es mir? Wenn es keine Bedeutung hätte, würdest du es für dich behalten und hoffen, die beiden finden niemals raus, dass sie bereits vor ihrer Geburt Spielball zweier Hobby-Hexen waren." Sam klang bitter. DAS hätte er nicht wissen wollen, zu glücklich wirkte Dean in den letzten Tagen. Es würde ihn umbringen, zu erfahren, dass diese Gefühle magischer Herkunft waren. Oder schlimmer – er würde verdammt große Lust haben, Cass umzubringen!
"Die Ironie an der Geschichte, das einzig Positive, könnte sein, dass Dean seine Seele durch diesen Zauber nicht an den Crossroad-Demon verkaufen konnte, da sie ihm überhaupt nicht gehörte. Ich bin nicht sicher und ich muss erst noch einige Nachforschungen anstellen, aber ich weiß, auch vor der Hölle macht die Bürokratie kein Halt, der exakte Wortlaut könnte hier, wie auch bei dem von Dean geschlossenen Kontrakt von allergrößter Bedeutung sein. Vor allem werde ich meine Großmutter befragen, die alles über die Weißen Künsten weiß – kein Wunder bei 101 Jahren Lebenserfahrung. Ich brauche deine Hilfe bei der Recherche und bei der Geheimhaltung dieser Geschichte vor unseren Lieben."
Sam nickte bedächtig. Recherche – okay, das war seine Welt und es gab nichts Schlimmeres, als zum Nichtstun verdammt zu sein.
"In Ordnung. Wenigstens eine Möglichkeit, die man untersuchen könnte. Viel Zeit haben wir nicht mehr."
Cass seufzte und nahm Sam die mit Kaffee befleckten Scherben ab. "Ich weiß. Und glaub mir, ich bin ebenso scharf drauf, deinen Bruder zu retten, wie du. Immerhin geht es auch um das Leben meiner Tochter. Komm, lass uns reingehen, ich mach dir einen neuen Kaffee."
"Stop, Cass. Eine Frage noch – denkst du, die beiden hätten sich nicht in einander verliebt, wenn dieser Zauber nicht gewesen wäre?"
"Sam, der Zauber besagt, dass die beiden Erstgeborenen sich treffen würden. Was, wenn es zwei Jungen oder zwei Mädchen gewesen wären? Nein, genau genommen besagt er nicht, dass sie sich verlieben, er besagt exakt, dass sie für den Rest ihres Lebens miteinander verbunden sein werden, durch welche Gefühle ist dabei nicht genauer definiert. Eigentlich haben wir in unserer stümperhaften Hexerei nur dafür gesorgt, dass sie überhaupt die Möglichkeit haben, einander kennenzulernen. Aber glaubst du, wenn ich diese Geschichte erzähle, hört einer der beiden lange genug zu, um diesen Schluss zu ziehen?"
"Niemals. Dean würde hochgehen wie eine Rakete und wäre am anderen Ende des Staates, ehe du ausgesprochen hättest."
"Eben – und meine Blair ist ein Feuerkopf, sie würde exakt genauso reagieren." Resigniert ließ Cass den Kopf hängen.
"Mary und ich, wir haben's echt versaut, blauäugig und romantisch, wie wir waren, Sam. Dabei bin ich sicher, diese Beiden sind nicht von uns, sondern vom Schicksal dazu bestimmt, ihr Leben miteinander in Liebe zu verbringen. Verdammt!"
* * *
Die beiden, über die sich Cass und Sam gerade den Kopf zerbrachen, hatten sich am Ufer des Providence-River im matten Schein der Lichter von der anderen Seite des Flusses niedergelassen. Blair saß im hohen Gras neben Dean, der sich lang gemacht und die Arme unter dem Kopf verschränkt hatte. Er starrte zu den Sternen hinauf, die er lange schon nicht mehr bewusst wahrgenommen hatte und zuckte irritiert zusammen, als seine rothaarige Freundin ihn mit einem langen Grashalm unter der Nase kitzelte.
"Erde an Dean? Was ist los, du bist nicht wirklich hier, oder?"
"Hmm… ich denke… " er biss sich auf die Unterlippe.
"Oh, schlimmer kann's kaum werden!" kicherte Blair und piekte ihn spielerisch in die Seite, bis er das Grinsen nicht mehr verkneifen konnte.
