AW: Moonlight
Anita
Leichenblass war Anita mit dem Buch unter ihrem Arm nach Hause gekommen. Hatte sie ihn getötet? Ein ängstlicher Ausdruck lag auf ihrem Gesicht, während sie aus dem Auto stieg und die Stufen zu ihrem Haus hoch eilte. Sie hatte nicht bemerkt, dass sie von jemanden verfolgt worden war, viel zu sehr war sie mit ihren Gedanken beschäftigt, sich einzureden, dass sie keine Schuld an den Tod des Mannes hatte. Und wenn schon,... ein Tyrann weniger auf dieser Welt, Anita meldete sich eine Stimme in ihr, doch so wollte sie nicht denken, nie hatte sie vorgehabt einen Mann zu töten. Was hatte das Buch mit ihr angestellt? Vielleicht hätte sie doch die Polizei rufen sollen, doch was hätte sie ihnen erzählen sollen? Dass sie sich mit ihrer Gefolgschaft im Park versammelt hatten um ein Ritual durchzuführen und dem Mann dazu zu bringen, seine Frau zu achten? Der Zirkel darf nicht in Gefahr gebracht werden Anita,... meldete sich erneut die Stimme, die ihr Handeln rechtfertigte.
Ein Mann ist heute gestorben, dafür geht es seiner Frau jetzt bestimmt besser. Würde der Zirkel jetzt verraten werden, wer sollte dann weiterhin die vielen Frauen von ihren tyrannischen Männern retten? Die Stimme schaffte es tatsächlich erneut Anita zu beruhigen, "Ja,... es war besser so. Nie würde jemand herausfinden, wer die roten Raben sind, dafür habe ich gesorgt,... Der Verdacht würde nie auf uns fallen... ganz gewiss nicht" war sich Anita sicher und drückte die Tasche enger an ihre Brust, in der sich ihre rote Robe befand. Jetzt mußte sie nur noch ungehört ins Haus gelangen und darauf hoffen, dass Michael immer noch schläft, doch die Dosis müsste ihn bestimmt noch für mindestens eine Stunde ruhig stellen.
Anita schloß die Tür so leise hinter sich, sodass sie sich erst nicht sicher war, ob sie wirklich ins Schloß eingeschnappt war, doch dann schlich sie am Wohnzimmer vorbei, in dem die Spätnachrichten gerade von einem Unfall auf dem Highway berichteten und das laute und dröhnende Schnarchen von Michael zu hören war. Anita blieb nicht stehen, sondern ging sofort weiter nach oben in den Dachboden, wo sie das Buch und ihre Robe bereits seit einigen Monaten versteckte. Dort bereitete sie auch die Briefe vor, die sie ihren Opfern schickten. Verstellt vom Weihnachtsschmuck und alten Kleidungen, befand sich dahinter sowas ähnliches wie ein kleiner Arbeitsbereich, den sich Anita eingerichtet hatte. Sorgsam legte sie die Tasche zur Seite und strich zärtlich noch einmal über den Einband des Buches. Sie wußte, sie sollte besser wieder nach unten gehen, bevor tatsächlich Michael noch aufwachen würde und dennoch zog ein Foto ihre Aufmerksamkeit auf sich. Es war das Foto ihres nächsten Opfer.
Felice hatte ihn auf einer Party entdeckt, auf der sie mit ihrem Ehemann hingehen mußte, obwohl sie es eigentlich nicht wollte. Dort hatte sie gesehen, wie dieser mit den Frauen umging, so als wären sie die reinste Ware für ihn und es hatte sie angeekelt, wie dieser mit drei Frauen zugleich flirtete. Doch den Blick den Josef Kostan einer seiner Begleiterin zugeworfen hatte, würde sie wohl nie vergessen können. Es war ein merkwürdiger Blick, überheblich und arrogant und keiner der drei Frauen hatte es gewagt auch nur den Mund zu öffnen und etwas zu sagen. Er mußte sie also ganz schön unter Kontrolle haben, wenn sie einen ganzen Abend nur still an seiner Seite waren und sich nicht einmal etwas zu trinken holen konnten, ohne dass Josef es ihnen erlaubt hatte. Doch Felice konnte nur das wieder geben, was sie beobachtet hatte. Sie konnte nicht wissen, dass diese drei Frauen aus freien Stücken und noch dazu mit voller Stolz bei Josef waren und diese nur deswegen nichts gesprochen haben, weil Josef in wichtigen geschäftlichen Gesprächen verwickelt war.
Anita nahm das Foto hoch und strich über das Gesicht von Josef Kostan. Er war gutaussehend, doch der überhebliche Blick, von dem Felice gesprochen hatte, lag selbst in diesem Bild und Anita hatte das Gefühl, allein von dem Bild von Josef durchschaut zu werden. Neben dem Bild lag ein Stapel Pergament, auf dem Anita bereits einige Botschaften für Josef Kostan geschrieben hatte, doch alle hatte sie wieder verworfen. Bei Dyke hatten sie sich zwei Wochen Zeit gelassen, in der er sich hätte ändern können, doch diesmal wollten sie alle nicht noch einmal so lange darauf warten, dass war ihnen bereits in der Hälfte der zwei Wochen klar gewesen. So setzte sich Anita zu dem Pergament und nahm die blutrote Feder in die Hand, die sie in das Blut tauchte, mit dem sie auch den letzten Brief an Dyke geschrieben hatte.
