AW: [Supernatural] One Life, One Heart, One Soul...]
@ Elenia
Ich denke, Dean ist ein Mensch, der ohne Handbremse lebt, egal, ob es ums Futtern geht oder um Sex. Er, der gerade in dieser Hinsicht eher - um es mal lax auszudrücken - von der Hand in den Mund lebte, ohne die Möglichkeit einer gefühlsmäßigen Bindung, genießt es umso mehr, eine feste, gleichberechtigte Partnerin bei sich zu haben. Zudem macht die Todesnähe sicherlich dieses Bedürfnis nach körperlicher Nähe noch intensiver...
Es tut mir leid, dass ich euch so lange hab warten lassen - hab tierisch viel Stress im Büro und bin abends total tot *seufz*
Aber ich verspreche, ich poste die nächsten Teile schneller...
* * *
Dean hatte den schnellen Wechsel der Gefühle auf dem Gesicht seiner Gefährtin sehr wohl gesehen, aber er brachte es nicht über sich, ihr hinterher zu gehen. Er war einfach nicht in der Lage, sie zu trösten. Wie sollte er? Die Zeit lief - schien immer schneller zu laufen und es führte noch immer kein Weg aus dem Dilemma. Er überlegte ernsthaft, bereits in den nächsten Tagen Providence zu verlassen, sie zu verlassen, bevor es ihr zu weh tat – aber er machte sich nichts vor. Dafür war es bereits zu spät und er konnte noch nicht gehen, er konnte sich nicht losreißen, konnte sie nicht verlassen, sie war wie ein Licht in dunkler Nacht für ihn, der einzige Lichtstrahl, der seine dunkle Seele erhellen konnte. Er war noch nicht bereit, das aufzugeben…
Er seufzte schwer, er wusste genau, er konnte sie nicht einfach allein lassen. Sie hatte plötzlich so unglücklich ausgesehen, nein, unglücklich war nicht das richtige Wort – ab Boden zerstört traf es eher. Er zog sich das schmuddelige Shirt wieder über und ging um die Garage herum hinter das Haus, wo er sich suchend umsah. Er wollte schon hinein gehen, weil er niemanden ausmachen konnte, als er seinen Bruder auf der Veranda sitzen sah. Er hatte Blair im Arm. Dean ließ den Kopf auf die Brust sinken und biss sich auf die Lippe. Wieso musste er so unsensibel wie ein Betonpfeiler sein und statt seiner war Sam für sie da, als sie jemanden brauchte? Tief durchatmend straffte er sich und ging leise zu dem Paar auf der Schaukel. Er blieb vor den Beiden stehen und tippte Sam auf die Schulter, der zu ihm aufsah, vorsichtig den Platz für seinen Bruder räumte und auf leisen Sohlen die Veranda verließ. Blair setzte sich schniefend auf, unglücklich, dass Dean sie so erlebte, wo sie Zuversicht verbreiten und ihm Mut machen sollte. Sie putzte sich die Nase und versuchte, ihre Tränen vor ihm zu verbergen, aber er legte die Hände um ihr Gesicht und schaute sie an. Lächelte traurig.
"… und wenn wir noch so mutig sind und noch so sehr wünschen, es wird alles gut – wir wissen doch beide, dass ich verdammt viel Glück brauche, um den Höllenhunden noch zu entgehen, oder? Willst du weinen oder machen wir das Beste aus der Zeit, die uns bleibt?"
Sie hatte ihn selten so ernst und ruhig erlebt und sie schluckte, um ihre Tränen in den Griff zu kriegen, schloss die Augen und schmiegte ihre Wange in seine Hand, fühlte die Wärme.
Als er sie an sich zog und sacht wiegte, fühlte sie sich etwas besser. Er war bei ihr – noch. Und sie würde – sie musste - dafür sorgen, dass er bei ihr blieb…
"Blair, wir sollten mit Nana über den Deal sprechen. Wir kommen nicht weiter und sie ist die klügste und weiseste Frau, die ich kenne. Möglicherweise sieht sie Möglichkeiten, die uns bisher verborgen geblieben sind. Du kennst das – manchmal sieht man den Wald vor Bäumen nicht." Cass rührte gerade eine Heilsalbe an und der Geruch nach Ringelblumen erfüllte die überhitzte Küche. Sie wischte sich mit dem Unterarm den Schweiß von der Stirn und gab noch etwas Menthol in die cremige Substanz.