"Mach dich nicht lustig über einen armen Hunter, Rotschopf. Auch ich habe lichte Momente…" Er schüttelte den Kopf und machte sich kitzelnd über Blair her, bis sie unter ihm im Gras lag und der Spaß der Hitze wich.
Seine Hände in ihr kurzes Haar wühlend, knabberte er verspielt an ihrer Unterlippe und tupfte kleine Küsse auf ihr Gesicht, wo er gerade hin traf, während er mit bebenden Hände ihr Shirt hoch schob. Seine Hände kneteten sanft ihre Brüste und sein Körper reagierte heiß und leidenschaftlich, als sie sich ihm entgegen wölbte.
Blairs Herz begann zu rasen, sie wollte keine langen Spielchen, kein sanftes, liebevolles Vorspiel – sie wollte ihn spüren, jetzt, sofort, ganz. Sie schob die Hände unter sein Shirt, fühlte, wie sich seine Muskeln unter ihren streichelnden Händen strafften und öffnete seine Jeans. Sie wand sich aus ihrer eigenen Hose, was nicht einfach war, da seine Finger überall waren, aber endlich fühlte sie seine nackte Haut an ihrem Körper und warf die Beine um seine Hüften, um ihn möglichst tief in sich aufzunehmen. Längst hatte sie Dean mitgerissen und er drängte hart und heiß in sie, mit ihr unterwegs zu den Sternen…
"Dean, was ist wirklich los? Du warst vorhin so still." Blair sah einer Sternschnuppe am Nachthimmel hinterher und kuschelte sich gesättigt an Deans Brust, lauschte auf seinen Herzschlag. Wie sie diesen starken, gleichmäßigen Klang liebte…
"Magst du meine Mum nicht oder ist dir das Essen nicht bekommen?" neckte sie ihn. Das war natürlich lachhaft – es gab kein Essen, das ihm nicht bekommen würde!
Sein Blick verlor sich in der Dunkelheit und er ließ seine langen Finger durch ihr Haar gleiten.
"Deine Mum ist großartig, Blair. Sie erinnert mich an meine Mutter, eigentlich alles heute Abend erinnerte mich an meine Mutter, bei der Tatsache angefangen, dass sie sich offensichtlich gekannt haben. Ihre Stimme ist ähnlich wie die meiner Mum und das Essen – es war traumhaft, wirklich traumhaft. Das war immer mein Lieblingsessen, wenn Mum mich fragte, was ich gern essen wollte – Hühnchen mit Maisbrot.
Und ich hatte es ganz vergessen, bis vorhin.
Da war alles wieder da und das frische Maisbrot duftete und Mum tat mir Hühnchen auf und ich konnte meine Eltern fast mit mir am Tisch sitzen sehen…" Deans Stimme wurde immer leiser und er schluckte heftig und schloss die Augen, weil die Erinnerung ihn fast zerriss.
Blair konnte nichts sagen, die Tränen rannen lautlos über ihr Gesicht und sie streichelte sanft seine Wange. Es war nicht der Zeitpunkt für weitere Worte und so lagen sie sich im milden Licht der Sterne in den Armen und waren dankbar für die Nähe des Anderen.
...
Dann will ich dich mal nicht zu lange zappeln lassen
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"Dean, schmeckt es dir?" Voller Freude sah Cassandra, wie andächtig der ältere der Brüder das einfache Abendbrot genoss, mit geschlossenen Augen vom frischen Maisbrot abbiss und ganz hingerissen den Duft einzog.
"Ma'am, es ist großartig. Ich hab seit… seit Ewigkeiten kein so gutes Maisbrot gegessen und das gebackene Hühnchen ist echt göttlich." Ewigkeiten – so lange schien es her zu sein, seit seine Mum für ihn und seinen Dad gebackenes Hühnchen mit Maisbrot zubereitet hatte, das Leckerste, was er sich damals als kleiner Junge mit seinen vier Jahren vorstellen konnte. Er hatte Mühe, der Unterhaltung am Tisch zu folgen, weil ihn seine Erinnerungen an diese glücklichen Tage seiner Kindheit zu überwältigen drohten.