Aus dem Wohnzimmer drang immer noch das Schnarchen ihres Mannes und Anita wußte, dass sie noch ein paar Minuten Zeit hatte. Langsam setzte sie die Feder an und schrieb mit kratzenden Geräuschen auf das Pergament "Deine Zeit ist gekommen, halte dich bereit, der rote Rabe wird kommen und dich zur Rechenschaft ziehen, Josef Kostan..." jeder einzelne Buchstabe war flüssig über ihr Handgelenk gegangen und stand in geschwungenen Buchstaben auf dem bräunlichen Pergament geschrieben. Normlerweise hatte Anita eine sehr klare und ordentliche Schrift, doch kaum schrieb sie mit dieser Feder, hatte sie eine ganz andere Handschrift. Auch der Text entstand nie durch sie, es war die Feder, die es schrieb, sie hielt nur die Feder in der Hand und tauchte sie in das Blut.
Anita betrachtete das Stück Pergament eine Zeit lang und legte die Feder zur Seite, dann nahm sie ein Kuvert und schob die Botschaft hinein bevor sie auf dem Kuvert noch Josefs Namen schrieb, morgen würde sie Joan dazu beauftragen, den Brief zu Kostan zu bringen. Plötzlich ertönte vom Wohnzimmer ein Geräusch, es war kein Schnarchen mehr und auch der Fernsehr war bereits verstummt. "Michael" sagte sie erschrocken und riss die Augen auf, dann begann sie hastig alles zu verräumen und abzudecken, sodass sie noch den Dachboden verlassen konnte, bevor Michael ins obere Geschoss kommen konnte. Anita hatte sich auf leisen Sohlen ins Schlafzimmer verzogen und mit klopfendem Herzen dran gemacht, sich bettfertig zu machen. Sie hatte ihr Nachthemd angezogen, ihre Kleidung zur Wäsche getragen und saß nun vor dem Spiegel um ihr rotes Haar zu kämmen, was jedoch völlig überflüssig war, da es auch so ordentlich lag.
"Ach Michael" sagte sie dann überrascht und versuchte sich an ein Lächeln, als ihr Ehemann mit verschlafenem Blick ins Schlafzimmer eintrat. "Ich wollte mich noch schnell fertig machen und dich dann holen. Du bist wieder bei den Nachrichten eingeschlafen" erklärte sie in hastigen Worten und blickte etwas ängstlich auf, da sie das Lächeln in Michaels Gesicht bereits nur zu gut kannte. "Ich hatte schon den Verdacht, dass du einfach ohne mich ins Bett gehen wolltest und mich im Wohnzimmer die Nacht verbringen lassen wolltest." meinte er und ging auf Anita zu. Er hatte eine Zeitung in der Hand die er eigentlich hatte lesen wollen, als er sich nach dem Abendessen ins Wohnzimmer gesetzt hatte, doch dazu war er nicht gekommen und nun legte er sie etwas zu schwungvoll auf den Frisiertisch von Anita, während er sich hinter ihr stellte und seine Hände an ihren Nacken legte. "Nein, nein natürlich nicht. Ich weiß doch wie du es hasst in deinem Fernsehrsessel die Nacht zu verbringen, natürlich hätte ich dich jeden Moment geholt." erklärte sie, nachdem sie aufgeschrocken war, als Michael die Zeitung neben sie abgelegt hatte. Sie versuchte ihren Mann anzulächeln, der sie im Spiegel beobachtet hatte und damit begann ihren Nacken zu massieren. "Bitte nicht" versuchte Anita ihren Mann von der Berührung abzuhalten, da es doch so oder so nur darin endete dass er sie grob zu massieren begann, bevor er sie hoch zu sich zog und sie küssen würde. "Ich habe schreckliche Kopfschmerzen und bin wirklich hunde müde." versuchte sie das Vorhaben ihres Mannes zu unterbinden, doch dieser hatte kein Interesse an den Worten seiner Frau.
"Kopfschmerzen hast du doch immer und weswegen bist du heute so müde? Wegen dem bisschen Arbeit mit dem Hackbraten? Was hast du heute schon großartig gemacht, was deine Müdigkeit erklären könnte?" fragte er sie spottend und zog sie, wie von Anita erwartet hoch zu sich um ihren Kopf in festem Griff fest zu halten und sie zu küssen. Anita hatte es längst aufgegeben, sich gegen diese Übergriffe von ihrem Mann zu wehren, sie wußte, dass wenn sie sich ihm verweigern würde, sie die nächsten Tage gewiss die Hölle auf Erden haben würde, weshalb sie schließlich, wenn auch widerwillig, ihren Mann gewähren ließ und einfach nur die Augen schloß in der Hoffnung, das die nächsten Minuten nur schnell vergehen mögen.
Am nächsten Morgen war Anita bereits vor ihrem Ehemann, wie eigentlich immer, aufgestanden und hatte das Frühstück vorbereitet. Das gute an solche Morgen, an denen sie ihren Ehemann am Vorabend die Zärtlichkeiten gegeben hatte, die er sich von ihr wünschte, war, dass Michael wirklich gut aufgelegt war und selten etwas zum Aussetzen fand, ansonsten war alles wie immer. Die Kinder aßen ihr Frühstück und Michael ließ sich noch eine zweite Tasse Kaffee einschenken, während er geräuschevoll die Zeitung umblätterte. Doch heute war dennoch etwas anders. Anita hatte jede Seite der Zeitung, die Michael las, nach dem Artikel abgesucht, in dem es um John Dyke ging.