"Ich wollte sie schon anrufen, aber du weißt, sie hört nicht mehr gut. Deshalb denke ich, es wäre am besten, wenn du mit Dean hinfährst und ihr beide ihr die Situation schildert. Was denkst du?" Fragend sah sie ihre Tochter an, die gedankenverloren über ihre frisch tätowierte, juckende Schulter rieb.
"Finde ich eine gute Idee. Wir müssen alles versuchen…" ihre Stimme erstarb und ihre Mutter konnte deutlich fühlen, wie deprimiert Blair war, wie sehr es sie frustrierte, Dean noch immer nicht retten zu können. Sie strich Blair über das kurze Haar und küsste sie sanft auf die Stirn.
"Honey, wir sind noch nicht am Ende, nur Mut…"
* * *
"Jaaaaa… das schaffe ich so gerade! Ich passe auf, dass die Werwölfe draußen und Cass drinnen bleibt. Okay?" Sam schüttelte genervt den Kopf. Dean im 'Großer-Bruder-Modus' – wie immer kaum auszuhalten. Er hielt ihn anscheinend für ein Kleinkind!
"Achja, hab ich vergessen – Sarah kommt heute. Lässt du mir Weihwasser hier?" Sams Stimme klang rau bei dem Gedanken, dass möglicherweise Sarah nicht sie selbst sein würde, aber er tröstete sich mit der mangelnden Wahrscheinlichkeit, dass sich die Dämonen zwei mal dasselbe Opfer aussuchen würden, denselben Köder, um ihn zu erledigen.
"Wenn du nicht damit duschen willst, reicht das hier sicher", meinte Dean, klappte den Unterboden des Kofferraums zu und drückte Sam eine Feldflasche mit dem heiligen Inhalt in die Hand, bevor er den Kofferraum endgültig zufallen ließ und seine Tasche zu der von Blair auf den Rücksitz des Impala warf.
Während der nächsten Stunde herrschte ein ungemütliches Schweigen im Wagen. Die Bässe von Metallicas
Enter Sandman wummerten durch den Innenraum und Blair schaute betont lässig aus dem Seitenfenster, seinem prüfenden Blick ausweichend.
Sie hatte ihn am letzten Abend aus ihrem Bett verbannen wollen, hatte bewusst Distanz aufbauen wollen aus reinem Selbstschutz. Aber sie konnte nicht. Sie fühlte, dass er gekränkt war und gleichzeitig Verständnis für sie hatte. Er wollte sie nicht weiter verletzen, aber sich von ihr fernzuhalten, war ihm unmöglich und sie resignierte. Es ging ihm nicht anders als ihr und warum sollten sie jeder für sich allein leiden? Sie nahm ihn an der Hand und zog ihn zu sich unter die Decke, wo sie sich in seinen Arm kuschelte und seinem Herzschlag lauschte. Es gab keinerlei sexuelle Komponente in diesem Moment, sie wollten einander nur nahe sein, ein Gefühl, den Dean sich noch vor wenigen Wochen nicht hätte vorstellen können. Eine schöne Frau und er zusammen im Bett und nichts passierte – außer Nähe, Wärme und Trost.
Er hatte gehofft, im hellen Tageslicht würde alles besser aussehen, rosiger und nicht so hoffungslos, aber ihre Wortlosigkeit deutete darauf hin, dass die Tage ihrer sorglosen Verliebtheit vergangen waren. Jetzt war geschehen, was er befürchtet hatte. Sie hatte die Situation unterschätzt, hatte gedacht, alles zwingen zu können, aber die Realität hatte sie eingeholt und der Traum von der Liebe und dem gemeinsamen Leben schien ausgeträumt.
Highway to Hell dröhnte es aus den Lautsprechern und Deans Hand zuckte zum Tapedeck und schaltete es abrupt aus. Dieser Rocksong löste momentan eine Gänsehaut bei ihm aus. Er schüttelte genervt den Kopf und sah zu Blair, die blass und still neben ihm saß. Was hätte er für einen frechen Kommentar gegeben
Er hätte heulen mögen. Die letzten Wochen waren die schönsten seines Lebens gewesen, wenn er an die Unbeschwertheit dachte, mit der sie sich in dieses Abenteuer gestürzt hatten und an die wundervollen Nächte voller Zärtlichkeit und Leidenschaft. Und jetzt schien alles dahin und der Rest seiner Zeit auf Erden würde eine Qual sein, angefüllt mit Angst und Verzweiflung.
