The Moon's mocking Face seems to smile at my Anguish
As my hot salty Tears melt the cold frozen Snow.
Soon my Blood joins this Flood as my Body will perish
And will nourish the Soil on the Ground down below.
And the Pain of this Life is forgotten.
'A crimson Flood on frozen Snow' - Goat of Mendes
Monday, December 4th 2006
Mayfair Lane, Alcova Heights, Washington D.C.
Der Anblick, der sich mir in diesem Raum offenbart, gleicht einem bizarren Bild, das mich jedoch umgehend in seinen Bann zieht, ohne dass es mir gelingt, mich dagegen zu wehren. Mein gesamter Körper ist vollkommen erstarrt, meine Atmung scheint, ausgesetzt zu haben, während mein Herz jedoch heftig in meinem Brustkorb hämmert. Ich versuche krampfhaft, diese Situation zu realisieren und zu verarbeiten, aber ich bin nicht in der Lage, einen einzigen klaren Gedanke zu fassen, geschweige denn mich von der Stelle zu bewegen. Stattdessen starre ich regungslos auf den zierlichen Körper hinab, der die Bruchstücke meiner Vergangenheit, die ich seit Jahren tief in meinem Inneren verborgen habe, unaufhaltsam zurück an die Oberfläche drängen lässt. Niemals hätte ich geglaubt, dass ich diese Gefühle noch einmal würde erleben müssen, die noch immer so schmerzhaft sind, als hätten sich diese Geschehnisse, die bereits so lange zurückliegen und mittlerweile vollkommen im Nebel liegen, erst vor wenigen Tagen ereignet. Unvermittelt werde ich mit jenem Kindheitstrauma konfrontiert, das ich bis heute nicht verarbeiten konnte, das mich jedoch zu dem Menschen werden ließ, der ich noch vor kurzem war, bis zu jenem Moment, als ich mein Herz öffnete, eine Tatsache, die mich nun verletzlich macht.
Irgendwann, nach einer scheinbaren Ewigkeit, gelingt es mir schließlich, tief durchzuatmen und vorsichtig einen Schritt nach dem anderen zu tun, der mich weiter in das Zimmer und damit näher zu ihr führt. Bisher habe ich noch nicht realisiert, dass auch innerhalb des Hauses frostige Temperaturen herrschen, doch als ich die kalte Luft in meine Lungen strömen lasse, verspüre ich ein leichtes Prickeln, bevor ich meinen Atem ausstoße, der in kleinen farblosen Wölkchen nach oben steigt und sich dann verflüchtigt. Meinen Körper durchläuft ein kaum wahrnehmbares Zittern, das nicht nur von der mich umgebenden Kälte ausgelöst wird, sondern von dem sich augenblicklich verstärkenden schlechten Gefühl, das die Vorahnung ausgelöst hat, die, kaum dass ich den Truck verließ habe, von mir Besitz ergriff. Mein Instinkt versuchte, mich auf das vorzubereiten, was mich an diesem Tatort erwarten würde, doch ich war nicht in der Lage, dies zu erfassen. Mittlerweile wünsche ich mir, ich hätte die Androhung meines Bosses von unendlich währender Bearbeitung staubiger Akten in Erwägung gezogen, anstatt mich darauf zu freuen, endlich das stickige Hauptquartier verlassen zu können, doch nun ist es zu spät für mein Bedauern.