"Jungs, bitte nennt mich Cass, okay? Ich liebe es, junge Leute hier zu haben, und noch mehr, wenn es sich um Freunde meiner Blair handelt... Naja, ihre Freunde waren mir nicht immer eine Freude…" grummelte sie mit einem tadelnden Seitenblick auf ihre Tochter.
"Wieso das, Ma'am… Cass?" Sam sah neugierig von einer der beiden Frauen zur anderen, zwischen denen plötzlich eine leichte Spannung zu spüren war.
"Ganz einfach, Sam, ich hatte eine Phase in der Highschool, in der mein Umgang, sagen wir, gewöhnungsbedürftig war, oder besser gesagt – nicht gesellschaftsfähig. Ich schwänzte die Schule, trank zu viel und rauchte wie ein Schlot und das war auf meinen Freund Rick und seine Clique zurückzuführen." Blair stocherte mit der Gabel in den Resten des Hühnchens auf ihrem Teller und es war klar, dass dieses Kapitel ihrer Vergangenheit nicht ihr liebstes war.
"Sicherlich war Rick ein Teil des Problems, aber nicht die Ursache", warf Cass ein.
"Richtig, die lag woanders. Ich hatte damals Schwierigkeiten damit, meine Fähigkeiten und die Geschichte meiner Familie zu verarbeiten. Ich meine, wem kann man schon erzählen, dass die eigenen Vorfahren Hexen waren? Ich fühlte mich wie eine Ausgestoßene, wie ein Freak und wollte einfach dazu gehören. Später verstand ich, dass ich das ganz anders angehen musste, dass es dumm war, die Erleuchtung in Alkohol und Drogen zu suchen. Aus diesem Grund studierte ich Psychologie. Das war meine Art, mein Schicksal endlich anzunehmen."
Sie sah zu Dean, der gedankenverloren seine Bierflasche zwischen den Händen drehte.
Jetzt wusste er, was sie gemeint hatte, als sie sagte, er kenne ihren Stil nicht. Auch sie hatte ihre Dämonen, auch sie war nicht immer die geniale, beherrschte junge Frau gewesen, die sie jetzt darstellte. Und sie wusste genau, wie Sam sich fühlte mit seinen Visionen und wie er sich fühlte als potenzieller Höllenkandidat. Freaks, das waren sie alle, er und Sam durch den YED, den Vater oder Gottweißwas sonst, Blair durch Abstammung und genetische Veranlagung. Er schob seine Hand über den Tisch, berührte ihre Fingerspitzen und ihre Blicke verflochten sich miteinander, bildeten eine Brücke der Gefühle über die Distanz hinweg.
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Cass hatte die Ellbogen aufgestellt und das Kinn auf die gefalteten Hände gestützt, während ihre Blicke Dean und Blair umfingen. Es war genau so, wie Mary und sie es sich vorgestellt hatten in ihren Jungmädchenträumen. Und nun stand sie hier und möglicherweise war alles anders, fatal verkehrt.
Sie wusste nicht, wie sie es ihnen sagen sollte – ob sie es ihnen überhaupt sagen oder besser für immer schweigen sollte. Aber möglicherweise lag der Schlüssel zu Deans Erlösung in diesem Zauber und wie sollten sie das herausfinden, ohne die beiden einzuweihen? Vielleicht sollte sie Sam ansprechen? Der Jüngere schien der Ruhigere, Bedachtere der Beiden und seinem Bruder ebenso zugetan, wie der ihm. Aber wie konnte sie mit ihm reden, ohne Deans und Blairs Aufmerksamkeit zu erwecken?
Der Zufall spielte ihr in die Hände, als Blair nach dem gemeinsamen Abräumen und Spülen ihren Gefährten zum Providence-River entführte, um sich ein wenig die Beine zu vertreten.
"Sam, wir müssen reden. Wir müssen über etwas reden, das wir Blair und Dean nicht erzählen können – zumindest jetzt noch nicht. Ich bitte dich also, ein Geheimnis gegenüber deinem Bruder zu bewahren. Ist das ein Problem für dich?" Sie saßen im diffusen Licht der Abenddämmerung auf der Veranda mit zwei großen Tassen Kaffee und Sam hatte die langen Beine auf dem Geländer platziert – natürlich mit Erlaubnis der Hausherrin – versteht sich.