Die rothaarige junge Frau sah ihn zum ersten Mal an diesem Morgen direkt an. "Dean, fährst du bitte rechts ran?"
Er lenkte den Wagen in einer Staubwolke an den Straßenrand und drehte den Zündschlüssel. Einen Moment lang war es ganz still. Er drehte sich zu ihr herum und wartete, seine Hand lag auf der Rückenlehne des Beifahrersitzes und seine langen Finger krabbelten sachte an ihrem Nacken entlang.
"Ich… ich weiß garnicht, was ich sagen soll. Es tut mir leid, dass ich seit gestern so entsetzlich nervig bin…" ihre Stimme erstarb.
"Rotschopf, ich habe überlegt, einfach mitzuheulen, hatte aber zu viel Angst, du verpetzt mich bei Sam und ruinierst meinen Ruf", meinte er mit einem schiefen Grinsen mit dem Versuch, wenigstens ein kleines Lächeln auf ihr blasses Gesicht zu zaubern.
Er war so süß und er verdiente es, dass sie ihm das Herz nicht noch schwerer machte, als es vor Sorge um Sam eh' schon war. "Winchester, ich bin fertig damit… fürs erste. Also keine Sorge, dass ich jetzt ständig… "
Dean fiel ihr ins Wort. "Ich mach mir keine Sorgen – nicht um dich jedenfalls. Ich habe mich schon gewundert, wo du deinen Optimismus hergenommen hast während der letzten Wochen. Du hast mir keine Chance gelassen, im Selbstmitleid zu versinken." Er suchte nach Worten in einer Disziplin, die ihm überhaupt nicht lag – über seine Gefühle zu sprechen, ohne dumme Witze zu machen.
"Ich hab verdammte Angst, dass wir es nicht schaffen, mich irgendwie aus der Schusslinie zu schaffen, dass alle Hoffnung umsonst war. Vielleicht hätte ich erst garnicht hoffen sollen?" Er biss sich auf die Unterlippe und versuchte sich in der Direktübertragung seiner Gedanken an sie, um sich weitere Erklärungen zu ersparen.
"Doch, Dean, du sollst - du musst hoffen! Ich habe nur kurzfristig vergessen, dass noch nichts verloren ist und mich von meiner Angst fertig machen lassen. Das war falsch, aber vielleicht musste das so kommen. Verdrängung funktioniert nur eine gewisse Zeit…"
Sie ließ die Hand über seine stoppelige Kinnlinie gleiten und lehnte sich vor, um ihn zu küssen, zuerst sanft und liebevoll, dann heftiger, aggressiver, voller Zorn auf das Schicksal, auf die Dämonen, die ihn ihr wegnehmen wollten.
Dean war leicht irritiert, aber gleichzeitig wie elektrisiert von ihrem fast wütenden Kuss.
"Blair, ich weiß, ich bin selbstsüchtig, ich sollte einfach gehen, sollte aus deinem und aus Sams Leben verschwinden, damit ihr weiter machen könnt. Aber ich kann nicht. Ich will jede Minute ausnutzen, die wir zusammen haben. Falls ich in die Hölle gehe, können vielleicht diese Erinnerungen mich davor bewahren, zu vergessen, wer ich war…
Aber jetzt lass uns zu deiner Nana fahren und in Erfahrung bringen, was sie weiß. Wir haben noch nicht verloren und ich werde nicht aufgeben. Ich hab nie geglaubt, dass es außer Sam jemanden geben könnte, der einen wie mich wirklich lieben könnte. Du hast mich eines Besseren belehrt. Jetzt lass uns dafür sorgen, dass ich davon auch noch was habe, okay?"
Seit er von Ruby erfahren hatte, dass alle Dämonen, die sie kennen gelernt hatte, ehemals Menschen gewesen waren, Menschen, die ihre Menschlichkeit im Laufe von Jahren und Jahrhunderten verloren hatten, hatte er Angst. Er wollte nicht vergessen, was es hieß, Mensch zu sein, wie ein Mensch zu fühlen.
Aber noch war er nicht tot. Noch röstete das Höllenfeuer ihn nicht und noch war er nicht bereit aufzugeben und sich zum Sterben in den nächsten Graben zu legen.
Als er den Wagen wieder auf die Straße lenkte, lehnte Blair an seiner Schulter und ein bisschen Leben war in beide zurück gekehrt.
