Kapitel 14
Kaum hat Gibbs den Feierabend eingeläutet, als McGee auch schon im Fahrstuhl verschwunden ist, um nach Hause zu kommen und ein wenig Schlaf zu finden. Währenddessen packen Ziva und Tony ihre Sachen zusammen, denn auch der junge Mann will diese Nacht nicht wieder an seinem Schreibtisch verbringen. Auf dem Weg in die Tiefgarage beschließt er zuvor zur Entspannung in eine Bar zu gehen, so dass er sich an seine Kollegin wendet: „Was hast du jetzt vor, Ziva?“ Die Israelin blickt ihn fragend an und erwidert genervt: „Ich fahre nach Hause, DiNozzo. Was glaubst du?“ Noch immer hat sich ihre Laune nicht gebessert, so dass dem Agenten ein leises Seufzen entfährt, doch er lässt sich von ihrer abweisenden Reaktion nicht abschrecken, sondern meint: „Ich dachte, du hättest vielleicht Lust, mit mir etwas Trinken zu gehen.“ Als er ihren überraschten und gleichzeitig auch abweisenden Blick registriert, fügt er hastig hinzu: „Naja, ich dachte, es würde uns vielleicht gut tun, ein wenig abzuschalten und diesen verfahrenen Fall zu vergessen.“ Verwirrt mustert sie ihn, denn damit hat sie nun wirklich nicht gerechnet, bevor sie schließlich nach kurzem Zögern zustimmend nickt. In der Tiefgarage gehen die Beiden zu Tonys Wagen, der ihr zuvorkommend die Beifahrertür öffnet und erklärt: „Steig ein! Ich werde dich später nach Hause fahren und morgen früh wieder abholen.“ Für einen Moment sieht ihn die junge Frau unentschlossen an, ehe sie einsteigt, was ihr Kollege ihr kurz darauf eilig gleich tut. Während er das Auto durch die Straßen der Großstadt lenkt, herrscht angespanntes Schweigen zwischen ihnen, so dass die Beiden froh sind, als der Agent vor einer Bar etwas außerhalb des Zentrums hält. Ziva folgt ihm, als er das Lokal betritt, das gemütlicher wirkt, als sie vermutet hätte, so dass sie angenehm überrascht ist. Er nickt dem jungen Mann hinter der Theke freundlich zu, bevor er sie zu einem ruhigen Tisch in einer Ecke des Raumes führt, wo sie sich einander gegenüber niederlassen. Bereits wenige Augenblicke später kommt der Barkeeper zu ihnen, um die Bestellung aufzunehmen: „Hey Tony, dass du dich auch mal wieder bei mir sehen lässt. Was kann ich euch bringen?“ „Hey Tom. Für mich ein Bier, bitte“, erwidert dieser und blickt fragend zu seiner Kollegin, die hinzufügt: „Für mich auch.“ Mit einem Nicken verschwindet der junge Mann wieder und lässt die Beiden allein, so dass erneut sich Schweigen zwischen ihnen ausbreitet.
Nur Minuten später sitzen die Beiden vor ihren Gläser, die sie still in ihren Händen drehen und gelegentlich daran nippen. Wortlos starren sie in die trübe Flüssigkeit, bis Ziva endlich das Wort ergreift: „Wieso sind wir hier, wenn wir uns jetzt anschweigen? Das können wir auch allein zu Hause tun.“ Seufzend fährt sich der Agent durch die Haare, ehe er grinsend erklärt: „Ich wollte erst mein Bier genießen, bevor du mich erschießt.“ Sein Gegenüber antwortet mit einer verwirrten Miene und faucht dann gefährlich: „Was hast du angestellt, DiNozzo?“ Schon diese Frage lässt ihn schwer schlucken, denn scheinbar ist die Israelin im Moment mehr als empfindlich, dennoch fährt er mit seinem Anliegen fort: „Ich wollte einfach nur wissen, was mit dir los ist. Du warst heute so seltsam.“ Daraufhin ertönt ein bedrohliches Zischen: „Wenn ich mir bei jedem Mal, wenn du dich merkwürdig benimmst, Sorgen machen würde, hätte ich schon graue Haare.“ Er lacht gequält auf und leert dann sein Bier in einem Zug, um schließlich tief durchzuatmen und zu erwidern: „Vielleicht hast du Recht. Wir reden nun mal beide nicht gern über solche Dinge, aber manchmal kann es befreiend sein.“ „Soll das heißen, du würdest mir endlich erzählen, was zwischen dir und Gibbs läuft?