"Das ist kein Problem, solange ich Dean nicht schade, Cass." Er nahm einen Schluck von dem duftenden Kaffee und sah sie über den Rand der Tasse erwartungsvoll an.
"Einen Teil der Geschichte wirst du nachher noch einmal hören, da ich Dean nicht vorenthalten möchte, woher ich eure Mutter kenne.
Mary und ich waren Freundinnen vom ersten Tag, an dem wir uns begegneten. Wir trafen uns in der Bibliothek. Wir gehörten beide nicht zur derzeit angesagten In-Clique auf der Highschool von Salem, sondern waren beide Leseratten und hörten gern stundenlang Musik. Kiffen, trinken, Modezeitschriften wälzen und mit Jungs rummachen war nicht unser Ding.
Marys Eltern führten einen kleinen Gemischtwarenladen und wohnten in der Wohnung darüber, während ich mit meiner Mutter in einem kleinen Haus am Stadtrand lebte. Meine Mum war eine strenge, religiöse Frau, die scheinbar keine Familie hatte außer mir. Ich erfuhr erst später, dass meine Großmutter noch lebte – und bis heute lebt! – und dass ich und somit auch meine Mutter einer langen Ahnenreihe Weißer Hexen entstammen. Meine Mutter verleugnete ihre Herkunft, als könne sie diese damit ungeschehen machen und verschrieb sich voller Fanatismus ihrem Glauben. In seltsamen Widerspruch hierzu hat sie mir niemals erzählt, wer mein Vater ist oder war", Cass seufzte und nahm noch einen Schluck Kaffee.
"Aber wieder zurück zu Mary. Sie und ich liebten Bücher, wie schon gesagt, besonders Bücher über Okkultismus, über Hexen, Dämonen und Teufel. Aber wir lasen nur. Gepflegter Grusel würde man heute wohl sagen. Unsere Fantasie ließ uns eine Geschichte der Hexenverbrennungen in Salem herauf beschwören, was uns das Blut in den Adern gefrieren ließ und was, wenn man meine Familiengeschichte erst kennt, vollkommen logisch erscheint!
Wir praktizierten aber keinerlei Magie, sondern verstiegen uns 'nur' in unsere Fantasiewelt. Eigentlich war es nicht viel anders als heute eines dieser Computerspiele – du weißt sicher, was ich meine?" Sie sah Sam fragend an.
"Klar, ein bisschen wie ein RPG, ein Rollenspiel", bestätigte er.
"Zu wirklichen Hexen wurden wir erst an der Uni in Boston, wozu sicher auch der historische Hintergrund und die Atmosphäre in Neu England beitrugen. Damals wusste ich noch nichts über meine Abstammung, geschweige denn über irgendwelche Fähigkeiten, die in mir schlummern mochten. Wir probierten so rum und als einer der Profs Mary ein verdammt unanständiges Angebot unterbreitete, kriegten wie unseren ersten echten Zauber. Mit einem Schäferstündchen in der Besenkammer sollte sie sich besonders gute Noten 'erarbeiten'. Der sollte einen Denkzettel bekommen… und – tada – plötzlich zierte eine hässliche Warze seine Nase. Total kindisch, oder?" Cass kicherte leise bei der Erinnerung.
"Wir waren wie Schwestern, teilten all unsere Geheimnisse miteinander und unsere Träume. Eines Tages beschlossen wir, unsere Verbundenheit durch einen Zauber zu manifestieren.
In einer uralten Zeremonie, die wir in einem unserer Folianten entdeckt hatten, stellten wir einen Zauber her, der unsere Erstgeborenen Schönheit, Kraft und ein starkes Herz schenken und sie einander zuführen sollte, sodass sie für den Rest ihres Leben miteinander verbunden sein würden, als unzerstörbares Band zwischen unser beider Familien."
Hier endete Cass' Erzählung und in derselben Sekunde zerbrach Sams Kaffeetasse klirrend auf dem altersdunklen Holz der Veranda. Er sah Cass fassungslos an.
"Verdammt! Wie… Ihr… Wie konntet ihr?" Er schüttelte vehement den Kopf.
"Dean würde sich eher umbringen, als eine Beziehung einzugehen, die auf einem Hexenzauber basiert – selbst wenn eine der Hexen seine eigene Mutter war!"