* * *
Dean und Blair waren vor etwa einer Stunde losgefahren, als Sam über den Rand des Laptop hinweg draußen auf dem Gehweg eine Frau stehen sah, die augenscheinlich das Haus beobachtete. Blondes, langes Haar, Stiefel und enge Lederkleidung ließen ihn sofort an Ruby denken. Er hatte gedacht, er würde sie nie wieder sehen, nachdem Dean sie abgefertigt hatte, und schon garnicht hier, wo sie nach ihrem letzten Auftritt sicherlich nicht sehr willkommen war.
"Cass?" rief er nach hinten in den Raum, der Blairs Mutter vorbehalten war, ihr Geheimzimmer, wie sie es zwinkernd nannte und das weder er noch Dean bisher betreten hatten.
"Sammy, was ist los?" Sie schob die Tür mit dem Fuß auf, da sie sich gerade mit einem alten Handtuch eine seltsame violette Flüssigkeit von den Händen putzte.
"Ruby ist hier", sagte Sam leise mit einer Kopfbewegung zum Fenster hin. "Keine Ahnung, was sie will, aber ich glaube kaum, dass sie zufällig hier vorbei gekommen ist."
Cass stellte sich neben ihn und betrachtete die blonde Frau vor dem Haus nachdenklich.
"Ich bin nicht gerade ein Fan von ihr, aber vielleicht hat sie irgendetwas gefunden, das euch helfen kann?" Sie sah Sam fragend an.
"Ich weiß nicht, Dean war nicht besonders freundlich zu ihr bei unserer letzten Begegnung. Warum sollte sie uns noch helfen wollen?"
"Sam, sie braucht euch, ich weiß zwar noch nicht wofür, aber sie wollte euch sicherlich nicht aus Nächstenliebe helfen. Nun hat sie erkennen müssen, dass sie euch nur im Doppelpack kriegt und muss sich zwangsläufig was einfallen lassen, um Dean zu retten, sonst verliert sie auch dich." Cass brachte es auf den Punkt und setzte hinterher: "Was meinst du, bitten wir die… 'Lady' auf einen Kaffee rein? Dean ist nicht da, das könnte eine günstige Gelegenheit sein."
Sie durchbrachen den Schutzzauber um das Haus herum, um Ruby Einlass zu gewähren und die Blonde stiefelte auf hohen Hacken zwischen Cassandra und Sam hindurch ins Haus, während die beiden die 'Mauer' wieder richteten und ihr nach drinnen folgten.
Die Dämonin schaute sich um und sagte geringschätzig zu Cass: "Hm… hat sich nicht verändert hier. Es riecht noch immer nach Kräuterfrau und Salbenköchin. Hast du noch immer Angst davor, eine echte Hexe zu sein?"
Sam ging soviel nervtötende Arroganz mächtig auf den Geist und er baute sich zwischen Ruby und Blairs Mutter auf. "Ruby, sag einfach, was du willst. Wenn du nur zum Stänkern gekommen bist… da geht's raus", er zeigte entschlossen zur Haustür.
"Immer mit der Ruhe, Sam. Ich wollte nur Smalltalk machen." Sie ließ sich auf den nächsten Sessel fallen und schlug lässig die langen Beine übereinander.
"Was würdest du sagen, wenn ich in Erfahrung gebracht hätte, wer den Deal hält, den dein dummer Bruder geschlossen hat?" Sie schaute höchst interessiert auf ihre Fingernägel, während sie die Bombe platzen ließ.
Sam fiel der Unterkiefer runter und Cass ließ sich auf den Stuhl plumpsen, der neben ihr stand.
"Wie… warum… ich meine, wie kommst du an diese Info und was willst du dafür haben?" Sam war ganz zittrig vor Aufregung! Konnte es wirklich sein, dass diese Frau – sorry, Dämonin – einen Tipp hatte, der Dean helfen konnte?
"… und weißt du auch, wie man an den rankommen kann? Wie können wir ihn besiegen oder zumindest überlisten?"
Ruby zog überheblich eine Braue hoch. "Langsam, Großer, immer der Reihe nach. Ich habe ein paar alte Bekannte ausgequetscht…",
Sam wollte garnicht wissen, ob sie das womöglich wörtlich meinte!