Es bleibt mir nichts anderes übrig, als erneut in meine Rolle als professioneller Bundesagent zu schlüfpen und meine Arbeit zu machen, ohne dass dabei jemand erfahren würde, welche Erinnerungen, und seien sie auch noch so verschwommen, ich mit diesem Fall verbinde. Doch dieser Vorsatz lässt sich nicht so einfach in die Tat umsetzen, wie ich es gern hätte, denn dafür ist dieses unerklärliche Gefühl noch immer zu präsent, das nun meine Vergangenheit sogar zu grausamer Realität werden ließ. Jedes einzelne Detail ist genau wie in meinen schemenhaften Träumen, gleicht dem undeutlichen Bild, das ich immer wieder vor meinem inneren Auge sehe, lediglich die Umgebung der grotesken Szene ist eine vollkommen andere. Der Körper der jungen Frau liegt gebettet auf unzähligen tiefroten Rosenblättern, die sich auf dem reinweißen Schnee ergossen zu haben scheinen, der den weichen Teppichboden vor dem Bett bedeckt. Die eisigen Kristalle, die jede einzelne der gefrorenen Blüten zieren, glitzern sanft in den blassen Strahlen der Wintersonne, die in den Raum vorgedrungen sind. Meine Augen bleiben an den zum Gebt gefalteten Hände hängen und wandern schließlich zu dem winzigen blutroten Fleck, der sich in der Höhe ihres Herzens auf dem makellosen weiß des langen Nachthemdes hervorhebt.
Auch diesmal scheint mich, eine unsichtbare Macht anzuziehen, sodass ich mich der Toten nähere, den Blick weiterhin starr auf ihren leblosen Körper gerichtet. Doch als ich direkt vor ihr stehe, lasse ich meine Augen nach oben gleiten, bis ich in die ihren sehen kann, die mich beinahe klagend mustern. In diesem Moment glaube ich, mein Herz würde aussetzen, während ich mich auf die Knie sinken lasse und meine Hand nach ihr ausstrecke, um ihr über die fahle Wange zu streichen. „Liz“, dringt ein heiseres Krächzen aus meiner Kehle, als ich als meine Vorsicht vollkommen vergesse und jede Regel ignoriere, die an einem Tatort unter allen Umständen einzuhalten ist. Die oberste Priorität ist die Sicherung der Spuren und Beweise, die ich jedoch mit meinem Verhalten gefährde, ohne dass ich auch nur darüber nachdenke. Aber die Gefühle, die sich bei ihrem Anblick in meinem Inneren zu einem tosenden Orkan vereinen, sind zu stark, als dass ich sie unterdrücken könnte. Nicht nur die Tatsache, dass sich meine Vergangenheit zu wiederholen scheint, sondern auch dass es die junge Frau ist, die ich an diesem Ort und in dieser Situation vorfinde, bringt meine mühsam aufrecht erhaltene Fassade nun doch langsam aber sicher zum Einsturz.
Während ich noch immer neben dem leblosen Körper hocke, spüre ich Kates Blick auf mir ruhen, die unserem Boss erklärt: „Die Tote ist Navy Lieutenant Alyssa Forrester. Ihr gehört dieses Haus.“ Bei ihren Worten zucke ich kaum merklich zusammen, doch ich bin mir darüber im Klaren, dass diese Reaktion weder Gibbs noch meiner Freundin entgeht. Aber diesen Namen aus ihrem Mund zu hören, macht mir endgültig klar, dass mein Verstand mir keinen Streich spielt, dass dies nichts anderes als die grausame Realität ist. Sollten sie jedoch herausfinden, dass ich unser Opfer kenne, werde ich viele unangenehme Fragen beantworten müssen, von denen ich nicht weiß, ob ich ihnen gewachsen bin. Abgesehen davon wird mein Boss mit Sicherheit zu verhindern wissen, dass ich mich an einer Ermittlung beteilige, die mich und mein unmittelbares Umfeld betrifft. Aus diesen Grund versuche ich krampfhaft, meine Emotionen wieder unter Kontrolle zu bringen, um meinen Job zu machen und dafür zu sorgen, dass dieser Mistkerl endlich aufgehalten wird. Die Tatsache, dass er schon einmal mordete, ist für mich beinahe unerträglich, erscheint es doch nur noch sinnloser, dass nun auch noch diese junge Frau sterben musste.
