Mahina
"Wir wollen mal hoffen, dass es nicht noch mehr solcher "Tage wie dieser" gibt" meinte Mahina konternd, als sie den fuchtelnden Händen von Zaron auswich. Natürlich hatte es ihn geschreckt, sie hatte nicht daran gedacht, lieber Abstand zu halten um nicht einen versehentlichen Fluch abzubekommen. Aber was solls. In ihrem Kopf hatte im Moment sowieso irgendwie gar nichts mehr Platz. Das Gefühlswirrwarr nervte sie unglaublich. Sie wollte sauer auf Zaron sein und verhielt sich verhältnismässig kühl ihm gegenüber, gleichzeitig wußte sie aber auch, dass Zaron nichts falsch gemacht hatte. Wieso mußte das Leben eigentlich immer so kompliziert sein? "Nun, diese paar Kratzer hier zeigen es deutlich" erklärte Mahina und deutete auf seine Brust. Aber erst jetzt fiel ihr auf, dass sie von ihrem jetzigen Standpunkt die Kratzer gar nicht sehen konnte, nur vorhin hatte sie sie gesehen, als sie Zarons Hemd etwas zur Seite geschoben hatte. Mittlerweile war das Hemd zurück gerutscht. "Ich meine, dein Hemd ist blutig..." korrigierte sie sich, dann erhob sie sich schnell um sich von Zaron nicht in die Augen sehen zu lassen. Er könnte in ihr vielleicht entdecken, dass sie nicht ganz Eins mit sich und der Welt war und ihm verheimlichte, dass sie ihn in der Zeit eingefroren hatte.
Sie hatte sich auch nicht zu früh weggedreht, Zaron hatte bereits ihren Blick gesucht, auch wenn sich Mahina sicher war, dass er ihr nur in die Augen sehen wollte. War es wirklich so? Mahina's innere Stimme des Zweifels war ganz leise und doch war sie da. "Die Furien und Samoko... Na toll..." antwortete sie schnell auf Zarons Erzählung, dann suchte sie fahrig nach ihrem Buch. Die innere Stimme des Zweifels war zwar schon verklungen, aber ein bitteres Gefühl war immer noch da. "War sonst noch etwas, beim Kampf? Etwas aussergewöhnliches? Etwas, das du mir noch erzählen möchtest?" sagte Mahina so beiläufig wie möglich und gleichzeitig wollte sie sich auf die Zunge beissen, dass sie das überhaupt gesagt hatte. Hatte Zaron ihren forschenden Ton gehört? Mahina sah kurz zu Zaron und schenkte ihm ein kurzes Lächeln, als er meinte dass er hier bleiben wollte und als er nach ihrem Unterarm griff, hielt sie kurz inne und schloß nur für einen Bruchteil eines Augenblickes die Augen. Es fühlte sich so gut an. Allein diese kleine kurzweilige Berührung. Und doch war es doch falsch. Zaron hatte doch gerade seine Frau verloren. Die Frau die er liebte. Wie kam sie auf die Idee, diese harmlose Berührung als gut zu empfinden? Was war sie nur für ein Mensch? War sie ein Masochist? Mußte sie sich von einer unerfüllten Liebe in die nächste werfen?
Mahina zog ihren Arm zurück, als sie sich darüber bewußt wurde, was sie da gerade dachte. Wochenlang, hatte sie sich daran gehindert solche Gedanken zuzulassen. Hatte solche Gefühle ignoriert und jetzt war sie soweit, es sich einzugestehen? Sie mochte Zaron mehr, als sie sollte. Als es vermutlich gesund für sie war. Bevor Zaron etwas bemerkte, setzte sich Mahina wieder in Bewegung. Sie wollte nicht, dass Zaron irgendetwas von ihren Gedankengängen mitbekam, es war so verkehrt. Der Mann trauerte doch noch, um Himmels Willen! "Das ist doch selbstverständlich" antwortete sie nur knapp und blickte dann in ihr Buch. Sie mußte sich endlich ablenken von ihren Gefühlen. Sie durfte diese Gefühle einfach nicht haben, diesmal würde sie es nicht mehr soweit kommen lassen. Zuoft war ihr weh getan worden.