"…die mir noch was schuldeten. Dabei erfuhr ich, dass da unten schon länger Wetten liefen, wer als erster eine echte Winchester-Seele anschleppen würde. Abalam – das ist euer Freund – ist ein echter Sammler und hätte jeden Preis gezahlt, aber Dean kam freiwillig und alles, was es Abi kostete, war ein Fingerschnippen, um dich wieder zu beleben. Ein echtes Schnäppchen, finde ich, wenn man bedenkt, dass gerade Dean sich bisher jedem Versuch, seinen Körper zu benutzen sehr erfolgreich widersetzt hat." Ruby war fast enthusiastisch, als sie Deans unerklärliche Resistenz gegen Besessenheit erwähnte.
"Abalam… nie gehört. Wer oder was ist er?" Sam zog die Brauen über der Nasenwurzel zusammen und er schaute sehnsüchtig zu seinem Laptop und dann hilfesuchend zu Cassandra.
Die zuckte ratlos die Schultern. "Irgendwo klingelt's bei mir, aber aus dem Stehgreif… "
"Schau nach, wenn du genauer wissen willst, mit wem du es zu tun hast, Sammy-Boy. Du musst doch immer alles schriftlich haben." Die blonde Dämonin lächelte kalt.
Wenige Minuten später – Cass hatte Ruby in der Zwischenzeit tatsächlich einen Kaffee kredenzt – hatte Sam im Netz gefunden, was er gesucht hatte.
"Abalam oder auch Abalim ist angeblich ein Großfürst der Hölle.
Dieser Dämon ist der ewige Begleiter von Paymon, dem Höllenkönig. Er wird zumeist auch als Prinz der Hölle betrachtet und soll bei seinem Erscheinen das Gesicht einer Frau haben. Er trägt auf seinem Haupt ein mit funkelnden Edelsteinen besetztes Diadem und soll allein über 200 Legionen niederer Dämonen gebieten."
"Nicht gerade viel…" Sam drehte sich wieder zu Ruby um, die gerade ihren Kaffee umrührte.
"Stimmt, er ist einer derjenigen, die bisher eher im Hintergrund agierten, aber durch die Öffnung des Tores hat sich alles verändert – auch die Rangfolge unter den Dämonen und Teufeln", erklärte Ruby.
"Und? Wie kriegen wir diesen Mistkerl?" fragte Sam ungeduldig und Cass rutschte gespannt nach vorne auf die äußerste Kante des Stuhls.
"Ich kenne ein Ritual, einen Beschwörungszauber, dem er nicht widerstehen kann und dann können wir ihn töten." Sie nahm einen großen Schluck von ihrem mit viel Milch verdünnten Kaffee. "Allerdings gibt es da ein winziges Problem…"
* * *
Nach ungefähr eineinhalb Stunden Fahrt fuhr Dean auf ein zugewachsenes Grundstück am äußersten Rand von Boston, das er ohne Blair niemals gefunden hätte. Die Einfahrt sah wie ein Forstweg aus und war durch ein ziemlich baufälliges Gatter gesichert. Nach einer kurzen Fahrt durch verfilztes Unterholz und hohe, fast lichtundurchlässige Bäume öffnete sich der Wald zu einer kleinen, sonnendurchfluteten Lichtung, in deren Mitte ein gelb gestrichenes Holzhaus stand, umgeben von einem großen Garten mit Hochbeeten voller Kräuter und wilden Blumen in allen Farben. Dean lächelte. Der Garten erinnerte ihn an den von Cass, in dem Nützliches vermischt mit dem Schönen gedieh. Er parkte den Wagen neben den Überresten einer alten Kutsche, deren Korpus Reste von schwarzem Klavierlack aufwies und die einst sicher wunderschön gewesen war und folgte seiner Freundin zum Haus.
Die Tür wurde in dem Moment geöffnet, als sie die wenigen Stufen der kleinen Steintreppe erklommen hatten, und eine kleine, alte Dame schaute aus klugen, aber kurzsichtigen und schon etwas wässrig blauen Augen auf Blair, die eine junge Ausgabe ihrer selbst zu sein schien.
Sie stützte sich auf einen Gehstock, den sie aber achtlos an den Türrahmen lehnte, als sie ihre Urenkelin erkannte und streckte die Arme nach ihr aus, um sie zu umarmen. Blair und sie hatten sich einige Zeit nicht gesehen und umso größer war die Freude bei beiden. Melissa Sinclair musste zu der ganz sicher nicht großen Blair aufsehen und sie strahlte vor Freude und nahm ihr Gesicht in die faltigen, von dicken Adern durchzogenen Hände, um sie herzlich zu küssen. Blair legte den Arm um ihre Urgroßmutter und stellte ihr Dean vor.