Zum ersten Mal bin ich meinem Vater wirklich dankbar, dankbar dafür, dass niemand jemals die Wahrheit über dieses eine dunkle Kapitel meiner Vergangenheit erfahren wird. Bis heute weiß ich nicht, wie ihm dies gelang, im Grunde ist es mir auch vollkommen egal, doch ein Mann wie Alessandro DiNozzo hatte schon immer seine Mittel und Wege, gewisse Dinge, die nicht in das perfekte Bild seiner Vorzeigefamilie passten, aus der Welt zu schaffen. Seinem Willen nach starb meine Mutter am Weihnachtsabend, nachdem sie einen Einbrecher überraschte und von diesem in einem Anflug von Panik erstochen wurde. Sogar ich glaubte diese Wahrheit viele Jahre lang, wusste ich es doch nicht besser, hatte meine Seele dieses traumatische Erlebnis verdrängt. Vermutlich wollte ich es nicht anders, um mir wenigstens einen winzigen Teil meiner glücklichen Kindheitserinnerungen erhalten zu können, mit denen ich mich unter anderen Umständen unweigerlich hätte auseinander setzen müssen. Diese Tatsache zeigt wieder einmal, dass ich bereits als kleiner Junge ein Meister der Verdrängung war, dass ich es nicht anders kannte, diese Gabe wohl von niemand anderem als meinem Vater in die Wiege gelegt bekam.
Da ich genau weiß, dass meinem Vorgesetzten sowohl meine unangebrachte Reaktion als auch mein unprofessionelles Verhalten keineswegs verborgen geblieben sind, versuche ich, mich so eifrig wie möglich an die Erledigung meiner zugewiesenen Aufgaben zu machen, auch wenn ich dadurch seinem Ermittlerinstinkt nicht werde entgehen können. Die unangenehmen Fragen, die auf mein Verhalten unweigerlich folgen werden, lassen vermutlich nicht lange auf sich warten, denn wenn der Pathologe erst seine Erkenntnisse mit uns geteilt hat, wird sich Gibbs mit Sicherheit mit mir befassen. „Was kannst du mir sagen, Duck?“, ertönt in genau diesem Moment dessen Stimme, sodass der Angesprochene, der in diesem Moment die Lebersonde aus dem Körper zieht, nachdenklich erwidert: „Hm, das ist seltsam.“ „Duck?“, wiederholt der Chefermittler mit Nachdruck, sodass sein Freund nun zu ihm aufblickt: „Anhand der Totenstarre würde ich sagen, der Lieutenant ist zwischen elf und eins in der vergangenen Nacht gestorben.“
Mein Vorgesetzter ist jedoch nicht dafür bekannt, sehr geduldig zu sein, was seine genervte Stimme wie auf Kommando bestätigt: „Und was genau ist daran seltsam?“ Ein leises Seufzen rinnt über die Lippen des Gerichtsmediziners, ehe er erläutert: „Im Gegensatz zu dieser Theorie legt die Lebertemperatur nahe, dass die Leiche länger als einen Tag hier liegt. Mindestens so lange, dass ihre Organe vereisen konnten.“ Die Augenbrauen seines Gegenübers wandern bei dieser Aussage unwillkürlich nach oben, was ihn dazu veranlasst, nachzuhaken: „Wie ist das möglich?“ „Dazu kann ich dir, wie zur Todesursache, noch nichts sagen. Fest steht jedoch, dass sie ermordet wurde.“ Mit diesen Worten deutet der Gerichtsmediziner auf die winzige blutige Stelle auf der Brust der Toten und fährt dabei fort: „Die Autopsie wird zeigen, warum der Stich ins Herz einen zu geringen Blutverlust für eine ante mortem zugefügte Verletzung aufweist. Das erinnert mich an einen Fall...“ Bereits als der Pathologe zu einer weiteren seiner unerschöpflich erscheinenden Erzählungen ansetzt, hat sich sein Freund abgewendet, sodass ihm wie immer lediglich sein Assistent als Zuhörer bleibt.