"Sam, genau deshalb kann ich es ihm nicht erzählen – und auch Blair nicht, oder glaubst du, sie würde anders reagieren? Ich glaubte, dieser Zauber hätte bestimmt nicht gewirkt, weil wir damals keine Ahnung hatten, was wir taten. Es schien nichts als bloße Spielerei zu sein und im Laufe der Jahre habe ich es verdrängt, dachte, die beiden wären sich längst über den Weg gelaufen, wenn es funktioniert hätte. Und nun? Ich sehe deinen Bruder und ich sehe Blair – und ich sehe Liebe, wie sie sein soll. Und ich schäme mich und frage mich, was ich tun kann." Cass war das Herz schwer, wenn sie an die Blicke zwischen den beiden jungen Leuten dachte, die tiefen Gefühle für einander, die beiden anzusehen waren.
Sam hockte sich hin und begann, die Scherben der Porzellantasse einzusammeln.
"Cass, warum erzählst du es mir? Wenn es keine Bedeutung hätte, würdest du es für dich behalten und hoffen, die beiden finden niemals raus, dass sie bereits vor ihrer Geburt Spielball zweier Hobby-Hexen waren." Sam klang bitter. DAS hätte er nicht wissen wollen, zu glücklich wirkte Dean in den letzten Tagen. Es würde ihn umbringen, zu erfahren, dass diese Gefühle magischer Herkunft waren. Oder schlimmer – er würde verdammt große Lust haben, Cass umzubringen!
"Die Ironie an der Geschichte, das einzig Positive, könnte sein, dass Dean seine Seele durch diesen Zauber nicht an den Crossroad-Demon verkaufen konnte, da sie ihm überhaupt nicht gehörte. Ich bin nicht sicher und ich muss erst noch einige Nachforschungen anstellen, aber ich weiß, auch vor der Hölle macht die Bürokratie kein Halt, der exakte Wortlaut könnte hier, wie auch bei dem von Dean geschlossenen Kontrakt von allergrößter Bedeutung sein. Vor allem werde ich meine Großmutter befragen, die alles über die Weißen Künsten weiß – kein Wunder bei 101 Jahren Lebenserfahrung. Ich brauche deine Hilfe bei der Recherche und bei der Geheimhaltung dieser Geschichte vor unseren Lieben."
Sam nickte bedächtig. Recherche – okay, das war seine Welt und es gab nichts Schlimmeres, als zum Nichtstun verdammt zu sein.
"In Ordnung. Wenigstens eine Möglichkeit, die man untersuchen könnte. Viel Zeit haben wir nicht mehr."
Cass seufzte und nahm Sam die mit Kaffee befleckten Scherben ab. "Ich weiß. Und glaub mir, ich bin ebenso scharf drauf, deinen Bruder zu retten, wie du. Immerhin geht es auch um das Leben meiner Tochter. Komm, lass uns reingehen, ich mach dir einen neuen Kaffee."
"Stop, Cass. Eine Frage noch – denkst du, die beiden hätten sich nicht in einander verliebt, wenn dieser Zauber nicht gewesen wäre?"
"Sam, der Zauber besagt, dass die beiden Erstgeborenen sich treffen würden. Was, wenn es zwei Jungen oder zwei Mädchen gewesen wären? Nein, genau genommen besagt er nicht, dass sie sich verlieben, er besagt exakt, dass sie für den Rest ihres Lebens miteinander verbunden sein werden, durch welche Gefühle ist dabei nicht genauer definiert. Eigentlich haben wir in unserer stümperhaften Hexerei nur dafür gesorgt, dass sie überhaupt die Möglichkeit haben, einander kennenzulernen. Aber glaubst du, wenn ich diese Geschichte erzähle, hört einer der beiden lange genug zu, um diesen Schluss zu ziehen?"
"Niemals. Dean würde hochgehen wie eine Rakete und wäre am anderen Ende des Staates, ehe du ausgesprochen hättest."
"Eben – und meine Blair ist ein Feuerkopf, sie würde exakt genauso reagieren." Resigniert ließ Cass den Kopf hängen.