"Nana, das ist mein Freund Dean Winchester."
Mit prüfendem Blick schien die zierliche alte Dame Dean zu durchleuchten. Diese Augen schienen bis auf den Grund seiner Seele schauen zu können und er hielt es für angebracht, seine besten Manieren auszugraben.
"Ma'am, ich freu mich wirklich sehr, Sie kennen zu lernen. Blair hat mir schon viel von Ihnen erzählt." Er drückte vorsichtig die zerbrechlich wirkende kleine Hand und verbeugte sich formvollendet.
"Wer sind Sie und was haben Sie mit meinem Freund gemacht?" Blair lachte laut auf. War das nicht süß? Ihr Hunter hatte tatsächlich Kinderstube – wenn er wollte!
Um ihre Reaktion wieder gut zu machen, hob sie sich auf die Zehenspitzen und küsste ihn sanft auf die schmollenden Lippen.
"Dean. Du bist also der Mann, den Blair sich ausgesucht hat?" Die Stimme war noch erstaunlich kräftig für Melissas hohes Alter und sie trat noch einen Schritt näher, um Dean genauer anzusehen. Der zog die Braue hoch und schaute Blair fragend an. SIE hatte IHN ausgesucht? Na, da hatte er doch wohl auch noch ein Wörtchen mitzureden gehabt!
Aber das war so egal.
"Hat sie, Gottseidank", bestätigte er. Er fühlte sich ein bisschen wie unter dem Mikroskop und lächelte verlegen. Die alte Dame griff nach seiner Hand und zog ihn hinter sich her in das kleine Häuschen, wobei sie im Vorbeigehen den Stock wieder mitnahm, was in ihm den Verdacht erweckte, dass sie den eher zur Selbstverteidigung als zum Draufstützen benötigte. "Junger Mann, ich hätte drinnen eine Lampe, bei der die Glühbirne ausgebrannt ist. Wäre es zu viel verlangt, wenn du dort eine neue Birne einschraubst?"
Blair grinste vielsagend. Klar, wenn schon mal ein Mann im Haus war…
Das kleine Haus kam Deans Vorstellung von einem Hexenhäuschen schon sehr nahe. In den Rahmen der Eingangstür waren Runen eingeschnitzt, die sicherlich für das Böse eine unüberwindbare Schranke darstellten. Überall standen Kerzen in Pfützen von getrocknetem Wachs, vor der Scheibe der Fensterbank putzte sich eine schwarze Katze ihre Vorderpfötchen, es roch nach Kräutern, die in Bündeln von der niedrigen Decke hingen und nach… hm… nicht identifizierbaren anderen Düften. Überall lagen aufgeschlagen uralte Folianten, auf deren Seiten er Abbildungen von Dämonen und Ungeheuern erkannte, Pentagramme und Teufelsfallen und Symbole, die er noch nie gesehen hatte.
Ein bisschen erinnerte ihn dieses Sammelsurium an Bobbys Haus, das ebenso vollgestopft mit Wissen über das Böse war und er fühlte sich beinahe heimisch, als er am Küchentisch Platz nahm und die alte Lady einen Tee aufsetzte
Blair ging ihrer Urgroßmutter zur Hand und goss den Tee auf. Melissa zischte ihr leise zu, sich zu ihr hinunter zu beugen. "Meine Kleine, er ist ein guter Mann, einer der Besten." Bekräftigend nickte sie, wobei sie sich mit einem Seitenblick vergewisserte, dass Dean anderweitig beschäftigt war.
"Ich habe es gesehen, er hat gute Augen und eine uralte Seele. Ich weiß, was euch her führt und ich bin sicher, seine Zeit ist noch nicht gekommen", ihre Altfrauenstimme zitterte ein wenig bei dieser vagen, aber optimistisch stimmenden Auskunft und sie drückte die Hand ihrer Urenkelin.
Noch war der Zeitpunkt nicht gekommen, alles zu enthüllen. Sie hatte immer gewusst, dass sie eine besondere Aufgabe zu erfüllen haben würde, bevor sie sich zu ihren Vorfahrinnen gesellte, allerdings hatte sie nicht erwartet, dass das erst im biblischen Alter von 101 Jahren der Fall sein würde…
* * *