Mühsam erhebe ich mich aus meiner unbequemen Haltung, während ich unwillkürlich beginne zu frösteln, wofür jedoch nicht nur die eisigen Temperaturen, die an diesem Ort herrschen, verantwortlich sind. Nachdem ich kurz dem Gespräch zwischen Gibbs und Ducky gefolgt bin, verbanne ich dieses aus meinem Bewusstsein und versuche stattdessen, mich auf meine Aufgabe zu konzentrieren. Deshalb zwinge ich mich, meinen Blick von der jungen Frau zu meinen Füßen abzuwenden, um mich genauer in dem Raum umzusehen, der, abgesehen von der aufwendig präsentierten Leiche, vollkommen unberührt scheint. Dabei wird mir jedoch unvermittelt klar, dass ich im Grunde keine Ahnung habe, wonach genau ich suche, denn dass es sich hierbei um einen Serientäter handeln muss, dessen Vorgehen einem bestimmten Muster folgt, steht zumindest für mich außer Frage. Vielleicht werden auch meine Kollegen im Laufe unserer zu diesem Schluss kommen und entsprechende Nachforschungen anstrengen, doch im Moment bin ich der Einzige, der sich über diese Tatsache im Klaren ist. Dennoch kann ich nichts anderes tun, als diesen Tatort so gewissenhaft wie jeden anderen zu untersuchen, denn bis auf die wenigen bruchstückhaften Erinnerungen aus meiner Kindheit weiß ich absolut nichts über diesen Täter.
In all den Jahren, die seit jener Nacht vergingen, tauchten immer öfter Bilder jenes schrecklichen Erlebnisses vor meinem inneren Auge auf, beinahe als würden sie sich langsam aus der dunkelsten Ecke meines Verstandes nach oben kämpfen. In der Vergangenheit verwendete ich all meine Energie dafür, die Erinnerungen, die immer wieder an die Oberfläche drängten, tief in meinem Inneren zu verbergen, sodass dieses Ereignis für mich irgendwann nicht mehr existierte. Lediglich wenn die Adventszeit näher rückte, wollte mir dies nicht länger gelingen, denn an diesen Tagen verspürte ich die Einsamkeit um ein vielfaches stärker. Auch wenn ich es mir nicht eingestehen wollte, vermisste ich meine Familie, so wie sie einmal gewesen war, doch stärker, als ich es erwartet hatte. Vor allem meine Mutter fehlte mir unglaublich, aber wenn ich ehrlich war, galt dies auch für meinen Vater, zumindest für den, als den ich ihn einmal gesehen hatte. Auch wenn er, so weit ich zurück denken kann, stets ein Workaholic war, glaube ich dennoch, mich dunkel erinnern zu können, dass es Jahre gab, in denen wir Weihnachten als glückliche Familie verbrachten, damals als wir dies tatsächlich noch waren. Dennoch verspürte ich nie das Verlangen, wissen zu wollen, was genau damals wirklich geschah, hätte dies doch bedeutet, die Realität akzeptieren zu müssen.
Natürlich hatte mein Vater dafür gesorgt, dass ich nur einen Teil der Wahrheit, von dem er meinte, er wäre harmlos für mich und unbedenklich für ihn, erfuhr, aber auch mein Job als Polizist und einige Jahre später als Bundesagent brachte mich nicht dazu, Fragen zu stellen. Bereits der Gedanke an die damaligen Geschehnisse war zu schmerzhaft für mich, als dass ich dazu in der Lage gewesen wäre, die Erinnerungen daran erneut herauf zu beschwören. Mittlerweile kann ich mich jedoch des Gedankens nicht erwehren, dass ich Alyssas Tod hätte verhindern können, wenn ich nicht derart selbstsüchtig gewesen und um mein eigenes Seelenheil besorgt wäre. Immerhin wäre schon meine Tätigkeit als Polizist Grund genug gewesen, dieses Schwein aufhalten zu wollen, ganz zu schweigen von der Tatsache, dass ich es auch meiner Mutter schuldig war. Doch ich war zu egoistisch, um mich erneut diesem Erlebnis und den Bildern in meinem Kopf aussetzen zu wollen, die unweigerlich meine Fassade zum Einsturz gebracht und den Schmerz erneut an die Oberfläche befördert hätten. Stattdessen verdrängte ich die Wahrheit, verbannte auch meine einstmals beste Freundin aus meinem Leben, so wie ich es Jahre zuvor bereits mit meinem Vater getan hatte, sodass sie für mich nicht länger existierte, sodass ich sogar vergaß, sie jemals an diesem Ort besucht zu haben.