"Also, ich benötige...." Mahina beugte sich über das Buch und blätterte die Seite vor und zurück. "Beinwell, Erlenrinde, Johanniskraut und..." Mahina sah besorgt drein, sie hatte vor dem Zusammensturz der Welt hier ihre Kräuter getrocknet, ob da noch welche da waren? Und ob sie überhaupt noch Wirkung zeigten? Mahina blätterte zurück und versuchte die enggedrängte - ihre - Schrift zu entziffern um die letzte Zutat zu erfahren. "...ahhh... das soll Geißenblatt heißen..." Mahina richtete sich auf und sah zu Zaron, der nach den Vorkommnissen in der Stadt fragte. "Nun, es war nicht allzu viel los. Elsa wurde wiederbelebt." sagte sie und lächelte leicht. "Achja, und dann waren noch ein paar Wendigos hier in der Stadt." meinte sie beiläufig und erinnerte sich dabei gleichzeitig an ihren Knöchel und ihr aufgeschürftes Knie. "Ich bin gleich wieder da, ich muß kurz nach oben." meinte sie und sah kurz zur Treppe. Wenn sie jetzt dorthin humpeln würde, sah es komisch aus. Also entschloss sie sich kurzerhand nach oben zu teleportieren. In einen Wandschrank, im Zimmer wo sie Zaron gepflegt hatte, hatte sie verschiedene Kräuter zum trocknen aufgehängt. Wenn sie Glück hatte, würden diese Kräuter immer noch da sein und der Staub würde sich in Grenzen halten. Immerhin war die Tür zwanzig Jahre lang dicht geschlossen.
Als sie die Tür öffnete kam ihr ein unsagbarer Duft entgegen, von dem sie nicht wußte, ob er gut oder ekelhaft roch. Doch abgesehen von dem Duft, waren die Kräuter tatsächlich noch vorhanden und Mahina rieb an den vertrockneten Blättern um deren Herkunft zu erkennen. Sie konnte ihr Glück kaum glauben. Es waren tatsächlich alle benötigten Zutaten vorhanden und als sie sie zusammengesucht hatte, teleportierte sie sich zurück. "Ich hab alles..." meinte sie und blickte nochmal ins Buch. Dort stand nichts davon, dass die Kräuter frisch sein mußten, also ging sie einfach davon aus, dass getrocknete Kräuter auch in Ordnung gingen. Mahina machte sich daran mit etwas Wasser und Öl, dass sie in der Küche gefunden hatte, die Paste in einem Mörser zu verarbeiten. Dann ging sie damit auf Zaron zu und sah ihm kurz in die Augen. "Das könnte etwas brennen." meinte sie vorwarnend, dann nahm sie zwei Fingerspitzen voll von der dunkelgrünen Paste und versuchte sie ohne zu tropfen auf die Kratzspuren zu verteilen.
Gedankenverloren pappte sie die Paste auf jede einzelne Stelle und nahm dann ein Tuch vom Tisch neben ihr, um Zaron damit einen provisorischen Verband anzulegen. Allerdings hielt das Tuch, um Zarons Brust gewickelt nicht wirklich, was vielleicht daran lag dass Mahina abgelenkt von ihren Gedanken war und sich nicht auf die Befestigung konzentrierte. Sie hatte Zaron und Azucena gegenüber ein schlechtes Gewissen. Was war sie nur für ein Mensch, dass sie jetzt anfing, an Zaron Erwartungen zu stellen? "Weißt du was ich mir überlegt habe?" meinte sie und verschwieg, dass der Gedanke eher spontan kam. "Möchtest du eine..." Jetzt wo Mahina ihre Gedanken in Worte fasste, wußte sie gar nicht, wie sie es richtig aussprechen sollte.
Mahina stand mittlerweile hinter Zaron, wo sie das Tuch mehr oder weniger festgemacht hatte, dann senkte sie ihren Blick darauf und merkte ihren Fehler. Nachdem sie das Tuch nochmal festgezogen hatte, kam sie vor Zaron hin und sah ihm in die Augen. "Zaron, ich weiß was Azucena dir bedeutet hatte. Ich hab gesehen wie du sie angesehen hast und es muß ein schrecklicher Verlust für dich sein, den du noch nicht einmal verarbeiten konntest. Zuviel war in den letzten Tagen geschehen und während Sofie und Corax mit dem Tod ihrer Mutter Jahre Zeit hatten leben zu lernen, so ist es für dich doch erst nur wenige Tage her, dass du sie verloren hast." erklärte sie mit sanfter Stimme. Ja, das tat ihrem Gewissen gut, weg war die Anziehung, die sie für Zaron verspürt hatte. "Ich dachte mir, vielleicht möchtest du eine kleine Gedenkfeier für Azucena? Wir könnten auch Sofie und Corax und Ryan dazu einladen. Ich meine, nur wenn du willst" meinte sie und sah ihn vorsichtig an.
Über Azucena hatten sie bisher noch nicht gesprochen und vielleicht war sie damit zuweit gegangen. Vielleicht war er noch nicht so weit, wirklich Abschied von Azucena zu machen. "Ich würde mich um die Vorbereitung der Feier natürlich kümmern"