“ Ein wortloses Schulterzucken lässt die junge Frau verwundert ihre Augenbrauen nach oben ziehen, denn dies überrascht sie nun doch, so dass sie im ersten Moment nicht weiß, was sie entgegnen soll, ehe sie nach einer Weile antwortet: „Ich habe mich nach Amerika versetzen lassen, um Abstand zu gewinnen. Von meiner Heimat, meinem Vater und dem Mossad. Und nur weil du deine Neugier nicht im Zaum halten kannst, werde ich nicht...“ „Es ist wegen Ari, hab ich Recht?“, unterbricht Tony ihren Vorwurf, so dass Ziva beinahe erschrocken inne hält, denn sie hat beinahe vergessen, wie gut ihr Partner sie kennt. Dieser deutet ihr abruptes Schweigen als Zustimmung und fährt fort: „Abbys Musik hat dich an ihn erinnert. Er hat sie sicher gern gehört.“ „Hör auf damit, DiNozzo! Du kennst meinen Bruder nicht. Er hätte dieses Gejaule gehasst, und trotzdem hat Vater dieses Lied auf seiner Beerdigung spielen lassen. Eine Beerdigung, zu der er selbst nicht einmal gekommen ist.“ Die Israelin kümmert sich nicht darum, dass sie bei jedem Wort lauter geworden ist und sich bereits einige Gäste in ihrer Nähe verwundert zu ihr umblicken. Sie sieht ihr Gegenüber mit wütend funkelnden Augen an, der auf der kleinen Bank, auf der die Beiden sitzen, um den Tisch herumrückt und seine Kollegin wortlos in den Arm nimmt. Obwohl sie sich dagegen wehren will, lässt sie ihren Kopf an seine Schulter sinken, denn seine Nähe tut ihr einfach gut, es ist das, was sie in diesem Moment braucht. „Ich vermisse ihn. Trotz allem, was er getan hat, war er doch mein Bruder“, flüstert sie mit erstickter Stimme, so dass der junge Mann über ihren Rücken streicht und lediglich erwidert: „Ich weiß.“
Nachdem die Beiden einige Minuten schweigend ausgeharrt haben, löst sich die Mossad-Offizierin aus der Umarmung sieht sieht ihren Partner durchdringend an, der seinen Blick umgehend dem neuen Glas Bier vor ihm auf dem Tisch widmet. „Ich weiß, dass die Situation nicht einfach für dich ist“, beginnt nun sie das Gespräch und fügt hinzu, als er nicht auf ihre Worte reagiert: „Wir haben es dir nicht leicht gemacht, aber du warst ein guter Teamleiter. Und das weiß Gibbs in seinem Inneren auch.“ „Ich habe wirklich kein Dankeschön erwartet“, erklärt Tony nun sarkastisch. „Ich meine, er ist schließlich Gibbs. Aber dass er mich jetzt wieder wie einen Anfänger behandelt...“ Er lässt seine Aussage unvollendet, doch die Israelin versteht ihn dennoch, so dass sie erklärt: „Du solltest mit ihm sprechen.“ Erstaunt wendet er seinem Gegenüber den Kopf zu und zieht die Augenbrauen nach oben, ehe er mit ironischem Unterton nachhakt: „Ich soll mit Gibbs darüber sprechen, dass er mich ungerecht behandelt? Ziva, das ist Leroy Jethro Gibbs. Der redet nicht über solche Dinge. Für ihn klärt sich so etwas am besten mit einer Kopfnuss.“ Ein leises Seufzen entfährt der jungen Frau bei diesen Worten, doch im Grunde weiß sie, dass er Recht damit hat. Sie mustert ihren Kollegen prüfend, der sich erneut auf sein Bierglas konzentriert, dass er erneut zwischen seinen Händen hin und her dreht, so dass sie schließlich erklärt: „Es ist nicht nur wegen Gibbs, oder? Du denkst noch immer an Jeanne.“ Es ist eher eine Feststellung als eine Frage, doch der Agent will ihr wütend erklären, dass sie dies nichts angeht, doch er schweigt, denn auch sie hatte ihm, wenn auch eher ungewollt, etwas anvertraut. Aus diesem Grund nickt er lediglich wortlos, so dass sie ihre Hand auf seinen Arm legt und fortfährt: „Du hast sie geliebt. Da ist es klar, dass du sie nicht so einfach vergessen kannst. Aber du hast die richtige Entscheidung getroffen.“ „Ich weiß, Ziva“, gibt er nur zurück, so dass die Beiden sich erneut schweigend ihren Getränken zuwenden und ihren Gedanken nachhängen, jedoch mit dem Gefühl, ein wenig von ihrem Ballast los geworden zu sein.