"Mary und ich, wir haben's echt versaut, blauäugig und romantisch, wie wir waren, Sam. Dabei bin ich sicher, diese Beiden sind nicht von uns, sondern vom Schicksal dazu bestimmt, ihr Leben miteinander in Liebe zu verbringen. Verdammt!"
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Die beiden, über die sich Cass und Sam gerade den Kopf zerbrachen, hatten sich am Ufer des Providence-River im matten Schein der Lichter von der anderen Seite des Flusses niedergelassen. Blair saß im hohen Gras neben Dean, der sich lang gemacht und die Arme unter dem Kopf verschränkt hatte. Er starrte zu den Sternen hinauf, die er lange schon nicht mehr bewusst wahrgenommen hatte und zuckte irritiert zusammen, als seine rothaarige Freundin ihn mit einem langen Grashalm unter der Nase kitzelte.
"Erde an Dean? Was ist los, du bist nicht wirklich hier, oder?"
"Hmm… ich denke… " er biss sich auf die Unterlippe.
"Oh, schlimmer kann's kaum werden!" kicherte Blair und piekte ihn spielerisch in die Seite, bis er das Grinsen nicht mehr verkneifen konnte.
"Mach dich nicht lustig über einen armen Hunter, Rotschopf. Auch ich habe lichte Momente…" Er schüttelte den Kopf und machte sich kitzelnd über Blair her, bis sie unter ihm im Gras lag und der Spaß der Hitze wich.
Seine Hände in ihr kurzes Haar wühlend, knabberte er verspielt an ihrer Unterlippe und tupfte kleine Küsse auf ihr Gesicht, wo er gerade hin traf, während er mit bebenden Hände ihr Shirt hoch schob. Seine Hände kneteten sanft ihre Brüste und sein Körper reagierte heiß und leidenschaftlich, als sie sich ihm entgegen wölbte.
Blairs Herz begann zu rasen, sie wollte keine langen Spielchen, kein sanftes, liebevolles Vorspiel – sie wollte ihn spüren, jetzt, sofort, ganz. Sie schob die Hände unter sein Shirt, fühlte, wie sich seine Muskeln unter ihren streichelnden Händen strafften und öffnete seine Jeans. Sie wand sich aus ihrer eigenen Hose, was nicht einfach war, da seine Finger überall waren, aber endlich fühlte sie seine nackte Haut an ihrem Körper und warf die Beine um seine Hüften, um ihn möglichst tief in sich aufzunehmen. Längst hatte sie Dean mitgerissen und er drängte hart und heiß in sie, mit ihr unterwegs zu den Sternen…
"Dean, was ist wirklich los? Du warst vorhin so still." Blair sah einer Sternschnuppe am Nachthimmel hinterher und kuschelte sich gesättigt an Deans Brust, lauschte auf seinen Herzschlag. Wie sie diesen starken, gleichmäßigen Klang liebte…
"Magst du meine Mum nicht oder ist dir das Essen nicht bekommen?" neckte sie ihn. Das war natürlich lachhaft – es gab kein Essen, das ihm nicht bekommen würde!
Sein Blick verlor sich in der Dunkelheit und er ließ seine langen Finger durch ihr Haar gleiten.
"Deine Mum ist großartig, Blair. Sie erinnert mich an meine Mutter, eigentlich alles heute Abend erinnerte mich an meine Mutter, bei der Tatsache angefangen, dass sie sich offensichtlich gekannt haben. Ihre Stimme ist ähnlich wie die meiner Mum und das Essen – es war traumhaft, wirklich traumhaft. Das war immer mein Lieblingsessen, wenn Mum mich fragte, was ich gern essen wollte – Hühnchen mit Maisbrot.
Und ich hatte es ganz vergessen, bis vorhin.
Da war alles wieder da und das frische Maisbrot duftete und Mum tat mir Hühnchen auf und ich konnte meine Eltern fast mit mir am Tisch sitzen sehen…" Deans Stimme wurde immer leiser und er schluckte heftig und schloss die Augen, weil die Erinnerung ihn fast zerriss.
Blair konnte nichts sagen, die Tränen rannen lautlos über ihr Gesicht und sie streichelte sanft seine Wange. Es war nicht der Zeitpunkt für weitere Worte und so lagen sie sich im milden Licht der Sterne in den Armen und waren dankbar für die Nähe des Anderen.
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